Archiv 2023

Hier sind alle Beiträge zu aktuellen Themen aus dem Jahr 2022 gesammelt.
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Grafik: Titel KoaV-Vertrag

Alternativer, vom Inhalt inspirierter Titelblatt-Entwurf für den Koalitionsvertrag

20.12.2023

Klima und Fluglärm im CSPDU-Vertrag: es kann nur schlimmer werden

Was schon bei Vorlage des sog. "Eck­punkte-Papiers" absehbar war, hat sich bestätigt mit der Veröf­fent­lichung des Entwurfs des Koali­tions-Vertrags, der am 16.12. von beiden Parteien abge­segnet und am 18.12. als "Hessen­vertrag der DCS-Koali­tion" in Wiesbaden unter­zeichnet wurde (DCS: demo­kratisch-christ­lich-sozial, zwecks formaler Abgren­zung von christ­sozial, wie derar­tige Politik etwas weiter südöst­lich genannt wird).
Den Ort der Unter­zeich­nung haben die Partei­vorsitz­enden nach eigener Aus­sage bewusst gewählt, er "stehe für etwas Neues, Moder­nes", für "Moder­nität und Trans­parenz". Und es hat wohl tatsäch­lich etwas Symbo­lisches, wenn ihnen das ausge­rechnet zu einem priva­ten Museum für abstrakte Kunst, finan­ziert durch die Steuer­spar-Stif­tung eines reichen Unter­nehmers und im Volks­mund als Zucker­würfel ver­spottet, einfällt. Tatsäch­lich geht es ja auch bei den meisten "Innova­tionen" dieses Koali­tions­vertrages darum, mit neuen Methoden Altes, Eli­täres und Über­lebtes zu erhalten.

Die autori­tären, rück­wärts­gewandten Tenden­zen sind im vollen Umfang erhalten und in vielen Details noch ver­schärft, während die wenigen eher progres­siven Ansätze alle­samt im Unverbind­lichen ver­bleiben und natür­lich unter einem gene­rellen (und hier ernstzu­nehmendem) Finan­zierungs-Vorbe­halt stehen. Daher müssen auch Medien wie die 'Frank­furter Rund­schau' in ihrer Analyse fest­stellen: "Hessen rückt unter der schwarz-roten Regie­rung nach rechts". Beim Blick auf andere Reak­tionen stellen sie fest: "Begeis­tert aber ist kaum jemand. Es über­wiegen Skepsis und Kritik".
Dabei gilt aller­dings für die Unter­nehmer­verbände, dass sie ohnehin nie genug kriegen können, während andere im Hinblick auf kommende Ausein­ander­setzungen auch nach noch so schwachen Ansätzen suchen, die Grund­lage für Forde­rungen sein können. Im Hinblick auf die Klima- und Umwelt-Politik stellt aber der BUND, wohl auch stell­vertetend für andere, lapidar fest: "Der hessische Bund für Umwelt und Natur­schutz Deutsch­land (BUND Hessen) bewertet den Entwurf des Koali­tions­vertrages zwischen CDU und SPD als ein Doku­ment des umwelt­politi­schen Rück­schritts."

Nun sind Koali­tions­verträge generell keine Gesetzes­texte, die man mit einiger Bestimmt­heit auf mögliche Auswir­kungen hin analy­sieren könnte, sondern bessere Wunsch­zettel, die ledig­lich etwas darüber aussagen, was die Verfasser den Regierten als ihre Absicht verkaufen wollen.
Wir beschränken uns daher bei der genaueren Betrach­tung dieses Machwerks auf die für uns rele­vanten Punkte "Klima­schutz" und "Luft­verkehr", um zu sehen, ob sich aus den längeren Texten noch etwas mehr über die zu erwar­tende Politik lernen lässt.

Grafik: Klimaschutz ausbremsen

Die Originalveröffentlichung, aus der diese Grafik geklaut ist, listet Argumente auf, mit denen Klimaschutz ausgebremst wird.
(Für eine vergrösserte und mit passenden Zitaten aus dem KoaV ergänzte Grafik
auf die Grafik oben oder hier klicken.)

Aussagen zum Klima finden sich fast aus­schliess­lich in Kapitel 9 (S. 138) unter der Über­schrift "Aus Nach­haltig­keit für Klima, Umwelt und stabile und erneuer­bare Energie". Schon diese Formu­lierung, und erst recht der nach­folgende Text, lie­feren Anlass zu Betrach­tungen, inwie­weit die Verfasse­r*innen dieses Ver­trages die " Bildungs­sprache Deutsch", die ihnen im ersten Kapitel so wichtig ist, selbst beherr­schen, aber sowohl Erkenntnis­gewinn als auch Spaß­faktor sind zu gering, um den Aufwand zu lohnen.

Inhalt­liche Aussagen sind eben­falls extrem dürftig. Wo es halbwegs konkret wird, geht es im Wesent­lichen darum, dass Vorgaben von Bundes- und EU-Ebene gesetzes­konfrom umgesetzt werden sollen (was anschei­nend nicht selbst­verständ­lich ist) oder dass vorhan­dene Projekte und Instru­mente zumindest nicht völlig abgewürgt, manchmal sogar "konsequent weiter­geführt", "gestärkt", "gefördert" oder "unter­stützt" werden. Verbind­licher wird es nirgends.

Da sind die allge­meinen Aussagen zur Klima­politik, mit denen das Kapitel einge­leitet wird, noch aussage­kräftiger. Sie wirken wie abge­schrieben aus den Hand­reichungen der Fossil­wirt­schaft, mit denen die allzu primi­tive Leugnung des Klima­wandels, wie sie die AfD noch vertritt, ersetzt werden soll durch eine Argumen­tation, die wirk­same Klima­schutz-Politik ausbremsen und die Inter­essen der Fossil-Konzerne und der hinter ihnen stehenden Finanz­wirtschaft sichern soll.

Von den vier von der Sozial­forschung identi­fizierten Strate­gien kommen insbe­sondere zwei zur Anwen­dung. "Nicht jetzt": man behauptet, der Klima­wandel sei auch ohne grund­legende, tief­greifende Verände­rungen und ohne sofort wirkende Maß­nahmen abwend­bar, "Nicht so": Klima­schutz sei sozial unge­recht oder bedrohe den Wohl­stand, bessere techno­logische Lösungen würden in der Zukunft auch verträg­lichere Maß­nahmen ermög­lichen. Einige Bei­spiele dazu haben wir in der ausführ­lichen Version der neben­stehenden Grafik ange­führt.
Dass diese Strate­gien immer noch hoch­aktuell sind, hat selbst die Tages­schau im Zusammen­hang mit der gerade zu Ende gegangenen Welt­klima­konfe­renz COP28 fest­gestellt.

Man kann daher fest­halten, dass die Klima­politik dieser Koali­tion haupt­sächlich die Inter­essen der Fossil­wirt­schaft, also der Öl- und Gas-Konzerne und all derer, deren Geschäfts­modelle von deren Produkten abhängen, sichern soll. Sie ist daher nicht nur nicht fort­schritt­lich, sie ist auch nicht konser­vativ, also auch nicht auf den Erhalt beste­hender, zukunfts­taug­licher Beding­ungen ausge­richtet. Sie ist reaktionär, also ein Versuch, über­kommene, nicht zukunfts­fähige Geschäfts­modelle aus ideolo­gischen Gründen so lange wie möglich am Leben zu erhalten.

Mit den Aus­sagen zum Luft­verkehr sieht es nicht besser aus. Sie verstecken sich in einem eigenen Unter­kapitel des Kapitels 10, "Aus Liebe für unsere Demo­kratie, unsere Heimat und Regionen, für Tradi­tion und Kultur".
Wie man unter dieser Über­schrift vom Vermächt­nis der Frank­furter National­versamm­lung über tech­nische Aspekte der Mobi­lität wieder zu "Heimat", "Demo­kratie", "Kultur", "Medien" und "Sport" kommen kann, ist eine weitere Merk­würdig­keit dieses Textes, deren Inter­preta­tion wir uns hier verkneifen müssen.

Beim Durch­lesen der rund einein­halb Seiten (S.157-158) fallen besonders die vielen Doppe­lungen auf. So endet der erste Absatz mit dem Satz "Wir werden uns gegen­über der Fraport AG für gute Arbeits­beding­ungen ein­setzen", der zweite mit "Im Rahmen der Möglich­keiten wollen wir außerdem für gute Arbeits­beding­ungen sorgen".
Das korres­pondiert mit den Mehrfach­aussagen im SPD-Wahl­programm, wo es in einem Absatz heisst: "Unter SPD-Führung wird sich die Flug­hafen­politik stärker an Tarif­bindung, Mitbe­stimmung, Anwohner- und Umwelt­schutz orientieren. ... Auf Landes-, Bundes- und europä­ischer Ebene werden wir uns dafür einsetzen, dass der Flug­hafen ein Garant für gute Arbeits­plätze ist. Auch um Fach­kräfte an den Standort zu binden, wird sich die Flug­hafen­politik unter SPD-Füh­rung stärker an Tarif­bindung, Mitbe­stimmung und Arbeits­beding­ungen aus­richten.".
"Tarif­bindung" und "Mitbe­stimmung" sind dem Kompromiss mit der CDU zum Opfer gefallen, der es nur um die Zahl der Arbeits­plätze geht, und über­fällige Verbes­serungen z.B. im Arbeits­schutz durch Redu­zierung der Ultra­feinstaub-Belastung, oder die Forde­rung nach Einhal­tung aller Normen und Richt­linien der Inter­natio­nalen Arbeits­organi­sation ILO bei allen inter­natio­nalen Beteili­gungen der Fraport hat ohnehin keine der beiden Parteien auf dem Schirm.

Die nächste interes­sante Doppelung steht im 3. Absatz dieses Unter­kapitels. "Wir bekennen uns zur Stärkung des Flug­hafens Frank­furt/Rhein-Main auf der Basis des Plan­fest­stellungs­beschlusses. Wir werden die darin festge­legten Auflagen zum Nacht­flugverbot, den Betriebs­konzepten und Eck­werten beachten und nutzen. Wir wollen den Flug­hafen in seiner Dreh­scheiben­funktion als Welt­flughafen stärken, um Arbeits­plätze zu sichern und neue Arbeits­plätze zu schaffen und sehen keine Eingriffe in den Plan­fest­stellungs­beschluss vor."
Den Plan­fest­stellungs­beschluss von 2007 für unan­tastbar zu erklären, ist schon lange ein Kern­anliegen der CDU, die dazu in ihrem Wahl­programm geschrieben hat: "Wir bekennen uns zur Stärkung des Flug­hafens Frank­furt/Rhein-Main auf der Basis des Plan­fest­stellungs­beschlusses." Hier dient die doppelte Betonung wohl dazu, der SPD klarzu­machen, dass sie selbst solche diffusen Aussagen aus ihrem Wahl­programm künftig verges­sen kann: "Wir werden alle Möglich­keiten nutzen um ein Maximum an Lärm­schutz für die Region zu erreichen, ohne den Standort ein­seitig zu benach­teiligen. Dazu gehören rechts­sichere Lärmober­grenzen und ein Nacht­flugverbot Plus am Frank­furter Flug­hafen. Im Rahmen des recht­lich Mög­lichen soll geprüft werden, welche Flug­verbin­dungen in den Tagzeit­raum verlagert werden können, um in den Rand­zeiten der Lärm­pausen zu entlasten. Syste­matische Verstöße gegen das Nacht­flugverbot wollen wir stärker ahnden". Sie dürfen höchstens "die Bemüh­ungen von Fraport, Flug­bewegungen in den Nacht­rand­stunden durch eine Entgelt­spreizung zu redu­zieren", begrüssen - wenn es sowas mal geben sollte.

Ansonsten wird nur noch versprochen, auch die sonstigen Auf­träge der Unter­nehmer­verbände und Wünsche der Luft­verkehrs­wirt­schaft soweit als möglich umzu­setzen. Dazu sollen u.a. "der Anschluss des Flug­hafens an das Wasser­stoff-Fern­leitungs­netz" erfolgen, der "Flug­hafen Frank­furt bundes­weit zum Vor­reiter für die E-Fuel-Techno­logie" gemacht werden, "die Versor­gung der Airlines mit SAF gemäß der EU-Quoten" möglichst billig sicher­gestellt und der "Ausbau der Cargo-Funk­tionen am Frank­furter Flug­hafen und der Airport City West" weiter­geführt werden. Als zusätz­liches High­light setzen sich die Koali­tionäre auch noch für "den Einsatz von Urban Air Mobility Systemen" ein, also die Irrsinns­pläne der Fraport, den Flug­hafen per extrem lauten Flug­taxis mit der Innen­stadt (oder den Innen­städten?) zu verbinden.

Zum Fluglärm gibt es klare Ansagen. "Anstreng­ungen zur Redu­zierung des Flug­lärms der vergang­enen Jahre zur Entlas­tung der Region sind fortzu­führen und bleiben Dauer­aufgabe. Im Forum Flug­hafen und Region sowie im Rahmen der „Allianz für Lärm­schutz“ werden wir diesen Weg fort­setzen und die Inter­essen der Anrainer sowie die Wett­bewerbs­fähig­keit und die Kapa­zität des Flug­hafens berück­sichtigen." Es soll also alles so weiter­gehen wie bisher, oder anders gesagt, es soll nichts passieren. Dem Forum Flug­hafen und Region ist seit dem lächer­lichen Maßnahme­programm Aktiver Schall­schutz von 2018 nichts Neues zum Lärm­schutz mehr einge­fallen, und zur Allianz für Lärm­schutz finden Such­maschinen nur Texte von 2012.
Dass es nicht möglich ist, "den Flug­hafen in seiner Dreh­scheiben­funktion als Welt­flughafen [zu] stärken", "die Wett­bewerbs­fähig­keit des Flug­hafens zu sichern" und "die Entwick­lung des inter­kontinen­talen Passagier­verkehrs" zu stärken, ohne die Bevölke­rung des Rhein-Main-Gebiets massiven gesund­heit­lichen Risiken durch Lärm und Schad­stoffe auszu­setzen, interes­siert die Koali­tionäre nicht.

Wenn die SPD also ab nächstem Jahr vertrags­gemäß mit dem "Minis­terium für Wirt­schaft, Energie, Verkehr, Wohnen und länd­licher Raum" auch die poli­tische Verant­wortung für den Bereich 'Luft­verkehr' über­nimmt, geht sie damit sehr konkrete Verpflich­tungen ein, was alles nicht passie­ren darf. Aber immer­hin eines ihrer Verspre­chen aus diesem Bereich kann sie umsetzen. "Die Politik von CDU und Grünen wie etwa die PR Flops zum Lärm­schutz" muss sie nicht fort­setzen - Lärm­schutz kann ganz einfach nicht mehr statt­finden.
Wer aber weiter­hin für Gesund­heits-, Umwelt- und Klima-Schutz im Allge­meinen und gegen die Belas­tungen durch Flug­lärm und Schad­stoffe im Speziellen ein­treten will, hat damit eine klare Aufgabe: dieser Regierungs­politik von Anfang an Wider­stand entgegen­zusetzen. "Von Anfang an" kann man dabei ganz wört­lich nehmen. Am 18.01.2024 soll die neue Regie­rung in der konsti­tuieren­den Sitzung des Land­tags ab 11:00 Uhr in Wies­baden gewählt werden. Es gibt mit Sicher­heit viele Menschen, die wollen, dass das nicht ohne öffent­lich sicht­baren Protest über die Bühne geht.

Dabei sollten den Aussagen dieses Vertrages ganz klare Forderungen entgegengesetzt werden. Statt im Planfeststellungsbeschluss "festge­legten Auflagen zum Nacht­flugverbot ... und Eck­werten" (eine Stunde Beschränkungen und fünf Stunden Flugverbot mit Ausnahmen sowie 701.000 Flugbewegungen pro Jahr) brauchen wir

- ein Nachtflugverbot in der gesetzlichen Nacht von 22 - 6 Uhr
- Reduzierung der Zahl der Flugbewegungen, minus 20% bis 2030.





Grafik: Lärmwerte in Raunheim

Nach der jüngsten Lärmkatierung 2022 liegt die gesamte Gemarkung Raunheim in einer Zone, in der tagsüber im Durchschnitt Fluglärm von mehr als 55 dB(A) herrscht. In der Nacht werden fast im gesamten bewohnten Gebiet im Durchschnitt Werte von über 50 dB(A) erreicht. Die Schwelle von 44 dB(A) wird mit Sicherheit überall überschritten.

11.12.2023

Fluglärm erhöht wirklich viele Krank­heits-Risiken - und jetzt?

Auch die Frank­furter Fluglärm­kommission hat sich in der letzten Sitzung ihrer aktuellen Amts­periode mit der Zusammen­fassung des "Gutachten - Aktuali­sierung der Evalu­ierung der For­schungs­ergeb­nisse zur Wirkung von Fluglärm auf den Menschen" und einer Präsen­tation zu dessen Zielen und den dafür verwen­deten Methoden befasst.

Aus der Zusammen­fassung kann man lernen, dass beim Über­schreiten der kriti­schen Werte für den "äquiva­lenten Dauer­schall­pegel" von 51 dB(A) am Tag (06-22 Uhr) bzw. 44 dB(A) in der Nacht (22-06 Uhr) das Risiko, an Herz­infarkt, ischä­mischer Herz­krankheit oder Herz-Kreislauf­erkrankungen zu sterben, um mehr als 5% erhöht ist, das Risiko, an Blut­hochdruck oder Depres­sion zu erkranken, um mehr als 10%, und für hoch­gradige Belästi­gung tags bzw. hoch­gradige Schlaf­gestört­heit nachts um mehr als 25 bzw 15 % erhöht ist.

Einen Beschluss hat die FLK dazu nicht gefasst. In der Presse­mittei­lung zur Sitzung lässt sich der Vorsit­zende Weiss zitieren mit "„Der Bundes­gesetz­geber muss die gesetz­lichen Grund­lagen für den Gesund­heits­schutz der Bevölke­rung vor Flug­lärm dringend verbes­sern! Die Erkenntnis­grund­lage ist ein­deutig – jetzt ist die Politik in der Pflicht!" Was genau sie tun sollte, wird hier nicht gesagt.
Zu den Ergeb­nissen des Gut­achtens wird ledig­lich mitge­teilt, "dass es keine Schlechter­stellung des Schutz­niveaus von Bestands­flughäfen, Bestands­gebäuden und Gebäuden, die zu einem früheren Zeit­punkt mit passivem Schall­schutz ausge­stattet wurden, geben darf. Bei gleicher Belas­tung entstehen auch gleiche gesund­heit­liche Auswir­kungen. Maßgeb­lich müssen die Schutz­werte für Erweite­rungs­flughäfen sein, die nach den aktuellen Erkennt­nissen der Lärm­wirkungs­forschung jedoch zu gering ange­setzt sind. Gerade noch akzeptier­bare Werte liegen am Tag um 4 dB und in der Nacht um 6 dB unter den derzeit geltenden Dezibel­werten."

Der letzte Satz lässt darauf schliessen, dass auch hier als Konse­quenz haupt­sächlich eine Verschär­fung der Grenz­werte im Flug­lärm­schutz­gesetz ins Auge gefasst wird. Für die Flug­lärm­kommis­sion des grössten deutschen Flughafens, die eine Region vertritt, in der Hundert­tausende Menschen von Mainz bis Hanau und von Frank­furt bis Darm­stadt in Bereichen leben, in denen die identi­fizierten kriti­schen Lärm­werte über­schritten werden, ist das eindeutig zu wenig.
Welche Konse­quenzen eine solche Verschär­fung hätte, haben wir bereits in einem Beitrag zur PM der ADF zu diesem Gut­achten erläutert. Für Raunheim würde sich dadurch praktisch nichts ändern. Die Stadt unter­liegt ohnehin komplett den Siedlungs­beschrän­kungen, alle müssen bei Neu- und Ausbauten höheren Aufwand für Schall­schutz treiben und hatten Anspruch auf die völlig unzu­reichenden Maß­nahmen aus dem Fraport-Schall­schutz­programm für Schlaf­zimmer. Ledig­lich im äussersten Norden der Stadt könnten einige Haus­halte noch Förde­rung für zusätz­liche Maß­nahmen erhalten.

Von der Begrenzt­heit dieser Maßnahme und den darüber hinaus notwen­digen Verbes­serungen findet sich in den aktuellen Mittei­lungen von ADF und FLK kein Wort. Als das Umwelt­bundesamt seinen Flug­lärm­bericht 2017 vorbe­reitete, hat sich die FLK Frank­furt mit einem 14seitigen Positions­papier daran beteiligt. Nach Veröf­fent­lichung des (von den beteiligten Minis­terien verwäs­serten) Berichts erschien eine 27seitige Stellung­nahme der ADF mit Kritik und Verbes­serungs­vorschlägen. Auf diese und weitere Papiere wurde in der folgenden Diskussion regel­mäßig Bezug genommen und die darin enthal­tenen Forde­rungen in die Öffent­lichkeit gebracht.

Herr Weiss muss sich in seiner Rolle als FLK-Vorsit­zender, der die Posi­tionen und Forde­rungen des Gremiums nach aussen vertreten soll, an seinem Vorgänger messen lassen. Derzeit sieht es so aus, als müsse er noch kräftig wachsen, um auch nur annähernd dessen Statur zu erreichen.
Mit dürftigen Presse­mittei­lungen und dem Verzicht auf Beschlüsse zu Kern­themen schöpft er nicht einmal die begrenzten Möglich­keiten aus, die einem Beratungs­gremium des Verkehrs­ministers gegeben sind.

Die weiter­gehenden politi­schen Forde­rungen zu formu­lieren, die deutlich machen, wie der Schutz der Bevölke­rung vor Gesund­heits­gefahren wirklich verbes­sert werden kann, ist daher umso mehr die Aufgabe der politi­schen Repräsen­tanten in kommunalen, Kreis- und Landes-Gremien, der Interessen­verbände KAG und ZRM und der Bürger-, Umwelt- und Gesund­heits-Initia­tiven, die sich mit den Belas­tungen durch den Flug­verkehr und den dadurch begüns­tigten Krank­heiten befassen.
Im Grunde sind die Forde­rungen bekannt: Die politi­sche Konsequenz aus den Erkennt­nissen des Gutachtens kann nur sein, umgehend ein Programm zur Wieder­herstel­lung lebens­werter und gesund­heits­fördernder Verhält­nisse in der Region zu entwerfen und umzu­setzen.

Notwendige Schritte dazu wären

Dass ein solches Programm letzt­endlich abzielen muss auf eine Trans­formation des Flughafens von einem profit-getrie­benen, ständig weiter wuchernden, die ganze Region mit Lärm und Schad­stoffen über­ziehenden Krebs­geschwür hin zu einem Element der öffent­lichen Daseins­vorsorge, das notwen­dige Mobili­täts-Dienst­leistungen im Einklang mit den Erforder­nissen des globalen Klima­schutzes und der regio­nalen Lebens- und Umwelt-Qualität sicher­stellt, ist dabei keine radikale Phantasie, sondern logische Konsequenz der Tatsache, dass künftig die Einhaltung der plane­taren Belast­barkeits­grenzen und der Schutz der Gesund­heit von Mensch und Umwelt zu den Kern­aufgaben des Wirt­schaftens gehören müssen, wenn die Mensch­heit überleben will.




Grafik: Ziel verfehlt

Die Originalveröffentlichung, von deren Titelblatt diese Grafik geklaut ist,
listet die Geschichte des Verfehlens klimapolitischer Ziele in der Luftfahrt auf.

02.12.2023

ICAO-Klimaschutz-Ziele:
unzureichend, unverbindlich - unbrauchbar.

Unmittelbar vor der laufenden '28. Welt­klima­konferenz' COP28 hat die Inter­natio­nale Zivil­luft­fahrt­organi­sation ICAO, eine UN-Organi­sation mit dem Ziel, "ein nach­haltiges Wachs­tum des globalen Zivil­luft­verkehrs­systems zu fördern", in einer speziellen Konfe­renz ihr lang­fristig anzu­strebendes Ziel (long-term aspirational goal, LTAG) von "Netto-Null-Kohlen­stoff­emis­sionen bis 2050" (womit sie 2/3 der Klima­wirkungen des Luft­verkehrs igno­riert) bestätigt und ein neues Zwischenziel für 2030 formu­liert.

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man den Text sehr genau lesen. Im englischen Original steht:

"To support the achieve­ment of the LTAG, ICAO and its Member States strive to achieve a collec­tive global aspira­tional Vision to reduce CO2 emissions in inter­national aviation by 5 per cent by 2030 through the use of SAF, LCAF and other aviation cleaner energies (compared to zero cleaner energy use)."

Das über­setzen wir mit

"Um das Erreichen des LTAG zu unter­stützen, streben ICAO und ihre Mit­glieds­staaten danach, eine kollektiv global anzu­strebende Vision zur Redu­zierung der CO2-Emis­sionen der inter­natio­nalen Luft­fahrt durch die Nutzung von [nach­haltiger Flug­zeug-Treib­stoffen] SAF, [Kohlen­stoff-redu­zierten Flug­zeug-Treib­stoffen] LCAF oder anderer sauberer Flug­zeug-Antriebs­energien (im Vergleich zur Nicht­nutzung sauberer Energien)".

Der Nachsatz in Klammern ist entscheidend. Entgegen ersten Berichten, die den Eindruck erwecken konnten, es sei eine Redu­zierung im Vergleich zu einem bereits erreich­ten, abso­luten Wert (etwa der Verbrauch 2019 oder 2023) geplant, wird hier deutlich gemacht, dass es nur um eine relative Redu­zierung geht. Durch die "sauberen Energien" soll erreicht werden, dass 5% weniger emit­tiert wird, als wenn nur fossiles Kerosin einge­setzt würde. Da ICAO an ihren Wachs­tums-Szena­rien fest­hält, bedeutet das eine geplante weitere Zunahme der Emis­sionen, eben nur in einem etwas gering­eren Ausmaß.
Eine völlig unver­bindliche "Vision" einer etwas verring­erten Steige­rung der Emis­sionen steht in einem krassen Gegen­satz zum Aufruf des Umwelt­programms der Ver­einten Natio­nen (UNEP), die Treib­haus­gas-Emis­sionen bis 2030 um 42% zu senken, um wenig­stens eine Chance von 2:1 zu haben, das 1,5°C-Ziel zu erreichen. Die Regu­lierung des Luft­verkehrs findet offen­sicht­lich in einer anderen Welt statt.

Fach­platt­formen analy­sieren genauer, dass "eine 5%ige Reduk­tion der Kohlen­stoff­inten­sität der Luft­fahrt-Kraft­stoffe" ange­strebt werden soll, zusammen mit einem "Globalen Rahmen", der die Staaten mit "Assis­tenz beim Aufbau von Kapazi­täten, Finan­zierung und ... Entwick­lung der notwen­digen Infra­struktur" unter­stützen soll. Insge­samt sollen damit "unter­stützende Regie­rungs-Poli­tiken" erreicht und "ein starkes Signal an Inves­toren und den tradi­tionel­len Energie­sektor" gesendet werden.
Der klima­politische Nebel­werfer der globalen Luft­fahrt­industrie, die sog. 'Air Trans­port Action Group', erklärt noch deut­licher, wie das Ganze gemeint ist. Die Luft­fahrt­indus­trie habe ihre Ziele formu­liert, nun sei es an der Finanz­wirt­schaft und dem Energie­sektor, die notwen­dige Infra­struktur zu unter­stützen und SAF in ständig stei­genden Mengen zu liefern. Insbe­sondere der Energie­sektor müsse "jetzt bedeu­tende Flüsse ihrer riesigen Profite und Inves­titions­ausgaben in die Ener­gie-Trans­forma­tion leiten". Dazu brauche es "unter­stützende Regie­rungs-Poli­tiken und unter­stützende Investi­tionen aus dem Finanz­sektor".

Im Klartext: Regie­rungen sollen Subven­tionen fliessen lassen und ein "günstiges Inves­titions­klima" schaffen, der Finanz­sektor soll inves­tieren, und die fossilen Energie­konzerne sollen sich neue, "zukunfts­fähige" Geschäfts­felder erschliessen, damit die Airlines auch weiter­hin billigen Sprit tanken können.
Die verpflichten sich nicht wirklich zu etwas, versprechen aber, SAF auch tatsächlich zu benutzen, wenn sie denn in den anvisierten Mengen und zu "angemessenen Konditionen" bereitgestellt werden. Für die Airlines, die am ICAO-Ablasshandel CORSIA beteiligt sind, wird das Ganze ohnehin fast zum Nullsummenspiel, denn diese SAF-Einkäufe können sie auf ihre Verpflichtungen zum Zertifikate-Kauf (soweit solche überhaupt schon bestehen) anrechnen.
Kein Wunder, dass die Luft­fahrt-Lobby­verbände jubeln und begeis­tert Beifall klatschen.

Kaum erwähnt wird in der Bericht­erstat­tung, dass diese Konfe­renz sich auch dadurch aus­zeichnet, dass eigent­lich bereits erreichte Kompro­misse weiter verwäs­sert wurden. 5% Redu­zierung der Kohlen­stoff-Inten­sität der Treib­stoffe ist im Grunde nicht einmal verein­bar mit den ICAO-eigenen Szena­rien zur Errei­chung des LTAG-2050, daher waren in der Konferenz-Vorlage noch "5-8%" vorge­sehen. Das bevor­zugte 'Dreh­buch' der Luft­fahrt­industrie für die Errei­chung von LTAG-2050, die ATAG-Studie Way­point 2050, enthält Szena­rien, die für 2030 SAF-Anteile zwischen 2,5 und 14% erwarten, also Inten­sitäts-Redu­zie­rungen von rund 2-10%, wobei selbst unter den dort formu­lierten sehr opti­misti­schen Annah­men nur Redu­zie­rungen von mindes­tens 5% zur Ziel­errei­chung führen können.
Ausserdem tagte zu Beginn der Konfe­renz noch die vor zwei Jahren in Glasgow gegrün­dete sog. 'Inter­national Aviation Climate Ambition Coalition', zu der auch Deutsch­land gehört, wohl haupt­säch­lich mit dem Ziel, die damals beschlos­sene Dekla­ration zu ersetzen durch ein Update, in dem die Ver­pflich­tung "to reduce aviation CO2 emissions at a rate consis­tent with efforts to limit the global average tempera­ture increase to 1.5°C" ersetzt wird durch "to reduce aviation CO2 emissions in line with the goal for inter­national aviation of net-zero carbon emis­sions by 2050, in support of the Paris Agree­ment's tempera­ture goal". Das bedeutet, das die Ver­pflich­tung ('commit­ment'), die Luft­fahrt-Emis­sionen zu redu­zieren im Ein­klang mit dem 1,5°C-Ziel, ersetzt wird durch eine Ver­pflich­tung zu Redu­zier­ungen im Ein­klang mit dem Netto-Null-Ziel für 2050, um damit das Ziel der Pariser Verein­barung "zu unter­stützen". Ange­sichts der Tatsache, dass über die Mög­lich­keit der Einhal­tung des 1,5°C-Ziels in diesem Jahr­zehnt ent­schieden wird, ist das eine dras­tische Redu­zierung der 'Ambition' und eine Aufgabe des ursprüng­lichen Ziels.

Grafik: Pommes, Fliegen und Gesundheit

Um solche Rück­schritte zu über­spielen, werden auch einige Werbe­gags lanciert, die wohl beweisen sollen, dass SAF funk­tioniert. So flog gerade werbe­wirksam eine Boeing 737 von Virgin Atlantic erstmals mit SAF haupt­sächlich aus altem Speise­fett von London nach New York. Einige technische Details dazu lassen sich der von der 'Deutschen Gesell­schaft für Luft- und Raum­fahrt' ins Deutsche über­tragenen Presse­mittei­lung des Trieb­werk-Her­stellers Rolls Royce ent­nehmen.
Über den einge­setzten Treib­stoff teilt Rolls Royce mit: "Bei dem ... verwen­deten SAF handelt es sich um eine einzig­artige Mischung aus 88 % HEFA (Hydro­processed Esters and Fatty Acids) von AirBP und 12 % SAK (Synthetic Aro­matic Kero­sene) von Virent, ... . HEFA wird aus Abfall­fetten herge­stellt, während SAK aus pflanz­lichem Zucker gewonnen wird, wobei die übrigen pflanz­lichen Proteine, Öle und Fasern der Roh­stoffe weiter in der Nahrungs­kette genutzt werden. SAK wird in 100%igen SAF-Misch­ungen benö­tigt, da soge­nannte Aromaten im Kraft­stoff für die Trieb­werks­funktion unerläss­lich sind." Das heisst, immer­hin 12% des einge­setzten Treib­stoffs werden aus Lebens- oder Futter­mitteln gewonnen, die dafür der Nahrungs­produktion entzogen werden.

Die ganze Aktion ist damit weder neu noch zukunfts­orientiert. Test­flüge mit verschie­denen "100%-SAF"-Misch­ungen finden seit Jahren statt, wenn auch in der Regel nicht als Trans­atlantik-Flüge. "100% SAF" bedeutet dabei eine CO2-Redu­zierung von 70 bis maximal 85%, und in einigen Fällen viel­leicht sogar eine gewisse Redu­zierung der Kondens­streifen-Bildung, die eben­falls klima­wirksam ist.
HEFA-Kraft­stoffe können auch nicht in grossen Mengen herge­stellt werden. Selbst die optimis­tischen 'Waypoint 2050'-Szena­rien gehen nur von einem Anteil von 6-8% am Gesamt­bedarf von SAF aus. Anders gesagt: Selbst unsere konsum-orien­tierte Wohl­stands­gesell­schaft produ­ziert bei Weitem nicht genug Abfälle, um daraus genügend Treib­stoff für unsere Luxus-Flie­gerei zu machen.

Berück­sichtigt man darüber hinaus, dass gemäß ICAO-Beschluss alles als SAF zählt, was in Trieb­werken verbrannt werden kann, gewissen Nach­haltig­keits-Krite­rien genügt und über den gesamten Lebens- (oder besser Verbrauchs-) Zyklus mindes­tens 10% weniger CO2 emit­tiert als fossiles Kerosin, und die "Lower carbon aviation fuels" LCAF normale fossile Brenn­stoffe sind, bei denen diese 10%-Reduk­tion im Produk­tions­prozess erreicht wird (indem z.B. die Förder­pumpen mit Wind­energie betrieben, die Raffi­nerien mit Solar­strom beleuchtet werden und/oder der Transport mit Elektro­fahr­zeugen erfolgt), wird klar: die Luft­fahrt möchte noch jahr­zehnte­lang fossile Brenn­stoffe nutzen. Dass es dabei auch mit den "Nach­haltig­keits­kriterien" nicht weit her ist, zeigt z.B. die Tatsache, dass US-Flug­gesell­schaften ganz offen Mais als Roh­stoff für "nach­haltige Treib­stoffe" nutzen und dafür auch massiv die Grund­wasser­vorräte im ameri­kanischen Corn Belt plündern wollen.
Damit passt die ICAO-Bot­schaft zu einer Klima­konferenz, die die wesent­liche Aufgabe hätte, den Ausstieg aus den fossilen Brenn­stoffen endlich verbind­lich in die Wege zu leiten, deren Veran­stalter aber von Anfang an im Verdacht stehen, das Gegen­teil anzu­streben. Aber auch wenn in Dubai noch das eine oder andere positive Ergeb­nis erreicht werden sollte - die notwen­digen grund­legen­den Verän­derungen werden ohne den anhal­tenden Wider­stand von unten nicht durch­setzbar sein.




Grafiken: EU Wasserstoff-Strategie

"Grüner" Wasser­stoff steht aktuell nicht zur Verfügung. Die von der EU geplanten Mengen in Europa herzu­stellen, würde einen grossen Teil der hier verfüg­baren erneuer­baren Energien erfor­dern. Die geplanten Importe aus Afrika hemmen dort die Entwick­lung und die Versor­gung von Bevölke­rung und Wirt­schaft mit erneuer­baren Energien.

28.11.2023

Die Wasserstoff-Lüge

Wasser­stoff ist das Kern­element fast aller neuen Antriebe und Treib­stoffe, mit denen die Luft­verkehrs­wirtschaft ihre Klima­wirkungen redu­zieren und Emissions­freies Fliegen möglich machen will.
Die Einsatz­möglich­keiten in Wasser­stoff­flug­zeugen reichen von der direkten Verbren­nung in Gastur­binen über die Nutzung in Brenn­stoff­zellen für Elektro­antriebe bis hin zu sog. PtL-Kraft­stoffen ("Power-to-Liquid", neuer­dings auch "eSAF", electri­cally gene­rated Sustain­able Aviation Fuels, genannt), die anstelle von fossilem Kerosin getankt werden können.

Die einzigen Alter­nativen dazu wären batterie-elek­trische Antriebe oder Treib­stoffe, die aus Bio­masse oder kohlen­stoff-haltigen Abfällen gewon­nen werden. Erstere sind wegen des Gewichts der Batte­rien nur für kleine Kurz­strecken­flug­zeuge einsetz­bar, über Letztere werden viele falsche Aussagen ver­breitet, aber sie sind nachweis­lich nicht klima­neutral, ihre Herstel­lung ist häufig nicht sozial­verträg­lich und ökologisch bedenklich, der Handel damit ist anfällig für Betrug und sie stehen auch unter optimis­tischen Annahmen nicht in ausrei­chender Menge zur Verfü­gung.

Tech­nisch betrachtet ist Wasser­stoff ein farb­loses Gas, aber poli­tisch kann er viele Farben bekom­men, je nachdem, wie und woraus er herge­stellt wird. Eine Erläute­rung der Bundes­regierung listet (versteckt in den "häufigen Fragen") insge­samt neun Farben auf. Wirk­lich klima­neutral kann dabei einzig der sog. "grüne" Wasser­stoff sein, der unter Einsatz erneuer­barer Ener­gien (haupt­sächlich Strom) durch die Aufspal­tung von Wasser in Wasser­stoff und Sauer­stoff herge­stellt wird.

Deutsch­land und die EU planen den Über­gang zu einer Wasser­stoff­wirt­schaft, die Wasser­stoff als Univer­sal-Energie­träger für viele Bereiche von der Schwer­industrie bis zum PKW-Verkehr und der Raum­heizung nutzen soll.
Dabei soll natür­lich "prinzip­iell" grüner Wasser­stoff genutzt werden, aber die EU spricht ganz offen von "renew­able and low-carbon gases", also Gas, das "erneuer­bar" ist (was auch schon viele proble­matische Defini­tionen bein­haltet) oder irgend­wie weniger CO2 frei­setzt als fossiles Gas.
Und auch die Bundes­regie­rung gesteht (in den ver­steckten Fragen): "Bis aus­reichend grüner Wasser­stoff zur Verfü­gung steht, können auch andere kohlen­stoff­arme Farben genutzt werden ... . Unter bestimm­ten Voraus­setzungen und mit strengem Blick auf Treib­haus­gas­emis­sionen, können auch kohlen­stoff­armer blauer Wasser­stoff aus Erdgas mit CCS, also CO2-Speiche­rung, türkiser Wasser­stoff aus Verbren­nung von Methan oder oran­gener Wasser­stoff aus Abfall und Rest­stoffen geför­dert werden." Mit anderen Worten: "(nearly) every­thing goes" - übergangs­weise, bis eines Tages die schöne neue, klima­neutrale Welt erreicht sein wird.

Warum das so sein soll, erklärt der deutsche Wirt­schafts­klima-Minister, wie meist in einem Video. Dabei über­geht er dezent einige Kleinig­keiten: "blauer" Wasser­stoff aus Erdgas, bei dem das abge­spaltene CO2 aufge­fangen und irgendwo einge­lagert (CCS, carbon capture and storage) oder ander­weitig genutzt (CCU, carbon capture and usage) wird, hat einen miser­ablen Wirkungs­grad, da für die Abspal­tung und Einlage­rung oder Aufbe­reitung für die Nut­zung eben­falls Energie ver­braucht wird. Auch ob die geplanten oder derzeit schon durch­geführten Einlage­rungen das CO2 wirklich lang­fristig binden, ist keines­wegs sicher. Im schlimmsten Fall ist "blauer" Wasser­stoff klima­schäd­licher als die direkte Verbren­nung des fossilen Gases.

Dass 'grüner' Wasser­stoff so etwas wie der Cham­pagner der Energie­wende ist (selten und teuer) und auf abseh­bare Zeit nur in geringen Mengen zur Verfü­gung stehen wird, wird nirgendwo bestritten. Auch das der Trans­port über längere Strecken auf Probleme stösst und die Gesamt-Energie­bilanz wasser­stoff-betrie­bener Pro­zesse massiv verschlech­tern kann, wird hin und wieder erwähnt. Und manchmal wird auch in einzelnen Fällen öffent­lich, wie politisch und sozial proble­matisch Wasser­stoff-Projekte sein können.
Die deutsche Wasser­stoff-Stra­tegie sah sich deshalb schon bei ihrer Vorstel­lung mit deut­licher Kritik konfron­tiert. Das Urteil war vernich­tend: "Sie ist ein riesiges Wirt­schafts­förder­programm, das ganz wenig mit der Energie­wende bzw. Klima­schutz zu tun hat, und ganz viel mit den Inter­essen der alten Energie­konzerne und ihrem zentra­listischen Energie­system (allmäch­tige Konzerne, abhängige "Ver­braucher"). Grüner Wasser­stoff dient da nur als "Mäntel­chen" für den Einsatz der anderen Farben ... ." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Kampf um Markt­anteile zwischen Strom- und Brenn­stoff-Versor­gern dient die Wasser­stoff-Stra­tegie der Gas­wirt­schaft dazu, die weitere Aus­lastung ihres Gas-Versor­gung­snetzes zu sichern und die weitere Nutzung von fossilen Gasen, 'buntem' Wasser­stoff oder Mischungen von beidem weiter zu ermög­lichen.
Auch die Strategie massen­haften Imports von 'grünem' Wasser­stoff wurde früh­zeitig kriti­siert. Die aktuelle Fort­schrei­bung zeigt noch deut­licher Elemente von Ener­gie-Kolo­nia­lismus, der auf die Bedürf­nisse der Bevölke­rung der Export­staaten, insbe­sondere auf die in den afrika­nischen Staaten zunehmend schwie­riger werdende Versor­gung mit Trink­wasser, wenig Rück­sicht nimmt.

Dass das mindes­tens im selben Ausmaß für das EU-Wasser­stoff­programm gilt, belegt ein aktueller Bericht des 'Corpo­rate Europe Obser­vatory', einer unab­hängigen Forschungs- und Kampagnen-Gruppe. Er beschreibt als "schmutzige Wahr­heit": "Eine Wasser­stoff-Wirt­schaft riskiert tatsäch­lich die ver­stärkte Nutzung fossiler Brenn­stoffe und vertieft neokolo­niale extrak­tivis­tische Prak­tiken, insbe­sondere die umfas­sende Aneig­nung von Land, Wasser und Energie in den produ­zierenden Ländern" (eigene Über­setzung).
Dass die Öl- und Gas-Wirt­schaft die Klima­krise verschärft und unab­hängig von allen Verspre­chungen von Klima­zielen nur ihre Rendite opti­miert, berichtet inzwi­schen ja schon die Tages­schau. Und auch die Spitzen der deut­schen Wirt­schaft reden da mittler­weile Klar­text: "grüne Projekte der Ampel ... passen nicht mehr in die Zeit und schwächen den Wirt­schafts­standort", meint der Präsi­dent des Arbeit­geber­verbandes. Um nicht sofort als menschen­verach­tendes Monster erkannt zu werden, schiebt er ein ideo­logisches Glaubens­bekennt­nis hinter­her, das längst von Fakten wider­legt ist: "Mit mehr markt­wirt­schaft­lichen Instru­menten ließen sich schneller und kosten­günstiger ehr­geizige Klima­ziele erreichen".
Auf inter­natio­naler Ebene belegt sogar ein Bericht der 'Inter­natio­nalen Energie-Agentur' IEA im Detail, dass Welten liegen zwischen dem, was die Öl- und Gas-Industrie aktuell tut, und was nötig wäre, damit sie ihre Klima­ziel-Versprech­ungen erfüllen könnte. Wie eine andere Studie belegt, waren ihre Profite 1,5mal so hoch wie die volks­wirt­schaft­lichen Schäden, die ihre Emis­sionen ange­richtet haben - aber das reguliert natür­lich kein Markt.

Die Luft­verkehrs-Wirt­schaft ist da keinen Deut besser. Jede neue Unter­suchung weist ihr in immer weiteren Details nach, dass selbst die optimis­tisch­sten Annahmen für einen Pfad zu Netto-Null-Emis­sionen bis 2050 nicht um eine Decke­lung des Wachstum der Flug­bewegungen insge­samt und um ein Schrumpfen in den Viel­flieger-Regionen Nord­amerika und Europa herum­kommen und den­noch Milliarden Tonnen an "negativen Emis­sionen" ( Carbon Dioxide Removal, CDR) bis zur Klima­neutra­lität benötigen. Selbst wirt­schafts­freund­lichste Think Tanks entwerfen Szena­rien für ein Nach­frage-Manage­ment, mit dem zumindest vorüber­gehend die Emis­sionen redu­ziert werden sollen, bis die erhoff­ten "techno­logischen Durch­brüche" endlich gelingen.
Die Inter­natio­nale Zivil­luft­fahrt­organi­sation ICAO, die eigent­lich eine UN-Organi­sation mit Staaten als Mit­gliedern ist, aber agiert wie eine Wirt­schafts­lobby mit dem Ziel, "ein nach­haltiges Wachs­tum des globalen Zivil­luft­verkehrs­systems zu fördern", hält aller­dings trotzdem unver­drossen an ihren Wachs­tums-Szena­rien fest. Für ihr lang­fristig anzu­strebendes Ziel von "Netto-Null-Kohlen­stoff­emis­sionen bis 2050" (womit sie auch noch 2/3 der Klima­wirkungen des Luft­verkehrs igno­riert) setzt sie auf eben solche techno­logischen Fort­schritte und, wie gerade nochmal in einer speziellen Konfe­renz bestätigt, auf "nachhaltige Flug­zeug-Treib­stoffe (SAF), Kohlen­stoff-redu­zierte Flug­zeug-Treib­stoffe (LCAF) oder andere saubere Flug­zeug-Antriebs­energien", also auf alles, was irgend­wie (tatsäch­lich oder vermeint­lich) weniger CO2 emittiert als der aktuelle Standard für fossiles Kerosin.
Zu den "anderen Energien" zählt auch der Wasser­stoff, der aber nirgendwo näher betrachtet wird und offen­sicht­lich keine entschei­dende Rolle spielen soll. Auch techno­logie-gläubige NGOs gehen davon aus, dass das EU-Programm, das Bei­mischungs­quoten von Wasser­stoff-basierten SAFs zu konven­tionellem Kerosin vorsieht, das Maximum dessen ist, was realis­tisch zur Verfü­gung stehen könnte.

Auch die benötigte Infra­struktur stellt die Einfüh­rung von Wasser­stoff als Treib­stoff vor gewal­tige Probleme. Anders als Kerosin muss Wasser­stoff unter hohem Druck oder bei sehr tiefen Tempera­turen gelagert werden, aber er muss trotzdem an einer ausrei­chenden Zahl von Flug­plätzen zur Verfü­gung stehen und getankt werden können, wofür es noch keiner­lei Normen gibt. Die notwen­dige Ausstat­tung dafür werden sich nicht alle Flug­häfen leisten wollen.
Das hindert Flug­häfen wie Hamburg nicht daran, sich in Zusammen­arbeit mit Airbus schon heute als Vor­reiter darzu­stellen und sogar schon eine erste Ver­bindung Hamburg-Rotter­dam anzu­kündigen. Bei genauem Hinsehen zeigt sich aber, dass der Aufwand zunächst nicht allzu gross ausfallen soll: "Bis etwa 2040 gehen die Airport­manager von einer Anliefe­rung des Wasser­stoffs in geringen Mengen mittels spezieller Tank­fahr­zeuge aus", und erst in 20 Jahren oder später wird eine "ergän­zende Versor­gung über einen Pipeline­anschluss erforder­lich werden". Andere Experten äussern sich z.B. gegen­über der BBC noch skep­tischer: "Wasser­stoff-getrie­bene Flug­zeuge - es mag einige Demo-Flüge geben im nächsten Jahr­zehnt, aber die Ein­führung von Wasser­stoff im großen Stil scheint defi­nitiv weiter entfernt zu sein. Und viel­leicht nicht einmal sicher." (eigene Übersetzung)
Der Frank­furter Flug­hafen hatte schon 1935 eine Wasser­stoff-Direkt­leitung zu den dama­ligen Farb­werken Höchst, hat das damit verbun­dene Geschäfts­modell aber nach ein paar Jahren wieder aufge­geben. Die aktuel­len Planungen wirken dem­gegen­über sehr, sehr bescheiden. Die hessi­sche Landes­regie­rung ist aller­dings mächtig stolz darauf, dass im Industrie­park Hoechst künftig eine geringe Menge an eFuel, 2.500 Tonnen/Jahr, zum Beimischen zu normalem Kerosin produ­ziert werden soll. Gemessen an der Menge fossilen Kerosins, die jährlich auf FRA vertankt wird, lässt sich das nicht einmal mit Promille-Angaben sinn­voll aus­drücken. Die Inbe­trieb­nahme der Anlage ist aller­dings zunächst auf 2024 verscho­ben.

Als Fazit lässt sich fest­halten: der aktuelle Wasser­stoff-Hype hat wenig bis nichts mit Klima­schutz zu tun und trägt insbe­sondere absolut nichts dazu bei, die schnellen Emissions-Reduzie­rungen zu reali­sieren, die notwendig wären, um die Pariser Klima­ziele in Reich­weite zu halten.
Die aktu­ellen Aktivi­täten dienen in erster Linie dazu, die Investi­tionen und Geschäfts­modelle der Gaswirt­schaft zu sichern und als Tür­öffner für "kohlen­stoff-redu­zierte" Gase aller Art zu dienen, die weit davon entfernt sind, klima­neutral zu sein und im Extrem­fall noch mehr Treib­hausgase emit­tieren als fossiles Gas. Das wird besonders deutlich in der Luft­verkehrs­wirt­schaft, wo mit "nach­haltigen Treib­stoffen" aus "grünem Wasser­stoff" geworben wird, de facto aber angeb­lich "nach­haltige" und "kohlen­stoff-redu­zierte" Treib­stoffe aus Bio­masse und "buntem" Wasser­stoff zum Einsatz kommen sollen.
Wer also Wasser­stoff als Mittel gegen die aktuelle Eskala­tion der Klima­kata­strophe anpreist, hat entweder von den Fakten keine Ahnung, oder - und das dürfte für die grosse Mehr­heit der Politike­r*innen und Lobbyis­t*innen gelten - er/sie lügt.




Grafiken: Lärmwerte und Schutzzonen

Die Grafiken zeigen die Lärm­kartie­rungen 2019 für den Tag (oben) und die Nacht (unten) sowie die aktuell existie­renden Schutz­zonen. Markiert sind darüber hinaus die Iso­phonen (Linien gleicher Lärm­belastung), die den vorge­schlagenen Grenz­werten ent­sprechen. Soweit diese Vor­schläge nied­riger sind als die dar­gestell­ten Iso­phonen, deuten kurze punk­tierte Linien deren unge­fähre Lage an.
Die aus den Grenz­werten abzu­leitenden Schutz­zonen müssten grösser sein als die gekenn­zeich­neten Iso­phonen-Bereiche, da sie künftige Ent­wick­lungen berück­sich­tigen sollen und Fraport offi­ziell weiteres Wachstum anstrebt.

22.11.2023

Mehr Schallschutz rund um FRA ?

Vergangene Woche hat der Vorsit­zende der 'Arbeits­gemein­schaft Deut­scher Flug­lärm­kommis­sionen', Paul-Gerhard Weiss, im Anschluss an deren Tagung eine neue Studie zu gesund­heit­lichen Wir­kungen von Flug­lärm vorge­stellt. Am Montag wurde dann auf der Webseite der FLK Frank­furt, ange­hängt an eine Presse­mittei­lung, auch eine 14-sei­tige Zusam­men­fas­sung der Studie ver­öffent­licht.
Obwohl die Gesamt­studie sicher noch viele wichtige Details enthält, genügt das, um die wesent­liche Inhalte der Studie zu ver­stehen und die Schluss­folge­rungen beur­teilen zu können.

Da es sich um eine Lite­ratur­studie handelt, sind darin keine neuen For­schungs­ergeb­nisse ver­öffent­licht. Viel­mehr "war ein wesent­liches Ziel dieses Gut­achtens, den For­schungs­stand seit der NORAH-Studie zur Wirkung von Flug­lärm auf den Menschen auf Basis einer syste­mati­schen Lite­ratur­analyse aufzu­zeigen ... und auf dessen Grund­lage Empfeh­lungen für eine mögliche Novel­lierung des FluLärmG heraus­zuar­beiten".
Kurz: es sollte all das berück­sichtigt werden, was in den letzten acht Jahren an Erkennt­nissen über NORAH hinaus gewon­nen wurde, um daraus Forde­rungen für die schon lange über­fällige und bisher völlig unzu­reichend ge­plante Novel­lierung des Flug­lärm­schutz­gesetzes zu ent­wickeln.

Als wichtigstes Ergebnis der Studie hebt die ADF-PM "ein zwei­stufiges Schutz­konzept ..., um die Bevölke­rung vor den drohen­den Gesund­heits­risiken hinrei­chend zu schützen" hervor.
Der ADF-Vorsit­zende schluss­folgert daraus: "Der Bundes­gesetz­geber ist jetzt gefor­dert, die bundes­gesetz­lichen Rege­lungen zu über­arbeiten und für hinrei­chenden Schutz der Bevölke­rung zu sorgen. Es geht darum, die Menschen durch aktiven und passiven Schall­schutz vor dem Lärm zu schützen und nicht den Lärm vor den Menschen! Auch die Schlechter­stellung des Schutz­niveaus von Bestands­flug­häfen, Bestands­gebäuden und Gebäuden, die zu einem frühe­ren Zeit­punkt mit passivem Schall­schutz ausge­stattet wurden, sind ein unhalt­barer Zustand zu Lasten der Bevölke­rung, der beendet werden muss. Die Gesund­heit der Betrof­fenen muss an allen Stand­orten gleicher­maßen geschützt werden, und zwar auf dem von den Wissen­schaft­lerInnen abge­leiteten Schutz­niveau!"

Die beiden Schwellen des Schutz­konzeptes (jeweils für Tag und Nacht) bestehen aus einer "zwing­enden Auslöse­schwelle", bei deren Über­schrei­ten das Risiko für das Auf­treten von Erkran­kungen als nicht mehr tole­rabel einge­schätzt wird und daher Schutzmaßnahmen eingeführt werden müssen, und einer "präven­tiven Auslöse­schwelle", die als lang­fristig anzu­streben­der Richt­wert gelten soll und im Wesent­lichen den Richt­werten der Welt­gesund­heits­organi­sation entspricht.
Nicht deutlich hervor­gehoben, aber wichtig ist, dass sich die medi­zinisch begrün­deten Auslöse­schwellen "für den Tag auf die Tag-Schutz­zone 2 und für die Nacht auf die Nacht­schutz­zone beziehen" (mit 51 bzw. 44 dB(A), jeweils "außen am Immis­sions­ort"). Die Diffe­renzie­rung zwischen Tag-Schutz­zone 1 und 2 ist nicht medi­zinisch, sondern "organi­satorisch" begründet (u.a. dadurch, dass nur in Zone 1 der Verur­sacher des Lärms für die Schutz­maßnahmen zahlt), daher wird dafür die pauschale Diffe­renz von 5 dB(A) über­nommen. Warum dann trotz­dem die Werte für die Tag-Schutz­zone 1 als 'Empfeh­lungen' auf­tauchen, erschliesst sich nicht wirklich.
Weiterhin wird betont, "dass die unter­schied­lichen Schwellen­werte für Lärm­schutz­bereiche an Ände­rungs- und Bestands­flughäfen im FluLärmG nach aktu­ellem For­schungs­stand aus Sicht der Lärm­wirkungs­forschung nicht begründ­bar sind und die Unter­schei­dung daher aufge­hoben werden sollte". Auch frühere bau­liche Schall­schutz­maß­nahmen sollen für den Anspruch auf Förde­rung aktuell notwen­diger Maß­nahmen keinen Einfluss haben.

Würden die empfoh­lenen Grenz­werte in das Flug­lärm­schutz­gesetz (§ 3 Abs. 1) über­nommen, würde das bedeuten, dass die Schutz­zonen vergrös­sert werden müssten und einer­seits mehr Menschen Anspruch auf die Finan­zierung von Maß­nahmen des passiven Schall­schutz durch Fraport hätten. Herr Weiss schätzt, dass in der Tag-Schutz­zone 1 bzw. der Nacht­schutz­zone "in Offen­bach ... die Zahl der Anspruchs­berech­tigten um rund 30 Prozent steigen" würde. Anderer­seits müssten auch Neu­bauten im weiteren Umfeld (der Tag-Schutz­zone 2) mit aufwän­digeren Schall­schutz-Maß­nahmen ausge­stattet werden (§6 FluLärmG), und auch die Sied­lungs­beschrän­kungs-Bereiche würden ausge­weitet (§5 FluLärmG).
Wie groß die neuen Schutz­zonen genau aus­fallen würden, ist schwer abzu­schätzen, da die betrof­fenen Gebiete nach Flug­lärm­schutz­gesetz "unter Berück­sichti­gung von Art und Umfang des voraus­sehbaren Flug­betriebs" ermittelt werden sollen. Da aber, wie die Grafik zeigt, die Gebiete, in denen der Lärm über den empfoh­lenen Grenz­werten liegt, schon 2019 grösser waren als die entspre­chenden Schutz­zonen, wäre mit einer deut­lichen Ausdeh­nung zu rechnen.
Dazu kommt, dass eine anste­hende Anpas­sung der Berech­nungs­methode für die Lärm­werte in der Umge­bung von Flug­häfen ohne­hin zu höheren Werten führen wird und auch dadurch die Schutzzonen grösser werden müssen.

Die Zusammen­fassung des Gut­achtens macht keine Aussage über die Qualität der bau­lichen Schall­schutz­maß­nahmen, die durch Über­schreiten der Schwellen ausge­löst werden sollen. Empfohlen wird ledig­lich, dass "die gewähl­ten Bau­schall­dämm-Maße zu den stets gleichen korres­pondie­renden Innen­geräusch­pegel führen und hierbei nicht zwischen Gebäude­arten (Bestands- vs. Neubau) oder Gebäuden mit oder ohne zu früheren Zeit­punkten erhal­tenen Schall­schutz unter­schieden wird". Welche Innen­geräusch­pegel erreicht werden sollten, wird nicht gesagt.
Die Frage ist von Bedeu­tung, weil die geför­derten Schall­schutz-Maß­nahmen von Flug­hafen zu Flug­hafen vari­ieren und insbe­sondere der Aufwand, den Fraport zu finan­zieren ver­pflich­tet wurde, sich auf unterstem Niveau und an der Grenze zur Lächer­lich­keit bewegt. Insbesondere im Altbau-Bestand in den lautesten Lärmzonen sind die erreichten Bau-Schall­dämm­maße weit vom Notwen­digen entfernt, und die Lüfter, die Fraport finanziert hat, sind heute schon aus energe­tischen Gründen nicht mehr vertretbar.

Dennoch wären die Auswir­kungen der im Gut­achten gegebenen Empfeh­lungen weit­reichend, aber die Forde­rungen und Begrün­dungen sind keines­falls neu. Schon der Flug­lärm­bericht 2017 des Umwelt­bundes­amtes enthält Empfeh­lungen für teils noch strengere Grenz­werte, die Auf­hebung der Unter­schei­dungen zwischen Bestands- und Ausbau-Flug­häfen sowie zwischen zivilen und militä­rischen Flug­häfen und eine Reihe von weiteren Maß­nahmen. Vor­behalt­lich einer genau­eren Analyse der Gesamt­studie muss man wohl davon aus­gehen, dass das Ver­dienst des aktuellen Gut­achtens wohl in erster Linie darin liegt, gezeigt zu haben, dass auch die aktuellen For­schungs­ergeb­nisse die Forde­rungen weiter unter­mauern.
Auch die ADF hat sich, u.a. bei der gemein­samen Aktion mit den Bürger­initia­tiven 2018 vor dem Berliner Reichs­tag und im Forde­rungs­papier zum Bundes­tags­wahl­kampf 2021, schon wesent­lich deut­licher und umfas­sender positio­niert, als es in der aktu­ellen Presse­mittei­lung zum Ausdruck kommt. Daher ist es einer­seits verdienst­voll, wenn sie das Gut­achten dazu nutzt, die Forde­rungen nach der längst über­fälli­gen Novel­lierung der Flug­lärm­schutz-Gesetz­gebung insge­samt wieder auf die Tages­ordnung zu bringen und die Gesetz­geber auf Bundes- und Landes­ebene zum Handeln zu drängen. Anderer­seits sollte darauf geachtet werden, dass sie dabei nicht hinter bereits erreichte Posi­tionen zurück­fällt, die immer noch begrenzt und ver­bes­serungs­würdig sind.

Die eigent­liche Aus­sage der vorlie­genden Ergeb­nisse der Lärm­wirkungs­forschung ist ohne­hin eine andere. Wenn gesund­heit­lich gerade noch vertret­bare Lärm­pegel am Tag und in der Nacht über viele Quadrat­kilometer dicht­besiedel­ten Gebiets nicht erreicht werden und nur mit erheb­lichem wirt­schaft­lichem Aufwand und unter Inkauf­nahme anderer Einschrän­kungen inner­halb von Gebäuden herge­stellt werden können, kann es daraus nur eine vernünf­tige Schluss­folge­rung geben:

Ein Mega-Hub dieser Grösse ist in der dicht besie­delten Rhein-Main-Region nicht vertret­bar.
FRA darf nicht weiter wachsen, sondern muss auf ein raum­verträg­liches Maß schrumpfen.
Der Fluglärm in der gesetz­lichen Nacht von 22 - 6 Uhr muss durch ein voll­stän­diges Nacht­flug­verbot auf wenige Notfall-Aus­nahmen redu­ziert werden.

Ein Politik­wechsel, der eine solche ratio­nale, am Gesund­heits- und Klima­schutz orien­tierte Position durch­setzen könnte, ist derzeit nicht in Sicht. Daher macht es durchaus Sinn, auch für kleinere, unzu­reichende Verbes­serungen einzu­treten, die die Gesund­heits­risiken zumin­dest zu einem gewissen Grad redu­zieren - ohne das eigent­liche Ziel aus den Augen zu ver­lieren.
Das heisst nicht, dass erreichter Konsens zugun­sten von Minimal­forde­rungen aufge­geben werden sollte. Zum Lärm­schutz gehören neben niedri­geren Grenz­werten der Verzicht auf vermeid­baren Flug­lärm durch Verbot von Kurz­strecken- und Luxus-Flügen, Auswei­tung der Nacht­flug-Beschrän­kungen bis zu einem voll­stän­digen Nacht­flug­verbot, Ausnut­zung aller Möglich­keiten des aktiven Schall­schutzes, auch auf Kosten der Kapa­zität, und wirk­samer passi­ver Schall­schutz in ausrei­chendem Umfang, finan­ziert durch den Verur­sacher des Lärms, schon heute unver­zichtbar dazu - auch wenn einige poli­tische und Gremien-Ver­treter hin und wieder daran erinnert werden müssen.




Grafik: Hessenlöwe 2024

Der Knüppel­löwe tauchte, soweit bekannt, erst­mals nach den Prügel­orgien an der Bau­stelle der Start­bahn West in der hessischen Politik auf. Die Farb­gebung ist hier den aktu­ellen Ent­wick­lungen ange­passt: der 'Koalitions­mantel' ist kaltgrau/ blass-altrosa gefärbt, alles andere erscheint als unter­schied­liche Abstu­fungen von Grau(en).

17.11.2023

Hessen: zurück in die Achtziger?

War schon im Wahl­kampf deut­lich gewor­den, dass von der Hessen-Wahl keiner­lei positive Entwick­lung in der Flug­hafen-Politik zu erwarten ist, zeichnet sich inzwi­schen ab, dass es tatsäch­lich noch schlimmer werden könnte.
Vor 10 Jahren, als zuletzt ein Koalitions­wechsel in Hessen statt­fand (von schwarz-gelb zu schwarz-grün), spielte der Flug­hafen-Ausbau noch eine grössere Rolle, aber einen Politik­wechsel gab es nicht.

Nun tauscht Bouffier-Nach­folger Rhein die Grünen gegen die SPD aus, und das Eck­punkte-Papier, das Grund­lage für die gerade begon­nenen Koali­tions­verhand­lungen sein soll, lässt das Schlimm­ste befürch­ten. Die 'Hessen­schau' gibt einen Über­blick über das Papier, befindet: "Ziel ist ein anti-grüner Politik­wechsel" und zitiert als Fazit der FAZ: "Gendern war gestern, jetzt wird abge­schoben".
Als "anti-grün" kann man sicher­lich die Tatsache bezeich­nen, dass unter den "Heraus­forde­rungen", die laut den Eck­punkten die Zeit bestimmen ("Ukraine-Krieg und Hamas-Terror, Preis-, Wirt­schafts- und Migra­tions­krise"), die Klima­katastrophe nicht einmal mehr erwähnt wird.
Die ange­strebte "breite Hessen­koali­tion", die sich auf das Votum von knapp einem Drittel der hessi­schen Wähle­r*innen stützen kann (und auf knapp die Hälfte der tatsäch­lich abge­gebenen Stimmen und 56% der Sitze im Land­tag), soll "eine Koali­tion für Frei­heit und Vernunft, für Stabi­lität, soziale Sicher­heit und sanfte Erneue­rung", eine "christ­lich-soziale Koali­tion für Hessen" werden, die die "zentralen Heraus­forde­rungen", die "großen Probleme unserer Zeit" "bei der Begren­zung der irregu­lären Migra­tion, der Stärkung unseres Rechts­staates, dem Abbau von Belas­tungen für Bürger und Betriebe, dem sozialen und gesell­schaft­lichen Zusammen­halt und gleich­wertigen Lebens­verhält­nissen in Stadt und Land" erfolg­reich angehen wird.

Das Papier listet dann 10 "Schwer­punkte" auf, unter denen die Punkte 3. SICHER­HEIT und 4. MIGRA­TION UND INTE­GRATION schon auf einen deut­lichen Rechts­ruck hin­weisen.
Im Punkt 7. LÄND­LICHER RAUM (?!?) finden sich dann die Sätze: "Wir bekennen uns zur Verste­tigung der Investi­tionen in den Straßen­bau, lehnen ein gene­relles Tempo­limit sowie Fahr­verbote für Autos ab und werden die Ausbau­projekte bei Auto­bahnen und am Frank­furter Flug­hafen fort­setzen. Gleich­zeitig bekennen wir uns zum Flug­hafen Kassel-Calden als wichtiges nord­hessi­sches Infra­struktur­projekt ... ."
Fast am Ende taucht noch ein Punkt 9. ENERGIE, KLIMA- UND UMWELT­SCHUTZ auf, in dem (immerhin?) die längst beschlos­senen Klima­ziele bestätigt werden, beschleu­nigte Genehmi­gungs­verfahren für alle Energie-Pro­jekte und Forschung für Dinge wie "laser­basierte Kern­fusion" ange­kündigt werden.

Alles in allem ist dieses Papier ein Sammel­surium aus schwül­stigen Leer­formeln, populis­tischen Parolen ("kein Tempo­limit", "Wölfe ins Jagd­recht", "Verzicht auf Gendern") und rückwärts­gewandten Heils­verspre­chungen und enthält keinerlei Antworten auf die tatsäch­lichen Heraus­forde­rungen der Gegen­wart. Und während SPD-Vertreter noch hoff­nungs­voll ankün­digen, im fertigen Koali­tions­vertrag könne mehr und Besseres stehen, macht die CDU auf ihrer Web­seite und in Inter­views deutlich, dass sie genau das will, was aus den Eck­punkten heraus­zulesen ist. Nicht umsonst macht sie mit dem ständig verwen­deten Begriff der "christ­lich-sozialen Hessen­koalition" deut­lich, wo sie ihr Vorbild sieht. Der sozial­demokra­tische Junior­partner soll nun anstelle des grünen Mäntel­chens eben ein soziales liefern und anson­sten "ohne Kon­flikte" für Mehr­heiten sorgen.

Wie sicher sich die künftigen Koali­tionäre sind, dass das alles schnell über die Bühne geht, zeigt ihr Zeit­plan: "fast 200" Vertrete­r*innen beider Parteien sollen in knapp vier Wochen den Koali­tions­vertrag ausver­handeln, am 16.12. sollen die zustän­digen Gremien ihn beschlies­sen. Am Donners­tag, den 18. Januar nächsten Jahres, soll dann der neue Landtag in seiner konstitu­ierenden Sitzung die Regie­rung wählen.
Auf diese Ent­scheidungs­prozesse noch von aussen Einfluss nehmen zu wollen, dürfte weit­gehend illu­sorisch sein. Die CDU sieht sich aufgrund ihrer jüngsten Erfolge ohnehin als praktisch unbe­siegbar, und die SPD muss schlucken, was ihr vorge­setzt wird, und darf froh sein, wenn sie bei ihren "Kern­themen" (zu denen Umwelt und Klima nicht gehören) das eine oder andere Pünkt­chen als Erfolg ver­kaufen kann.

Ein "Zurück in die achtziger Jahre" des vorigen Jahr­hunderts kann es aller­dings nicht geben, auch wenn die Politik-Konzepte der regie­renden Parteien aus dieser Zeit zu stammen scheinen. "Innere Sicher­heit" und "gesell­schaft­licher Zusammen­halt" sind auch heute nicht durch einen Ausbau des Polizei- und Über­wachungs­staats zu erzwingen, und die begin­nende Klima­kata­strophe, die globale Gefähr­dung über­lebens­wichtiger Öko­systeme und die wachsende Kriegs­gefahr bei gleich­zeitiger Auf­rüstung und massiven Kür­zungen im Sozial­bereich lassen sich mit einer "sanften Erneue­rung" im wirt­schaft­lichen Bereich nicht bekämpfen. Die über­lebens-notwen­digen grund­legenden Trans­forma­tionen lassen sich nur "mit und nicht gegen die Bürger" umsetzen, wenn zugleich eine massive Umver­teilung von oben nach unten ihren sozialen Status sichert und den gegen­wärtigen Trend zur Verelen­dung umkehrt.

Diese Erkennt­nisse sind aller­dings bisher nicht mehr­heits­fähig. Für die Bewe­gungen für mehr Klima­schutz und gegen die wachsenden Belas­tungen durch den Flug­verkehr bleibt daher zunächst nur, ihren Protest deut­lich zu machen und mög­lichst nach­drück­lich und öffent­lich darauf hinzu­weisen, was eine hessische Landes­regie­rung eigent­lich leisten müsste. Der 18.01.2024 wäre ein guter Tag, dafür vor dem Landtag in Wies­baden in guter Tradition zu demon­strieren. In den Umwelt- und Natur­schutz-Verbänden und Bewe­gungen dürfte genug Frust und Ärger vorhanden sein - und wer weiss, viel­leicht erinnern sich ja einige an der grünen Basis auch noch nach 10 Jahren daran, wofür ihre Partei eigent­lich mal gegründet wurde, und machen mit.




Grafiken: FRA-Ziele und LH-Zubringer

31.10.2023    (Update 06.11.2023)

Fraports Wintermärchen,
Lufthansas Sommer-Horror-Trip

Vor ein paar Tagen haben sowohl Fraport als auch Luft­hansa etwas an die Öffent­lich­keit gegeben, was sie wohl als Erfolgs­meldung ver­standen wissen wollten. Fraport hat in einer Presse­mittei­lung die Kern­daten ihres Winter­flug­plans vorge­stellt, und Luft­hansa hat für kommen­den Sommer den Betriebs­beginn einer neuen Tochter­gesell­schaft ange­kündigt.

Fraport verkauft es als Erfolg, dass im kommen­den Winter "82 Flug­gesell­schaften Passa­gier­flüge zu welt­weit 242 Reise­zielen in 94 Ländern" anbieten und "mit durch­schnitt­lich 3.759 Passa­gier­flügen pro Woche ... das Flug­angebot im Winter­flug­plan wieder annä­hernd bei dem Vergleichs­wert vom Winter 2019/2020 ange­kommen" sei.
Damit möchten sie wohl Stärke demon­strieren und auf eine erfolg­reiche Position im Wett­bewerb hin­weisen, um Anleger zu beein­drucken und die nach wie vor dringend nötige Personal­gewin­nung erleich­tern. Die meisten Medien, allen voran die Hessen­schau, unter­stützen das mit Über­schriften wie "Frank­furter Flug­hafen stockt Winter­flug­plan massiv auf"

Wie immer bei Fraport, darf man solche Aus­sagen aber nicht als bare Münze nehmen. Zwar ist an den Zahlen wohl nichts falsch, aber einige Rela­tivie­rungen sind ange­bracht. Anders als früher sind solche Flug­pläne nicht mehr in Stein gemeiselt, sondern können auch in der laufenden Periode "ange­passt" werden, wenn sich die Not­wendig­keit ergibt. Das war z.B. auch im vergang­enen Sommer der Fall, wo die Zahl der Flug­streich­ungen wieder Höhe­punkte erreicht hat, obwohl Fraport schon vorab die Kapa­zitäten redu­ziert hatte.

Auch ein Vergleich mit früheren Jahren trübt das schöne Bild etwas. So zeigt eine Grafik der FAZ aus dem Jahre 2011 die Über­schrift: "Passa­gier­flüge vom Flug­hafen Frank­furt: 114 Air­lines starten wöchent­lich zu 298 Zielen in 110 Ländern der Welt". Und die Zahl der wöchent­lichen Flüge lag in den Vor-Corona-Wintern in der Regel immer deutlich über 4.000, bis sie ab Februar 2020 dras­tisch einbrach und damit den Durch­schnitt im Winter­flug­plan 2019/2020 spürbar nach unten zog.
Aller­dings war FRA auch mit den redu­zierten Zahlen zumindest im Sommer nach Angaben des ACI Europe immer noch der Flug­hafen mit der höchsten "Konnek­tivität" weltweit, wenn auch nur noch auf Platz 4 bei der Zahl der Direkt­verbin­dungen in Europa. Das liegt aber auch an der Aus­werte-Methode, denn nach anderen Daten landet FRA nur auf Platz 6.

Was Fraport im Port­folio noch besonders fehlt, sind die europä­ischen Punkt-zu-Punkt-Verkehre, wie sie insbe­sondere von Billig­fliegern ange­boten werden. Auch der 'Bundes­verband der Deut­schen Luft­verkehrs­wirt­schaft' BDL, bejammert in seiner Presse­mittei­lung zum Winter­halb­jahr, dass diese Verkehre in Deutsch­land "nur noch 63 Prozent des Vor-Corona-Niveaus" erreichen, sieht darin aller­dings die grössten Probleme für "Flug­häfen wie Berlin-Branden­burg, Düssel­dorf und Stutt­gart".
Gesell­schaften wie Ryanair und Easyjet führen gerne die angeb­lich zu hohen Kosten dafür an, dass sie in Deutsch­land nicht wieder wachsen können, haben aber eigene Probleme, egal ob mit Boeing- oder Airbus-Flotten. Auch sehen sie hier durch­aus Poten­tial für spezielle Geschäfts­modelle oder bei bestimm­ten Rahmen­beding­ungen. Es könnte also durchaus sein, dass Ryanair oder andere zur Eröff­nung des "Billig­fingers" G von Terminal 3 wieder in Frank­furt auf­tauchen, falls Fraport bis dahin wieder genügend Personal findet.

Kern­problem dürfte aber eher sein, dass auch Anleger den positiven Prog­nosen der Luft­verkehrs­wirt­schaft nicht trauen und zahl­reiche Risiken auf­zeigen, wobei gerade das Klientel der Billig­airlines aufgrund wirt­schaft­licher Schwierig­keiten eher zum Sparen gezwungen ist als die 'Premium-Kund­schaft', auf die Luft­hansa setzt.

Trotzdem versucht natür­lich auch Luft­hansa, Kosten zu sparen. Neben allge­meinem Druck auf die Beleg­schaften dürfte die neue Tochter­gesell­schaft Lufthansa City Airlines ein wichtiges Instru­ment dafür sein. Auf ihrer Webseite stellt sie sich als "europä­ische Airline" vor, aber ihre Aufgabe wird von Luft­hansa klar beschrieben: sie soll "Flüge aus den Dreh­kreuzen München und Frank­furt anbieten und damit auch Zu- und Abbringer­dienste für Luft­hansa fliegen" und "Dreh­kreuze und Luft­hansa Lang­strecke" stärken.
Kommen­tare in Fach­blättern wie airliners.de und Wirt­schafts­blättern wie FAZ und Capital kriti­sieren die chaoti­schen Struk­turen inner­halb der Lufthansa Group, die durch eine weitere Tochter, die Auf­gaben beste­hender Gesell­schaften über­nehmen soll, nur noch kom­plexer werden, sehen aber letzt­endlich das Ziel, "dass vor allem die Personal­kosten sinken sollen".
Diese Annahme ist nahe­liegend, da die Zubringer­dienste zu den Dreh­kreuzen Frank­furt und München bisher über­wiegend unter der Dach­marke Lufthansa Regional von den beiden Tochter­gesell­schaften Lufthansa Cityline und Air Dolomiti durch­geführt werden. Beide sind ursprüng­lich selbst­ständige Airlines, die von Luft­hansa über­nommen wurden und noch 'Alt­lasten' wie teures Personal, Tarif­verträge etc. mit sich herum­schleppen.

Die 'Unab­hängige Flug­beglei­ter Organi­sation (UFO) e.V.', die sich als 'Gewerk­schaft des Kabinen­personals' versteht, hat daher die ange­kündigte Betriebs­aufnahme in einer Presse­mittei­lung umgehend kriti­siert.
"Eine neue, bislang untari­fierte Platt­form führt zur Schlie­ßung eines gut tari­fierten Flug­betriebs und setzt zeit­gleich auch alle anderen Konzern­airlines, insbe­sondere die Kabinen­beschäf­tigten der Luft­hansa, unter Druck. ... Den Cockpit- und Kabinen­beschäf­tigten der Luft­hansa CityLine droht nun der Verlust ihres Arbeits­platzes. ... Ent­gegen anders­lautender Lippen­bekennt­nisse, ist bereits zum jetzigen Zeit­punkt der Gespräche aller­dings abseh­bar, dass die Konzern­führung den lang­jährig bei Luft­hansa CityLine beschäf­tigten Mitarbei­tenden der Kabine bei einem Wechsel zu City Airlines erheb­liche Zugeständ­nisse hinsicht­lich Vergütung, Arbeits­zeiten, Einsatz­beding­ungen, Freizeit­anspruch, Dienst­plan­gestal­tung und -stabi­lität abver­langen will. ... Das können und werden wir so nicht akzep­tieren.".
Die Interessen­vertretung der Pilot*innen, die 'Vereini­gung Cockpit', hatte bereits früher die Gründung einer einheit­lichen Group-Tarif­kommission für die Luft­hansa Group ange­kündigt, die ver­hindern soll, dass Beschäf­tigte verschie­dener Konzern-Gesell­schaften gegen­einander ausge­spielt werden können. Da Luft­hansa in den nächsten Jahren mehr als 2000 neue Piloten und auch anderes Personal braucht, liegt hier ein wesent­licher Konflikt­punkt für die Zukunft.

Unab­hängig davon bleibt als Fakt, dass Luft­hansa versuchen wird, im kommenden Sommer auch die Zahl der Kurz­strecken­flüge wieder in die Höhe zu treiben und damit auch diesen, durch die Pandemie massiv einge­brochenen Sektor des Luft­verkehrs wieder in alte Grössen­ordnungen zurück zu bringen. Mit der Billig­strategie, die sie dabei fahren wollen, wird natür­lich nicht nur die fliegende Konkurrenz, sondern auch die Bahn, die einen Groß­teil dieser Aufgaben wesent­lich klima­freund­licher erledigen könnte, massiv unter Druck gesetzt.
Fraport ist nur allzu bereit, die notwen­digen Abfer­tigungs­kapazi­täten zur Verfügung zu stellen, solange lukra­tivere Nach­fragen noch aus­bleiben.
Es zeigt sich einmal mehr: bei der Luft­verkehrs­wirt­schaft auf Einsicht in gesamt­gesell­schaft­liche Not­wendig­keiten oder ernst­hafte Klima­schutz-Absichten zu setzen, ist pure Illusion. Solange ihnen nicht Grenzen von aussen gesetzt werden, sei es durch poli­tische, wirt­schaft­liche oder ökolo­gische Entwick­lungen, werden sie versuchen, weiterzu­machen wie bisher. Den dringend notwen­digen gerechten Übergang zu einer Redu­zierung des Flug­verkehrs und zu einer klima­freund­lichen Mobi­lität wird es nur gegen ihren erbit­terten Wider­stand geben.


Update 06.11.2023:

Kurz nach der Ankündigung der Inbetriebnahme der neuen Airline legt die LH-Spitze nochmal nach und konkretisiert ihren geplanten Wahnsinn. Mit Lufthansa City Airlines sollen 1-2 Millionen Euro an Personalkosten pro Flugzeug und Jahr eingespart werden. Es soll auch nicht bei den zunächst bereitgestellten fünf altersschwachen Airbus A319-Maschinen bleiben. Geplant ist die Anschaffung von 40 neuen Kurzstrecken-Flugzeugen (natürlich auch mit "bewährter" konventioneller Technik).
Bisher ist das natürlich nur Planung und Wunsch(traum) und dient einerseits zur Vorbereitung der anstehenden Tarifverhandlungen für das Kabinenpersonal von City Airlines, andererseits der Vorbereitung der Verhandlungen mit den potentiellen Lieferanten über Preise und Lieferkonditionen für die Maschinen. Man kann daher annehmen, dass auch die Konzernspitze nicht erwartet, dass sie alles schnell und vollständig umsetzen können. Da die Ziele aber nicht nur den Medien, sondern auch Analysten und Investoren vorgetragen wurden, sind sie wohl nicht nur reine Stimmungsmache.

Daher ist die Zahl von 40 Neuanschaffungen unter Berücksichtigung von Beschaffungs- und Lebensdauer von Flugzeugen ein starkes Indiz dafür, dass Lufthansa tatsächlich davon ausgeht, noch mindestens bis 2045, wahrscheinlich aber noch weit darüber hinaus, mit konventioneller Technik Kurzstrecke fliegen zu können.
Das zeigt auch, dass der Hype um alternative Antriebe für die Kurzstrecke, der in den Szenarien, nach denen der Flugverkehr bis 2050 "klimaneutral" werden soll, eine grosse Rolle spielt, von Lufthansa nicht ernst genommen wird. Sie dürfte damit keine Ausnahme unter den grossen Fluglinien sein.




Foto: Protestkundgebung Terminal 1

Begrüssung der Kundgebungsteilnehmer durch BBI-Sprecherin Monika Wolf

23.10.2023

BBI-Protest im Terminal 1

Aus Anlass des 12. Jahres­tages der Inbetrieb­nahme der Lande­bahn Nord­west am 21.10.2011 hat das Bündnis der Bürger­initia­tiven BBI für den 20.10.2023 unter dem Titel "16 Jahre Flug­hafen­ausbau, 12 Jahre Lande­bahn Nordwest: Profit für Fraport – Lärm und Dreck für die Region, Klima­katas­trophe für die Welt!" zu einer Protest­kund­gebung im Terminal 1 des Flug­hafens aufgé­rufen.
Es wurde erwartungs­gemäß kein Massen­protest, aber rund 60 Teil­nehmer­Innen aus mindes­tens 10 Kommunen rund um den Flug­hafen machten deutlich, dass der Wider­stand gegen Lärm, Schad­stoff-Belas­tung und Klima­zerstörung durch den Flug­verkehr nicht tot ist.

Bemerkens­wert ist auch, dass die Dele­gierten­versamm­lung des BBI beschlossen hatte, den wesent­lichen inhalt­lichen Beitrag zu dieser Kund­gebung nicht jeman­dem aus den am meisten von der Nordwest­bahn betrof­fenen Kommunen zu über­lassen, sondern dem Sprecher der BI gegen Flug­lärm Raunheim.
Das kann man als Signal dafür sehen, dass die Trennung in Alt- und Neu-Betrof­fene, die unmit­telbar nach Eröff­nung der Bahn noch eine grosse Rolle gespielt hat und im ein oder anderen Fall auch zu Streit im Bündnis führte, nun endgültig der Vergangen­heit ange­hören soll und künftig die gemein­samen Inter­essen und ein gemein­sames Vorgehen wieder die Haupt­rolle spielen.

Foto: Steve Collins

Steve Collins hat die Kund­gebung mit vier selbst kreierten bzw. adap­tierten Liedern wesent­lich mitge­staltet.

Foto: Rednerpult

Die Aufzeich­nung der Rede ist aus verschie­denen Quellen zusammen­gesetzt und editiert, gibt aber den Vortrag im Wesent­lichen authen­tisch wider.

Entspre­chend war die Rede auch darauf ausgelegt, deut­lich zu machen, dass jeder Ausbau­schritt am Flug­hafen nur der Fraport und der Luft­verkehrs­wirt­schaft Vorteile bringt und die ganze Region unter Wald­verlust, zuneh­menden Schad­stoff-Emis­sionen und mehr Lärm leidet, auch wenn die Lärm­zunahme je nach Ausbau­maßnahme unter­schied­lich ausfällt. Lang­fristige Vorteile von einem Ausbau gibt es für niemanden in der Region.

Natürlich gab es aus diesem Anlass noch etliches mehr zu sagen, weshalb die Rede auch fast eine halbe Stunde dauerte, aber das kann jede/r nach Geschmack nach­lesen oder nach­hören.
Aufge­lockert wurde das Ganze durch Songs von Steve Collins, der das Thema auch seit zwölf Jahren mit eigenen Liedern oder text­lich angepassten Versionen von bekannten Songs, diesmal von Creedence Clear­water Revival und Bob Dylan, künst­lerisch bear­beitet und viele Aktionen mit begleitet hat.
Weitere Eindrücke von der Kund­gebung gibt es auf der Webseite des Bünd­nisses.

In der Rede wird ein Dokument erwähnt, das wir hier noch nicht disku­tiert haben und das daher zumindest noch kurz ange­sprochen werden soll: der Abschluss­bericht des sog. „Hessi­schen Zukunfts­rates Wirt­schaft“, der beim Hessi­schen Wirt­schafts­gipfel am 18.10.2023 in Wies­baden vorge­stellt wurde.

In diesem Dokument befasst sich im Kapitel "Strate­gische Positio­nierung Hessens" das Unter­kapitel "Verkehrs­infra­struktur und Mobi­lität" mit der "Hand­lungs­empfeh­lung: Luft­verkehrs­standort Hessen weiter stärken" damit, was die Politik alles tun sollte, um den Wachs­tums­wahn von Fraport und Luft­hansa zu unter­stützen. Im Grund­satz ist es alles das, was auch auf der Natio­nalen Luft­fahrt­konferenz vorge­tragen wurde, aber speziell wird auch gefordert, "am Plan­fest­stellungs­beschluss zum Ausbau des Frank­furter Flug­hafens und den darin vorge­gebenen Betriebs­zeiten und maximal zuläs­sigen Flug­bewegungen" (> 700.000 Starts und Landungen pro Jahr) festzu­halten und dafür zu sorgen, dass die "Wachstums­potenziale" des Flug­hafens "nicht durch eine Senkung der Höchst­grenzen verringert werden".

Im Unter­kapitel "Planungs- und Genehmi­gungsver­fahren" wird in der "Hand­lungs­empfeh­lung: Planungs- und Genehmi­gungsver­fahren für Infra­strukturen, gewerb­liche Tätig­keiten und Flächen­entwick­lung harmoni­sieren und verein­fachen" ausführ­lich erläutert, was passieren sollte, um Aus­einander­setzungen, wie sie die Geschichte des Flug­hafen­ausbaus bisher geprägt haben, künftig zu vermeiden und jede Art von Wider­stand früh­zeitig mundtot zu machen, um "Kosten und Unsicher­heiten bei der Planung von Investi­tionen" zu vermeiden.

Dem Kapitel "Dekarbo­nisierung der Wirt­schaft" stellt der Bericht das Glaubens­bekennt­nis voraus, dass "Wirt­schafts­wachstum und Dekarbo­nisie­rung ... noch stärker ... Hand-in-Hand gehen" müssen, wobei die Frage, welche Wirt­schafts­sektoren wachsen sollen und welche ggf. nicht, alleine durch den Markt geregelt werden soll. Auch Umfang und Tempo der "Dekarbo­nisie­rung" sollen alleine durch markt­konforme Elemente und umfas­sende Subven­tionie­rung neuer Techno­logien bestimmt werden, wobei durch "Abbau von Büro­kratie ... die Inno­vations- und Wirt­schafts­kraft der Unter­nehmen zu steigern" ist.

Dieser Bericht ist damit ein weiterer Beweis für den völligen Bankrott der Eliten des herr­schenden Systems, denen selbst ange­sichts immer schneller eskalie­render Krisen nichts anders einfällt, als "Weiter wie bisher, nur schneller" zu fordern.
Dass das nicht funktio­nieren kann, wird immer mehr Menschen klar, was sich auch daran gezeigt hat, dass die Aussage in der Rede, "System change, not climate change" müsse die Kern­forderung jeder Klima­schutz­bewegung und daher auch der Bewe­gung gegen den Flug­hafen­ausbau sein, mit den meisten Beifall bekommen hat.




Grafik: Nationale Luftverkehrskonferenz

01.10.2023

Nationale Luftfahrtkonferenz: "Wir verhindern Klimaschutz!"

Vergangene Woche war so etwas wie ein neuer Höhe­punkt der Lobby-Offen­sive der Luft­verkehrs­wirt­schaft. Bei der sog. 3. Natio­nalen Luft­fahrt­konfe­renz am Montag, 25.09., in Hamburg trafen sich, anders als vor zwei Jahren, die Spitzen von Politik und Wirt­schaft in Person mit zahl­reichen anderen "Luft­fahrt-Fans" (Zitat C. Spohr), um die jewei­ligen Bot­schaften werbe­wirksam an die Öffent­lich­keit zu bringen.
Auch diesmal kann man sich den Live­stream der ganzen Veran­staltung im Nach­hinein knapp 6 Stunden lang auf YouTube ansehen.

Lufthansa-Chef Spohr, der die Reihe der Werbe-Bei­träge eröffnete, setzte diesmal aller­dings einen etwas anderen Ton. Wie auch in anderen Bereichen der Öffent­lich­keits­arbeit ver­zichtet er inzwi­schen auf den janus­gesich­tigen Auftritt früherer Jahre, in dem gegen­über Politik und Öffent­lich­keit drohende Pleiten an die Wand gemalt wurden, während gegen­über Inves­toren die Gewinn­erwar­tungen in den schönsten Farben darge­stellt wurde, und erklärte unver­blümt "Uns geht's prima".
Er machte dann auch gleich selbst deutlich, warum er das so sagt: bei der derzei­tigen Lage am Arbeits­markt muss ein Konzern auch öffent­lich stark und attrak­tiv wirken, wenn er das dringend benö­tigte Perso­nal für sich gewinnen will. Damit hofft Spohr, Leute fast genauso schnell wieder einstellen zu können, wie er sie während der Pandemie gefeuert hat.

Die Forde­rungen an die Politik verpackte er auch etwas freund­licher, aber dadurch nicht weniger anspruchs­voll. Damit die erfolg­reiche Entwick­lung der deutschen Luft­verkehrs­wirt­schaft und ihre positive Rolle für Gesell­schaft und Volks­wirt­schaft nicht durch die inter­natio­nale Konkur­renz gefährdet werden, müssen die Rahmen­beding­ungen auf europä­ischer Ebene richtig gesetzt werden. Was dafür im Detail nötig ist, durften andere im Laufe des Treffens noch ausführ­lich erläutern.
Er selbst hatte seine Kritik an den von der EU beschlos­senen Bei­mischungs­quoten für sog. "nach­haltige Treib­stoffe" (SAF), die mit den bishe­rigen Ansätzen nicht erreicht werden können, schon vorab veröffent­licht. Welche Rolle der Klima­schutz in seiner Firmen­strate­gie künftig spielen soll, ist auch schon vorher deut­lich geworden.

Der Bundes­kanzler, der als nächster dran war, kannte die Forde­rungen natür­lich und sagte auch brav seine volle poli­tische Unter­stüt­zung zu (wer nicht im Video danach suchen will, kann seine Rede auf der Web­seite der Bundes­regie­rung nach­lesen).
Die beiden Minister, die als Veran­stalter natür­lich auch noch dran­kamen, liefern diesen Service nicht. Beim Verkehrs­minis­terium findet man eine eigene Unter­seite zur Konferenz mit ein paar grund­sätz­lichen State­ments zu deren Hinter­grund und "Updates" genannte Kombi­nationen von einzelnen Sätzen und Bild­chen, die wohl die Akti­vität des Herrn Ministers während der Konferenz verdeut­lichen sollen. Auch er hatte seine wich­tigste Botschaft zur Subven­tionie­rung der deutschen Luft­verkehrs­wirt­schaft schon vorher lanciert. Fraport-Chef Schulte greift das gerne auf und jammert ein bisschen, dass es ohne solche Sub­ventio­nen schwer werden könnte, genügend Billig­flieger zur Auslas­tung von Terminal 3 anzu­werben. Dass Fraport aber hinter die Konkur­renz zurück­fällt, noch ehe die "schär­feren Klima­auflagen" über­haupt greifen, liegt wohl eher an den mise­rablen Leis­tungen, die sie aktuell abliefern.
Auf der Seite des Wirt­schafts­minis­teriums gibt es noch ein spezielles Video, in dem der Herr Minister seinen Fans in ein­facher Sprache erklärt, warum das alles gut und richtig ist und wir damit alle Probleme in den Griff kriegen. Ausser­dem findet sich dort auch die Gemein­same Presse­erklä­rung der Politik, die das ent­hält, was sie beson­ders der Öffent­lich­keit ein­hämmern wollen: die Notwen­digkeit, Forschung und Entwick­lung klima­schützender Maß­nahmen im Luft­verkehr aus Steuer­geldern zu bezahlen.

Nicht sonder­lich viel Aufmerk­samkeit bekommt der Status­bericht, der anläss­lich der Konferenz von Regierung, Verbänden der Luft­verkehrs­wirt­schaft und den Gewerk­schaften IG Metall und ver.di vorge­legt wurde. Das mag einer­seits daran liegen, dass darin nur vieles aus einem Papier der Bundes­regie­rung wieder­holt wird, das diese anläss­lich der Grün­dung eines Arbeits­kreises klima­neutrale Luft­fahrt vorge­legt hat, aber viel­leicht auch daran, dass an dem darin enthal­tenen "Zwischen­bericht" dieses Arbeits­kreises deut­lich wird, wie erbärm­lich wenig die Luft­verkehrs­wirt­schaft bisher an echten Klima­schutz-Maß­nahmen zu bieten hat.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass einige von den dort verein­barten Maß­nahmen nicht für die Öffent­lich­keit bestimmt sind. Dazu gehören neben der weiteren Verwäs­serung des Euro­päischen Emis­sions­handels insbe­sondere die Aufnahme nahezu aller normalen Investi­tionen der Luft­verkehrs­wirt­schaft ("Herstel­lung von Luft­fahr­zeugen, das Leasing und der Kauf von Flug­zeugen, die Beförde­rung von Personen und Fracht sowie die Boden­abfer­tigungs­dienste") in die sog. EU-Taxo­nomie, womit sie generell als "nach­haltig" gelten würden und daher leichter zu finan­zieren sind. Eine grössere Perver­sion dieses Instru­ments ist kaum noch denkbar.

Zu dem "breiten Stake­holder-Kreis" dieses AK gehören nur zwei Umwelt­verbände (German­watch und Trans­port & Environ­ment), während die­jenigen, die wirk­same Maß­nahmen fordern, in Hamburg draussen protes­tierten. Aber auch die, die sich einbinden lassen, üben Kritik. German­watch kriti­siert die AK-Ergeb­nisse als Trippel­schritte, und Trans­port & Environ­ment legt eine Studie vor, die das Argu­ment der Luft­verkehrs­wirt­schaft zurück­weist, wonach die von der EU beschlos­senen SAF-Bei­mischungs­quoten zu schweren Kon­kurrenz­nach­teilen für europä­ische Flug­gesell­schaften führen würden.
An diesen Diffe­renzen wird wohl auch der Versuch der weiteren Verein­nahmung durch Minister Habeck nichts ändern. Für die, die draussen demon­strierten, hatte er nur eine knall­harte Ansage: "Die Idee, dass wir das Klima schützen und keine Luft­fahrt haben, ist welt­fremd. Dies wird nicht passieren". Das hatte zwar niemand gefor­dert, aber es ist ja auch nur die typisch populis­tische Reaktion eines Politi­kers, dem die Argu­mente fehlen.

Auch von gewerk­schaft­licher Seite kommt Kritik. ver.di kriti­siert die "Schwer­punkt­setzung der Natio­nalen Luft­fahrt­konferenz: Allei­nige Orien­tierung auf alter­native Treib­stoffe und Antriebs­techno­logien greift zu kurz". Sie igno­riere "die Inter­essen der Beschäf­tigten im Luft­verkehr, ihre Arbeits­beding­ungen und den Druck, der auf ihnen lastet". "Elemen­tare Bedeu­tung für diesen Trans­forma­tions­prozess" zu einem klima­neutralen Luft­verkehr "haben dabei moti­vierte und qualifi­zierte Beschäf­tigte". Neben Vor­schlägen für Maß­nahmen an den Flug­häfen und bei den Boden­verkehrs­diensten wird auch ein "Verbot von Privat­fliegern, sofern nicht klima­neutral möglich," gefordert.
Die Forde­rungen zum Personal stehen zwar auch im oben zitierten Status­bericht, aber ver.di fürchtet wohl zu Recht, dass dieser Teil der Verein­barung nicht so ernst gemeint ist wie die Aus­sagen zu den Subven­tionen. Grund dafür gibt es reich­lich: die aktuelle Situa­tion ist schlecht und scheint sich weiter zuzu­spitzen.

Die FAZ verweist noch auf die Kritik aus der Luft­fahrt­indus­trie, wonach die Aus­sagen der Regie­rung zur Förde­rung alter­nativer Treib­stoffe und neuer Techno­logien noch zu unkonkret sind, macht aber ansonsten deut­lich, dass von dieser Seite keine wesent­lichen Ein­wände kommen.
Auch Fach­platt­formen wie airliners und aero beschrän­ken sich auf mehr oder weniger umfang­reiche Inhalts­angaben, wobei über­all die Verhin­derung von "Wett­bewerbs­verzer­rungen durch Klima­auflagen" im Vorder­grund steht.

Damit kann man die Botschaft dieser Konfe­renz wohl so zusammen­fassen: trotz aller Spar­maßnahmen aufgrund der "Zeiten­wende" hin zu Auf­rüstung und Macht­politik müssen die Subven­tionen für den Luft­verkehr weiter steigen, und Klima­schutz gibt es nur, soweit er wirt­schaft­lich vertret­bar und wett­bewerbs­fähig ist.
Um im Bild des UN-General­sekretärs zu bleiben: auf der Schnell­strasse in die Klima­hölle tritt die Bundes­regie­rung das Gas­pedal gerade noch etwas weiter durch. Der Luft­verkehr möchte ohne­hin auch auf diesem Weg das schnellste Trans­port­mittel sein.




Grafik: Einladung Forum

Heimspiel für Fraport, Lufthansa & Co. Dieses Forum diente ausschliesslich dazu, ihre Aufträge an die Landespolitik zu formulieren.

14.09.2023    (Update 02.10..2023)

VhU-Verkehrsforum:
Luftverkehrswirtschaft und Parteien zur Hessen-Wahl

Am Montag, den 11.09., lud die "Vereini­gung der hessi­schen Unter­nehmer­verbände" (VhU) zu einem zwei­stündigen Verkehrs­forum: Luft­verkehrs­standort Hessen im "Lufthansa Aviation Center" am Flug­hafen Frank­furt. Drei Vertreter der Luft­verkehrs­wirt­schaft, Herr Nigge­mann von Luft­hansa, Herr Schulte von Fraport und Herr Tecken­drup von Condor, erläu­terten, was in der hessi­schen Politik in der nächsten Wahl­periode zu ge­schehen hat, und Vertre­ter:innen von vier im Landtag vertre­tenen Parteien durften erklären, wie sie das umzu­setzen gedenken.
Vertre­ten waren die Frak­tions­vorsit­zenden von CDU, Grünen, SPD und FDP. Die AfD durfte vermut­lich (noch?) nicht mit­machen, ob die Linke nicht durfte oder nicht wollte, wissen wir nicht.

In einer anschlies­senden Presse­mittei­lung legte die VhU nochmal nach und erklärte: "Vor der Land­tags­wahl ruft Hessens Wirt­schaft die heimi­schen Politiker dazu auf, mit Nach­druck hessi­sche Inter­essen in der Luft­verkehrs­politik zu ver­treten. „Mit großer Sorge um den Wirt­schafts­standort nehmen wir wahr, dass Poli­tiker den Status-quo bei­spiels­weise bei den Betriebs­zeiten des Flug­hafens in Frage stellen. Damit wird die Dreh­kreuz­funktion, die inter­natio­nale Bedeu­tung des Flug­hafens und letzt­lich der Wohl­stand in der Region in Frage gestellt. Solche Degrowth-Fanta­sien gehören in den wirt­schafts­politi­schen Gift­schrank“".
Anschlies­send wurden noch die Aus­sagen der drei Wirt­schafts­vertreter kurz zusammen­gefasst; was die Politiker­:innen zu sagen hatten, war wohl nicht mit­teilens­wert.

Eine dpa-Meldung, die in der FR und einigen anderen Medien abge­druckt wurde, dif­feren­ziert nochmal die Forde­rungen der Wirt­schafts­ver­treter. Luft­hansa möchte die EU-Vorgaben für die Bei­mischung von sog. "Sustain­able Aviation Fuels" abge­schafft haben, Condor möchte weniger Gebühren u.a. für die Flug­sicherung, und Fraport wehrt sich gegen eine Erweite­rung der Nacht­flug­beschrän­kungen und möchte Billig-Arbeits­kräfte auf der ganzen Welt an­werben dürfen.
In einem eigenen Artikel geht die FR kurz auf Reak­tionen der anwe­senden Politiker­:innen ein und nennt noch ein paar andere Themen, die ange­sprochen wurden. Das "Kratzen am Nacht­flug­verbot" ist für sie "der Klassiker" dieser jähr­lich statt­finden­den Veran­staltung, in der es immer "darum geht, die Bedeu­tung des Flug­hafens heraus­zuheben" und "die Politik zu mahnen, der Branche nicht noch mehr Fesseln anzu­legen". Das konnte man, mit etwas anders ver­teilten Rollen, auch vor vier Jahren schon nach­lesen.

Zitiert wird von der FR auch die ener­gische Verteidigung "der Grünen-Position [zum Nacht­flug­verbot] - eine Auswei­tung auf acht Stunden - " an der "sich nichts geändert" habe: "Warum sollte es auch, fragt Fraktions­chef Mathias Wagner". Weiter unten wird er dann noch zitiert mit "Wett­bewerbs­fähig­keit, Klima­schutz, Fach­kräfte­sicherung gehören für die Grünen zusammen". "Dass sich immer gute Lösungen fänden, zeige die Umset­zung des Nacht­flug­verbots. Ent­gegen aller Unken­rufe habe es dem Erfolg des Frank­furter Flug­hafens keinen Schaden zugefügt." Das darf man wohl so lesen, dass das Nacht­flug­verbot in den acht Jahren Regie­rungs­verant­wortung der Grünen für dieses Thema "gut", nämlich in seiner auf 5-6 Stunden redu­zierten Form, "umge­setzt" sei und dass sich daran auch nichts ändern soll - unab­hängig davon, dass im Wahl­programm seit acht Jahren etwas anderes steht.
Auch die Anstreng­ungen der SPD in diesem Bereich werden gewür­digt: "Die SPD will „prüfen“, ob manche Flüge von den soge­nannten Rand­zeiten auf den Tag verlegt werden könnten; gemeint ist jeweils die Stunde vor oder nach der offi­ziellen Nacht­ruhe." Solche Prü­fungen können erfah­rungs­gemäß dauern, und wahr­schein­lich müssen sie für jede Flug­plan­periode neu beginnen - der Erfolg ist absehbar.
Klare Ansagen gab es aber auch: "CDU und FDP hingegen wollen beim im Plan­fest­stellungs­beschluss fest­geschrie­benen Nacht­flug­verbot zwischen 23 und 5 Uhr bleiben."

Von den geladenen Parteien hielt es nur die FDP für nötig, mit einer eigenen Presse­mittei­lung zu versichern, dass sie alle Aufträge pflicht­bewusst umsetzen würde, wenn sie denn in der Regie­rung mit­machen dürfte.
Was die Parteien sonst so zum Thema Flug­hafen ver­sprechen, muss man sich in ihren Wahl­programmen und sons­tigen Materi­alien zusammen­suchen. Die CDU hat in ihrem Online-Programm im Kapitel Mobi­lität ein Unter­kapitel "Luft­verkehr", dass (fast) alles enthält, was die Luft­verkehrs­wirt­schaft sich so wünscht. Der Text in der "detail­lierten Version" ihres Hessen­programms ist iden­tisch.
Die Grünen Hessen haben die Aussagen zum Flug­verkehr im Kapitel 1 ihres Online-Wahl­programms unter­gebracht. Da ist er zwar nur Unter­punkt 12, aber immerhin so wichtig, dass er gleich doppelt abge­druckt wird (das erste Mal ohne Über­schrift an den vorhe­rigen Punkt ange­hängt). Das Motto ist ein­deutig "Weiter wie bisher", jede kritische Reflek­tion der bishe­rigen Politik fehlt komplett. Auch hier gibt es in der (besser redi­gierten) PDF-Version nichts anderes.

Die SPD hat ihre Aussagen zum Flug­hafen im Kapitel Zukunft der Wirt­schaft, Arbeit und Ausbil­dung ihres Online-Wahl­programms geradezu versteckt. In einem ewig langen Text ohne jede Zwischen­über­schrift findet man irgendwo in der Mitte zwischen Aus­sagen zum "Zugang zum Kapital­markt" und zur "Kultur- und Kreativ­wirt­schaft" zwei Absätze zum Flug­hafen Frankfurt als "zentraler Wirt­schafts­motor" und dem Flug­platz Kassel-Calden als "wichtige Infra­struktur­einrichtung". Auch hier zeugen wirre Formulie­rungen, doppelte Aussagen etc. von der Sorgfalt, mit der dieser bedeu­tende Programm-Passus formu­liert wurde. In den Kapiteln "Klima­schutz für ein zukunfts­fähiges Hessen" und "Umwelt, Land-, Forst- und Wald­wirt­schaft, Natur­schutz, Ver­braucher­schutz, Nach­haltig­keit" kommt der Luft­verkehr nicht vor. (In der PDF-Version des Programms gibt es Zwischen­über­schriften, der Text ist derselbe.)
Die FDP hat in ihrem Online-Programm Aussagen zum Flughafen im Kapitel "Umwelt und Klima­schutz" in den Unter­kapiteln Umwelt­schutz mit wirt­schaft­licher Vernunft (zu Luft­qualität und Lärm­schutz) und Liberale Klima­politik für Hessen (zu Klima­schutz an Flug­häfen) verteilt. In der PDF-Version des Programms finden sich sechs Seiten zu "Mobi­lität durch Inno­vation und Digi­tali­sierung beschleu­nigen und nicht bremsen", die sich mehr­fach mit dem Luft­verkehr befassen. Ob sie die dort verkün­dete primi­tive Technik-Gläubig­keit selbst teilen oder nur ihren Wähler­:innen unterstellen, lässt sich nicht sagen.

Die Linke hat ihr Wahl­programm nur als PDF-Version veröffentlicht. Im Punkt "Unsere Zukunft klima­gerechter" gibt es einen Unter­punkt "Unsere Gesund­heit vor Profite - Luft­verkehr sinnvoll planen", in dem einige Alter­nativen zum bishe­rigen Betrieb des Frank­furter Flug­hafens und vor allem die entschei­denden Forde­rungen "soziale und ökolo­gische Neu­ordnung des Luft­verkehrs­sektors befördern" und "gesund­heits- und klima­schäd­lichen Flug­verkehr vermindern" genannt sind. Im Detail gibt es an den Ausfüh­rungen vieles zu kriti­sieren, aber es ist der einzige Ansatz bei den bisher im Landtag vertre­tenen Parteien, der zumin­dest in die richtige Rich­tung geht.
Ansonsten gibt es (soweit wir wissen) nur noch im Programm der neuen "Klima­liste Hessen" vergleich­bare Aussagen zu "Redu­zierung der Flug­bewegungen", aller­dings eben­falls verknüpft mit im Detail diskus­ions­bedürf­tigen Formu­lierungen.

Zusammen­fassend kann man fest­stellen, dass keine Partei beson­ders grossen Aufwand getrie­ben hat, um zu diesem Themen­bereich fun­dierte und über­zeugende Argu­mente und Forde­rungen zu entwickeln. Sie schätzen wohl alle zu Recht ein, dass die Wahl­entschei­dung der meisten, die wählen gehen, kaum davon beein­flusst wird. Wenn sie über­haupt kritisch wahr­genommen wird, dann wird die Luft­verkehrs­politik als ein Bestand­teil der jewei­ligen Klima­politik gesehen, und auch da stehen andere Fragen im Vorder­grund.
Wir empfehlen aber ohnehin, die Wahl­entschei­dung weniger am Programm als viel­mehr an der poli­tischen Praxis der jewei­ligen Partei zu orien­tieren. In Bezug auf die Klima- und Luft­verkehrs-Politik liefert unsere Web­seite viele Hinweise, wo die Unter­schiede liegen. Einfach mal nach unten scrollen oder in den Archiv-Seiten der letzten Jahre nach­lesen.


Update 02.10.2023:

Am 21.09. über­raschte die VRM-Medien­gruppe mit einem über verschie­dene Platt­formen gestreu­ten Beitrag (neben der Main-Spitze u.a. auf Echo-online, der Allge­meinen Zeitung und sogar ihrem Podcast) mit der Über­schrift "Luft­fracht-Verband fordert Cargo-Nacht­flüge in Frank­furt" und Unter-Über­schrift "„Die Fracht braucht die Nacht“, sagt der Luft­fracht-Branchen­verband und besteht auf Nacht­flug-Möglich­keiten in Frank­furt als größtem Fracht­flug­hafen Europas".
Inhalt­lich passt das zwar zu den oben zitierten Aus­sagen von Fraport-Schulte, aber darauf wird nicht Bezug genommen. Statt­dessen werden einige Aus­sagen einer "aktuellen Analyse" des Bundes­verband der deut­schen Luft­verkehrs­wirt­schaft (BDL) zitiert, die statis­tische Fakten bezüg­lich der Waren­mengen und -werte und Spekula­tionen über deren Bedeu­tung liefern.

Interes­sant ist, dass der BDL in seiner eigenen Presse­mitei­lung das Thema Nacht­flug mit keinem Wort erwähnt. Ledig­lich auf der letzten Seite der 'Analyse' finden sich Aus­sagen dazu, als "Forde­rung" lässt sich aber nur ein einziger Satz lesen: "Die deutsche Wirt­schaft braucht daher weiter­hin flexible und inter­natio­nal wett­bewerbs­fähige Betriebs­zeiten an deutschen Flug­häfen". Von "Cargo-Nacht­flügen in Frank­furt" steht dort nichts.
Auch die Bericht­erstat­tung in den Fach­medien (z.B. bei aero oder airliners) greift das Thema Nacht­flug nicht auf.

Warum der VRM-Beitrag damit aufmacht, erschliesst sich erst ganz am Schluss. Da wird eine "Anfrage des Land­tags­abge­ord­neten Gerald Kummer" von Anfang August erwähnt, die sich mit der "zuneh­menden Flug­lärm­belastung in den Abend­stunden vor Beginn des Nacht­flug­verbots um 23 Uhr in Süd­hessen" beschäftigt. Schon die damalige Bericht­erstat­tung befasste sich fast mehr mit den Gegen­argu­menten der Landes­regierung als mit der Anfrage selbst, und hier wird nun eine Studie dagegen in Stel­lung gebracht, die sich damit gar­nicht beschäftigt. Ein wahres Muster­beispiel für objektive und neutrale Bericht­erstat­tung in Wahl­kampf­zeiten.




Grafik: Fraport-Fragen

So vielversprechend und weltoffen geht es los. Danach offenbart sich sehr schnell, dass alles nur die Fraport-übliche Heuchelei ist.

12.09.2023

Der Fraport-"Stakeholder Dialog":
wieder nur Heuchelei

Vor ein paar Tagen hat Fraport per Presse­mittei­lung nach fünf Jahren mal wieder einen "Stake­holder-Dialog" ange­kündigt. Er soll dem "Austausch mit Inter­essen­gruppen" dienen und ver­spricht voll­mundig: "Teil­nehmende können künf­tige Aus­rich­tung des Konzerns mitge­stalten".
Auf der Dialog-Web­seite klingt es ganz ähn­lich: "Ihre Meinung hilft uns dabei, unser verant­wort­ungs­volles unter­nehmer­isches Handeln noch besser auf die Bedürf­nisse und Wünsche unserer viel­fältigen Inter­essen­gruppen auszu­richten", denn "Die Ergeb­nisse dieser Erhe­bung werden in die künf­tige Aus­gestal­tung unserer Nach­haltig­keits­themen und deren Priori­sierung ein­fließen."
Die Teilnahme ist bis zum 6. Oktober und in mehreren Sprachen möglich und dauert nur fünf Minuten.

Die Zeit­angabe lässt schon vermuten, dass es hier nicht wirk­lich um eine tief­schür­fende Aus­einander­setzung mit der Rolle des Flug­hafens in Umwelt und Gesell­schaft gehen kann, aber die genaue Aus­gestal­tung dieses "Dialogs" ist dann doch noch mal eine Frech­heit für sich.

Zwar heisst es auf der Ein­führungs­seite nochmal viel­verspre­chend: "Der regel­mäßige und offene Aus­tausch mit Ihnen ist uns wichtig. Wir möchten die verschie­denen Hand­lungs­felder der Nach­haltig­keit best­möglich in unserer Unter­nehmens­stra­tegie berück­sichtigen. Darum laden wir Sie ein, Ihre Bedürf­nisse und Anliegen in unsere Ent­scheidungs­prozesse einzu­bringen."
Gefragt wird dann aber aus­schließ­lich danach, als wie wichtig bestimmte Themen einge­schätzt werden. Von einer Bewer­tung, wie man die Fraport-Aktivi­täten in diesen Themen­feldern beur­teilt oder was verän­dert werden sollte, ist nirgends die Rede. Zwar gibt es auf der letzten Seite noch ein (bewusst klein dimensio­niertes) Kommen­tar­feld, in das belie­biger Text, darunter wohl auch die ""eigenen Anliegen", einge­geben werden kann, aber diese Eingabe ist "optional", was in aller Regel heisst, dass auch die Zur­kennt­nis­nahme des dort Geschrie­benen durch die Auswer­tenden optional ist.
Wer sich nicht mühsam durch die fünf Seiten durch­klicken will, kann sich den Umfrage-Text hier ansehen.

Was die ganze Übung wirklich soll, wird in den Fraport-Texten nur sehr zurück­haltend ange­deutet: "Die Umfrage ist so ausge­staltet, dass sie ... der EU-Richt­linie Corpo­rate Social Respon­sibi­lity Direc­tive (CSRD) zur nicht­finan­ziellen Bericht­erstat­tung ent­spricht. Die CSRD erachtet den Stake­holder-Dialog als essen­ziellen Bau­stein für die Gewich­tung nach­haltig­keits­rele­vanter Themen".
Diese Richt­linie wurde Ende letzten Jahres neu ver­öffent­licht, und Ende Juli dieses Jahres hat die EU-Kommis­sion erste Stan­dards für die Inhalte der künf­tigen Bericht­erstat­tung fest­gelegt. Diese Stan­dards wurden im Vor­feld von Gewerk­schaften und Umwelt­ver­bänden wegen ihrer weit­gehenden Unver­bind­lich­keit deut­lich kriti­siert, aber mit einigen wenigen Korrek­turen in Kraft gesetzt.

Da Fraport zu den berichts-pflich­tigen Unter­nehmen gehört, müssen sie spätestens 2025 etwas vor­legen, was halb­wegs diesen Stan­dards ent­spricht. Darin müssen sie laut Umwelt­bundes­amt "nach­haltig­keits­bezogene Angaben machen, die aus finan­zieller Perspek­tive oder aus ökolo­gischer und sozialer Perspek­tive wesent­lich sind (sog. doppelte Wesent­lichkeit). Aller­dings verbleibt die Wesent­lich­keits­analyse eine unter­nehmens­indivi­duelle Aufgabe, ..." aber ein paar Argu­mente dafür, was sie als wesent­lich dar­stellen und worüber sie lieber nicht berich­ten wollen, machen sich immer ganz gut.
Genau dazu dient dieser "Dialog", der ja in Wahr­heit nur eine völlig unver­bind­liche Umfrage darüber ist, was im Umfeld als wesent­lich einge­schätzt wird.

Grafik: Fraport Wesentlichkeitsmatrix

So sieht die Fraport-Beurteilung dessen, was wesentlich ist, aktuell aus.
Die wichtigen Sachen stehen rechts.

Fraport geht dabei kein Risiko ein. Ein paar Ant­worten mit der gewünsch­ten Gewich­tung werden sie sicher­lich bekommen, und repräsen­tativ muss eine solche Umfrage nicht sein (kann sie auch garnicht, wenn der Kreis der "Stake­holder" wie hier nahezu ins Unend­liche ausge­weitet wird).
Sollte wider Erwarten eine Viel­zahl von Ant­worten mit uner­wünschter Gewich­tung ein­gehen, macht es auch nichts, denn die kommen dann wahr­schein­lich aus nur zwei oder drei von fast zwei Dutzend "Stake­holder-Gruppen" und müssen ent­spre­chend gewich­tet werden. Ausser­dem ist eine solche Umfrage natür­lich grund­sätz­lich nicht verbind­lich, Fraport kann immer eine eigene Auswahl treffen.
Und letzt­endlich geht es hier ja ohnehin nur um die Frage, worüber berichtet wird, und nicht darum, was berichtet werden müsste.

Was da zu erwarten ist, lässt sich erahnen, wenn man die bishe­rige Bericht­erstat­tung ansieht. In der Zusammen­gefassten nicht­finan­ziellen Erklä­rung von 2022 (noch nach alten Standards verfasst) findet sich eine "Wesent­lich­keits­matrix", die schon mal das abbildet, was auch aus der neuen Umfrage heraus­kommen wird.
Im Text werden zwar durchaus einige Probleme benannt, er enthält aber nichts, was nicht schon ausderswo ausführ­licher und tiefer­gehender darge­stellt worden wäre. Deutlich wird, dass auch eigentlich unangenehme Themen (wie z.B. die Flughafen-bedingten Belastungen mit Ultrafeinstaub) mit ein paar Floskeln abgehakt werden können. Ob sich daran mit den neuen Standards viel ändern wird, darf bezweifelt werden.

Die Bericht­erstat­tung enthält trotzdem vieles nicht, was zum Thema dazu­gehört und dringend einer umfas­senden Diskus­sion und deut­licher Verände­rungen bedürfte. Und was natürlich völlig fehlt, sind Perspek­tiven, die über das übliche "Weiter so" hinaus­gehen und ernst­hafte Lösungs­ansätze wenig­stens für die benann­ten Probleme ent­halten. Die ange­gebenen "Leistungs­indika­toren" in den Berei­chen "Sozial­belange" (wo auch der Schall­schutz abge­handelt wird) und "Umwelt­belange" (wozu "Klima­schutz", "Umwelt- und Natur­schutz" und "Luft­qualität" gezählt werden) sind weit­gehend absurd allge­mein und gehen, wo sie konkreter werden, nicht über die gesetz­lichen Ver­pflich­tungen hinaus.
Es wird sehr deut­lich, dass "Nach­haltig­keits-Bericht­erstat­tung" für Fraport nicht mehr als eine Pflicht­übung ist, die sie mit kleinst­möglichem Aufwand erledigen.

Grafik: Fraport-Dialog

Einen Dialog im klassi­schen Sinn, in dem Argu­mente ausge­tauscht werden könnten, gibt es hier nicht und wird es vermut­lich auch künftig nicht geben. Wäre so etwas geplant, müsste es zumin­dest Hinweise darauf geben, wie mit den Ergeb­nissen der Umfrage umge­gangen wird und was die nächsten Schritte sein sollen. Statt­dessen ist es wohl einfach so, dass das Fraport-Manage­ment geradezu zwang­haft heuch­lerisch und ver­logen ist und nicht die Wahr­heit über den simplen Grund für die Umfrage sagen kann, sondern sie mit falschen Ver­sprech­ungen zum "Fraport-Dialog" auf­bauschen muss. Und wie fast immer, wenn man derartige Fraport-Verlautbarungen näher betrachtet, bleibt davon nur die Erkenntnis übrig: "Fraport log".
Die Schluss­folgerung daraus ist, dass man diesen "Dialog" am besten igno­riert, da eine Betei­ligung, egal wie, keine posi­tiven Effekte haben kann. Kriti­sche Kommen­tare werden nicht ver­öffent­licht werden, und welche Themen-Gewich­tungen mehr­heit­lich gewünscht werden, hat keiner­lei Konse­quenz. Dem mit einer Betei­ligung noch einen Anschein von Legiti­mität zu ver­leihen, wäre kontra­produktiv.




Grafik: Zeitablauf Störung

Dieses Bild zeigt die zeitliche Abfolge der wichtigsten Ereignisse (von links nach rechts),
soweit sie nach der ersten Daten­auswertung bekannt sind.
Es bestätigt sich der Eindruck, dass die Situation extrem war, aber die Piloten schnell und richtig reagiert haben. Unter solchen Wetter­bedingungen sollten keine Flug­bewegungen statt­finden.

Wir haben auch ein Video zusammen­gestellt, dass die Flug­spuren über dem Flughafen und im Umland zeigt.

05.09.2023

Zwischenfall am 20.06.:
Die DFS ist (wieder mal) aus der Schußlinie

Unmittelbar nach Veröffent­lichung des Zwischen­berichts der 'Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchungen' (BFU) berichten Medien von der Tages­schau bis zur BILD-Zeitung über den "Beinahe-Absturz", bei dem der Flughafen "nur knapp einer Kata­strophe entgangen" sei.

Im Text zitieren alle mehr oder weniger wört­lich eine dpa-Meldung, die folgen­des Bild des Ablaufs ver­mittelt: die Piloten wollen während eines Gewit­ters landen, ver­lieren die Sicht auf die Piste, starten durch, ver­lieren kurz­zeitig die Kon­trolle über die Maschine, fangen sie in geringer Höhe wieder ab und landen beim zweiten Versuch ohne Probleme.
Man bekommt den Eindruck einer etwas schusse­ligen Besatzung, die dauernd irgend­was verliert, wie man einen Schlüs­sel oder ein Taschen­tuch verliert, aber es dann letzt­lich doch noch hinkriegt. Eigent­lich nichts passiert, aber die Büro­kraten von der BFU "unter­suchen den Vorfall als "schwere Störung", auch wenn niemand zu Schaden gekommen ist". Typisch deutsch eben.

Diese Darstel­lung basiert auf Zitaten aus dem BFU-Bericht, liefert aber trotz­dem ein schiefes Bild.
Der BFU-Text ist in keiner Weise plaka­tiv, eher tech­nisch trocken. Mit flug­tech­nischen Problemen nicht Vertraute finden dann in den Sätzen "Kurz danach verlor die Flug­besatzung zeit­weise die Kon­trolle über das Luft­fahr­zeug und sank mit einer Sink­rate, die im Maximum einen Wert von minus 5 500 ft/min erreichte. ... Der Sink­flug wurde ... in einer Flug­höhe von 1 913 ft AMSL beendet." eher einen Ansatz für einen Problem­bericht als in der Aussage: "Der verant­wort­liche Luft­fahr­zeug­führer leitete das Durch­start­manöver ein. Kurz darauf erfolgte eine Wind­shear Warning im Cockpit. Daraufhin wurde das Wind­shear Escape Maneuver geflogen ...".

Tatsäch­lich bauen die Ereig­nisse aber aufein­ander auf, und welche Problem­lage näher an der Kata­strophe war, lässt sich nur schwer ab­schätzen. Wer sie hätte verhin­dern können (und müssen), ist aller­dings ein­deutig.
Denn im Detail stellt sich der zeitliche Ablauf so dar: um 19:48 MESZ dreht die Fracht­maschine der LATAM auf den End­anflug auf die Südbahn ein, wird für den vom Instru­menten­lande­system (ILS) gesteu­erten Anflug stabili­siert und erhält die Lande­frei­gabe vom Tower mit dem Hinweis "Wind aus 240°, 13 Knoten". Drei Minuten später gibt es einen weiteren Hinweis "Wind 250°, 18 Knoten, maximal 29".
Das deutet erst­mals auf schwieri­gere Wind­verhält­nisse hin, klingt aber nicht wirk­lich proble­matisch, da der Wind nun prak­tisch exakt in Richtung der Bahn weht und mit Seiten­wind-Problemen nicht zu rechnen ist. Ob die Piloten an dieser Stelle bereits optisch erkennen konnten (oder hätten erkennen müssen), worauf sie zusteuern, bleibt offen.

Die Lotsen jeden­falls müssen wissen, dass es ein Problem gibt, denn zu diesem Zeit­punkt tobt das Gewitter bereits über dem Flug­hafen-Gelände, und sie können es direkt vor den Tower-Fenstern bewun­dern. Die Starts waren auch bereits um 19:40 Uhr einge­stellt worden, und unmit­telbar vor dem Lande­versuch der B767 auf der Süd­bahn hatte auch eine andere Maschine die Landung auf der Nord­west­bahn abge­brochen und war durch­gestar­tet (warum genau, ist nicht bekannt).

Die Sicht der Piloten der B767 ver­schlechtert sich erst kurz nach der Wind­warnung rapide, bis sie die Lande­bahn nicht mehr sehen können und das Durch­start­manöver ein­leiten. Danach geht es Schlag auf Schlag. Nur 15 Sekunden später wird die Maschine von Scher­winden getrof­fen und kippt nach rechts ab. In einem Flug­zeug mit knapp 50 Meter Spann­weite in etwa 50 Meter Höhe über dem Boden plötz­lich um die Längs­achse zu rotieren, ist sicher kein beson­deres Ver­gnügen.
Die Maschine ist zwar im Steig­flug, kommt aber vom Kurs ab und fliegt auf den Gebäude­riegel am nörd­lichen Rand des Flug­hafens zu. Für die Tower-Lotsen muss es so ausge­sehen haben, als würden sie für ihre Nach­lässig­keit umgehend bestraft.

Die Piloten versuchen gemäß Anwei­sung (dem zitier­ten "Wind­shear Escape Maneuver") mit Voll­schub aus der Situa­tion heraus­zukommen, und es gelingt ihnen, binnen 20 Sekunden auf den alten Kurs zurück­zudrehen und weiter zu steigen. Aller­dings verlieren sie bei diesem Manöver so viel Geschwin­digkeit, dass es zu einem Strömungs­abriss ("Stall") kommt und die Maschine mit der Nase nach unten auf den Boden zu­steuert. Mit dem für solche Fälle vorge­sehenen Manöver ("Stall Recovery Proce­dure") können sie die Maschine abfangen, wieder steigen und den Flug stabili­sieren.

Damit ist die kriti­sche Situation bereinigt. Die Flug­siche­rung reagiert nun endlich, lässt alle weiteren Lande­anflüge ab­brechen und schickt ankom­mende Maschinen in Warte­räume, wo sie für rund eine halbe Stunde kreisen müssen (wenn sie nicht auf andere Flughäfen ausge­wichen sind).
Danach stabili­siert sich der Betrieb langsam wieder. Die Gewitter ziehen ab, der Tower wird wieder arbeits­fähig, Starts und Landungen können statt­finden. Aller­dings ist der Betrieb soweit durch­einander gebracht, dass am Abend noch 63 verspä­tete Starts genehmigt werden müssen (wenn auch mit faden­scheinigen Begrün­dungen, denn der Vorfall soll wohl nicht publik werden. Dummer­weise gibt es viele Zeugen und den Aviation Herald).

Wie es weiter­gehen wird, ist absehbar. Irgend­wann im nächsten Jahr (oder noch später) wird die BFU ihren Abschluss­bericht vor­legen. Er wird, wiederum in tech­nisch trockenen Sätzen, genau analysieren, ob die Piloten in beiden Fällen schnell und ange­messen reagiert und die Manöver korrekt ausge­führt haben oder ob sie beim "Wind­shear Recovery Maneuver" über­zogen haben und der Strö­mungs­abriss hätte vermieden werden können.
Er wird aber sehr wahr­schein­lich auch fest­stellen, dass die Situa­tion vor allem deshalb kritisch wurde, weil die Beding­ungen für eine sichere Landung nicht gegeben waren, da die Wind­beding­ungen extrem waren. Gege­benen­falls wird auch die Empfeh­lung ausge­sprochen werden, unter solchen Beding­ungen nicht nur den Start-, sondern auch den Lande-Betrieb einzu­stellen.
Kein Schuldiger wird ange­prangert werden, wahr­schein­lich wird die BFU sogar darauf verweisen können, dass die DFS ihre Krite­rien für die Ertei­lung von Lande­frei­gaben bei extremen Wetter­beding­ungen bereits über­arbeitet hat und solche Vorfälle in Zukunft nicht mehr vor­kommen werden. Das Ganze wird so lang­weilig klingen, dass die Medien keinerlei Inter­esse mehr daran zeigen werden.

Es gibt ein aktuelles Vorbild dafür. Als zu Neujahr 2020 ein A350 der Thai Airways beinahe über Rüssels­heim abstürzte, war zunächst eben­falls die Aufre­gung gross. Als die BFU zwei­einhalb Jahre später ihren Abschluss­bericht vorlegte und das Versagen der DFS genau (und beinahe süffisant) beschrieb, interes­sierte es niemanden mehr.
Auch diesmal kann man darauf hoffen, dass die DFS aus einer Beinahe-Kata­strophe ihre Schlüsse ziehen wird und ähnliche Vorfälle künftig unwahr­schein­licher werden. Was fehlt, ist, die DFS von vorne­herein dazu zu zwingen, in ihren Ver­fahrens­regeln (wieder) Sicher­heit an erste Stelle zu setzen, auch ohne dass sie auf Fälle verweisen kann, in denen es beinahe schief gegangen wäre. Das Risiko, dass sie irgend­wann mal aus einer echten Kata­strophe lernen müssen, bleibt damit erhalten.




Grafik: Radarbilder Niederschlag

Diese Bildabfolge zeigt, dass die Gewitterfront relativ schnell über den Flughafen hinweggezogen ist.
Eine halbe Stunde Einstellung des Flugbetriebs hätte gereicht, schwere Risiken zu vermeiden.

01.09.2023

Zwischenfall am 20.06.:
Erster Zwischenbericht

Schneller als erwartet hat die 'Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchungen' (BFU) ihren ersten Zwischen­bericht zu dem als "Schwere Störung" einge­stuften Beinahe-Absturz einer Fracht­maschine auf FRA am 20.06. dieses Jahres vor­gelegt.

Darin sind alle Daten zusammen­gestellt, die bisher zu den Vor­gängen gesam­melt werden konnten, insbe­sondere " Daten des Quick Access Recorders (QAR), Funk­umschrif­ten der Flug­siche­rung­sorga­nisa­tion und Aus­sagen der Flug­besatzung". Ausserdem gibt es ein paar tech­nische Daten über das Flug­zeug und Beschrei­bungen der Vorgaben der Airline, was in kriti­schen Situa­tionen wie denen, in die das Flug­zeug geraten ist, zu tun ist.
Weitere Daten­quellen müssen noch ausge­wertet werden, und Beur­teilungen und Empfeh­lungen wird es erst im Abschluss­bericht geben.

Aus diesen Daten lässt sich einiges ablesen. Zum einen waren die Angaben des Aviation Herald unmit­telbar nach dem Vorfall weit­gehend korrekt. Das Flug­zeug setzte zur Landung an, als der Kern der Gewitter­front gerade über das Parallel­bahn­system zog und geriet in einen Scher­wind, aus dem es sich nur mit einem Manöver befreien konnte, das anschlies­send beinahe zu einem Strömungs­abriss führte.
Nachdem die Piloten mit den dafür vor­geschrie­benen Maß­nahmen auch aus dieser Situa­tion wieder heraus­kamen, verlief das Durch­start­manöver im Weiteren problem­los, und die Maschine konnte nach einem Go-around normal landen, da die Gewitter inzwischen abge­zogen waren.

Grafik: Höhen- und Geschwindigkeits-Profile

Diese Grafik zeigt die zeitliche Entwicklung einiger kritischer Parameter (Höhe, Geschwindigkeit) und die Zeitpunkte entscheidender Manöver. Wie kritisch die Situationen waren, erschliesst sich allerdings daraus nicht direkt.

Der Bericht enthält keiner­lei Bewertung der Aktionen der betei­ligten Akteure, also insbe­sondere der Piloten und der Flug­lotsen. Versucht man, die beschrie­benen Abläufe mit den Vorgaben für kriti­sche Situa­tionen zu ver­gleichen, erscheint es so, als ob die Piloten genau das getan hätten, was für diese Situa­tionen empfohlen wurde. Das würde bedeuten, dass kein Fehler ihrer­seits vorlag, sondern die Situa­tion deshalb extrem kritisch wurde, weil die Beding­ungen beim Lande­versuch extrem waren.

Dann aber wäre die Schlussfolgerung, dass die Situa­tion nur hätte vermieden werden können, wenn für die Zeit, in der die Gewitter über den Flughafen zogen, der Betrieb einge­stellt worden wäre.

Natürlich muss man für eine end­gültige Bewer­tung den Abschluss­bericht der BFU abwarten, der noch viele andere Daten aus­werten muss und vermut­lich noch viele Monate auf sich warten lässt.
Aber es wäre ange­sichts der jüngeren Entwick­lungen nicht über­raschend, wenn auch hier letzt­lich wieder heraus­käme, dass Sicher­heits­aspekte gegen­über dem Wunsch eines 'unge­störten Betriebs', sprich der unge­störten Profit­macherei, hätten zurück­treten müssen.

Der BFU-Bericht hält noch fest: "Der BFU liegen Informa­tionen vor, dass zum Ereignis­szeit­punkt andere anflie­gende Luft­fahr­zeuge den Anflug eben­falls abbrachen und ein Durch­start­manöver, aufgrund von Wind­shear Warnungen, einlei­teten." Wäre der Flug­betrieb auf FRA ange­sichts der Wetter­verhält­nisse nur für eine halbe Stunde einge­stellt und die ankom­menden Flug­zeuge in eine Warte­schleife geschickt worden (was nach dem Vorfall dann auch passiert ist), hätten alle diese Risiken vermieden werden können.
Dann müsste insbe­sondere die DFS sich fragen lassen, ob ihre Krite­rien für solche Fälle die Sicher­heit noch ange­messen berück­sich­tigen, oder ob auch hier inzwischen Profit vor Sicher­heit geht. Der BFU-Abschluss­bericht wird diese Frage nicht deutlich beant­worten. Es bleibt allen Betei­ligten, auch den Flug­hafen-Anwoh­nern, über­lassen, welche Schluss­folge­rungen sie daraus ziehen wollen und welche poli­tischen Forde­rungen ange­messen wären.




Grafik: Überflüge

Die Wohnbevölkerung völlig unnötig mit Lärmwerten über 80 dB(A) zu quälen, kann man nur als Rowdytum bezeichnen.
Diese Piloten hätten wirklich ein saftiges Bußgeld verdient.

30.08.2023

Fraports Chaos wird hörbar

Auch am Sonntag, den 27.08., dröhnten wieder, wie häufig in den letzten Wochen, star­tende Maschinen im direkten Abflug nach Westen über Raun­heim.
Diesmal waren es zwei Boeing 747-800 der Luft­hansa, die mit Maximal­werten von 86 und 82 dB(A) an der Fraport-Meß­station in Raunheim einen "nach­halti­gen" Eindruck hinter­liessen.

Insgesamt starteten in der halben Stunde von 14:00 bis 14:30 Uhr 22 Maschinen, also deutlich weniger als die 32, die das Bahn­system angeb­lich leisten kann. Acht, darunter die beiden Rowdys, starteten von der Center­bahn, der Rest von der Start­bahn West. Vier Maschinen auf den Nord­west­abflügen und zwei auf der Südum­fliegung stellen für diese Routen auch keine Über­lastung dar.

Was also könnte die "Abwei­chung" von der ursprüng­lich geplanten Route veran­lasst haben? Beliebter Kandidat für dies­bezüg­liche Aus­reden ist natür­lich zu aller­erst das Wetter. Und das liefert hier tat­säch­lich auch einen Ansatz.
Wie das kurze Video zeigt, zog ein Nieder­schlags­gebiet mit Gewittern im Vor­taunus von Westen nach Osten und hat mög­licher­weise für eine gewisse Zeit die Nord­west­abflüge unbe­quem bis unmög­lich gemacht. Nun sollen die ja eigent­lich ohnehin nur noch in Ausnahme­fällen und auch nur von zwei­strahligen "Heavies", nicht von Vier­strahlern wie der B747 genutzt werden, aber diese Ein­schrän­kung wurde ja offenbar ohnehin schon wieder still­schwei­gend ein­kassiert.

Video: So entwickelten sich die Unwetter am Sonntag Mittag in Südhessen.

Nehmen wir also an, die beiden B747 sollten eigent­lich den Nord­west­abflug nehmen und stellen fest, dass sich dort ein Gewitter in den Weg schiebt. Wäre das ein ausrei­chender Grund gewesen, das Gewitter per Gerade­aus-Start zu um­fliegen?
Natürlich nicht. Als Alter­native bot sich die Südum­fliegung an, die frei war, sowohl von anderen Flug­zeugen als auch von schlechtem Wetter. Dafür hätte aller­dings der Bord­computer neu program­miert und der neue Kurs einge­geben werden müssen. Könnte das ein Problem gewesen sein?

Wahr­schein­lich war es das. Eine solche Neu­program­mierung kostet eine gewisse Zeit, je nachdem, wie gut die Vor­berei­tungen sind und wie komplex der neue Kurs ist. Natür­lich sollte man davon ausgehen, dass Luft­hansa-Maschinen die Abflug­routen ihrer Home­base parat haben und schnell umschalten können, aber wer weiß? Die Bord­computer der B747 müssen zwar nicht mehr mit Loch­streifen gefüttert werden, sind aber alles andere als benutzer-feund­lich und hatten mit dem von der DFS für die Südum­fliegung hand­gestrick­ten Code schon früher Probleme. Und der Zeit­druck war offen­bar erheblich.

Wie die nächste Grafik zeigt, waren die Maschinen, als sie zum Start rollten, bereits 37 bzw. 51 Minuten verspätet. Jede weitere Verzö­gerung sollte da natür­lich unbe­dingt vermieden werden, so dass man Neben­säch­lich­keiten wie Lärm­schutz ver­nach­lässigen musste. Statt einen neuen Kurs zu program­mieren, kann man ja auch von dem alten "auf Sicht" abweichen, um das Gewitter zu umfliegen - wenn die Flug­sicherung zustimmt. Offen­sicht­lich hat sie das getan.
Warum aber waren die Maschinen verspätet? Vermut­lich deshalb, weil prak­tisch alle Maschinen, die auf FRA starten wollten, verspätet waren. Entgegen aller schönen Verspre­chungen hat Fraport den Betrieb auch in diesem Sommer nicht im Griff.

Grafik: Verspätungen

Alle angegebenen Daten stammen von Flightradar24.com.

Wie die Daten von Flight­radar24 zeigen, waren am 27.08. neun von zehn star­tenden Maschinen ver­spätet, und die durch­schnitt­liche Verspä­tung betrug fast eine Stunde.
Das hat natür­lich nur sehr bedingt mit dem Wetter zu tun. Die Gewitter­front hat ja keines­wegs den gesamten Betrieb lahm­gelegt, und ver­gleich­bare Verspä­tungen gab es auch in den Tagen und Wochen vorher.

Es gab sie z.B. auch am 12.08, als eben­falls zwei Über­flüge übers Dorf gingen, die angeb­lich "wetter­bedingt" gewesen sein sollen. Es handelte sich um zwei völlig über­flüssige Kurz­strecken­flüge (nach Bremen bzw. Amsterdam), und sie waren 61 bzw. 44 Minuten ver­spätet.
Auch sie wollten wohl ursprüng­lich über den Nord­west­ablug starten und haben dann ein Regen­gebiet nörd­lich des Flug­hafens über Raun­heim/Flörs­heim/Wicker bzw. Raun­heim/Rüssels­heim/Hoch­heim "umflogen".

Und das erklärt dann wohl auch die Vor­gehens­weise von Fraport, den Air­lines und der DFS: Sobald eine Maschine start­fertig ist, muss sie raus, egal, ob die geplante Route gerade Probleme macht und was ein Aus­weichen für die Bevölke­rung an Lärm­belastung bedeutet. Noch länger herum­zustehen, um etwa einen alter­nativen Kurs vorzu­bereiten, würde den Gesamt­betrieb weiter stören und die haus­gemach­ten Probleme weiter ver­schärfen.

Die Verspä­tungen sind aber nicht "wetter­bedingt", sie sind die Folge des nach wie vor beste­henden gravie­renden Personal­mangels bei Fraport, ihren Tochter­gesell­schaften, bei Luft­hansa und den meisten anderen Airlines. Und dieser Personal­mangel wiederum ist Folge des katastro­phal kurz­sichtigen und asozialen Handelns der jewei­ligen Geschäfts­führungen in der Corona­pandemie, die aus purer Profit­gier die Beleg­schaften radikal redu­zierten und insbe­sondere die teuren, tarif­gebundenen Arbeits­plätze abbauten, wodurch ein Groß­teil der qualifi­zierten, erfah­renen Arbeits­kräfte verloren ging. Dieser Ader­lass prägt den Betrieb auch heute noch.

Wo genau es überall hängt und klemmt, kann man von aussen natür­lich nicht genau wissen. Klar ist aber, dass die Personal­decke überall zu knapp ist und nicht nur alle Abferti­gungs­prozesse länger dauern als vorge­sehen, sondern auch in anderen Bereichen Probleme auf­treten.
Die 'Europä­ische Agentur für die Sicher­heit im Luft­verkehr', eine EU-Organi­sation, hatte bereits im Juni ein Sicher­heits-Bulletin heraus­gegeben und darin u.a. vor folgenden Risiken gewarnt:

Zu allen Punkten wurden auch Empfeh­lungen gegeben, was zur Vor­berei­tung und Mini­mierung der Risiken getan werden sollte.

Geholfen hat es kaum. Wie schlimm die Situation für die Flug­hafen-Beschäf­tigten nach wie vor ist, wurde kürz­lich von Betriebs­räten und Gewerk­schaftern an die Öffent­lich­keit gebracht. Dass die Situa­tion auch für viele Piloten extrem ist, hat eine Umfrage unter europä­ischen Piloten über Erschöp­fungs­zustände im Flug­betrieb verdeut­licht, die auch hierzu­lande in Presse und Fern­sehen Aufmerk­samkeit erregt hat.
Dass dieser Bericht nur die Spitze des Eisbergs zeigt, lässt sich daraus schliessen, dass die europä­ische Piloten­vereini­gung ECA ihren Mit­gliedern zeit­gleich empfiehlt, solche Ereig­nisse zur Not auch über eine anonyme Seite der EASA zu melden, falls ihnen andern­falls Repres­salien ihrer Airline drohen.

Die Folgen des Miß­manage­ments von Fraport, Luft­hansa & Co. werden also in erster Linie auf dem Rücken der Beleg­schaften ausge­tragen. Aber weil die Kund­schaft sich derzeit nahezu alles gefallen lässt, sprudeln die Profit­quellen kräftiger als je zuvor: "Für das Gesamt­jahr rechnet Vorstands­chef Carsten Spohr mit einem Ergeb­nis, das "voraus­sicht­lich eines der drei besten in der Geschichte der Luft­hansa Group" sein wird".
Da will man natür­lich das Geschäft bis an die Grenzen ausreizen und kann erst recht keine Rück­sicht auf irgend­welche Nörgler nehmen, die sich über unge­wöhn­liche Flug­routen und wegen ein bißchen Krach aufregen.

Aus der Perspek­tive der Betrof­fenen heisst das umge­kehrt: die Luft­verkehrs­wirt­schaft ist ausser Rand und Band und versucht, alle Grenzen, die ihr zum Schutz von Gesund­heit und Umwelt auf­erlegt wurden, zu sprengen. Sie weiss dabei eine Aufsichts­behörde hinter sich, die sich nicht scheut, die Bevölke­rung immer wieder anzu­lügen und hinters Licht zu führen, um ihre Prak­tiken zu decken.
Wer dem Einhalt gebieten will, muss starken poli­tischen Druck auf die Landes­politik ausüben, die ihre Behörden anweisen könnte, diesem Treiben Grenzen zu setzen. Es bleiben noch etwa 6 Wochen Zeit, um die Politiker­*innen, die in Hessen gewählt werden wollen, zu fragen, wie sie dazu stehen.




Grafik: Flugrouten Nordwest HLNUG-Messungen Flörsheim WHO-Richtwerte

Für Details den jeweiligen Bereich der Grafik anklicken.

20.08.2023

HLNUG-Bericht zu UFP-Messungen in Flörsheim: (fast) nichts dazugelernt

Anfang August hat das 'Hessi­sche Landes­amt für Natur­schutz, Umwelt und Geo­logie' (HLNUG) in einer Presse­mit­tei­lung seinen Kurz­bericht zu "Ultra­fein­staub in Flörs­heim am Main" vorge­stellt. Als Ergeb­nis ver­meldet die PM: "Die Konzen­tration an ultra­feinen Parti­keln (UFP) ist in Flörs­heim über­wiegend hoch – eine bedeu­tende Quelle ist der Frank­furter Flug­hafen, es gibt jedoch auch andere Quellen."
Weiter unten wird es etwas kon­kreter: "Insge­samt ergab sich für 2022 ein Jahres­mittel­wert von ca. 11.000 Parti­keln pro Kubik­zenti­meter. Laut Luft­güte­leit­linien der Welt­gesund­heits­organi­sation ist die UFP-Belas­tung in Flörs­heim als über­wiegend hoch einzu­schätzen , da der Tages­mittel­wert der Parti­kel­konzen­tration an mehr als jedem zweiten Tag höher als 10.000 Parti­kel pro Kubik­zenti­meter lag. Ursäch­lich ist hierfür das Zusammen­spiel aus der hohen Hinter­grund­konzen­tration und den zusätz­lichen Beiträgen aus dem Flug­betrieb. "

Diese Ergeb­nisse klingen natür­lich sehr plausi­bel, aber leider trägt der Bericht rein gar­nichts dazu bei, bewerten zu können, welche Quellen in welchem Umfang zu der gemes­senen Belas­tung bei­tragen.
Ehe wir aber darüber weiter lamen­tieren, wollen wir das High­light dieses Berichts positiv hervor­heben. Gegen Ende (S. 6 unten) findet sich eine halbe Seite unter der Über­schrift "Einord­nung der Konzen­trations­werte nach WHO-Krite­rien", die auch die in der Grafik wieder­gegebene Tabelle enthält.

Im Berichts­text heisst es dazu: "Die Welt­gesund­heits­organi­sation (WHO) hat 2021 neue Luft­güte­leit­linien ver­öffent­licht ... . Für ultra­feine Partikel wurden erst­mals zur Einord­nung der Partikel­anzah­lkonzen­tration zwei Orien­tierungs­werte genannt. Die Konzen­tration wird danach als hoch einge­schätzt bei Über­schrei­tung eines Stunden­mittel­werts von 20.000 Partikeln pro Kubik­zenti­meter oder bei Über­schrei­tung eines Tages­mittel­werts von 10.000 Partikeln pro Kubik­zenti­meter."
Bereits auf S. 2 des Berichts wird mit­geteilt: "Im Jahr 2022 wurde dieser Stunden­mittel­wert in Flörs­heim insge­samt 868-mal über­schritten, dies entspricht etwa 10 Prozent aller Stunden­mittel­werte. ... Der Tages­mittel­wert von 10.000 Partikeln pro Kubik­zenti­meter wurde an mehr als jedem zweiten Tag über­schritten."
Damit wird zwar nicht gerade sehr plakativ, aber doch eindeutig gesagt, dass die UFP-Werte in Flörs­heim nach gesund­heit­lichen Krite­rien zu hoch sind. Damit erfüllt der Bericht zumindest die Anfor­derung, die Luft­qualität für die Öffent­lich­keit ange­messen einzu­schätzen.

Damit sind die positiven Aspekte dieses Berichts aber auch schon erschöpft. Warum die Werte so hoch sind, welche Quellen dafür eine Rolle spielen und was dagegen getan werden könnte, erfährt man daraus nicht. Die Aus­wertungs­methoden sind so untaug­lich wie bei bisherigen Berichten, und die Ignoranz gegen­über lokalen Besonder­heiten ist noch krasser als bei der Aus­wertung der Messungen in Mörfelden.
Um aber nicht allzu sehr mit tech­nischen Details zu lang­weilen, haben wir deren Diskus­sion, zusammen mit einigen Zusatz-Infos, wieder auf eine eigene Seite ausge­lagert. Dort steht dann auch, was an zusätz­lichen Messungen und Auswer­tungen not­wendig wäre, um den Ursachen der Belastung in Flörsheim auf die Spur zu kommen. Ausser­gewöhn­liches ist nicht dabei, und man sollte die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass im laufenden UFP-Projekt des UNH das oder Besseres umge­setzt wird.
Dann hätte man auch eine sichere Basis für die Aussage, die das HLNUG nur postu­liert, aber nicht belegt: "Der Frank­furter Flug­hafen stellt in Bezug auf die Konzen­tration ultra­feiner Partikel für die Umge­bung eine erheb­liche Quelle dar." Vor allem wüsste man aber dann auch genauer, wo anzu­setzen wäre, um die Belas­tungen auf ein erträg­liches Maß zu senken. Poli­tische Unter­stützung für die Forde­rung, die anste­henden Fragen endlich umfas­send zu klären, kann daher sicher nicht schaden. Wenn schon sonst nichts, ist der Bericht dafür ein geeig­neter Anlass.




Grafik: Flugerwartungsgebiete Überflug 18.07.2023 Überflüge 29.07.2023

"Flugerwartungsgebiet" ist rund um FRA offensichtlich überall da, wo gerade geflogen werden kann, ohne dass es zu Kollisionen kommt. (Für Details jeweilige Grafik anklicken.)

12.08.2023    (Update 29.08.2023)

Flugerwartungsgebiet Raunheim

Wenn man sich bei Fraport über ein Flug­lärm­ereig­nis beschwert, muss man davon aus­gehen, dass man, wenn über­haupt, nichts als Stan­dard­flos­keln zurück bekommt.
Manchmal taucht darin ein Zombie auf, ein längst verges­sen geglaub­tes, untotes Etwas, das eigent­lich gar­nicht exis­tiert, aber den­noch hin und wieder ange­rufen wird und dann sogar juris­tische Wir­kungen hervorrufen kann - etwas, was selbst in der an unge­wöhn­lichen Regeln reichen Luft­fahrt schon ausser­gewöhn­lich ist. Die Rede ist vom "Flug­erwar­tungs­gebiet".

Der Reihe nach. Eine Beschwerde über einen Über­flug über Raun­heimer Stadt­gebiet am 18.07. kurz vor 21:00 Uhr wurde vom freund­lichen "Team Nach­bar­schafts­dialog" der Fraport am 02.08. mit folgen­dem Text beant­wortet:

"Das von Ihnen bean­stan­dete Flug­ereig­nis vom 18.07.2023, 20:57 Uhr, wurde von uns zur wei­teren Prüfung an die Flug­lärm­schutz­beauf­tragte des Hessi­schen Mini­steriums für Wirt­schaft, Energie, Verkehr und Wohnen (HMWEVW) weiter­geleitet.
Nach Einsicht­nahme in die Flug­spuren der Deut­schen Flug­siche­rung GmbH (DFS) ergab diese Über­prüfung, dass die Flug­bewe­gung von dem standard­mäßig vorge­sehenen Flug­verfah­ren abwich. Aller­dings lag die Abwei­chung noch inner­halb des nach den Regeln der Inter­natio­nalen Zivil­luft­fahrt­organi­sation (ICAO) fest­geleg­ten Flug­erwar­tungs­gebiets. Über­dies liegen keine Hin­weise vor, dass der Pilot mög­licher­weise verbind­liche Vor­gaben miss­achtet hat.
Eine Weiter­leitung der von Ihnen bean­standeten Flug­bewegung an das für Ord­nungs­widrig­keiten bei An- und Ab­flügen zustän­dige Bundes­aufsichts­amt für Flug­siche­rung (BAF) erfolgte daher nicht. ..."

Die Rückfrage, nach welchen ICAO-Regeln dieses Gebiet denn fest­gelegt wurde und wie es aus­sieht, blieb (bisher?) unbe­antwor­tet.
Der Versuch, diese Frage selbst zu beant­worten, erwies sich als aussichts­los, förderte aber Interes­santes zutage.

Als Erstes kann man ziem­lich sicher davon aus­gehen, dass der Begriff des "Flug­erwar­tungs­gebiets" im deutschen Luft­fahrt-Regel­werk nicht exis­tiert. Auch entspre­chende Suchen in EU-Regel­werken, die in deut­scher Über­setzung vor­liegen, blieben erfolg­los.
Das ist bemerkens­wert, denn die Antwort oben deutet ja darauf hin, dass dem Piloten ein Buß­geld hätte drohen können, wenn er diesen nicht exis­tenten Bereich verlas­sen hätte. Per Inter­net-Such­maschine haben wir einen Hinweis gefunden, dass sowas tatsäch­lich mal passiert ist.

In einer Zeit­schrift für einen elitären Männer­klüngel haupt­sächlich aus Berufs­piloten wird 2005 ein Fall disku­tiert, in dem das Luft­fahrt­bundes­amt auf Veran­lassung der DFS ein Bußgeld gegen einen Piloten wegen Ver­lassens des "Flug­erwar­tungs­gebiets KIRDI 2-SIGMA" in München fest­gesetzt hat. Die Empörung war groß, und bereits damals wurde ener­gisch darauf hinge­wiesen, dass solche Gebiete nirgendwo defi­niert und für Piloten nicht erkenn­bar seien.
Aller­dings fand man damals auf den Seiten der Fraport eine Beschrei­bung, wonach die Soll­kurse der Abflug­routen "von Toleranz­gebieten bzw. Korri­doren unter­schied­licher Breite" umgeben sind. "Die Korridor­breite richtet sich nach einer Viel­zahl von Krite­rien ... . Aus diesen ... wird die ... gültige Korridor­breite jeder Abflug­route fest­gelegt". Konkret erfährt man da aber auch nur: "Die Frank­furter Abflug­routen sind ... mit Flug­erwar­tungs­gebieten umgeben, die Soll­kurs­abwei­chungen von mindes­tens einer See­meile (1852 m) links bzw. rechts der Route zulassen. Entlang bestimmter Routen sind die Breiten grösser." Wo genau wie damals geflogen werden durfte, konnte man daraus aber auch nicht erkennen.

In der gleichen Zeit­schrift wurde Monate später die darauf ein­setzende Diskus­sion zusammen­gefasst, und neben zwei Links zu Infor­mations­seiten der Deut­schen Flug­siche­rung auch ein Schreiben des Luft­fahrt-Bundes­amtes LBA ver­öffent­licht, das die Rechts­auffas­sung des Amtes so beschreibt:
"Im Übrigen verstößt ein Luft­fahrzeug­führer grund­sätz­lich bereits bei jedem Verlas­sen der allein recht­lich maß­geb­lichen so genannten Ideal­linie gegen die als Rechts­verord­nung erlas­sene Flug­route. Die allein ver­waltungs­intern zur Anwen­dung kommende Grenze des ... zu jedem Flug­verfahren errech­neten Flug­erwar­tungs­gebietes bestimmt dabei jenen Bereich, in dem das Verlassen der Ideal­spur ... gerecht­fertigt sein kann, weil es auch bei Anlegen der im Verkehr erforder­lichen Sorgfalt unver­meidbar sein könnte. ... Das ausge­wiesene Flug­erwar­tungs­gebiet wirkt somit als Puffer zu Gunsten des Täters, der bereits bei Verlassen der Ideal­spur tatbestand­lich handelt."
Wo dieses "Flug­erwartungs­gebiet" ausge­wiesen worden wäre, konnte aller­dings auch das LBA nicht erklären.

Die oben erwähn­ten Links zu Erläute­rungen der Fraport oder der DFS sind alle seit vielen Jahren tot, auch in öffent­lich zugäng­lichen Inter­net-Archiven konnten wir die Doku­mente nicht finden. Statt­dessen gibt es heute auf den Seiten der Fraport, der DFS und des BAF nur ganz allge­meine Aus­sagen über "Abwei­chungen von Abflug­strecken", in denen von "Strecken­korri­doren" oder "Tole­ranz­gebieten" die Rede ist, die aller­dings auch nirgendwo genauer beschrieben werden. Die DFS gibt ledig­lich an, es seien "Abwei­chungen von der Abflug­route um mehrere hundert Meter möglich".
Das bedeutet also, dass sowohl die hiesige Flug­lärm­schutz­beauf­tragte als auch das LBA zur Beur­teilung des ordnungs­gemäßen Verhal­tens von Flug­zeug­führern Kon­strukte benutzen, auf deren Existenz und Aus­dehnung jeg­licher Hinweis getilgt worden ist.

Wir konnten nur eine einzige grafische Darstel­lung eines solchen Flug­erwartungs­gebietes finden. In einer Präsen­tation im Rahmen des Konsul­tations­verfahrens zur Flug­route AMTIX-kurz des FFR im Jahr 2018 gibt es eine Folie, auf der die Flug­route vom Ende der Start­bahn West über Darm­stadt nach Süd­osten von einem rosa Band umgeben ist, das sich bis auf rund 20 Kilo­meter Breite aus­weitet. Um einen solchen Bereich zu ver­lassen, kann ein Pilot, der diese Route fliegen sollte, nur entweder völlig desorien­tiert sein oder sich plötz­lich ent­schieden haben, woanders hin zu wollen.
Nur der Voll­ständig­keit halber sei erwähnt, dass es auch im Forschungs-Infor­mations-System Mobi­lität und Ver­kehr des Bundes­ministe­riums für Digi­tales und Verkehr einen Eintrag Flug­erwartungs­gebiet gibt, aber der stammt aus dem Jahr 2004 und ist damit ebenso über­holt wie die poli­tischen Ansichten des zustän­digen Ministers.

Bleiben noch die ständigen Hinweise auf ICAO-Regeln, nach denen diese Gebiete angeb­lich mal konstru­iert wurden. Da nähere Angaben fehlen, kann man nur nach Regeln und Begriffen suchen, die inhalt­lich etwas mit der Frage­stellung zu tun haben könnten, wann, warum und wie weit Piloten von vorge­gebenen Flug­routen abweichen können.
Da wird man fündig in ICAO Dokument 8161 in dem eine "Cross-track tolerance " und eine "Along-track tolerance " definiert werden, seit­liche Abstände von der Ideal­linie, in die die Unsicher­heiten der tech­nischen Navi­gations-Aus­stat­tung an Flug­hafen und Flug­zeug und die Manö­vrier­fähig­keit des Flug­geräts eingehen. Diese Grössen werden verwendet, um Vorgaben für die Konstruk­tion von Flug­routen unter unter­schied­lichsten lokalen Beding­ungen und für alle Flug­phasen zu ent­wickeln und dabei insbe­sondere aus­reichende Abstände und Hindernis­freiheit zu gewähr­leisten. Was davon jeweils wofür zu verwenden ist, müssten tech­nischen Expert:innen genauer auf­schlüsseln.
Als Laie bekommt man zumin­dest den Eindruck, dass mit halb­wegs moderner Navi­gation Korri­dore mit maxi­malen Breiten zwischen 0,5 und 2 nautischen Meilen (900 - 3.600 Meter) möglich sein sollten.

Bei der Einfüh­rung solcher modernen Ver­fahren wollte Frankfurt mal Vor­reiter sein, aktuell sieht es aller­dings so aus, als würde die Dead­line 25 Januar 2024 nur gerade so einge­halten.
Aber auch, wenn alle diese Ver­fahren veröffent­licht sind: die Methoden ihrer Fest­legung und die Berech­nung der verwen­deten Korri­dore werden nicht mit ver­öffent­licht. Die dafür von ICAO ange­gebenen Gleichungen sind zwar keine höhere Mathe­matik, trotz­dem lassen sich diese Berech­nungen nicht ohne weiteres nach­voll­ziehen, so dass die Korri­dore nach wie vor nicht bekannt werden. Damit wissen weder die Piloten genau, wo sie noch bußgeld­frei fliegen dürfen, noch weiss die lärm­geplagte Bevölke­rung, wann eine Beschwerde Erfolg haben könnte.

Man kann aber auch nicht darauf hoffen, dass die zustän­digen Behör­den von selbst prüfen würden, dass ihre Vorgaben einge­halten werden. Zu den Prüfungen erläutert das FFR:
"Wenn Flug­bewegungen aufge­fallen sind, z.B. infolge von Beschwer­den, auf­grund außer­gewöhn­licher Werte an den Mess­stellen der Fraport oder aus sons­tiger Über­prüfung, dann wird jeder einzelne Flug über­prüft."
Wenn sich aber niemand beschwert, das Flug­zeug nicht extrem niedrig über eine der wenigen offi­ziellen Meß­stellen donnert und nicht zufällig sonst jemand hinguckt, passiert nichts.

Es wäre daher aller­höchste Zeit, auch diese Ver­fahren auf einen modernen Stand zu bringen. Der 25.01.2024 wäre ein gutes Datum, um die nach altem DFS-Geheim­rezept selbst­gebackenen "Flug­erwartungs­gebiete" end­gültig zu beer­digen und die neuen Standards für die noch tole­rablen Flug­routen-Abwei­chungen zu veröffent­lichen. Zwar ist zu befürchten, dass auch dann noch Wohn­gebiete in Raun­heim und einigen anderen Kommunen unter diesen Korri­doren liegen werden, aber das "Flug­erwartungs­gebiet Raun­heim", das auch bei Abflügen als Ganzes beliebig über­flogen werden darf, sollte der Ver­gangen­heit ange­hören.

Die Einhaltung dieser Korri­dore müsste aller­dings auch konse­quent kontrol­liert werden. Im Inte­ressen von Lärm­schutz und Sicher­heit darf das Motto "Wenn keiner motzt, ist alles in Ordnung" eben­falls nicht mehr länger gelten. Eine regel­mäßige Über­wachung durch eine unab­hängige Stelle und ein eben­falls dort ange­siedeltes Beschwerde-Manage­ment, das Meldungen aus der Bevölke­rung ernst­haft unter­sucht und quali­fiziert beant­wortet, sind schon lange über­fällig.
Wenn man der DFS dann noch bei­bringen könnte, Lärm­schutz ernst zu nehmen und keine Frei­gaben über Wohn­gebiete zu erteilen, nur weil das für Airlines gerade bequemer ist, dann könnten uns künftig viel­leicht wirklich einige Belästi­gungen erspart bleiben.

P.S:: Beim Fertig­stellen dieses Beitrags nervten schon wieder zwei startende Über­flüge über das Stadt­gebiet kurz hinter­einander. Weil es gerade passt und deut­lich macht, dass das keine Ausnahme­fälle sind, haben wir sie mit dokumen­tiert.

Update 29.08.2023:

Für die Überflüge am 12.08. teilt der 'Fraport Nachbarschaftsdialog' mit: "Die durch die Fluglärmschutzbeauftragte erfolgte Überprüfung ... ergab, dass die Flugbewegung von dem standardmäßig vorgesehenen Flugverfahren abwich. Weitere Überprüfungen ... ergaben, dass die Abweichung wetterbedingt erfolgte."
Welche dramatischen Wetterereignisse dafür verantwortlich gewesen sein sollen, wird nicht mitgeteilt. Unsere "weitere Überprüfung" ergibt, dass es inzwischen wohl wichtiger ist, dass Flugzeuge beim Start nicht nass werden, als dass die Bevölkerung vor unnötigem Fluglärm geschützt wird.
Die vollen Antworten und unser etwas ausführlicherer Kommentar dazu finden sich auf der Detail-Seite.




Grafik: Flugrouten Nordwest

23.07.2023

Im Nordwesten nichts Neues?

In der jüngsten Sitzung der Flug­lärm­kommis­sion am 19.07. konnte die Deut­sche Flug­siche­rung stolz präsen­tieren, dass auch die Nord­west-Abflug­strecken bei der Um­stel­lung auf das neue Navi­gations­verfahren Perfor­mance-Based Navi­gation PBN (mit zwei kleinen Aus­nahmen) "unver­ändert bleiben" können.
In knapp einem Jahr, bis zum 11.07.2024, sollen die Routen umge­stellt sein.

Die Flug­lärm­schutz­beauf­tragte hat die Lärm­wirkungen dieser Umstel­lung model­lieren lassen und kann erfreut fest­stellen: " Maßnahme ist neutral zu bewerten aus Lärm­schutz­sicht".
Wegen beste­hender Unsicher­heiten in den Model­lierungs-An­nahmen wird sie ein "Moni­toring durch­führen, ob An­nahmen zu Verlauf, Streu­ung ... sich bestä­tigen sowie, ob Auf­fällig­keiten bei Höhe etc. festzu­stellen sind".

Die beiden kleinen Aus­nahmen ver­dienen aller­dings durch­aus etwas Auf­merk­sam­keit, und ein grund­sätz­liches Problem spielt in der Diskus­sion bisher auch eine zu geringe Rolle.

Zur ersten Ausnahme schreibt die DFS in ihrer Präsen­tation: "Zur Vermei­dung der Streu­ung über Wies­baden wird der Verlauf der Kurve leicht ange­passt". Das klingt völlig harm­los, und der Ver­gleich der alten und neuen Route zeigt auch nur eine mini­male Abwei­chung zwischen Hoch­heim, Wicker und Delken­heim, aber der Kern der Aussage ist auch nicht diese Abwei­chung, sondern die "Vermei­dung der Streu­ung über Wies­baden".
Bisher war fest­gelegt, dass von der Route entlang des Mains erst nach Norden abge­dreht werden darf, wenn ein fester Punkt er­reicht ist, aber auch eine Mindest­höhe von 3500 ft (ca. 1.000 m über Grund). Das führte dazu, dass die Abflüge sich über einen sehr breiten Bereich über Wies­baden ver­teilten, weil die Steig­eigen­schaften je nach Flug­zeug­typ und Start­gewicht sehr unter­schied­lich sind und die vorge­gebene Höhe zu sehr verschie­denen Zeit­punkten er­reicht wurde.

Diese "breite Streu­ung" soll nun vermie­den werden, indem ein fester Abdreh­punkt unab­hängig von der erreich­ten Höhe fest­gelegt wird. Das hat abseh­bar zwei Effekte für die Betrof­fenen unter der Ideal­route: sie werden häufiger über­flogen, weil die seit­lichen Verschie­bungen weg­fallen, und sie werden nied­riger über­flogen, weil keine Höhen­vorgabe mehr exis­tiert und viele bisher später nach Norden abge­dreht sind, weil sie die Mindest­höhe eben noch nicht erreicht hatten. In den Lärm­berech­nungen wird der erste Effekt erfasst, aber durch die Ent­lastung der künftig nicht mehr Über­flogenen kompen­siert, der zweite aller­dings nicht bzw. nur sehr unvoll­ständig.
Natür­lich müssen aus Sicher­heits­gründen trotz­dem noch die Mindest­flug­höhen nach der ein­schlä­gigen EU-Verord­nung einge­halten werden, aber die liegen deut­lich nied­riger (600 m bzw. 2.000 ft über Grund, mit Aus­nahmen).

Der lokale Vertreter der 'Bundes­vereini­gung gegen Flug­lärm' hat versucht, mit Hilfe eines Ände­rungs­antrags zur Beschluss­vorlage des FLK-Vor­stands u.a. die Mindest­höhe von 3.500 ft wieder einzu­führen, das wurde aller­dings von der Mehr­heit der FLK abge­lehnt. Das 'Bündnis der Bürger­initia­tiven' kriti­siert das in einer Presse­mittei­lung als "Förde­rung von vermeid­barem Lärm durch Absen­kung von Flug­höhen".
Für die Ableh­nung der Einfüh­rung einer Mindest­flug­höhe durch die FLK-Mehr­heit haben vermut­lich unter­schied­liche Motive eine Rolle gespielt. Für viele (insbe­sondere im Vorstand) sind die Ergeb­nisse der Lärm-Model­lierung mit Dauer­schall­pegeln < 48 dB(A) und durch­schnitt­lich weniger als ein Über­flug pro Stunde sowie der Aussicht, dass ihr Lieb­lings-Bewer­tungs­maß­stab, der Frank­furter Flug­lärm-Index, sogar abnimmt, kein Grund, zusätz­liche Maß­nahmen einzu­führen.
Andere sehen wohl eher die Aus­wir­kungen auf die Abläufe auf FRA insge­samt. Wenn "Luft­fahr­zeuge, die diese Vorgabe nicht ein­halten können, andere Ver­fahren nutzen müssen", wird die Flexi­bili­tät der Vertei­lung der Abflüge auf die Bahnen und damit letzt­endl­ich die Kapa­zität möglicher­weise einge­schränkt. Und das geht für einige sicher­lich gar nicht.

Die zweite Ausnahme betrifft das Fehl­anflug­verfahren der Lande­bahn Nord­west (25R), d.h. die Route, die Flug­zeuge nehmen sollen, wenn sie aus irgend­welchen Gründen im Lande­anflug aus Osten durch­starten müssen. Dies wurde neu konzi­piert mit den Ziel­vor­gaben, einen "Steig­gradient ... geringer ... als 5% (der­zeiti­ges Fehl­anflug­ver­fahren)" zu erreichen, damit "die Verläufe des Fehl­anflug­ver­fahren und der NW SID ... best­mög­lich von­einan­der ent­zerrt werden". (SID: Standard Instrument Departure, standardisierte Abflugroute. NW SID meint die Summe aller nordwestlichen Standardrouten.)
In der FLK-Sitzung am 24.05.2023 hatte die DFS als "Vorab­informa­tion" noch einen etwas anderen Verlauf des neuen Fehl­anflug­verfahrens vorge­stellt und begründet: "Dadurch stellt die DFS eine bessere Nutz­bar­keit (& Plan­bar­keit) des Anflug­verfahrens sicher". Ziel sei, "die Komplex­ität und das Kon­flikt­poten­zial aus betrieb­licher Sicht zu mini­mieren". Einge­führt werden sollte dieses dann schon PBN-konforme Ver­fahren zum 13.07.2023. Statt­dessen wurde zu diesem Termin dann wohl das jetzt vorge­stellte, sicher­lich auch PBN-konf­orme Ver­fahren eingeführt.
Diese Änderung erfolgte laut DFS, "um einen früheren Dreh­punkt und somit eine Entzer­rung von den F-/G-SID zu reali­sieren - dadurch ein etwas höherer Steig­gradient des Fehl­anflug­verfahrens (4,5% im Ver­gleich zu 4,3%)".

In der Konse­quenz führen die Fehl­anflüge künftig also nied­riger und weiter östlich nach Norden (Edders­heim und Weil­bach dürfen sich freuen, da sie dabei direkt über­flogen werden). In die Lärm­betrach­tungen geht das natür­lich nicht ein - Fehl­anflüge sollen ja selten sein.
Das Ziel der "Entzer­rung" wird damit aller­dings nur sehr begrenzt erreicht. Ob in der ersten Abflug-Phase auf den N-SIDs durch PBN wirk­lich eine so viel bessere 'Spur­treue' erreicht wird, dass die Routen nicht mehr wie heute über­lappen, ist zweifel­haft. Auch führt der geringere Steig­gradient nicht dazu, dass schon in dieser Phase eine sichere Höhen­staffe­lung erreicht werden könnte.
Um einen "inhärent sicheren" Betrieb zu erreichen und Zwischen­fälle zu vermeiden, wie sie schon häufig auf der Süd­bahn, aber auch schon öfter auf der Nordwest­bahn vorge­kommen sind, müsste also eine zeit­­liche Staffe­lung, d.h. ein abhäng­iger Betrieb zwischen den benach­barten Bahnen, einge­führt werden. Die DFS hat das vor ein paar Jahren schon mal einge­sehen, glaubt aber inzwi­schen wieder, darauf verzich­ten zu können.

Warum aber wird dann fast zwölf Jahre nach Inbetrieb­nahme der Nordwest­bahn ein neues Fehl­anflug­verfahren einge­führt? PBN ist, wie die DFS selbst schreibt, nicht der einzige, nicht einmal der wich­tigste Grund. "Inhärent sicher" wird das Ganze dadurch auch nicht, d.h. auftre­tende Kon­flikte müssen weiter­hin von den zustän­digen Lotsen gelöst werden. Für die soll aber wenig­stens "die Komplex­ität und das Konflikt­poten­zial" minimiert und "eine bessere Nutz­barkeit (& Plan­barkeit)" erreicht werden. Dass das jetzt als not­wendig betrach­tet wird, verweist auf das grund­sätz­liche Problem, das bislang unter­belichtet bleibt.

Im FLK-Beschluss zur PBN-Umstel­lung der Nordwest­abflüge wird am Ende darauf hinge­wiesen, "dass die Problem­lage der erhöhten Nutzungs­anteile der Nord­west-Abflug­strecken unver­ändert fort­besteht. Nach dem Betriebs­konzept, das dem Plan­fest­stellungs­beschluss zu Grunde lag, sollten nur noch 1,5% der Flug­zeuge die Nordwest-Abflug­strecken nutzen, um Doppel­belas­tungen im hoch­betrof­fenen Nah­bereich (Anflüge bei Betriebs­richtung 07) so weit wie möglich zu vermeiden. Die tatsäch­lichen Nutzungs­anteile liegen aufgrund des stetig anstei­genden Anteils an zwei­strahligen Heavies, die nach der aktuellen Rechts­verord­nung die Nordwest-Abflug­strecken nutzen dürfen, deutlich darüber".
Aus den Zahlen der Lärm­berechnung geht ausser­dem hervor, dass auch andere Flug­zeug­typen, darunter insbe­sondere vier­strahlige Heavies, diese Routen zuneh­mend nutzen. Grund dafür ist offen­bar, dass die Probleme der Südum­fliegung nach wie vor nicht gelöst sind und auch durch die PBN-Umstel­lungen nicht beseitigt werden.
Sollen die Flug­bewegungs­zahlen, wie von Fraport gewünscht, weiter steigen, kann die Nutzung der Nord­west­abflüge also nicht, wie ursprüng­lich ver­sprochen, auf Aus­nahme­situa­tionen begrenzt werden, sondern muss wieder ansteigen. Frühere Lärm-Abwä­gungen werden dadurch Maku­latur, die Belas­tungen werden absehbar stärker ansteigen, als die vorlie­genden Berech­nungen aussagen. Die Forderung der FLK, "dass eine syste­matische Mehr­belegung der Nord­west-Abflug­strecken so weit wie möglich vermie­den wird", wird wohl mit der Aussage beant­wortet werden: "leider nicht weiter möglich".

Zusammen­fassend kann man also fest­stellen, dass auch diese Umstel­lung dazu genutzt wird, aus einem völlig verkork­sten, heute schon über­lasteten Bahnen­system noch mehr Kapa­zität heraus­zuquetschen, und das wiederum auf Kosten der Sicher­heit.
Die Flug­lärm­kommis­sion sollte aufhören, hilflose Bitten um Detail-Verbes­serungen oder Nicht-Ver­schlechte­rungen zu formu­lieren. Statt­dessen müsste sie die grund­legenden Probleme dieses Flug­hafens angehen und dazu mit den kommu­nalen Gremien Forde­rungen erar­beiten, die die wesent­lichen Bedürf­nisse der betrof­fenen Bevölke­rung in den Mittel­punkt rücken - weniger Lärm und mehr Sicher­heit. Ohne dem Flug­hafen Grenzen zu setzen, wird das nicht funktio­nieren.
Nur damit kann aber letzt­endlich dauer­haft verhin­dert werden, dass die ulti­mative kapa­zitäts-stei­gernde Flug­route doch noch einge­führt wird - der Direkt­abflug nach Westen bei Betriebs­richtung 25. Damit würden dann Raun­heim und andere Teile des west­lichen Rhein-Main-Gebietes end­gültig unbe­wohnbar.




Grafik: Flugbewegungen FRA

"Sicherheitsabstände erhöht" ? Hier werden nicht einmal die elementaren Anforderungen für den abhängigen Betrieb zwischen Centerbahn und Südbahn eingehalten ! Und das ist (nicht nur an diesem Abend) keine Ausnahme.

20.07.2023

Kein Zwischenfall auf FRA, aber neue Lügen

Am Sonntag, den 16.07., meldet das Verkehrs­minis­terium "24 ver­spä­tete Starts in der Nacht zum Sonn­tag" und begrün­det für die Öffent­lich­keit:
"Wegen Unwet­tern am Samstag ... kam es ... zu Ver­zöge­rungen im Flug­betrieb. So musste am Nach­mittag die Abfer­tigung wegen Gewit­tern am Platz ein­gestellt werden. Bis in den Abend hinein mussten so genannte Air-Traffic-Control-Maß­nahmen (ATC) ergriffen werden, die die geord­nete Ver­kehrs­abwick­lung ... sicher­stellen. Dabei werden die Sicher­heits­abstände zwischen den Flug­zeugen sowohl bei den An­flügen als auch bei den Ab­flügen erhöht."
Das wurde dann genauso z.B. auch von der Hessen­schau weiter­gemel­det.

Die ersten beiden Sätze sind richtig, die beiden anderen dienen wieder einmal dazu, den wahren Sach­verhalt zu ver­schleiern. Zwar lassen sich nicht alle Abläufe von aussen exakt erkennen und in ihrer Ursache bestim­men, aber es gibt aus­reichend Indizien, um sich ein Bild zu machen.
In diesem Bild tauchen ATC-Maß­nahmen, die zu "erhöhten Sicher­heits­abständen" bei Starts und Lan­dungen führen, nicht auf, ebenso­wenig wie in der 'offi­ziel­leren' Begrün­dung der Aufsichts­behörde in den monat­lichen Ver­spätungs­tabellen.
Über die wahren Gründe für die verspä­teten Starts muss man also speku­lieren.

Die Wetter­lage an diesem Tag lässt sich gut dokumen­tieren. Laut METAR tobten über eine Stunde lang (16:20 - 17:20+ Uhr) Gewitter über dem Flug­hafen­gelände. Bis etwa 18:00 Uhr wehte heftiger Wind (bis 10 Knoten, Böen bis 20 Knoten) aus südwest­lichen bis süd­lichen Rich­tungen.
Offenbar als Konse­quenz fanden von 16:27 - 17:39 Uhr keine Starts statt, die Start­bahn West wurde erst um kurz vor 18:00 Uhr wieder in Betrieb genommen. Danach erfolg­ten über eine Stunde lang Starts in relativ dichter Folge. Lan­dungen erschei­nen mehr oder weniger unbe­ein­flusst; in der Zeit, in der nicht gestartet wurde, fanden 40 Lan­dungen statt.
In der Zeit nach 19:00 Uhr wechselten einige Phasen dich­teren Betriebs mit längeren, sehr ruhigen Phasen ab - so ruhig, dass die Lande­bahn Nord­west über längere Zeit gar­nicht genutzt wurde. Hätte es einen Engpass bei den Start­kapazi­täten gege­ben, hätte man durch deren Nutzung Kapazi­täten auf dem Paral­lel­bahn­system frei­machen können. Das war aber in keiner Weise nötig.
Von "erhöhten Sicher­heits­abständen durch ATC-Maß­nahmen" ist im Ablauf nichts zu sehen. In den dichteren Phasen waren die Staf­felungs­abstände eng wie immer, und in den ruhigen Phasen zufällig und nicht durch Sicher­heits­vorgaben bestimmt.

Warum kam es also zu den verspä­teten Starts? Ein drama­tisches Ereig­nis wie vor vier Wochen war es wohl nicht. Es mag Eng­pässe gegeben haben, aber sie lagen nicht in mangelden Start­kapazi­täten auf den Bahnen. Es wäre den ganzen Abend über mehr als genug Zeit gewesen, all die Maschinen in die Luft zu bringen, die am Nach­mittag wegen Gewitter nicht starten konnten.
Natür­lich müssen startende Maschinen am Ziel auch landen können. Eine Stich­proben-Über­prüfung der Ziel­flug­häfen zeigt aber, dass Eng­pässe dort nicht gene­rell der Grund gewesen sein können. Zudem waren unter den Starts auch wieder sechs Kurz­strecken-Ziele (Basel, Wien, Leipzig, Dresden, München, Paris; alle Lufthansa), für die es ohnehin keine Recht­ferti­gung geben kann.
Wenn die Eng­pässe aber auf Personal­mangel und/oder organi­sato­rischem Unver­mögen von Fraport und Airlines beruhen, recht­fertigen sie keine Aus­nahme­genehmi­gungen, die die betrof­fene Bevölke­rung gerade in Sommer­nächten erheb­lich belasten.

Dass die Aufsichts­behörde den Dilettan­tismus der Flug­hafen-Betreiber durch falsche Aussagen verschleiern und zulasten der Gesund­heit der Bevölke­rung ausbügeln hilft, wird langsam schon zur Gewohn­heit, bleibt aber nichts­desto­weniger ein Skandal.
Um dieses Verhalten zu ändern, reicht es nicht, wenn die Flug­lärm­kommis­sion einen dürf­tigen Beschluss fasst, der die Behörde nur schüchtern an die Rechts­lage erinnert und nicht einmal Aufklä­rung zu den ange­sproch­enen frag­würdigen Genehmi­gungen verlangt. Um echten Druck zu ent­wickeln, müsste die FLK von der Behörde unab­hängige Ressour­cen ein­setzen, um die Geneh­migungs­praxis zu über­prüfen und an den Lärm­schutz-Not­wendig­keiten zu orien­tieren. Dafür wiederum müssten die Bürge­r:innen ihren Vertreter­:innen dort und in anderen Gremien entspre­chenden Druck machen.

Vorwahl­zeiten sind dafür in der Regel die beste Gelegen­heit - und die Landtags­wahlen in Hessen sind nicht mehr weit (am 8. Oktober). Und die Behörde, die hier regel­mäßig die Inter­essen der Bevölke­rung miß­achtet und der Fraport zudien­sten ist, ist eine Landes­behörde. Wer in den Land­tag gewählt werden will, sollte eine Idee haben, wie sich deren Ver­halten ändern lässt.




Grafik: Luxus

Alle Überschriften sind unverändert und aus Medien, die gemeinhin als seriös gelten.

12.07.2023 (Update 13.07.2023)

Schluss mit dem 'Klima-Gedöns'?

Klima­schutz war gestern - heute ist Luxus angesagt. Wenn die Erde sowieso vor die Hunde geht, muss man die Zeit bis dahin so gut wie mög­lich nutzen. Geben wir das Geld aus, solange man noch etwas Schönes dafür kaufen kann.

Solche oder ähn­liche End­zeit-Stim­mungen scheinen immer mehr Menschen zu befal­len. Die Marke­ting-Abtei­lungen der grossen Kon­zerne rea­gieren prompt, ver­suchen garnicht mehr, ihre Produkte als irgend­wie klima-verträg­lich zu ver­markten, sondern stellen den - vorgeb­lich unbe­schwerten - Genuss in den Vorder­grund.

Die Luft­fahrt-Indus­trie greift diesen Trend begie­rig auf. Ihr ist sehr wohl bewusst, dass ihre Klima­schutz-Ver­sprechen schon immer un­glaub­würdig waren, und sie ver­zich­ten gerne darauf, diesen Unsinn weiter­hin ver­treten zu müssen.
So kann auch Luft­hansa unge­niert einen neuen Premium­kurs ankün­digen, bei dem mit der gleichen Menge Kerosin deut­lich weniger Passa­giere beför­dert werden, und auch den Kurz­strecken-Flug­verkehr wieder aus­bauen, der völlig über­flüssig und deut­lich klima­schäd­licher ist als jede kon­kurrie­rende Art der Fort­bewe­gung. Irgend eine Art von Recht­ferti­gung dafür halten sie nicht mehr für nötig.

Aller­dings setzt sich auch dieser Trend nicht bruch­los durch. Zum einen steht ihnen auch hier die zuneh­mende Un­fähig­keit im Weg, die eigene Produk­tion inklu­sive der Liefer­ketten zuver­lässig zu organi­sieren. Zumin­dest mit der neuen First Class dauert es etwas länger, weil die Stühle nicht pünkt­lich gelie­fert werden.
Zum anderen ver­bindet z.B. das Handels­blatt sein Bedauern über die Verzö­gerung mit der Warnung: "Sicher ist ein anhal­tender Trend zum Premium keines­wegs". Seine Prog­nose für die Entwick­lung des Luft­verkehrs in Europa zeigt viele Risiken auf, von mög­licher "Zurück­haltung bei den Geschäfts­reisen" über wachsende Konkur­renz im Inter­konti­nental­verkehr bis zu stei­gende Klima­kosten.
Bei der notwen­digen Konse­quenz herrscht aber wieder Einig­keit. Was Luft­hansa schon lange fordert und die Politik noch länger for­ciert, soll endlich in noch dras­tische­rem Ausmaß erreicht werden: "eine Kon­soli­dierung", nach der es "auch in Europa auf Dauer nur noch drei große Netz­werk-Airlines und einen großen Billig­anbieter geben" soll. Gute Perspek­tiven für die Luft­hansa-Gruppe, Air­France-KLM, IAG und Ryanair.

Grafik: Eurocontrol-Titel

Aber dummer­weise ver­schwindet die Klima­kata­strophe nicht, nur weil viele nichts mehr von ihr hören wollen. Und gerade die Luft­fahrt bekommt das immer deut­licher zu spüren. So ist in weiten Teilen der USA am Vor­abend ihres Unab­hängig­keits­tages der Luft­verkehr zusammen­gebrochen, weil "weite Teile des Ostens von Stürmen bedroht wurden, während der Süden und Westen weiter­hin in einer Hitze­welle aus­dörrten" (eigene Über­setzung). Wegen der Rauch­entwick­lung durch die seit Wochen anhal­tenden, ausge­dehnten Wald­brände in Kanada gibt es zahl­reiche Flug­verspä­tungen in ganz Nord­amerika, und auch aus China werden wetter­bedingte Einschrän­kungen gemeldet.
Über dem Atlantik und Nord­amerika führt die klima­bedingte Zunahme von Klar­luft-Turbu­lenzen dazu, dass Fliegen unan­genehmer, teil­weise sogar gefähr­licher wird, weil sich Passa­giere und Crew-Mit­glieder verletzen können. Und auch hierzu­lande zeigt der Beinah-Crash auf FRA Ende Juni, dass die zuneh­menden extremen Wetter­ereig­nisse den Luft­verkehr massiv beein­träch­tigen können.
Was der Luft­verkehr in nächster Zeit tun will bzw. muss, um sich an die verän­derten Beding­ungen anzu­passen, kann man sich von der zustän­digen Euro­control-Mit­arbeite­rin erklären lassen (leider nur auf englisch).

Diese Anpas­sungs­strate­gien gehen aber impli­zit oder expli­zit davon aus, dass das Ziel des Pariser Ab­kommens, den Tempe­ratur­anstieg auf der Erde auf "deut­lich unter 2°C" zu beschrän­ken, auch einge­halten wird. Die Luft­verkehrs­wirt­schaft muss sich aber in wissen­schaft­lichen Unter­suchungen immer und immer wieder vor­rechnen lassen, dass ihre eigenen Maß­nahmen zu einem sehr viel höheren Anstieg führen werden.
Jüngstes Beispiel ist eine gerade ver­öffent­lichte Studie aus der Schweiz. In der Presse­meldung dazu wird klar gesagt: "Fossiles Kerosin durch künst­lich herge­stellten, nach­haltigen Treib­stoff zu ersetzen, reicht alleine nicht. Zusätz­lich not­wendig wäre eine Reduk­tion des Flug­verkehrs." Und das, obwohl die Studie im opti­mistisch­sten Szenario davon ausgeht, dass Techno­logie und Infra­struktur sowohl für die Produk­tion von "Sustain­able Aviation Fuel" durch direkte CO2-Abschei­dung (Direct Air Carbon Capture and Usage, DACCU) und Wasser­stoff-Gewin­nung unter aus­schließ­lichem Einsatz erneuer­barer Energien als auch für die perma­nente geolo­gische Speiche­rung von Kohlen­stoff (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS) zur Kompen­sation der verblei­benden Klima­effekte so schnell wie tech­nisch möglich ent­wickelt werden - ein Ziel, das die Auto­r:innen "ambi­tioniert" nennen.

Ange­sichts der realen Entwick­lungen bei Maßnahmen zum Klimaschutz würde man wohl besser von einem Wunsch­traum reden. Die weltweiten Treibhausgas-Emissionen fallen nicht, wie angestrebt, sondern steigen wieder. Nur die Klima­kata­strophe selbst ent­wickelt sich schneller und umfas­sender als gehofft.
Aktuell meldet die Meteoro­logische Welt­organi­sation WMO: "Nach vor­läufigen Daten hat die Welt gerade ihre heis­seste Woche erlebt. Sie folgt dem heis­sesten Juni seit Beginn der Auf­zeich­nungen, noch nie dage­wesenen Ozean­tempera­turen und der nied­rigsten Aus­dehnung des antark­tischen Meer­eises." Und das "zu Beginn der Entwick­lung eines El Nino, der voraus­sicht­lich die Hitze auf dem Fest­land und in den Ozeanen weiter antreiben und zu noch extre­meren Tempera­turen und marinen Hitze­wellen führen wird" (eigene Über­setzung).
Die Vorher­sagen lauten, dass die gerade begon­nene El Nino-Periode neun bis zwölf Monate andauern und mindes­tens von mitt­lerer Stärke sein wird. Dabei besteht eine hohe Wahr­schein­lich­keit, dass die vom Pariser Abkommen gezogene 1,5°C-Grenze temporär, wahr­schein­lich in 2024, über­schritten wird, mit entspre­chenden Folgen. Im Update für Juli, August und September 2023 "werden ohne Aus­nahme posi­tive Tempe­ratur-Anoma­lien über allen Land­gebieten der nörd­lichen und süd­lichen Hemi­sphäre erwartet", mit Extremniederschlägen und Dürren, Hitzewellen, Stürmen usw..

Was folgt daraus? Die Luft­verkehrs­wirt­schaft beweist gerade einmal mehr, dass sie ihre Strate­gien aus­schließ­lich daran aus­richtet, was kurz­fristig den meisten Profit bringt. Selbst­verpflich­tungen für mehr Klima­schutz und ent­spre­chende Programme sind Maku­latur, noch bevor sie gedruckt bzw. online gestellt sind. Klima­schutz im Luft­verkehr durchzu­setzen, fünktio­niert kurz­fristig nur über das Ordnungs­recht, d.h. wie in den Kam­pagnen gegen Luxus-Emis­sionen gefor­dert, durch Verbote und Beschrän­kungen der unnötig­sten Aktivi­täten.
Lang­fristig muss der Luft­verkehr, wie alle Elemente der öffent­lichen Daseins­vorsorge, dem Profit­prinzip entzogen und an den gemein­samen Inter­esse der gesamten Gesell­schaft orien­tiert werden. Und da steht das Inter­esse an einer gesicher­ten Lebens­grund­lage in einer stabilen, lebens­fähigen Umwelt weit vor dem an einer Hyper-Mobi­lität, die uns heut­zutage als Norma­lität verkauft werden soll.
Auch dieses Ziel ist "ambitioniert" - aber alternativ­los.


Update 13.07.2023:

Nein, wir haben es nicht ange­stiftet, aber es ist auch kein Zufall, dass am Tag nach Erscheinen dieses Beitrag Aktivis­t:innen der "Letzten Gene­ration" Flug­häfen in Hamburg und Düssel­dorf blockiert haben. Ebenso wenig ist es Zufall, dass daraufhin die Ganz Grosse Koali­tion der Klima­schutz-Ver­sager wieder verbal Amok läuft, von "schweren Straf­taten" schwafelt und "lang­jährige Haft­strafen" fordert. Auch das liegt im Trend.
Die Begründung für die Blockade-Aktionen ist sehr plausibel:

"Wo, wenn nicht auf einem Flughafen, ist der richtige Ort, gegen die Zer­störung unserer Lebens­grund­lagen zu protes­tieren? Die Welt brennt und wir sind die letzte Gene­ration, die die Chance hat, den Feuer­löscher in die Hand zu nehmen. Statt­dessen lassen wir zu, dass unsere Regie­rung den Flug­verkehr, einen bedeu­tenden Brand­beschleu­niger der Kata­strophe, jähr­lich mit Milliar­den subven­tioniert. Das gleicht einem kollek­tiven Suizid und das dürfen wir nicht länger akzep­tieren."

Die Medien bestätigen diese Aus­sagen mit Meldungen über neue Rekorde im Flug­verkehr, neue Hitze­rekorde und eine Viel­zahl von Hitze­toten. Der Frank­furter Flug­hafen kündigt derweil an, für den Ferien­beginn in Hessen Ende kommen­der Woche aufzu­rüsten und Klebe-Aktion dieser Art zu verhindern. Das wird ihnen wohl gelingen, aber den Protest unter­drücken können sie damit nicht.




Grafik: Luxus

10.07.2023

Neuer Zwischenfall auf FRA

Wieder einmal ist es der Aviation Herald, der über einen Zwischen­fall berichtet, der der Öffent­lich­keit sonst wohl verbor­gen geblie­ben wäre.
Die Meldung besagt, dass ein A319 der CarpatAir aus Riga im Anflug auf die Südbahn vom Tower auf die Center­bahn "geswingt" werden sollte, statt­dessen aber den Roll­weg zwischen den beiden Bahnen anflog, auf dem ein A320 der Luft­hansa unter­wegs war. Die Piloten bemerkten den Irrtum in einer Höhe von etwa 60 Meter über Grund, starteten durch und lande­ten im zweiten Versuch sicher auf der Südbahn.

Will man es positiv sehen, kann man fest­halten, dass der A319 mög­licher­weise auch auf dem Roll­weg ohne Schaden hätte landen können. Der A320 hat den Roll­weg nur gekreuzt, und soweit man den zeit­lichen Ablauf nach den zur Verfü­gung stehen­den Daten beur­teilen kann, wäre es wahr­schein­lich nicht zu einem Zusammen­stoß gekommen.
Denkt man negativ, hätte es passie­ren können, dass die Piloten den Fehl­anflug zu spät bemerken, die beiden Flug­zeuge zusammen­stossen und einige hundert Menschen sterben.
In jedem Fall gibt es zu dem Vorfall im Hinblick auf die Sicher­heit des Betriebs auf FRA einiges anzu­merken.

Das Ver­fahren, aus Osten anflie­gende Maschinen hinter Offen­bach vom Anflug auf die Süd­bahn auf die Center­bahn zu "swingen", ist schon 10 Jahre alt und soll dem Lärm­schutz in Neu-Isen­burg dienen. Die DFS hat die Einfüh­rung im Novem­ber 2013 in der Flug­lärm­kommis­sion formell bean­tragt, prakti­ziert wurde es auch vorher schon.
Auch Zwischen­fälle gab es bereits. Im Sep­tem­ber 2018 steuerte ein A321 der Tunisair eben­falls nach einem Swing den Rollweg M an und star­tete recht­zeitig durch. Da aller­dings startete auch ein A320 von der Center­bahn und kreuzte seinen Flug­weg, aber es war gerade noch genug Abstand. Einzig erkenn­bare Konse­quenz aus diesem Vorfall: laut Piloten­aussagen in den Kommen­taren des Aviation Herald gibt es jetzt in der ATIS eine Warnung, dass man bei einem Swing Roll­weg und Lande­bahn nicht verwech­seln sollte. Die Piloten der Carpat­Air haben das aber offenbar nicht mitbe­kommen.

Der aktuelle Fall wirft weitere Fragen auf. Bei der Betrach­tung der Flug­spuren fällt auf, dass der A321 deut­lich später auf den nörd­licheren Anflug wechselte als die anderen geswing­ten Flüge. Vermut­lich war es da schon zu spät, um noch auf den Loca­lizer der Center­bahn zu kommen, so dass die Piloten keine Warnung erhiel­ten, dass der Anflug nicht korrekt verlief.
Aber warum erfolgte der Swing so spät? Kam die Auf­forde­rung (bzw. das 'Angebot') der Lotsen zu spät? Gab es Miß­verständ­nisse über das Ver­fahren? Und auf Seiten der Lotsen: haben sie nicht gemerkt, dass der Anflug nicht korrekt war? Hat der angeb­lich nach dem Beinah-Absturz 2020 neu "parame­trierte und akti­vierte Approach Path Monitor" nicht vor dem Fehl­anflug gewarnt?
Ob wir das jemals erfahren werden, ist ungewiss, denn bisher ist nicht einmal klar, ob der Vorfall weiter unter­sucht wird.

Was folgt aus alldem? Wir haben einen Flug­hafen­betreiber (Fraport) und eine Kontroll-Organi­sation (DFS), die einen sicheren Betrieb auf FRA gewähr­leisten sollen, aber haupt­säch­lich damit beschäf­tigt sind, auftre­tende Probleme, egal wie sicher­heits­relevant sie sind, zu ver­tuschen und vor der Öffent­lich­keit geheim zu halten. Wir haben Auf­sichts­behörden, die nur dann aktiv werden, wenn die Probleme wirk­lich gravie­rend sind und sich nicht länger geheim halten lassen. Aber auch dann wird verzögert und verschleiert, bis die Vorfälle entweder vergessen sind oder eine Schein­lösung präsen­tiert werden kann.

Im Fall dieses "Swing over" ist es nicht einmal eine Kapa­zitäts­frage. die Fraport und DFS dazu verlei­tet, Kapa­zität statt Sicher­heit an erste Stelle zu setzen, und auch der Lärm­schutz spielt nicht wirk­lich eine Rolle. Es geht einfach nur darum, die Abläufe zu verein­fachen und zu opti­mieren, indem die Flug­zeuge schneller zum Terminal kommen und der Kreuzungs­verkehr redu­ziert wird. Aber selbst dafür werden Ver­fahren einge­führt, die sicher­heits­technisch frag­würdig sind.
Aller­dings müssen sie auch zur Kenntnis nehmen, dass Piloten anschei­nend immer öfter mit solchen Verfahren über­fordert sind. Das zeigen nicht nur die Fälle der miß­lungenen Swings, sondern auch die Beinahe-Abstürze bei einer vorge­zogenen Lan­dung oder bei extre­men Wind­beding­ungen.

Wie lange wird es noch dauern, bis doch mal was gründ­lich schief­geht? Die Frage ist völlig offen. Ange­sichts der Entwick­lungen in jüngster Zeit ist man aber zuneh­mend geneigt zu sagen: Wenn schon, dann bitte so, dass wenig­stens die Bewohner­:innen im Umland von schweren Schäden verschont bleiben.
Weniger makaber betrachtet, muss man darauf drängen, dass die Sicher­heits­philo­sophie von Fraport und DFS dringend über­arbeitet wird und in allen Bereichen darauf gedrängt wird, dass Sicher­heit an erster Stellen steht - auch wenn sie den Betrieb kompli­zierter macht und viel­leicht sogar zu Kapa­zitäts-Ein­schrän­kungen führt. Die wären zwar für Fraport und die Airlines ein Problem - für alle anderen aber ein echter Fortschritt.




Grafik: Nachtanflug

Diese Aufnahme ist nicht exakt um 23:00 Uhr entstanden,
ein solches Szenario kann aber häufig beobachtet werden.

06.07.2023

Mehr Nachtflüge und mehr Lügen

Eine der wenigen Maß­nahmen, die das Leben rund um den Flug­hafen etwas erträg­licher machen, sind die geltenden Nacht­flug­beschrän­kungen. Mühsam erkämpft, sollen sie eigent­lich sicher­stellen, dass von 23-24 Uhr nur in Ausnahme­fällen und von 0-5 Uhr gar­nicht geflogen wird.
Dass diese Rege­lungen aus gesund­heit­licher Perspek­tive unzu­reichend sind, ist praktisch unbe­stritten. Nächt­licher Flug­lärm ist beson­ders belastend, für empfind­liche Personen unter Umständen sogar tödlich. Deshalb fordert auch das Umwelt­bundes­amt in seinem Konzept für einen Umwelt­schonen­den Luft­verkehr ein "Verbot des regu­lären Flug­betriebs von 22 bis 6 Uhr auf stadt­nahen Flug­häfen" - und "stadt­nah" ist FRA allemal.

Hinter dieser Forde­rung bleiben die Frank­furter Beschrän­kungen aber deutlich zurück. Für die jeweils vom Lande­anflug Betrof­fenen schrumpft die Ruhe­zeit ohnehin in der Regel auf 5 Stunden, weil Landungen zwischen 23:00 und 24:00 Uhr generell erlaubt sind, wenn sie sich "nicht schon aus der Flug­plan­gestal­tung ergeben", sondern verspätet sind. Auch für Starts und Landungen zwischen 0:00 und 5:00 Uhr gibt es Aus­nahmen, die aller­dings geneh­migungs­pflichtig sind.
Zuständig für die Über­wachung der Beschrän­kungen und die Ertei­lung von Ausnahme­genehmi­gungen ist das Verkehrs­minis­terium, das seine Aufgabe aller­dings primär in der Bereit­stellung einer ausrei­chenden Anzahl von Schlupf­löchern im Inter­esse der Luft­verkehrs­wirt­schaft sieht.

So hat sich schon vor Jahren gezeigt, dass die recht­lichen Mög­lich­keiten zur Bekäm­pfung von Verspä­tungs-Lan­dungen unzu­reichend sind, aber anstatt auf eine Verbes­serung der recht­lichen Rahmen­beding­ungen hinzu­arbeiten, nutzt das Minis­terium die beste­hende Rechts­lage nur zu gerne als Ent­schul­digung für Untätig­keit. Landungen bis 24:00 Uhr machen daher seit Jahren einen wesent­lichen Teil der all­täg­lichen nächt­lichen Flug­lärm­belas­tung aus, die sich für Raun­heim in diesem Jahr in monat­lichen nächt­lichen Dauer­schall­pegeln über 55 dB(A) und durch­schnitt­lich zwischen 5 und 20 lauten Über­flügen pro Nacht äussert (siehe unten).
Entspre­chend fordert die Flug­lärm­kommis­sion, im Lärm­aktions­plan für den Flug­hafen Frank­furt zumindest, "Ver­spätungs­landungen von 23-0 Uhr nur mit Einzel­fall­erlaub­nis und nur aus Gründen, die nicht im Ein­fluss­bereich der Flug­gesell­schaft liegen dürfen", zuzu­lassen.

In der Statistik auf­fälliger sind die meist gehäuft auftre­tenden Aus­nahme­genehmi­gungen für verspätete Starts, die erteilt werden, wenn der normale Betriebs­ablauf durch beson­dere Ereig­nisse gestört wird. Auch hier hat das Minis­terium der Luft­verkehrs­wirt­schaft schon immer gerne geholfen, das eigene Versagen im Umgang mit 'Extrem­ereig­nissen' wie Gewitter oder Frost durch Umge­hung der Nacht­flug­beschrän­kungen zu kompen­sieren. Neu ist aller­dings der dreiste Versuch, dabei auch die eigent­lich streng geschützte Zeit von 0:00 bis 5:00 Uhr für Flüge zu öffnen, die keine Not­fälle sind.
Da ein Großteil dieser Starts normaler­weise über die Start­bahn West abge­wickelt wird, ist Raunheim davon in der Regel weniger betrof­fen, es gab aller­dings auch schon Aus­nahmen.

Bereits im letzten Jahr hatte die Flug­lärm­kommis­sion schon im Juli darauf hinge­wiesen, dass die "Einhal­tung des Nacht­flug­verbots ... oberste Prio­rität bleiben" müsse, da aufgrund der "beste­henden Ab­ferti­gungs­probleme an den Flug­häfen (Personal­mangel bei gleich­zeitigem Nach­frage­boom an Flug­reisen)" ... "im Mai und Juni 2022 sogar noch mehr Ver­spätungs­starts von 23-0 Uhr als im Jahr 2019" genehmigt wurden. Die Jahres­bilanz 2022 brachte dann auch die Main-Spitze zu der Schluss­folge­rung: "Nacht­flug­verbot zum Lärm­schutz wird immer häufiger umgangen".

Grafik: Nachtanflug

Alle Daten beziehen sich auf von den DFLD-Meß­stationen erkannte Flug­bewegungen,
sie können daher von den offi­ziellen Statis­tiken (gering­fügig) abweichen.

Die durch­schnitt­lichen Belas­tungen zu den verschie­denen Zeiten im laufenden Jahr und im Vor-Corona-Jahr 2019 zeigt die neben­stehende Tabelle. Dort wird unter­schieden zwischen dem "Tages­rand", d.h. der üblichen "Feier­abend­zeit" von 18:00 - 22:00 Uhr, die eigent­lich auch für die Erho­lung wichtig ist und in der Lärm nach EU-Regeln eben­falls mit einem Zuschlag bewertet wird, der "gesetz­lichen Nacht" von 22:00 - 6:00 Uhr, aber darin ausge­nommen die "Kern­nacht" von 23:00 - 5:00 Uhr, in der Beschrän­kungen für Flüge gelten.
Daraus kann man ablesen, dass am "Tages­rand", der am Flug­hafen natür­lich als ganz normale Betriebs­zeit gilt, auch nicht wesent­lich mehr Flug­bewe­gungen pro Stunde abge­wickelt werden als in den Nacht­rand­stunden, in denen diese Zahl laut gericht­licher Auflage "an- bzw- abschwellen" soll (für Juni 2023 z.B. am Tages­rand 67, am Nacht­rand 49 Flug­bewe­gungen pro Stunde).

Für die "Kern­nacht" ebenso einen Durch­schnitts­wert von 7 Flügen pro Nacht zu errechnen, wäre zwar statis­tisch korrekt, verfälscht aber die wahren Sach­verhalte. Im Juni 2023 entfielen von den 211 Flug­bewe­gungen in dieser Zeit allein 115 auf die Nächte vom 20.06. bis zum 24.06, wobei der 20. mit 63 verspä­teten Starts und 3 Lan­dungen einsame Spitze ist. An diesem Tag fielen auch 6 Starts in die Zeit von 0:00 - 1:00 Uhr.
Diesen Fall nochmal näher zu betrachten, lohnt sich, weil daran die Verlogen­heit, mit der die Aufsichts­behörde versucht, solche Ver­spätungs­starts zu recht­fertigen, besonders deutlich wird. Als Begründung wird angeführt: "Kapa­zitäts­engpass auf­grund Luft­raum­sper­rungen verur­sacht durch Air Defender 23 in Verbin­dung mit tec­hnischen Einschrän­kungen in Systemen der Flug­sicherung und wetter­bedingter ATC-Steue­rungs­maß­nahmen" (ATC = Air Traffic Control).

Der Hinweis auf das Groß­manöver AirDefender 23 soll die Ausrede dafür liefern, dass auch 6 Starts nach 0:00 Uhr genehmigt wurden. Das ist weder sachlich noch recht­lich haltbar.
Die Behörde erläutert selbst, was die speziell dafür erlassene All­gemein­verfügung Air Defender 2023 enthält: die Möglich­keit, "die regulär nur bis 23 Uhr geöffnete Lande­bahn Nordwest noch bis Mitter­nacht zu nutzen" - sonst nichts. Auch welche sonstigen recht­lichen Möglich­keiten es für Ausnahme­genehmi­gungen für Starts nach 23:00 Uhr gibt, kann man da nach­lesen: "In der Zeit von 00:00 h bis 05:00 h sind derzeit Flug­bewe­gungen nur nach Ziffer 6 des Plan­fest­stellungs­beschlusses in beson­deren Ausnahme­fällen möglich". Dazu zählen "Fälle beson­derer Härte", "medizi­nischen Hilfe­leistungs- oder Kata­strophen­einsätze", "Evaku­ierungs­flüge", "Flüge in beson­derem öffent­lichen Inter­esse". Nichts davon trifft auf die sechs Starts zu.
Sachlich ist es zwar nicht sicher zu beweisen (weil die genauen Manöver-Flug­daten nicht verfügbar sind), aber extrem unwahr­schein­lich, dass die Luft­raum­sper­rungen den Betrieb auf FRA an diesem Tag relevant beein­flusst haben. Zum einen waren alle Betei­ligten sicht­lich stolz darauf, dass "Auswir­kungen auf die zivile Luft­fahrt ... kaum merklich" waren, zum anderen erklärte der Manöver-Chef in seiner Abschluss­bilanz, "An einem Tag seien die Maschinen wegen Gewittern sicher­heits­halber am Boden geblieben", was natür­lich nur jener 20.06. gewesen sein kann. Auch die Verspätungs­bilanz von FRA für diesen Tag ergibt bis zum Nach­mittag keine Hinweise auf einen Manöver­einfluss.

Was die massiven Verspä­tungen an jenem Dienstag wirk­lich bewirkt hat, haben wir bereits vor ein paar Tagen erläutert: der schwere Zwischen­fall, bei dem ein Trans­port­flug­zeug, das mitten im schweren Gewitter­sturm landen sollte, beinahe abge­stürzt wäre. Danach ging eine Zeit­lang auf FRA fast nichts mehr, und insbe­sondere die Arbeits­fähig­keit der DFS war offen­bar massiv einge­schränkt - wohl weil im Tower ange­sichts der Manöver über dem Rollfeld Panik ausbrach. Das mit "tech­nischen Einschrän­kungen in Systemen der Flug­sicherung und wetter­bedingten ATC-Steue­rungs­maßnahmen" zu umschreiben, ist eine grobe Täuschung der Öffent­lichkeit.
Ob Fraport und DFS in diesem Fall fahr­lässig das Leben von Piloten und Boden­personal aufs Spiel gesetzt haben, weil sie Sicher­heits­regeln miss­achteten und den Betrieb trotz massiver Unwetter­warnungen weiter­laufen liessen, wird (viel­leicht) der BFU-Bericht zeigen. Klar ist, dass sich die Aufsichts­behörde hier nicht nur in skanda­löser Weise an der Vertuschung der entstan­denen Gefahren beteiligt ist, sondern mit rechts­widrigen Maß­nahmen und auf Kosten der Gesund­heit der Bevölke­rung versucht hat, den Schaden für Fraport gering zu halten.

Und das Verkehrs­ministerium lässt nicht nur die Lügen und Vertuschungen seiner Abteilung durch­gehen, es versucht selbst, die nach­fragende Presse mit absurden Argu­menten hinters Licht zu führen. So berichtet die Main-Spitze: "Auf die Frage nach den Gründen für die gehäuften Ver­spätungs­flüge im Juni ins­gesamt verweist Minis­teriums­sprecherin Franziska Richter neben „Air Defender“ auch auf den Urlaubs- und Ferien­flug­verkehr sowie gehäufte Gewitter­lagen." Und weiter: "55 Prozent der Ver­spätungs­starts führt Richter auf die Nato-Übung zurück, 21 Prozent auf Unwetter und weitere 24 Prozent auf „lange Roll­zeiten“." ... "„Lange Roll­zeiten können aufgrund von erhöhten Warte­zeiten in der Warte­schlange vor der Start­bahn 18 entstehen, nicht durch den eigent­lichen Roll­vorgang, der in Frank­furt mit 15 Minuten kalkuliert ist“, erklärt die Sprecherin." ... "Als weitere mögliche Ursachen nennt sie das Wetter, Restrik­tionen im Luftraum, tech­nische Probleme am Flugzeug und Notfälle wie Start­abbrüche."
Hier wird offen­kundig nicht einmal mehr der Versuch gemacht, auch nur halbwegs seriöse Argu­mente für die Geneh­migungs­praxis des Minis­teriums zu finden. Insbe­sondere das Argument der "langen Roll­zeiten", das wohl Verständnis bei Auto­fahrern wecken soll, die auch immer mal unver­mutet in einen Stau geraten können, ist eine Frech­heit, taucht aber dennoch auch in den offi­ziellen Begrün­dungen auf.
Die dahinter stehende poli­tische Botschaft ist eindeutig: die betrieb­lichen Probleme der Fraport und der Airlines haben Vorrang, Rege­lungen für den Schall­schutz haben dahinter zurück­zustehen. Dass das rechts­widrig ist, inter­essiert offenbar auch die politische Leitung des Minis­teriums nicht. Es liegt an der betrof­fenen Bevölke­rung, deutlich zu machen, dass sie etwas anderes will. Unser Vorschlag dafür bleibt der gleiche:

Grafik: Nachtruhe



Grafik: Statistik Wind-BR

Mehr als die Hälfte der Zeit im ersten Halbjahr (53,9%) herrschte Ostwind, aber nur zu 28,5% mit mehr als 5 Knoten Rückenwind. Trotzdem wurde fast die Hälfte der Zeit (44,3%) über Raunheim angeflogen (Betriebsrichtung 07).

03.07.2023 (Update 12.07.2023)

Ein Horror-Frühjahr

Obwohl die Flug­bewegungs­zahlen im ersten Halb­jahr 2023 noch um rund 20% unter denen des bishe­rigen Spitzen­jahres 2019 lagen, hat der Flug­lärm in Raun­heim bereits wieder be­ängsti­gende Aus­maße ange­nommen. Der sog. äqui­valente Dauer­schall­pegel LAeq lag an der DFLD-Meß­station Raun­heim Süd für den Monat Mai bei 59,6 dB(A), die Zahl der Lärm­ereig­nisse in der Nacht, die lauter als 68 dB(A) waren (NAT68), bei durch­schnitt­lich 14,8 pro Nacht. Diese Werte sind höher als die Ver­gleichs­werte vom Mai 2019.
Dass solche Ergeb­nisse möglich sind, liegt teil­weise am Wetter, aber auch daran, wie der Flug­betrieb auf FRA organi­siert wird.

Beim Wetter spielt der Wind die Haupt­rolle. Da Raun­heim insge­samt von den Über­flügen der Lan­dungen bei Betriebs­richtung 07 deut­lich stärker belastet wird also von den Starts bei Betriebs­richtung 25, macht es einen spür­baren Unter­schied, welche Betriebs­richtung gewählt wird. Das wiederum sollte in erster Linie von der Wind­rich­tung ab­hängen, da Flug­zeuge grund­sätz­lich gegen den Wind starten und landen sollten.

Für FRA gibt es aller­dings, wie für viele andere Flug­häfen auch, aus Lärm­schutz­gründen eine Sonder­rege­lung. Da die Lärm­belas­tung bei BR07 nicht nur in Raun­heim, sondern im gesamten Rhein-Main-Gebiet grösser ist und auch die höchsten Belas­tungs­werte erreicht werden, soll solange BR25 geflogen werden, bis die sog. Rücken­wind­kompo­nente, d.h. der Rücken­wind aus Osten in Richtung der Bahn, stärker als 5 Knoten wird.
(Wegen der Bedeu­tung dieser Kompo­nente haben wir für ihre Berech­nung ein eigenes Tool.)

Tabelle: Flug- und Lärmdaten

Alle Daten beziehen sich auf von den DFLD-Meß­stationen erkannte Flug­bewegungen, sie können daher von den offi­ziellen Statis­tiken (gering­fügig) abweichen. Die Lärm­werte wurden an der Meß­station Raunheim-Süd gemessen.

Für den Flug­hafen Frankfurt stellt der Deutsche Wetter­dienst sog. "Meteoro­logical Aero­drome Reports" METAR und "Terminal Aero­drome Fore­casts" TAF zur Verfügung, aus denen sich im Prinzip ablesen lässt, welche Betriebs­richtung aktuell und in der nächsten Zeit geflogen werden sollte. Vom 'Umwelt­haus' gibt es auch eine Betriebs­richtungs-Prognose, die ein Höhen­wind-Modell mit einbe­zieht.
Letzt­endlich aber entscheidet über die Wahl der Betriebs­richtung, und damit auch über die Belas­tungs-Vertei­lung, die Deutsche Flug­sicherung DFS, und die hat neben dem Wind am Boden und in der Höhe noch eine Viel­zahl nicht näher defi­nierter "weiterer Para­meter", die sie heran­ziehen kann, um die Betriebs­richtung zu wählen, die gerade am besten passt - für wen und warum, bleibt den Betrof­fenen verborgen. Die Wirkung spüren wir aller­dings, wie die neben­stehende Tabelle zeigt.

Extrem hörbar und belastend war die Ost­wetter­lage von Mitte Mai bis Mitte Juni. Sie führte dazu, dass vom 12.05. - 16.06. fast aus­schließ­lich über Raunheim gelandet wurde. Genauer wurde in dieser Zeit zu fast 95% der Betriebs­stunden auf FRA Betriebs­richtung 07 geflogen. Verschärft wurde die Situa­tion noch dadurch, dass vom 16.05. bis zum 31.05. (bzw. wegen Pfusch bis zum 01.06.) die Nordwest­bahn wegen Sanierungs­arbeiten gesperrt war und daher der gesamte Lande­anflug über Center- und Südbahn, also über Raunheim, abge­wickelt wurde. In dieser Zeit über­schritt der Dauer­schall­pegel fast immer die 60 dB(A)-Grenze, zum Teil sehr deutlich.
Inwie­weit diese Ost­wetter­lage tatsäch­lich auch mit einer Wind­kompo­nente von mehr als 5 Knoten aus 70° Ost (der Bahn­richtung) verknüpft war, bedarf noch einer genaueren statis­tischen Unter­suchung. Durch­gehend war das mit Sicher­heit nicht der Fall; es lassen sich mehrere stunden­lange Perioden mit gering­eren und wech­selnden Winden (und ohne Böen oder proble­matische Höhen­winde) nach­weisen.

Der Trend bei Ostwetter­lagen ist besorgnis­erregend. Bereits im Jahr 2018 war fest­gestellt worden, dass das "lang­jährige Mittel", wonach nur zu etwa einem Viertel bis zu einem Drittel der Zeit Betriebs­richtung 07 not­wendig sein sollte, nicht mehr galt. In diesem Jahr wurde fast zur Hälfte der Zeit (45,7%) BR07 geflogen. Das Thema wurde zweimal in der Flug­lärm­kommission disku­tiert, ein Gut­achten wurde präsen­tiert, und die DFS sollte erläu­tern, wie sie die Betriebs­richtung festlegt. Da gab es zwar ein sehr eindeu­tiges Zitat aus dem "Platz­kontroll­verfahren (Tower Frank­furt):" "Bis zu einer Rücken­wind­kompo­nente von 5 KT ist im Parallel­pisten­system die Betriebs­richtung 25 beizu­behalten", aber zur prak­tischen Umset­zung blieb es bei allge­meinen Floskeln.
Die Forde­rung aus dem Beschluss der Raun­heimer Stadt­verord­neten­versamm­lung vom 13.12.2018, "die aktu­elle Anwen­dungs­praxis der beste­henden 5-Knoten-Rücken­wind­kompo­nente seitens der Deutschen Flug­sicherung sorg­fältig zu prüfen und hier­über öffent­lich Bericht zu erstatten" ist daher bis heute ebenso­wenig erfüllt, wie es eine Antwort auf die Frage gibt, "wie die im Maßnahmen­paket 2010 ange­kündigte Anhebung der Rücken­wind­kompo­nente auf 7 Knoten ... reali­siert werden kann" und "ersatz­weise andere Möglich­keiten des aktiven Schall­schutzes aufzu­zeigen, die zu einer wirk­samen Entlas­tung der bei BR 07 in der Region Hoch­betrof­fenen führen können".
Nachdem 2019 der Anteil von BR07 im Jahres­mittel wieder auf 31% zurück­gegangen war und in den Jahren darauf die Flug­bewegungs­zahlen Pandemie-bedingt ein­brachen, verschwand das Thema in der Versen­kung. Erledigt ist es aber offen­sicht­lich nicht.

Dass die DFS nicht nur bei der Betriebs­richtungs-Wahl, sondern auch in vielen anderen Fragen ausge­sprochen intrans­parent agiert, haben wir bereits seit Jahren doku­mentiert, ausführ­lich z.B. im Sommer 2019. Das dort zitierte Beispiel war auch die letzte ausführ­liche Rück­meldung, die wir auf diverse Anfragen erhalten haben. Seither gibt es besten­falls noch eine Standard­floskel oder (meist) gar­nichts.
Dass die DFS-Entschei­dungen häufig erklärungs­bedürftig wären, zeigt die Grafik am Anfang. Dort kann man ablesen, dass im ersten Halb­jahr 2023 zwar etwas mehr als die Hälfte(!) der Zeit Wind aus öst­lichen Rich­tungen wehte, aber weniger als ein Drittel (28,5%) mit einer Stärke, die eine Rücken­wind­kompo­nente grösser als 5 Knoten erzeugen konnte. Trotz­dem wurde fast der Hälfte der Zeit (44,3%) BR07 geflogen.
Dafür mag es in dem einen oder anderen Fall gute Gründe gegeben haben, aber ins­gesamt gewinnt man den Eindruck, als würde das eigent­lich fest­gelegte Verfahren kaum noch ange­wendet.

Besonders krass zeigte sich das am Vormittag des Mittwoch, 28.06.. Von 6:00 - 11:00 Uhr wurde BR07 geflogen, obwohl in dieser Zeit Wind aus südöst­lichen bis nordwest­lichen Rich­tungen herrschte. Die maximal mögliche Rücken­wind­kompo­nente in dieser Zeit war 6 Knoten - aller­dings in Richtung Osten, als bei BR25. Rücken­wind bei BR07 kann es in dieser Zeit nicht gegeben haben. Die Erklärung der DFS dafür: (bisher??) Schweigen.
Offen­sicht­lich hatte die DFS hier, wie häufig, andere Gründe für die Betriebs­richtungs­wahl als ein Ver­fahren, dass dem Lärm­schutz dienen soll. Ob sich an diesem Verhalten etwas ändern würde, wenn, wie im Ampel-Koali­tions­vertrag vorge­sehen, aber nicht umge­setzt, ""effek­tiver Lärm­schutz"" zur gesetz­lichen Aufgabe der DFS gemacht würde, darf bezwei­felt werden. Verbal sehen sie das ja schon lange so.

Fazit
Mit dem Wieder­anwachsen des Flug­verkehrs nach Corona erhalten die alten Bau­stellen des kommu­nalen Wider­stands gegen die nega­tiven Folgen des Flug­verkehrs neue Aktua­lität. Für die Raun­heimer Kommunal­politik wäre es höchste Zeit, die alten Forde­rungen wieder aufzu­greifen und mit neuem Druck in die einschlä­gigen Gremien und in die Öffent­lich­keit zu tragen.
Insbe­sondere in die Flug­lärm­kommis­sion, aber auch in die kommu­nalen Netz­werken KAG und ZRM sollte die spezi­fische Raun­heimer Proble­matik sehr viel stärker einge­bracht und nach Verbün­deten gesucht werden (die es der Sache nach reich­lich gibt). Gelingt es nicht, wirk­samen Wider­stand gegen die immer dreister werdenden Ansprüche der Luft­verkehrs­wirt­schaft zu ent­wickeln, droht Raun­heim bis zur Unbe­wohnbar­keit immer stärker verlärmt und verdreckt zu werden.


Update 12.07.2023:

Entgegen unseren Erwartungen hat die DFS doch noch auf unsere Anfrage zur Betriebsrichtungswahl am 28.06. geantwortet. Der volle Wortlaut:

"die Windlage der relevanten Windwerte an der Landebahn und im Endanflug war am 28.06. sehr variabel und nicht eindeutig. Dazu wurde eine Flugvermessung der bei Ostbetrieb genutzten Systeme durchgeführt, weshalb in der Summe die Betriebsrichtung Ost gewählt wurde."

Nun ja. Dass der Wind in dieser Zeit, wie wir oben schon geschrieben haben, zwischen "südöst­lichen bis nordwest­lichen Rich­tungen" wechselte und somit "variabel" war, ist unbestritten. "Eindeutig" war die Lage aber trotzdem, denn das ist genau der Bereich, in dem nach der Rückenwindregel zwingend BR25 zu fliegen ist. Eine Situation, die BR07 gerechtfertigt hätte, gab es im gesamtem Zeitraum nicht.
Aber immerhin ist der Summand, der die Rechnung trotzdem in die andere Richtung kippt, auch genannt: die "Flugvermessung der bei Ostbetrieb genutzten Systeme". Mit anderen Worten: es gab eine innerbetriebliche Notwendigkeit, BR07 zu fliegen, und dann wird das eben auch gemacht, egal, wie der Wind weht. Wenn die DFS sich angewöhnen würde, das künftig auch genauso einfach und klar zu sagen, würde es immerhin zu mehr Offenheit in der Diskussion beitragen.




Grafik: Flugspur

Sieht hier garnicht so drama­tisch aus, wie es wohl gewesen ist. Aller­dings sind die Daten unsicher, insbe­sondere das Höhen­profil war wohl nicht so glatt wie hier darge­stellt. Eine tabella­rische Darstel­lung der rele­vanten Daten liefert Flight­Aware.

26.06.2023

Schwerer Zwischenfall auf FRA

Am Dienstag, den 20.06., tobten schwere Gewitter über Rhein-Main und brachten auch den Flug­betrieb auf FRA kräftig durch­einander - beson­ders des­halb, weil eine lan­dende Fracht­maschine beinahe abge­stürzt wäre. Das zumindest lässt sich aus den Daten und Berichten schlies­sen, die der "Aviation Herald" zusammen­gestellt hat.
Nach der Beschrei­bung (alle Zitate sind eigene Über­setzugen) setzte die aus Amster­dam kom­mende B767-300 um 19:51 Uhr von Osten her zur Landung auf der Süd­bahn (25L) an, als die Besat­zung "über der Lande­schwelle" die Landung wegen einer Scher­wind-War­nung ab­brach und ein Durch­start-Manö­ver ein­leitete.

Die Maschine stieg zunächst "extrem steil" und verlor soviel Ge­schwin­dig­keit, dass ein Strö­mungs­abriss drohte. Die Maschine kippte über die rechte Trag­fläche ab, konnte über der Center­bahn (25C) abge­fangen werden und stieg erneut so steil, dass wieder ein Strö­mungs­abriss drohte.
Nach einem erneuten Höhen­verlust konnten die Piloten die Maschine end­gültig stabi­lisie­ren und in einem weiten Bogen über den Vorder­taunus zum Flug­hafen zurück­kehren, wo sie 35 Minuten später sicher landete.

In den Kommen­taren des Aviation Herald berich­ten mehrere Augen­zeugen, wie drama­tisch das Ganze ausge­sehen haben muss. Eine/r geht so weit zu sagen, dass "die Pilo­ten und die Menschen auf dem Vor­feld nur Augen­blicke von einem schreck­lichen Tod entfernt" waren.
Ein "FRAinsider" berichtet, dass nach dem Vorfall nur noch eine Bahn in Betrieb war, weil "die Hälfte der Tower-Besat­zung ausge­tauscht werden musste, um sich einer Stress­bearbei­tung nach belas­tenden Ereig­nissen zu unter­ziehen".

Was genau passiert ist, wie gefähr­lich das Ganze wirk­lich war und ob die Piloten tat­säch­lich "einen bewun­derns­werten Job gemacht haben, um zu über­leben", wird man frühes­tens dann er­fahren, wenn die Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­such­ung (BFU), die den Vorfall unter­sucht, ihren Bericht vorlegt. Das kann er­fahrungs­gemäß eine ganze Weile dauern.
Insbe­sondere wenn sich, wie bei einem anderen Beinahe-Absturz, heraus­stellen sollte, dass es Fehler bei DFS oder Fraport gegeben hat (weil z.B. unter diesen Wetter­beding­ungen der gesamte Flug­betrieb hätte unter­sagt werden müssen), kann es auch Jahre dauern. Aller­dings hat ein Sprecher der Behörde gegen­über dem Fachblatt "Aero" wohl in Aussicht gestellt, dass "erste Ergeb­nisse ... Ende Sep­tember" vor­liegen könnten.

Was man jetzt schon beur­teilen kann, ist die Arro­ganz, mit der alle Betei­ligten die Öffent­lich­keit behan­deln. Wenn nicht Ini­tia­tiven wie der "Aviation Herald" solche Vor­fälle auf­decken würden, würden die im Umland des Flug­hafens von Sicher­heits­fragen ja durchaus Betrof­fenen nichts erfahren. Fraport und DFS schweigen und hoffen, dass das Bild der schönen heilen Welt des Flug­verkehrs keine Kratzer bekommt.
Noch dreister aber ist das hessische Verkehrs-Minis­terium als zustän­dige Auf­sichts­behörde. Man darf wohl davon aus­gehen, dass der Vorfall wenig­stens dort­hin gemeldet wurde. Den­noch gab das Minis­terium am 21.06 eine Presse­mittei­lung zu "63 verspä­tete Starts in der Nacht zum Mitt­woch" heraus, in der es heisst: "Gründe für die starken Ver­zöge­rungen im Flug­betrieb am Flug­hafen Frank­furt waren Kapa­zitäts­eng­pässe verur­sacht durch das Zusam­men­treffen der NATO-Übung Air Defender 23, ... mit Gewit­tern, die aus Sicher­heits­gründen zu einem zeit­weisen Stopp jeder Boden­abfer­tigung geführt haben, verbun­den mit größe­ren tech­nischen Ein­schrän­kungen in den Systemen der Flug­sicherung."

Auf die Begrün­dungen für die Umge­hung der Nacht­flug­beschrän­kungen wird noch in einem anderen Beitrag einzu­gehen sein. Dass "Air Defender" dafür keine Rolle gespielt haben kann, geht schon daraus hervor, dass wegen der Gewitter an diesem Tag auch der mili­tärische Flug­betrieb einge­schränkt war. Dass aber die massive Betriebs­störung durch den Vorfall mit der B763, die zur zeit­weisen Ein­schrä­nkung der Bahnen­nutzung geführt hat und damit mit Sicher­heit wesent­lichste Ursache für die Verzöge­rungen im Betriebs­ablauf war, mit keinem Wort erwähnt wird, ist eine Verhöh­nung der Öffent­lichkeit.
Auch die öffent­liche Verwal­tung und ihre poli­tische Füh­rung ist, wie hier erneut deut­lich wird, der Meinung, dass es das dumme Volk nichts angeht, was im Flug­betrieb passiert, zumin­dest nicht über das hinaus, was sich in Hoch­glanz-Werbe­broschü­ren unter­bringen lässt. Es hat die Belas­tungen und die Sicher­heits­risiken, die ihm aufer­legt werden, ohne Murren und unnö­tige Fragen hinzu­nehmen - jeden­falls solange, bis mal was richtig schief­geht.




Foto: DHL Crash

Zu großzügig, oder? Allerdings schummeln wir hier ein bißchen. Das Bild stammt von einem Unfall in Costa Rica im letzten Jahr, der anscheinend ganz ohne Mitwirkung von Klimaaktivist:innen zustande kam (für einen Bericht Bild anklicken), der Text aus der Berichterstattung über einen Prozess wegen einer Blockade einer Zufahrt zum Flughafen Leipzig/Halle 2021, wodurch DHL angeblich einen Schaden von zunächst 1,5 Millionen, später dann 84.000 € erlitten haben will.

21.06.2023

Kriminalisierung von Klimaprotesten

Je offen­sicht­licher die völlige Unzu­läng­lich­keit der offi­ziellen "Klima­schutz­bemüh­ungen" von Staat und Kon­zernen wird, desto härter werden die Repres­sionen gegen die­jenigen, die dieses Versagen öffent­lich­keits­wirk­sam an­prangern. Am bekann­testen sind wohl die völlig über­zogenen Maß­nahmen gegen die Letzte Genera­tion, über deren Aktionen sehr viele Medien berichten, aller­dings meistens diffa­mierend.

Etwas weniger Medien­echo fand ein Prozeß letzte Woche vor dem Land­gericht Halle, den DHL wegen einer Blockade-Aktion am Flug­hafen Leipzig/Halle vor knapp zwei Jahren ange­strengt hat. Wir berich­teten damals:
"Dort haben Aktivist­*innen in der Nacht zum 10.07.21 für einige Stunden eine Zufahrt blockiert, um gegen die geplante DHL-Erwei­terung und die damit verbun­dene Steige­rung der Zahl der Nacht­flüge zu protes­tieren. Die Folgen für den Flug­hafen waren über­schaubar: der Verkehr musste über eine der drei anderen Zufahrten umge­leitet werden und verzö­gerte sich gering­fügig. Entspre­chend verlief auch zunächst alles ganz ruhig: die Demon­stranten waren von Anfang an (und blieben bis zum Ende) fried­lich und absolut gewalt­frei, und nachdem ein anwe­sender Land­tags­abgeord­neter der Linken auch die formale Anmel­dung der Aktion nach­geholt hatte, waren auch die Streifen­polizist­*innen vor Ort zufrieden.
Erst als die Aktion schon fast beendet war, wurde es hektisch: Bereit­schafts­polizei rückte an, kesselte die Demon­stranten ein, brachte sie zur 'Iden­titäts­fest­stellung' in eine Sammel­stelle, wo sie stunden­lang unter unwür­digen Beding­ungen festge­halten wurden. Ein Polizei­sprecher erzählte von Mil­lionen­schäden für DHL und verzö­gerten Impf­liefe­rungen, Vertre­ter der Landes­regierung liefen verbal Amok. Die Demon­stranten sollen wegen 'Nötigung' ange­klagt werden"
.

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, und ob tatsäch­lich Aktivist­:innen wegen 'Nötigung' ange­klagt werden, ist noch offen. Erste, noch nicht rechts­kräftige Straf­befehle gibt es bereits. DHL versucht gleich­zeitig, mit Zivil­prozes­sen gegen einzelne, willkür­lich heraus­gegrif­fene Teil­nehmer­:innen der Aktion Exempel zu statu­ieren, indem deren wirt­schaft­liche Exis­tenzen ruiniert werden und damit andere von ähnlichen Aktionen abge­halten werden sollen.
Der erste Verhand­lungstag eines solchen Prozesses hat nun statt­gefunden, und die perfide Strate­gie dahinter wird deut­lich. Zunächst mini­miert DHL das eigene Risiko: der "Streit­wert", der die Prozess­kosten bestimmt, ist mit 84.000 € relativ niedrig ange­setzt, verhin­dert aber nicht, dass damit deut­lich höhere Schadens­ersatz-Forde­rungen durch­gesetzt werden könnten (über alle Prozesse hinweg steht immer noch die Drohung mit Forde­rungen bis zu einer halben Million Euro im Raum).

Dann bietet DHL zum Einstieg einen Vergleich an, der den Prozess noch billiger machen (Teilung der Prozess­kosten) und den wich­tigsten Zweck trotzdem erreichen würde (ein fak­tisches Schuld­aner­kenntnis und eine abschreckende Bestra­fung). Die ange­klagte Akti­vistin hat den Vergleich zunächst abge­lehnt, ihre Vertei­digung will aber ange­sichts der massiven Drohungen im Hinter­grund und schlechter Erfah­rungen mit der Justiz einen eigenen Vergleichs­vorschlag vorlegen.
Zahl­reiche Medien berichten über das DHL-Angebot unter der Über­schrift DHL verzichtet auf Schadens­ersatz, was besten­falls irre­führend ist. DHL verzichtet faktisch auf garnichts. Nicht nur würde der Prozess preiswert seinen Zweck erfüllen, DHL müsste auch nicht beweisen, dass ihnen tatsäch­lich Schäden in der ange­führten Höhe entstanden sind, was angesichts des Ablaufs der Aktion garnicht so einfach sein dürfte (falls die Vertei­digung die notwen­digen Ressour­cen findet, um die DHL-Argu­menta­tion zu zer­pflücken). Und schließ­lich: sollten die Forde­rungen anerkannt werden, würden die Ange­klagten zwar wirt­schaft­lich ruiniert und in lebens­lange Schulden gestürzt, sie könnten aber die gefor­derten Summen wahr­schein­lich trotzdem nicht auf­bringen. Mit dem tatsäch­lich ein­gehenden Geld könnte DHL wahr­schein­lich nicht mal eine ihrer vielen Fake-GoGreen-Kampag­nen finan­zieren.

Die nächsten Zivil­prozesse beginnen Mitte Juli, und sollten sie nicht per Vergleich beendet werden, ist im August mit dem ersten Urteil zu rechnen. Gründe für großen Opti­mismus gibt es nicht, denn Abschreckung ist politisch erwünscht. Schließ­lich hatte Bundes­justiz­minister Buschmann, Mitglied einer Partei, die vor langer Zeit mal liberal gewesen sein soll, von "soge­nanntem zivilen Unge­horsam" gesprochen und gewarnt, "Wer Flughäfen blockiert, der muss wissen, dass er zum Teil erheb­liche wirt­schaft­liche Schäden verur­sacht", und die Verur­sacher "werden ... diese Schäden unter Umständen ein Leben lang abzu­tragen haben". Die Justiz wird diesen Hinweis sicher nicht unbe­rück­sichtigt lassen.

Der Herr Minister sollte aber eigent­lich wissen, dass das Bundes­verfas­sungs­gericht der Bundes­regie­rung erst vor zwei Jahren nach­drück­lich vor­geschrie­ben hat, insbe­sondere die Jugend vor einer ganz anderen lebens­langen Belas­tung zu schützen: "Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klima­schutz". Konkret: "Subjektiv­recht­lich schützen die Grund­rechte als inter­tempo­rale Frei­heits­siche­rung vor einer einsei­tigen Verlage­rung der durch Art. 20a GG aufge­gebenen Treib­haus­gas­minde­rungs­last in die Zukunft. ... Konkret erfordert dies, dass früh­zeitig transpa­rente Maß­gaben für die weitere Ausge­taltung der Treib­haus­gas­reduk­tion formu­liert werden ...". Genau darauf, dass das nicht in aus­reichen­dem Maße geschieht, wollten die Aktivis­t:innen mit der Blockade hin­weisen und damit ihre Grund­rechte vertei­digen.
Im Gegen­satz dazu gibt es kein Grund­recht auf unge­störtes Profit­machen. Als das Grund­gesetz verab­schiedet wurde, hatte selbst die CDU noch in ihrem Programm stehen: "Das kapita­listische Wirt­schafts­system ist den staat­lichen und sozialen Lebens­inter­essen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furcht­baren poli­tischen, wirt­schaft­lichen und sozialen Zusammen­bruch als Folge einer ver­brecher­ischen Macht­politik kann nur eine Neu­ordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirt­schaft­lichen Neu­ordnung kann nicht mehr das kapita­listische Gewinn- und Macht­streben, sondern nur das Wohl­ergehen unseres Volkes sein." Daran hat sich nichts geän­dert.
Aber mit diesen Sätzen würde die CDU heute wohl auch im Ver­fassungs­schutz-Bericht erscheinen, der "dogma­tischen Links­extre­misten" vorwirft, "die Klima­proteste als Tribüne zur Verbrei­tung ihrer ideo­logischen Posi­tionen zu nutzen. Sie sehen in einem aus­schließ­lich auf Profit­maxi­mierung ausge­richteten „Kapita­lismus“ die Ursache für den Klima­wandel. Vorrang­iges Ziel ist es, ihre Forde­rung nach einer „System­über­windung“ in die demokra­tischen Klima­proteste einzu­bringen". Mit der Behaup­tung, "Zu den auch von Links­extre­misten im Rahmen der Klima­proteste genutzten Aktions­formen zählen unter anderem Blockaden und Beset­zungen ..., die als „ziviler Unge­horsam“ bezeichnet werden", wird auch da versucht, Aktionen wie die in Leipzig in die Nähe des Terror­ismus zu rücken und damit abzu­schrecken.

Die Leipziger BI "Gegen die neue Flug­route" / "Gegen Fluglärm in Leipzig", die an der Blockade nicht betei­ligt war, aber mit den ange­klagten Aktivis­t:innen solida­risch ist, fragt in einer Presse­mittei­lung zum Prozess­beginn, "Wer verfolgt die Nöti­gung gegen die Flug­lärm­betrof­fenen?" und "Wer leistet eigent­lich den durch Nacht­flug­lärm mit Ihrer Gesund­heit zahlenden Betrof­fenen Schaden­ersatz?". Die Fragen sind rhetorisch, ebenso wie diese: "Wer zahlt eigent­lich für die Klima­schäden, die durch den DHL-Betrieb und den geplanten Ausbau entstehen?". DHL möchte, ebenso wie die gesamte Luftfahrt-Branche unge­stört expan­dieren und Profite maxi­mieren dürfen. Wer da stört, wird aus dem Weg geräumt, die gesell­schaft­lichen Kosten tragen andere.
Da ist es wohl konse­quent, wenn die bis­herige "Deutsche Post DHL Group" ihren Namen erneut ändert und den Namens­bestand­teil elimi­niert, der an ein früheres, im öffent­lichen Inter­esse tätiges Unter­nehmen erin­nert. Die entsprech­enden Aufgaben erfüllt sie ohnehin nur noch unzu­reichend.
Wofür die übrig blei­benden drei Buch­staben der künftigen "DHL Group" stehen, dürfte hierzu­lande aller­dings kaum jemand wissen bzw sich merken wollen. Die Aktivis­t:innen in Leipzig und anders­wo können den Namen künftig viel­leicht als "Demo­kratie-feind­lich, Hinter­listig, Lügen­haft" aus­buch­stabieren, oder für den globalen Markt als "Dirty, High-emitting Logistics". Aber möglicher­weise kostet das ja auch wieder Schaden­ersatz, wegen Rufschä­digung.




Grafik: Anflug

Ein normaler Anflug über Raunheim (zum Vergrössern anklicken) ...

Fotos: Schäden

... und die nicht normalen Folgen.

14.06.2023

Neuer Wirbelschleppenschaden
an alter Stelle - schon wieder

Kaum zu glauben, aber wahr: wie die Main-Spitze berichtet, ist das Auto­haus Hempel in der Karl­strasse in Raun­heim am Freitag letzter Woche nun schon zum fünften Mal von einer Wirbel­schleppe getrof­fen worden. Wie auch beim vorher­gehen­den Schadens­fall vor etwas über einem Jahr wurden ver­schraub­te Platten aus dem Dach geris­sen (kleines Foto).
Diesmal ist aller­dings auch auf dem benach­barten Lager­gelände ein deut­lich sicht­barer Schaden ent­standen. Wie das grös­sere Foto zeigt, wurde eine stabile Zelt­kon­struk­tion hoch­gewir­belt und lan­dete auf dem Dach des dane­ben liegen­den Flach­baus.

Da der Besitzer des Material­lagers anwesend war und die genaue Zeit fest­gehal­ten hat, ist der Verur­sacher leicht auszu­machen. Es war ein Ferien­flieger der TUIfly, der vom griechi­schen Flug­hafen Hera­klion auf Kreta nach Frank­furt flog.
Die Mittel­strecken-Maschine vom Typ Boeing 737-800 ist nicht für die Erzeu­gung beson­ders starker Wirbel­schleppen bekannt. Sie ist in die vierte der sechs neuen Wirbel­schleppen-Kate­gorien, "Upper medium", einge­ordnet. (Die ersten drei Kate­gorien sind verschie­dene Varian­ten von "Heavies".)
Wie die Grafik oben zeigt, war sie auch auf der kor­rekten Anflug­linie, in der üblichen Höhe und nicht auf­fällig laut - also ein ganz normaler Über­flug bei Ost­wind. Ein­zige Auf­fällig­keit ist eine gering­fügige Zu­nahme der Geschwin­dig­keit beim Über­flug über Raun­heim (s. große Grafik), die aber schlimm­sten­falls etwas mehr Lärm erzeugt haben kann.

Offen­sicht­lich waren die Wirbel­schleppen aber stark genug, um erheb­liche Kräfte am Boden auszu­üben, da nicht nur ein angeb­lich marodes Dach beschädigt, sondern auch ein stabiles Zelt herum­gewir­belt wurden. Sturm­böen, die sowas hätten bewirken können, gab es zu der Zeit nicht.
Fraport-Beauf­tragte waren vor Ort und "prüfen", aber das ist wie immer nur Show, weil es da nichts zu prüfen gibt.

Wir haben es in den vergangenen Jahren immer wieder ge­schrie­ben und wieder­holen es hier noch­mal:
der Anspruch auf Schadens­ersatz in solchen Fällen "beruht auf einer Neben­bestim­mung des Plan­fest­stel­lungs­beschlus­ses von 2007. Dort heisst es: "Die Vor­habens­trägerin wird ver­pflich­tet, nach­weis­lich durch eine Wirbel­schleppe eines auf dem Flug­hafen Frank­furt Main landenden oder star­tenden Luft­fahr­zeugs verur­sachte Schäden auf ihre Kosten zu besei­tigen oder die ange­messenen Kosten der Schadens­beseiti­gung zu erstatten."
Hier ist nicht die Rede von irgend­welchen Quali­täts­stan­dards, es geht nicht einmal nur um Dächer - Fraport muss alle Wirbel­schleppen-bedingten Schäden ersetzen.
Im Urteil des Hessi­schen Ver­waltungs­gerichts­hof zu den Klage­verfahren gegen den PFB von 2009 heisst es weiter­hin: "Diese Neben­bestim­mung hat der Beklagte durch Erklä­rung in der münd­lichen Verhand­lung dahin­gehend abge­ändert, dass nun­mehr die Beige­ladene nachzu­weisen hat, dass bei Schadens­eintritt die Voraus­setzungen dieser Ver­pflich­tung nicht erfüllt sind", oder im Klartext: der Minister ver­pflich­tet Fraport, zu bewei­sen, dass aufge­tretene Schäden nicht durch Wirbel­schleppen verur­sacht worden sind, wenn sie nicht zahlen wollen."

Ein solcher Beweis könnte nur darin bestehen, zu zeigen, dass die Schäden nicht durch Luft­bewe­gungen ent­standen sind - oder dass in den Minu­ten vor Auf­treten der Schäden kein Flug­zeug vorbei­geflogen ist. Beides ist im vorlie­genden Fall natür­lich nicht möglich.

Dieser Fall macht damit erneut (fast) alle Aspekte des Skandals im Umgang mit den Wirbel­schleppen-Risiken deut­lich. Wirbel­schleppen können Schäden nicht nur an Dächern anrichten. Hier hat es ein Zelt getroffen, in der Ver­gangen­heit wurden Schäden an Dach­fenstern, Sonnen­kollek­toren, Roll­läden, Blumen­kübeln usw. berichtet, auch Boote auf dem Main wurden schon getrof­fen. Gegen diese Gefahren gibt es keine Siche­rung, sie können nur mini­miert werden, wenn Wirbel­schleppen den Boden nicht mehr in dieser Stärke erreichen können.
Die Regu­lierung auf­getre­tener Schäden wird vom Verur­sacher Fraport völlig will­kürlich gehand­habt. Ihre Schadens­liste weist für die aktu­elle Anflug-Periode (April/Mai) bisher drei Schadens­meldungen auf (Stand 14.06.), davon sind zwei angeb­lich "nicht auf Wirbel­schleppen zurück­zuführen". Warum das so sein soll, kann aller­dings niemand über­prüfen.
Die Dach­sicherung bleibt im Umfang völlig unzu­reichend und ist immer wieder von Skandalen gezeich­net. Fraport unter­läuft teil­weise die Ver­pflich­tungen aus den Plan­ergän­zungen, schreckt Haus­besitze­r*innen ab und liefert unzu­reichende Quali­tät.
Bis heute ist unge­klärt, unter welchen Beding­ungen Wirbel­schleppen am Boden Schäden anrichten können. Nach­weis­lich können Schäden bei den derzei­tigen Über­flug­höhen von fast allen Flug­zeug­typen verur­sacht werden, nicht nur von beson­ders schweren Maschinen. Unklar ist auch, unter welchen Wetter­beding­ungen das möglich ist. Aus­sichten, dass diese Fragen in abseh­barer Zeit geklärt werden, gibt es nicht. For­schungen zu Wirbel­schleppen richten sich fast aus­schliess­lich darauf, die zuläs­sigen Abstände zwischen Flug­zeugen zu mini­mieren, um die Kapazi­täten der Flug­häfen zu erhöhen.

Trotzdem tut die Politik so, als sei alles gere­gelt, und über­lässt die Betrof­fenen ihrem Schicksal. Wenn die sich wehren wollen, bleibt ihnen nur der Gang vor die Gerichte. Wie groß die Chancen sind, dort gegen Fraport Recht zu bekommen, haben die juris­tischen Aus­einander­setzungen um den Plan­fest­stellungs­beschluss zum Flug­hafen­ausbau und in anderen Fragen rund um den Luft­verkehr hinrei­chend gezeigt. Ohne ausrei­chende Unter­stützung und finan­ziellen Rück­halt kann man niemandem raten, diesen Weg zu gehen. Recht haben und Recht bekommen sind eben hierzu­lande sehr unter­schied­liche Dinge, wenn es um starke wirt­schaft­liche Inter­essen geht.
Denn eine grund­legende Lösung des Problems, eine wirk­liche Mini­mierung des Risikos von Schäden durch Wirbel­schleppen, wäre nur mög­lich, wenn Raun­heim und Flörs­heim deut­lich höher und weniger über­flogen würden - beides Dinge, die dem Wachs­tums­wahn der Fraport dia­metral ent­gegen stehen. Daher versuchen sie konse­quent, das Problem zu ver­leugnen und zu ver­tuschen - und haben dabei die volle Unter­stüt­zung der Landes­regie­rung und des zustän­digen Minis­teriums. Und es ist zu befürchten, dass sich daran auch nichts ändern wird, egal wie die Wahl im Herbst ausgeht.




Grafik: Militärische Lufträume

30.05.2023

Mehr Nachtlärm für die Sicherheit ?

"Mitte Juni 2023 wird es laut über Deutsch­land", warnt die Infor­ma­tions­stelle Mili­tari­sie­rung. "Die Bundes­wehr, die US Luft­streit­kräfte und 23 weitere Verbün­dete planen die größte Luft­waffen­verlege­übung seit Bestehen der NATO."
Das Gross­manöver Air Defender 23 steht unter Leitung der deutschen Luft­waffe, ist aber Teil der bereits seit Ende April laufenden, US-geführ­ten Gross-Übung DEFENDER 23, in deren Rahmen prak­tisch alle Waffen­gat­tungen der NATO Manöver in verschie­denen europä­ischen Ländern durch­führen.

DEFENDER wird vom gerade erst erwei­terten Haupt­quartier der US Army für Europa und Afrika in Wies­baden (Erben­heim und Mainz-Kastel) aus komman­diert, aber Air Defender spielt sich haupt­säch­lich ausser­halb des Rhein-Main-Gebiets im Norden, Süd­westen und Osten Deutsch­lands und über der Nordsee ab.

Über die Auswir­kungen der Flug­manöver auf die Zivil­bevölke­rung wird im Moment noch heftig speku­liert. Bereits im März hat die Bundes­regie­rung in ihrer Antwort auf eine "Kleine Anfrage" der Fraktion der Linken im Bundes­tag zu den Lärm­emis­sionen des Manövers ausge­führt: "Die Bundes­wehr ist bestrebt, die Belas­tungen für die Bevölke­rung ... so gering wie möglich zu halten. Gänz­lich werden sie sich aber nicht vermeiden lassen. Die „Zeiten­wende“ erfor­dert wieder verstärkte militä­rische Übungs­tätig­keiten, um unsere Frei­heit und die unserer Bündnis­partner wirksam wahren zu können."
Gemessen wird der Lärm aller­dings nicht, "da dies nach dem Gesetz zum Schutz gegen Flug­lärm an Militär­flug­plätzen nicht vorge­sehen ist". "Erhöhte Entschä­digungs­zahlungen" nach Flug­lärm­schutz­gesetz werden deshalb auch nicht erwartet. Es gibt Aussagen über die Treib­hausgas-Emis­sionen, aller­dings nur zu den jewei­ligen Übungs­flug-Einsätzen, nicht als Gesamt­bilanz des Manövers. Ob die "kompen­siert" werden sollen, wird nicht erwähnt.

Obwohl garnicht danach gefragt, betont die Bundes­regierung, dass auch "die Belas­tungen für ... den zivilen Luft­verkehr ... so gering wie möglich" gehalten werden sollen. Entspre­chend hat Luft­hansa-Chef Spohr schon früh­zeitig "mehr Flexi­bili­tät bei den Nacht­flug­verboten" gefordert. Er "möchte, dass Flug­zeuge während Air Defender zu späten und frühen Uhr­zeiten landen und starten dürfen, zu denen dies sonst nicht erlaubt ist. Dann könnten Flüge statt­finden, die zu anderen Uhr­zeiten durch das Manöver aus­fallen".
Die Politik wird dieser Forde­rung selbst­verständ­lich folgen. So hat die hessi­sche Landes­regie­rung bereits erklärt, Aus­nahmen beim Nacht­flug­verbot auf FRA zulassen zu wollen, und Gleiches gilt für den Flug­hafen Stutt­gart. Alle anderen werden wohl folgen.

Wie groß die Probleme im zivilen Luft­verkehr wirklich werden, ist umstritten. Öffent­lich wurde zunächst abge­wiegelt, es würde wohl zu Verspä­tungen, aber nicht zu Anullie­rungen von Flügen kommen. In der Flug­lärm­kommis­sion Frank­furt präsen­tierte die DFS, "mit Auswir­kungen auf die Pünkt­lich­keit und Flug­weg­ver­länge­rungen für die zivile Luft­fahrt ist zu rechnen".
Die Gewerk­schaft der Flug­lotsen hält diese Darstel­lung für "wirk­lich­keits­fremd" und erklärt, dass "... Simula­tionen der Deut­schen Flug­siche­rung GmbH (DFS) ... ergeben [haben], dass für die Dauer der Nato-Groß­übung täglich mit Gesamt­verspä­tungen ... von bis zu 50.000(!!!) Minuten pro Tag gerech­net werden muss. Darüber hinaus wird erwartet, dass bis zu 100 zivile Flüge pro Tag ihr Umlauf­ziel zur Nacht­schlies­sung der verschie­densten Flug­häfen in Deutsch­land nicht erreichen".
Die DFS-Geschäfts­führung und der "Bundes­verband der Deut­schen Luft­verkehrs­wirt­schaft" wiederum erklären diese Simula­tionen für veraltet und erwarten, dass es "wegen Umlei­tungen von Flügen um die gesperr­ten Bereiche zu Verspä­tungen kommen [werde]. Die meisten Flüge dürften aber pünkt­lich sein". Dafür sollen deutlich mehr Flug­lotsen einge­setzt werden.

Die US Army benennt als Ziel von DEFENDER 23 u.a.: "increase letha­lity of the NATO Alliance through long-distance fires". Über­setzt soll dieser Militär-Slang wohl bedeuten, dass die "Vernich­tungs-Fähig­keit" der NATO-Allianz durch "weit­reichende Feuer­kraft" gestärkt werden soll. Was genau dabei vernich­tet werden soll, darüber darf man speku­lieren.
Dass Air Defender 23 lethal wirken kann, hat sich mög­licher­weise bereits gezeigt. Auf dem Luft­waffen­stütz­punkt Hohn, der "nicht dauer­haft von der Bundes­wehr genutzt" und "nur für Not­fälle oder Groß­ereig­nisse akti­viert" wird, ist am 15. Mai ein Learjet abge­stürzt, die beiden Piloten starben. Das Flugzeug "aus der Flotte eines Tochter­unter­nehmens von Airbus ...", der " Gesell­schaft für Flug­ziel­darstel­lung (GFD)", "... diente der Bundes­wehr für die Simu­lation von Feind­flug­zeugen" und sollte aktuell "zum Training von Flug­lotsen der Bundes­wehr genutzt werden". An anderer Stelle heisst es: "Flug­ziel­darstel­lungen werden benötigt, damit Bundes­wehr­einhei­ten die see- oder land­gestützte Flug­abwehr mit Lenk­flug­körpern und Rohr­waffen üben können". Die Unter­suchungen dauern an.

Und obwohl die US Air Base in Frank­furt schon lange nicht mehr existiert, ist FRA bei militä­rischen Pla­nungen nicht völlig aussen vor, gerade was beson­dere Risiken angeht. Wegen der beson­ders langen Bahnen ist der Flug­hafen Frankfurt weiter in die NATO-Notfall­planungen inte­griert, und schon in der Vergangen­heit wurden Militär­flug­zeuge hierher umdiri­giert, wenn tech­nische Probleme eine Landung riskant zu machen drohten. Auch Todes­opfer gab es hier schon: erst vor kurzem wurde der 40. Jahres­tag eines Star­fighter-Absturzes über dem Stadt­wald begangen, bei dem die Frank­furter Pfarrers­familie Jürges getötet wurde.
Es gibt durchaus noch mehr gute Gründe, sich durch solche Manöver nicht sicherer zu fühlen. Deswegen ruft die Friedens­bewegung unter dem Titel "Für Diplo­matie statt militä­rische Eskala­tion mit „Defender“-Kriegs­manövern!" auf zur Demon­stration und Kund­gebung am 17. Juni vor dem Standort des 56th Artillery Command der US Army in Mainz-Kastel. Diese Einheit war bis 1991 für die in Deutsch­land statio­nierten Mittel­strecken­raketen Pershing 2 zuständig, wurde 2021 reakti­viert und soll künftig die in Grafen­wöhr zu statio­nierenden Hyper­schall-Raketen "Dark Eagle" komman­dieren, die in rund 8 Minuten Moskau erreichen können.
Viel­leicht wird ein US-ameri­kanisches Reise­büro dann wieder, wie zu Zeiten der Pershing 2, versuchen, auch mehr zivilen Flugverkehr hierher zu locken mit dem Slogan: Besuchen Sie Europa, solange es noch steht.




Grafik: SG-Kampagnenbild

27.05.2023

Kampagne gegen Luxus-Emissionen

Mit einer starken Aktion startete diese Woche eine neue europä­ische Kampagne zum "Verbot von Privat­jets und Luxus-Emis­sionen". Anläß­lich der dies­jährigen europä­ischen Privat­jet-Verkaufs­messe EBACE vom 23.-25-05. in Genf haben 103 Aktivis­t*innen einige ausge­stellte Luxus­jets block­iert. Der Flug­hafen sah den Flug­verkehr gefähr­det und stellte den Betrieb vor­über­gehend ein.
Zeit­gleich startete auf der Kampagnen-Platt­form WeMove Europe eine Peti­tion an "europä­ische Ent­scheidungs­träger": "Ban private jets and luxury emissions" ("Verbietet Privat­jets und Luxus-Emis­sionen").

Die Medien-Reso­nanz im deutschen Sprach­raum war für eine derartige Aktion relativ gut, denn es wurde nicht nur über die Tatsache einer Blockade berichtet, sondern auch über die Gründe dafür. Eine Green­peace-PM wurde von etlichen Zei­tungen zitiert und Medien vom Schweizer Rund­funk und Fern­sehen bis zum unter­grund­blättle berich­teten direkt.
Die Staats­macht rea­gierte wie aktuell bei Klima­protesten immer häufiger mit Verhaf­tungen und mehr als 24stün­digem Arrest, und die Veran­stalter drohen mit Klagen und finan­ziellen Forde­rungen, um die Aktivis­t*innen mundtot zu machen.

Die Aktion war nicht nur eine gelungene Fort­setzung der Aktivi­täten vom Anfang dieses Jahres, sondern auch geeig­net, neue Aufmerk­samkeit auf die Entwick­lung des sog. Geschäfts­flug­verkehrs zu lenken, der einen unge­brochenen Wachstums­trend und damit ständig steigende Klima­belas­tungen aufweist. Entspre­chend sieht der Abschluss­bericht der Messe "aufre­gende Markt-Chancen", da auch die weiteren Prog­nosen der Verkaufszahlen für die Hersteller sehr erfreu­lich sind.

Die Erfolgs­meldungen dieser Messe tragen aber auch erfolg­reich dazu bei, die Absur­dität dieser ganzen Veran­staltung deutlich zu machen. Wenn mit den Worten "Seit fünf Jahren steht sie im Angebot. Jetzt konnte Boeing erst­mals eine BBJ 777X verkaufen. Der VIP-Business­jet bietet mehr Platz als drei Wohnungen und ist für den Her­steller ein gutes Geschäft" gemeldet wird, dass einer der grössten existie­renden Lang­strecken­jets als 'Boeing Business-Jet' mit "... einem einzig­artigen privaten Schlaf­zimmer ... [einem] geräu­migen Büro- und Empfangs­bereich ... [und] Privat­bereich" verkauft werden konnte, der künftig mit rund 20 Personen an Bord "fast alle Städte auf der Welt nonstop mit­einander verbinden kann", dann macht das deut­lich, welche Perver­sion der Luxus­konsum einer völlig abgeho­benen Elite inzwischen erreicht.
Dass zu dieser Elite nicht in erster Linie exo­tische Öl­scheichs, exal­tierte Schlager- und Film-Stern­chen und neu­reiche Profi­fussballer gehören, kann man in diversen Studien oder speziellen Portalen nach­lesen. Das Ranking der gelis­teten Personen unter­scheidet sich je nach Zuordnungs­kriterien, aber man findet immer wieder die gleichen wirt­schaft­lich Mächtigen und Teile der poli­tischen Führungen.

Der Entwurf für die Ausstat­tung des Boeing-Luxus­jet wurde im Übrigen von Luft­hansa Technik vorge­legt, die auch die Luft­hansa-Kabinen für das 'neue Markt­segment' Premium Leisure entwickelt hat: "In der neuen Luft­hansa-Bord­welt Allegris verknüpfen First-Class-Suiten für Paare und Business-Class-Lösungen für Familien "Premium" deutlich enger mit "Leisure" als bisher", d.h. sie setzen auf Flug­reisende, die auch für ihre Frei­zeit-Trips auf Luxus Wert legen. Dass mit solchen Bestuh­lungen die Klima­schäden pro Person und Flug deutlich ansteigen, weil viel mehr Platz verbraucht wird und mit den gleichen Emis­sionen weniger Personen befördert werden können, interes­siert sie nicht.

Indem die Kampagne auf Privat­jets und Luxus-Emis­sionen fokus­siert, macht sie deutlich, dass es auch im Luft­verkehr deut­liche soziale Unter­schiede gibt. Es ist etwas anderes, ob jemand einmal im Jahr Verwandte auf anderen Konti­nenten besucht oder für einige Wochen in Urlaub fliegt (was aller­dings aus der Perspek­tive der Mehr­heit der Welt­bevölke­rung auch schon Luxus ist), oder ob jemand als Viel­flieger perma­nent um die Welt jettet und dabei einen tausend­fach höheren Klima­schaden anrichtet (im Privat­jet nochmal deut­lich mehr als in der First- oder Business-Class, die lt. ICCT auch schon "2,6 bis 4,3 mal mehr CO2" emit­tieren als die Economy-Class).
Auch werden dadurch direkte Aktionen zivilen Wider­stands wie in Genf (hier waren Stay Grounded, Green­peace, Extinc­tion Rebel­lion, Scientist Rebel­lion, ANV-COP21 und Abolir Jatos mit Aktivis­t*innen aus 17 Ländern betei­ligt) anschluss­fähig an die viel­fälti­geren Aktions­formen und Diskus­sionen, wie sie in den Bewe­gungen für globale Klima­gerech­tig­keit, z.B. bei Fridays for Future, Oxfam oder in den Kirchen geführt werden.
Und es ist kein Aufweichen bisheriger Forde­rungen. Indem an extremen Beispielen verdeut­licht wird, dass Flug­verkehr aus ganz unter­schied­lichen Gründen, von existen­zieller Not­wendig­keit bis zu absurdem Luxus, durch­geführt wird, wird die Debatte um notwen­dige Reduk­tionen der Zahl der Flug­bewe­gungen auf eine ratio­nalere Basis gestellt und es werden neue Zugangs­möglich­keiten zu Teilen der Bevölke­rung eröffnet.

Während in anderen europä­ischen Ländern wie Frank­reich, Belgien, Luxem­burg, den Nieder­landen and Portugal entspre­chende Diskus­sionen bereits breitere politische Kreise erfasst haben, ist es hierzu­lande bisher fast aus­schliess­lich die Linke, die entspre­chende Forde­rungen unter­stützt. Das ist aller­dings ange­sichts des klima­politischen Versagens der anderen großen Parteien keine Über­raschung und eigent­lich nur noch mehr Anlass, den öffent­lichen Druck zu erhöhen.
Wenn in Medien die Frage, ob eine Welt ohne Privatjets möglich sein könnte, nicht mehr kate­gorisch verneint, sondern mit Hinweis auf notwen­dige oder nütz­liche Ausnahmen beant­wortet wird, ist das ein Zeichen, dass das Thema gesell­schaftlich relevant zu werden beginnt. Und auch wenn ein voll­ständiges Verbot von Privat­jets in Europa in den nächsten Jahren nicht zu erreichen sein wird: die Kampagne stellt wirk­same kritische Fragen und ent­wickelt Druck in die richtige Richtung. Sie ist daher unbe­dingt unter­stützens­wert.




Bild: JHV-Podium

Studio-Atmosphäre: Vorstand und Aufsichtsrat präsentieren sich Aktionär*innen
und der Öffentlichkeit, die an den Bildschirm verbannt sind.

25.05.2023

Fraport-Jahreshauptversammlung: die politische Botschaft

Wie in jedem Jahr hat die Fraport auch kürz­lich wieder ihre Jahres­haupt­versamm­lung abge­halten und dazu auch wieder eine Reihe von Doku­menten ver­öffent­licht. Diese Pflicht­übung wird wesent­lich erleich­tert dadurch, dass anläss­lich der Corona-Pan­demie Regeln einge­führt wurden, die es Konzer­nen erlauben, ihre JHVs virtuell abzu­halten - eine Verein­fachung, die Fraport sich nun auch für die nächsten Jahre hat in die Satzung schreiben lassen. Und obwohl zwei Aktionärs­vertreter pflicht­gemäß ein bißchen herum­maulten, wurde dieser Vorschlag, wie fast alle anderen auch, mit über 90% Zustim­mung ange­nommen.

Primär dienen solche Veran­stal­tungen natür­lich dazu, die Wirt­schafts- und Finanz­daten des Kon­zerns in leuch­tenden Farben darzu­stellen und den Anle­gern zu ver­sichern, dass ihr Geld da gut aufge­hoben ist. Aber auch für die allge­meine Öffent­lich­keit gibt es eine Reihe von Bot­schaften wirt­schaft­licher und poli­tischer Natur. Daher wurde auch der erste Teil der Ver­anstal­tung life für alle über­tragen, während der zweite Teil nur über ein spezielles Portal für Aktio­när*innen zugäng­lich war.
Das öffent­liche Video wird wohl kein Quoten-Hit, denn dem hessi­schen Finanz­minister Bodden­berg als Aufsichts­ratsvor­sitzendem beim Abwickeln der Formalia zuzu­sehen oder den Dia­vortrag von Vorstands­chef Schulte zu bewun­dern, ist sicher­lich nur etwas für Hard­core-Fans. Poli­tisch interes­sant darin ist viel­leicht die kurze Bewer­bungs­rede des Frank­furter OB Mike Josef (Minute 28:05-28:25), der als Nach­folger von Peter Feld­mann mit 85,8% der Stimmen in den Aufsichts­rat gewählt wurde. Ganz Ziel­gruppen-spezi­fisch betonte er die Bedeu­tung des Wirt­schafts­faktors Flug­hafen für Frank­furt - und verlor kein Wort über Flug­lärm, Schad­stoff-Belas­tung oder Klima­schäden.

Die wichtig­sten Bot­schaften wurden aber schon vorab an die Öffent­lich­keit gebracht. Der Schulte-Vortrag stand schon Tage vorher im Netz, und die für Fraport wichtig­sten Inhalte wurden in einem dpa-Text in mehreren Medien wieder­gegeben.
Dabei stehen im Vorder­grund die welt­weiten Aktivi­täten der Fraport, insbe­sondere die von Skan­dalen umge­benen Ausbau­maß­nahmen in Griechen­land und Brasi­lien, die inzwi­schen mehr Profit abwerfen als das Kern­geschäft in Frank­furt. Wie Schulte in seinem Vortrag stolz zeigt, trägt das "inter­natio­nale Segment", das vor zehn Jahren 20% des "opera­tiven Konzern­ergeb­nisses (EBITDA)" lieferte, inzwi­schen fast 60% bei.

Bezüg­lich der Entwick­lung am Stand­ort Frank­furt heisst es: "Am heimi­schen Dreh­kreuz Frank­furt stehen der Neubau des dritten Terminals sowie die Moder­nisie­rung der beste­henden Abfer­tigungs­gebäude im Zentrum. Erheb­lichen Aufwand muss das Unter­nehmen treiben, um nach der Corona-Flaute ausrei­chend Personal zu rekru­tieren."
Das ist einer­seits wieder das übliche Schön­gerede des selbst­verschul­deten Personal­mangels, der offenbar auch von den Aktio­nären nicht hinter­fragt wurde, anderer­seits ein kleiner Hinweis darauf, dass in Schultes Ausfüh­rungen zu FRA im Gegen­satz zur vorher­gehen­den Medien­kampagne nicht Terminal 3, sondern die Moder­nisie­rungen im als "Last­pferd" bezeich­neten Terminal 1 mehr Raum einge­nommen haben.
Das liegt eigent­lich auf der Hand, denn hier geht es ums Kern­geschäft: im Terminal 1 werden rund vier Fünftel des Gesamt­betriebs abge­wickelt, und hier haben die Haupt­kunden, die Luft­hansa-Group und ihre 'Star Alliance'-Partner, ihren Sitz. Deren Prozesse zu opti­mieren und auf dem aktu­ellen tech­nischen Stand zu halten, muss für Fraport höchste Prio­rität haben, und darum geht es bei den perma­nenten Umbauten und Erweite­rungen, die neuer­dings unter dem Titel "Trans­forming Terminal 1" laufen. Dabei werden neue Einrich­tungen für Check-in und Sicher­heits­kontrollen geschaffen, der Sicher­heits­bereich erwei­tert (und dabei der öffent­lich zugäng­liche Bereich einge­schränkt) und dabei als "Abfall­effekt" (O-Ton Schulte) noch ein neuer "Markt­platz" geschaffen, auf dem besser­verdie­nenden Passa­giere unge­stört shoppen können und damit wie in Terminal 3 zusätz­liche Profite ein­spielen sollen.

Die eigent­liche poli­tische Bot­schaft dieser JHV steht aber in keinem Main­stream-Medium abge­druckt. Sie besteht eben darin, dass der Fraport-Kurs auf unge­bremstes, dauer­haftes Wachstum nirgendwo in Frage gestellt wird. Kriti­sche Aktionär­*innen kommen in Fraports virtueller Welt nicht mehr zu Wort, kritische Fragen werden nicht gestellt, Abstim­mungen über Perso­nalien und Forma­lia werden zur Form­sache. Wenn Fraport nach der JHV erfreut fest­stellen kann: "Aktionä­rinnen und Aktio­näre stimmen allen Tages­ordnungs­punkten zu", und das jeweils zu über 90%, dann stellen sie damit im Kern fest, dass sie für ihren Kurs die Unter­stüt­zung einer ganz grossen poli­tischen Koali­tion (auch "Schwampel" genannt) haben, die den Vorstands­kurs mitträgt.
Wer einen anderen Kurs für nötig hält, muss sich Bündnis­partner offen­sicht­lich woanders suchen.




Grafik: Flughäfen Europa

17.05.2023

Flughafen-Wettbewerb: Fraport definiert ihre Position

Scheinbar ohne beson­deren Anlass hat Fraport am Dienstag letzter Woche eine "kleine Dele­gation" von Medien-Leuten zu einem Besuch der Bau­stelle von Terminal 3 einge­laden. Die Experten wussten, welche Mel­dung von ihnen erwartet wurde: "Airlines wollen in neues Terminal 3" war sowohl bei airliners.de als auch bei aero.de am nächsten Morgen zu lesen.
Für die Wirt­schafts-Seiten gabs eine dpa-Meldung mit der trockenen Über­schrift Terminal 3 im Plan, aber Medien wie die Frank­furter Rund­schau schoben abends nochmal eine Lobes­hymne hinter­her: Fra­ports süd­licher Super­lativ.

Fraport-Chef Schulte lässt sich von dpa freudig wieder­geben: "Für die erwar­tete Entwick­lung des Flug­verkehrs gebe es in Deutsch­land wenige andere Stand­orte mit kon­kreten Ausbau­plänen oder unge­nutzten Reserven ... . Er bezieht sich auf Ein­schät­zungen von Verkehrs­minister Volker Wissing (FDP), dass der Flug­verkehr bis 2051 um 67 Prozent wachsen werde. „Mit dem neuen Terminal können wir einen Quanten­sprung nach vorne gehen.“"
Mal abge­sehen davon, dass Quanten­sprünge in der Regel räum­lich nicht allzu weit führen: Die "Super-Prozesse", die "ein Quali­täts­merkmal" sein sollen und dazu führen, dass Fraport "mit dem Terminal 3 strate­gisch richtig unter­wegs" ist, weil "die Sicher­heits­checks von Anfang an beinahe zum Ver­gnügen" werden und "Warte­zeit ... hier kein Thema mehr" sein soll, sind eigent­lich nichts weiter als der ganz normale Service, den man von einem funktio­nierenden Flug­hafen erwarten können sollte. Das eigent­liche "High­light ... in der großen hinteren Halle" sind "100 Retail­flächen und zusätz­liche Gastro­betriebe auf 12200 Quadrat­metern". Die sollen auch künftig den zusätz­lichen Profit gene­rieren, mit dem der Flug­betrieb quer­subven­tioniert werden kann.

Auch von anderen Flug­häfen gibt es Meldungen über Zukunfts­pläne, die aber eher in eine andere Richtung deuten. Bei­spiele:
Der Flug­hafen Düssel­dorf will die beste­henden Kapa­zitäts-Beschrän­kungen nicht länger infrage stellen und statt­dessen smart wachsen. Dazu will man "einen Antrag auf Ände­rung des laufenden Plan­fest­stellungs­verfahrens (PFV) zur Kapa­zitäts­erweite­rung" stellen mit dem Ziel, "inner­halb der geneh­migten Kapa­zitäts­ober­grenze [zu] wachsen ... durch die Verschie­bung von Bewe­gungs­kontin­genten zugunsten des Linien- und Charter­verkehrs ... [ohne] Betriebs­genehmi­gung für zusätz­liche Starts und Landungen". Konkret bedeutet das, dass ein Teil des bishe­rigen Betriebs (die Allge­meine Luft­fahrt) auf den benach­barten Regional­flug­hafen Mönchen­glad­bach ausge­lagert werden soll, um dadurch Platz zu schaffen.
Der Flug­hafen Wien teilt mit, dass er "bean­tragt, die ursprüng­liche Reali­sierungs­frist für die erste Bauphase, die mit 31.12.2023 bestimmt war, neu auf 30.6.2033 festzu­legen und die weiteren Fristen dement­sprechend anzu­passen", sprich, die seit 2012 heiss umkämpfte dritte Bahn nun erst in etwa 15 Jahren in Betrieb nehmen zu wollen. An fehlendem Geld liegt es wohl nicht, da die Gewinne wieder wachsen und die Anleger optimis­tisch sind.

Um die Hinter­gründe dieser Entwick­lungen besser zu ver­stehen, lohnt ein Blick in das neueste Lobby­papier der Dach­organi­sation der europä­ischen Flug­häfen, ACI Europe. Es ist eine Synopse genannte Zusammen­fassung und Popu­larisie­rung einer aus­führ­licheren Studie zur Wett­bewerbs­situation der Flug­häfen in Europa. Die Presse­mittei­lung zur Ver­öffent­lichung fasst den Kern der Botschaft zusammen: Es gibt einen scharfen Wett­bewerb in "einem stark frag­mentier­ten Netz­werk von annähernd 700 Flug­häfen - bei nur 7 grossen Airline-Gruppen als Prota­gonisten, die zwischen den Flug­häfen für ihre Routen, Flug­zeug-Basen und ihr Wachs­tum wählen" (eigene Über­setzung).
Damit setzt ACI Europe eine Kampagne fort, die sie schon vor zwei Jahren begonnen haben und die darauf zielt, das "regu­latori­sche Umfeld" für Flug­häfen zu verbes­sern, sprich Regeln abzu­bauen und weitere Profit­möglich­keiten zu eröffnen. Trotz dieser eindeu­tigen politi­schen Ziel­richtung sind einige der dabei vorge­brachten Argu­mente durch­aus rele­vant.

Gerade für Flug­häfen wie FRA ist das Aufkommen an Passa­gieren und Fracht aus der und in die Region zwar nicht unbe­deutend, aber ein immer kleiner werdendes Segment vom Gesamt­aufkommen. Im Kern wird FRA immer mehr zum Touris­mus-Hub mit einem Einzugs­gebiet "von Basel bis Hannover und von Düssel­dorf bis Nürn­berg", in dem sie mit etlichen anderen Flug­häfen konkur­rieren. Und dass Billig- und Ferien­flieger wie Ryanair schnell darin sind, irgendwo eine Basis aufzu­machen und ein paar Jahre später wieder aufzu­lösen, haben sie auch hier schon bewiesen.
Auch die Hub-Funktion im Inter­konti­nental-Verkehr unter­liegt einem gewissen Wett­bewerb. Wer z.B. von Nord­amerika nach Asien nicht direkt fliegen kann, kann wählen, wo in Europa er/sie umsteigen möchte. Laut der ACI-Studie gilt das für die Hälfte bis zu drei Vierteln der Ver­bindungs­flüge an europä­ischen Hubs, mit 67% für FRA.
Und auch der lokale Platz­­hirsch Luft­hansa Group und ihre Star Alliance kann ein Stück weit ihre Hubs in Frank­furt, München, Wien, Zürich und Brüssel gegen­einander aus­spielen, auch wenn vieles davon in der Ver­gangen­heit nur Theater­donner war. Immerhin verschafft sie sich mit ihrer jüngsten Zubringer-Tochter ein Instru­ment, mit dem alle diese Hubs nahezu gleich­wertig bedient werden könnten.

In diesem "Wett­bewerbs-Umfeld" stellt sich Fraport wie gewohnt aggressiv auf als "Stand­ort mit kon­kreten Ausbau­plänen", der ein mög­lichst grosses Stück vom vermeint­lich nun endlich lang­fristig wachsen­den Kuchen haben will. "Airlines wollen in Terminal 3" ist nichts weiter als die selbst­bewusste Behaup­tung, den "beauty contest", in dem nach den Worten des ACI Europe-General­direktors "Flug­häfen wett­eifern, um die ungebun­denen Airlines anzu­ziehen" (eigene Über­setzung), gewinnen zu können.
Grenzen wollen sie nicht aner­kennen, weder was die eigenen Möglich­keiten noch die plane­taren Ressour­cen und die Leidens­fähig­keit der Bevölke­rung im Umland angeht. Und während Flug­häfen wie Düssel­dorf oder Wien nach Möglich­keiten suchen, Konfron­tationen zu vermeiden oder in die Zukunft zu ver­schieben, zieht Fraport ihren Kurs durch, wohl wissend, dass sie breite poli­tische Unter­stützung in Bund und Land haben und der Wider­stand dagegen nur noch sehr schwach ist.
Wenn der Hinweis, Terminal 3 sei "Chance statt Milliarden­grab" , dennoch ein wenig nach Pfeifen im dunklen Wald klingt, dann deshalb, weil die Risiken nicht zu über­sehen sind. Auch bei wohl­haben­deren Menschen stehen die Ausgaben für Reisen früh zur Dispo­sition, wenn die wirt­schaft­liche Lage schlechter wird. Und je mehr Gebiete rund um die Welt je nach Lage und Jahres­zeit entweder aus­trocknen oder absaufen, desto enger wird es für den globalen Touris­mus. Schon wie die Welt 2026, wenn T3 in Betrieb gehen soll, aussehen wird, ist ungewiss. Alles darüber hinaus ist es erst recht.

Anmerkung in eigener Sache:

Wir können es uns nicht verkneifen, noch auf eine Beson­derheit hinzu­weisen. In der dpa-Meldung zur Fraport-Aktion wird medial ausge­wogen im letzten Absatz noch berichtet:
"Gegner wollen wegen Fluglärms hingegen eine niedrigere Ober­grenze durch­setzen und kämpfen auch gegen das T3. Die Kapa­zitäts­steige­rungen und mehr Starts und Lan­dungen würden zu einer "weiteren Verlär­mung" führen, heißt es bei der Bürger­initia­tive gegen Flug­lärm Raun­heim. Insgesamt kämpfen mehr als 80 Initia­tiven im "Bündnis der Bürger­initia­tiven" gegen den Flug­hafen­ausbau."
Wow! 80 Initia­tiven kämpfen im Bündnis, aber nur die BI Raunheim wird nament­lich erwähnt. Womit haben wir uns das verdient?

So ganz genau wissen wir es auch nicht. Gefühlt passt das Kurz-Zitat sinn­gemäß zu jedem zweiten Beitrag auf unserer Seite, stammt aber wohl aus der Einschät­zung, die wir im November letzten Jahres anläss­lich der Meldung zur Schlies­sung von Terminal 2 verfasst haben. Da kamen wir zu dem Ergebnis:
"Terminal 3 soll Kapa­zitäts­steige­rungen nicht nur dadurch ermög­lichen, dass mehr Passa­giere abge­fertigt werden können, sondern auch dadurch, dass Starts und Landungen dichter gepackt und damit mehr Flug­bewe­gungen pro Stunde reali­siert werden können. Auch wenn das auf abseh­bare Zeit nicht ganz­tägig gebraucht, sondern nur stunden­weise prakti­ziert werden sollte, würde das zu weiterer Verlär­mung und mehr Risiken führen."
Bis dpa mal so viel kritischen Hinter­grund und viel­leicht sogar die genaue Quelle für die zugrunde liegende Argumen­tation ver­öffent­licht, müssen wir uns wohl noch ein paar Jahre anstrengen. Aber immerhin: es ist ein Anfang.




Grafik: Anflug

Flug der B747-400 vom Absinken aus der Reiseflughöhe bis zur Landung
und Ausschnitt des Fluges über Rüsselsheim und Raunheim (zum Vergrössern anklicken)

10.05.2023

Ein ungewöhnlicher Anflug

Am Vormittag des Dienstag, 09.05., wunder­ten sich Anwohner­*innen in Alt-Raunheim über einen unge­wöhn­lichen Anflug. Es sah aus, als habe eine vier­strah­lige Maschine im letzten Moment einen Swing von der Nord­west­bahn auf die Center­bahn ausge­führt. Neben der unge­wöhn­lichen Route wirkte sie auch besonders niedrig und besonders laut.

Eine genau­ere Betrach­tung ergibt ein etwas anderes Bild. Die Boeing 747-400 der Luft­hansa aus Dehli, Indien, flog in der Tat einen etwas unge­wöhn­lichen Kurs, aber nicht nur über Raun­heim. Schon unmit­telbar nach Einflug in den deutschen Luft­raum wich sie von Öster­reich kommend von den üblichen Flug­routen ab und flog in relativ nied­riger Höhe auf einem Kurs auf FRA zu, der sonst als "Curved Approach" nur zu betriebs-armen Zeiten genutzt werden kann.
Nach einem sehr niedrigen Anflug über Bausch­heim und die Innen­stadt von Rüssels­heim drehte sie vom Main kommend über Raun­heim auf den Anflug zur Center­bahn ein, wo sie offen­bar ohne Probleme landete.

Obwohl zu dieser Zeit reger Betrieb herrschte, wurden die Anflüge auf die Nordwest- und die Südbahn während dieses Anflug unter­brochen, was als sicheres Zeichen dafür gelten kann, dass es primär darum ging, die Maschine aus Indien so schnell wie möglich herein zu holen. Offen­sicht­lich lag hier ein Not­fall vor, der von der DFS als so dringend einge­schätzt wurde, dass alles andere zurück­stehen musste.
Gehen wir gutwillig davon aus, dass es hier nicht darum ging, dass ein wichtige Persön­lichkeit zu spät zum Früh­stück kommen könnte (die Maschine hatte mehr als eine halbe Stunde Verspä­tung), spricht alles dafür, dass hier ein medizi­nischer oder ähnlich dring­ender Notfall vorlag.

Grund zur Beschwerde gäbe es damit nicht. Was liesse sich sonst aus dem Fall lernen?
Es war offenbar schon früh klar, auf welchem Kurs die Maschine landen sollte. Trotzdem ist sie beim Ein­schwenken auf die Center­bahn zu weit nach Norden geraten und musste den Kurs korri­gieren. Das kann man als Indiz dafür werten, dass der "Curved Approach" tatsäch­lich nur im abhäng­igen Betrieb genutzt werden kann, d.h. wenn eine Maschine von Süden kommend östlich des Rheins auf die Center- oder Südbahn ein­schwenkt, darf kein Anflug auf die Nordwest­bahn statt­finden.
In den kommenden 14 Tagen könnte er aller­dings öfter ange­wendet werden, denn wie Fraport noch­mals mit­teilt, wird die Nordwest­bahn vom 16. bis 31. Mai komplett gesperrt. In dieser Zeit soll die Ober­fläche der Bahn erneuert werden. Als Konse­quenz weisst Fraport ledig­lich darauf hin, dass in dieser Zeit die Lärm­pausen ausge­setzt werden müssen. Dass unter den An- und Abflügen vom Parallel­bahn-System dann mit wesent­lich mehr Krach zu rechnen ist, auch wenn die Zahl der zuläs­sigen Flugbe­wegungen pro Stunde gering­fügig abge­senkt wird, ist ja selbst­verständ­lich.

Generell gilt ohnehin: je näher man dem Flughafen kommt, desto mehr muss man mit Belas­tungen aller Art rechnen und hat sie hinzu­nehmen. Natür­lich könnte man davon träumen, dass DFS, Fraport & Co. in einem Fall ausser­gewöhn­licher Belas­tung wie dem oben beschrie­benen Anflug von sich aus infor­mieren, was passiert ist und warum diese oder jene Maßnahme notwendig war, oder eine brauch­bare Prognose vorlegen, welche Belas­tungen während der Sperrung zu erwarten sind. Aber das würde ja voraus­setzen, dass dort Verständ­nis für die Probleme der Anwohner vorhanden wäre. Soweit sind wir jedoch noch lange nicht.




Grafik Drohne, Hubschrauber

07.05.2023

Drohnen: So laut wie schwere Hubschrauber ?

Fraport träumte schon 2019 davon, "in das Flug­taxi-Geschäft" einzu­steigen. "In fünf bis zehn Jahren wollen wir in den Regel­betrieb" gehen, liessen sie damals verlauten. In jüngerer Zeit waren die Aussagen etwas zurückhaltender.
Wie schnell es letztendlich gehen könnte, ist noch unklar, da noch eine Reihe von Problemen zu lösen sind und auch deutsche Konzerne Flug­taxis derzeit nur für den asia­tischen Markt ent­wickeln. Die Vorbe­reitungen für die Einfüh­rung von Drohnen als Taxis oder Last­trans­porter gehen aber auch hier­zulande weiter, und es gibt Hinweise, das unan­genehme Über­raschungen drohen können.

So behauptete Fraport ursprünglich, es gäbe "Kein Dreck, kein Krach. Der Antrieb ist elek­trisch, der Flug geräusch­los", aber das war natürlich nur der übliche Fraport-Unsinn. Galileo sagt realis­tischer, "Bei Start, Landung und während des Flugs machen Drohnen weniger Lärm als Flug­zeuge oder Hub­schrauber. In 75 Meter Höhe erzeugen sie zwischen 70 und 75 Dezibel. Das ist unge­fähr so laut wie ein Staub­sauger oder die Wasch­maschine im Schleuder­gang", und das klingt schon weniger freund­lich.
Wissen­schaft­lichere Ausein­ander­setzungen mit Drohnen-Lärm konzen­trieren sich, wie eine UBA-Literatur­studie zeigt, aktuell noch "auf Drohnen der Bauform Multi­copter mit einer maximalen Start­masse bis 25 kg, da valide Lite­ratur­angaben für andere Bau­formen und/oder höhere Start­massen derzeit kaum vor­liegen. Aber auch für Drohnen mit einer maxi­malen Start­masse unter 25 kg ist die Daten­lage derzeit sehr dünn". Immerhin reichen die Daten aus, um festzu­stellen, "dass die Geräusche von Drohnen deut­lich stärker beläs­tigend sind, als sonstige Verkehrs­geräusche. Zurück­zuführen ist dies insbe­sondere auf ihre Geräusch­charakte­ristik, die durch eine starke Ton­haltig­keit sowie ein hoch­frequentes, breit­bandiges Geräusch gekenn­zeichnet ist".

Trotz "dünner Daten­lage" hat die auch für Umwelt­regeln zustän­dige EU-Agentur für Luft­sicher­heit, die European Union Aviation Safety Agency EASA, einen Vorschlag für eine "Erfas­sung und Begren­zung des Lärms von Flug­taxis" entwickelt und führt aktuell eine Anhörung dazu durch.
Formell handelt es sich um "Tech­nische Spezi­fika­tionen für den Umwelt­schutz" (Environ­mental Protec­tion Technical Specifi­cations (EPTS)), anwendbar auf "elek­trische senk­recht star­tende und landende Luft­fahr­zeuge" (electric Vertical Take-Off and Landing (eVTOL) aircraft), die "von mehreren, verti­kalen, nicht-klapp­baren und gleich­mäßig verteilten Rotoren" ange­trieben werden.
EASA gibt an, dass das weltweit die erste dies­bezüg­liche Norm ist, die "Grenzen setzt und gewähr­leistet, dass die Lärm­belas­tung nicht exzessiv wird". Sie kann daher durchaus als Muster für alle folgenden Regu­lierungen dieser Art von Flug­körpern, vulgo Drohnen, betrachtet werden.

"Nicht exzessive" Lärm­belastung klingt schon nicht nach besonders hohem Anspruch, aber nicht einmal der wird erfüllt. Denn weiter wird erläutert, dass die vor­geschla­genen Spezi­fika­tionen "den inter­natio­nal harmo­nisierten Zerti­fizie­rungs-Stan­dard für schwere Heli­kopter als Start­punkt" nehmen, um "Chancen­gleich­heit und Ver­gleich­bar­keit der Techno­logien" zu gewähr­leisten.
Technisch bedeutet das, dass der "maximal erlaubte Lärm­pegel", ausge­drückt als "Effec­tive Perceived Noise Level (EPNL)" und abhängig vom maximal zuläs­sigen Start­gewicht des Flug­körpers und Flug­phase auf folgende Werte fest­gelegt wird:

Grafik: Lärmdaten

Der "effektiv wahr­genomme Lärm­pegel in dB" EPNdB ist nicht direkt vergleich­bar mit dem äqui­valenten Dauer­schall­pegel LAeq, mit dem üblicher­weise Flug­lärm­ereig­nisse beur­teilt werden. Was die oben genann­ten Werte bedeuten, macht viel­leicht am besten ein Vergleich deut­lich. Laut der EASA Lärm-Daten­bank gelten für einen Airbus A380 folgende Limit-Werte: Start/Lateral 103, Überflug 106, Anflug 105 EPNdB.

Mit anderen Worten: Drohnen dürfen künftig nicht nur genauso laut sein wie schwere Hub­schrauber, die größten dürfen sogar noch ein bißchen lauter sein als das größte exis­tierende Passa­gier­flug­zeug. Und sie sollen nicht über "lärm-opti­mierte" Flug­routen zu Flug­häfen, sondern über dicht besie­deltes Gebiet bis in den inner­städti­schen Bereich fliegen. Selbst wenn man nur die unteren Grenz­werte für leichtere Drohnen betrach­tet, bewegt sich das in Bereichen, die auch von moder­neren, nicht ganz so grossen Passa­gier­flug­zeugen wie dem A320 erreicht werden.
Wie die EU ihr Ziel, die Lärm­belas­tung der Bevölke­rung bis 2030 deutlich zu senken, erreichen will, wenn sie zugleich zahl­reiche dicht besiedelte Gebiete neuen derar­tigen Belas­tungen aus­setzt, bleibt ihr Geheimnis.

Man muss das Ganze wohl so verstehen: EASA geht bei der Stan­dard-Defini­tion genauso vor, wie die Inter­natio­nale Zivil­luft­fahrt-Organi­sation ICAO das üblicher­weise auch tut: die Grenz­werte werden so gewählt, dass sie nieman­dem wehtun, weil sie von der aktu­ellen Technik ohnehin einge­halten werden. Der betrof­fenen Bevöl­kerung sagen sie im Grunde: Wenn ihr in eurer Region Geschäfte mit solchem Gerät duldet, ist es euer Problem. Wir werden euch vor dem dabei entste­henden Lärm nicht schützen.
Daraus kann man ableiten, welche Botschaft jetzt an Fraport & Co. gehen müsste: Falls ihr wirk­lich noch davon träumt, "Flug­gäste mit Ziel Messe oder Haupt­bahnhof" per Flug­taxi vom Flug­hafen dorthin zu bringen, wacht endlich auf. Die Region verträgt nicht noch mehr Lärm, und auch Öko­strom steht für solchen Unsinn auf abseh­bare Zeit nicht genü­gend zur Verfü­gung.

Wer der EASA direkt die Meinung zu diesem Vorschlag sagen möchte, kann das noch bis zum 15. Juni dieses Jahres über ein spezielles Web-Tool tun. Man muss sich dafür aller­dings regis­trieren.
Ob in den über 70 Seiten des Papiers, das noch jede Menge tech­nischer Details zu Defini­tion und Messung der rele­vanten Lärm­werte enthält, noch weitere kritik­würdige Punkte enthalten sind, können wohl nur ausge­wiesene Flug­lärm-Experten beur­teilen. Politisch sollte es aller­dings völlig aus­reichen, darauf hinzu­weisen, dass mit diesem Vorschlag "die gesell­schaft­lichen Bedenken gegen­über dieser neuen Form des städti­schen Trans­ports" keines­wegs ausge­räumt, sondern im Gegen­teil nur verstärkt werden.
Den Wider­stand gegen die Umset­zung dieser neuen Geschäfts­modelle werden solche Stellung­nahmen aller­dings nicht ersetzen können.




Grafik: Lärmkarten

Versuch eines Vergleichs der Ergebnisse der Fluglärm-Kartierungen 2017 (Datenbasis 2016)
und 2022 (Datenbasis 2019) für den Bereich der Gemarkung Raunheim.

20.04.2023
(Updates 24.04., 29.04. und 30.04.2023)

Neuer Lärmaktionsplan, neue Lärmwerte
- neue Inhalte ?

Knapp ein Jahr nachdem die letzte Version des "Lärm­aktions­plan Flug­hafen Frank­furt" vorge­legt wurde, ruft das Regie­rungs­präsi­dium Darm­stadt zur Betei­ligung der Öffent­lich­keit an einer neuen, vierten Runde der Aktions­planung auf. Auch die Stadt Raun­heim weist ihre Bürger­*innen auf die Möglich­keit zur Teil­nahme hin.

Dass das über 270 Seiten dicke Werk nun schon relativ kurz nach Erscheinen wieder zur Diskus­sion steht, hat Gründe, die das RP lieber nicht allzu sehr in den Vorder­grund rücken möchte.
Der erste ist natür­lich, dass die EU-Umge­bungs­lärm-Richt­linie, die Anlass für die ganze Aktion ist, 2002 verab­schiedet wurde und alle fünf Jahre eine Über­prüfung der Lärm­situa­tion und der Aktions­planung vor­sieht. Also waren 2007, 2012, 2017 und nun 2022 neue Lärm­kartie­rungen zu erstellen und die Aktions­pläne zu über­arbeiten. Dass das jedes­mal ein bißschen länger gedauert hat, so dass die Verspä­tung in der letzten Runde schon fünf Jahre betrug und jetzt gleich (verspätet) weiter­gemacht werden kann, zeigt, wie wichtig die Sache genommen wird.
Es gibt aber durchaus noch weitere, interes­santere Gründe, nach denen man aber etwas tiefer graben muss.

Da wäre zunächst der Tadel der EU-Kommis­sion, freund­lich-motivie­rend verpackt in einen Bericht über die bishe­rigen Wirkungen der Umgebungs­lärm-Richt­linie. Dort findet man zunächst den Hinweis, dass die Kommis­sion schon vor Längerem "gegen 15 Mitglied­staaten Vertrags­verlet­zungs­verfahren wegen unzu­reichender Umset­zung einge­leitet" hatte (zu denen eines gegen Deutsch­land gehörte), von denen sieben "aufgrund der verbes­serten Einhal­tung der Bestim­mungen ... einge­stellt werden" konnten (zu denen das gegen Deutsch­land nicht gehörte). Für den selbst­ernannten Muster­schüler der EU in Sachen Umwelt ist das kein Ruhmes­blatt.
Der EU-Bericht weist auch darauf hin, dass seit 01.01.2022 eine Änderung der Umgebungs­lärm-Richt­linie in Kraft ist, wonach die Risiken bestimmter gesund­heits­schäd­licher Lärm­wirkungen erfasst und bewertet werden müssen. Für Flug­lärm betrifft das die "starke Beläs­tigung" und die "starke Schlaf­störung".
Damit genügt es nun definitiv nicht mehr, wie im "Aktions­plan" vom 11.04.2022 nur ganz wert­neutral "die neusten Erkennt­nisse der Lärm­wirkungs­forschung" vorzu­stellen und darauf hinzu­weisen, dass dadurch "die für lärm­mindernde Maß­nahmen zustän­digen Luft­fahrt­behörden nicht verpflichtet" werden, irgend etwas zu tun. Nun ist das RP gefordert, die Risiken explizit zu berechnen und zu bewerten, d.h. zu beur­teilen, was getan werden muss, um sie zu senken. Man darf gespannt sein.

Damit wären wir bei der Haupt­kritik des EU-Berichts ange­kommen. Er stellt nüchtern fest, dass die Lärm­belas­tungen trotz Umsetzung der Richt­linie in den letzten 20 Jahren kontinu­ierlich zuge­nommen hat und auch "das spezi­fische Ziel, die Zahl der Menschen, die einer chroni­schen Belastung durch Verkehrs­lärm ausge­setzt sind, bis 2030 gegen­über 2017 um 30% zu senken", nicht erreicht werden wird. Warum das so ist, hat die Kommis­sion in Bezug auf Lärm von Groß­flughäfen in einer eigenen Studie unter­suchen lassen. Diese stützt sich zwar wesent­lich auf Berichte und Einschät­zungen der jeweils für die Flug­häfen "zustän­digen Behörden" (und wäre eine eigene Betrach­tung wert), macht aber trotzdem deutlich, dass die lokale Lärm­schutz­politik sich primär an den jewei­ligen natio­nalen Regeln und Verfahren orien­tiert und die EU-Regeln und -Ziele wenig Einfluss darauf haben.
Zu einem ähnlichen Ergebnis sind wir bei einer Analyse des Ablaufs der letzten Runde der Lärm­aktions­planung durch das RP Darm­stadt eben­falls gekommen: "Und so über­rascht es nicht, dass die durch­geführ­ten und geplan­ten Maß­nahmen eben die sind, die Landes­regierung, DFS, 'Forum Flug­hafen und Region/ExpASS', Fraport usw. in den letzten Jahren präsen­tiert haben. Eine eigen­ständige Ergeb­nis-Darstel­lung und -Bewer­tung dieser Maß­nahmen hält das RP nicht für seine Aufgabe. Es werden ledig­lich sehr allge­meine verbale Angaben über die Durch­führung der Maß­nahmen gemacht ("ist in Betrieb", "wird zu x% der Zeit genutzt" etc.). Ob dadurch irgendwo weniger Lärm ist oder gar die Beläs­tigung sinkt, spielt keine Rolle."
Die EU-Kommission hat mit der oben genannten Ände­rung der Umgebungs­lärm­richt­linie und zwei Urteilen des Gerichts­hof der Europä­ischen Union deut­lich gemacht, dass es so nicht gemeint ist.

Ein weiterer wichtiger Grund für einen neuen Lärm­aktions­plan ist, dass dafür verän­derte Lärm­werte in der Umge­bung des Flug­hafens Frank­furt zugrunde gelegt werden müssen. Das heisst nicht, dass sich die Lärm­situation tatsäch­lich wesent­lich verändert hätte. Geändert hat sich erstmal nur das Verfahren, mit dem aus den statt­gefun­denen Flug­bewe­gungen die jeweils in der Fläche bewirkten Lärm­belas­tungen berechnet werden.
Ruft man den Lärm­viewer Hessen der Hessi­schen Landes­anstalt für Natur­schutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) auf und wählt "Lärm­kartie­rung 2022" und "Fluglärm Groß­flughafen", bekommt man zunächst einen kurzen Erläu­terungs­text ange­zeigt, dessen ausführ­lichere Vari­ante auf der HLNUG-Webseite zur Verfü­gung steht. Auch das RP Darm­stadt stellt Erläu­terungen zur Verfügung.
Daraus kann man lernen: "Bislang galt für die Lärm­kartie­rung die Vorläu­fige Berech­nungs­methode für die Berech­nung von Umgebungs­lärm an Flug­plätzen (VBUF). Jetzt wurde die neue Berech­nungs­methode für die Berech­nung von Umgebungs­lärm an Flug­plätzen (BUF) einge­führt. Diese neue Berech­nungs­methode basiert auf dem EU-weit einheit­lichen Lärm­berech­nungs­verfahren CNOSSOS in Kombi­nation mit neu defi­nierten Vorgaben, welche Lärm­werte in der Lärm-Berech­nungs­software für verschie­dene Flug­zeug­gruppen bei Starts und Landungen jeweils in bestimmten Abständen vom Flughafen bei der Berech­nung unter­stellt werden sollen."

Wir haben uns mal ange­sehen, was die neue Berech­nung für Raunheim bedeutet und die Kartie­rungen 2017 und 2022 verglichen. In der Grafik sieht man, dass die höchsten Lärm­katego­rien '>=75 dB(A)' und '70-74 dB(A)' (Schwarz-blaue und violette Färbung) nach wie vor nur auf dem Flug­hafen­gelände bzw. in unbe­wohntem Gebiet nahe der Start- und Lande­bahnen auf­treten, wobei die violette Zone in der neuen Berech­nung deutlich schmaler wird, aber noch fast genauso weit vom Flug­hafen weg ragt. Die '65-69 dB(A)'-Zone (hell­braun/rot­braun) wird eben­falls schmaler, ragt aber auch praktisch noch genauso weit Rich­tung Raun­heim wie vorher. Anders sieht es mit der '60-64 dB(A)'-Zone (rot­orange/gelb­orange) aus: die ist über dem Raun­heimer Stadt­gebiet breiter und ragt nun bis Rüssels­heim hinein. Dass die '55-59 dB(A)'-Zone (hell­gelb/grün­gelb) ebenfalls grösser geworden ist, tangiert Raunheim kaum: nur der südwest­lichste Zipfel der Gemarkung, im Wald zwischen Horlach­graben und Waldweg, lag bisher ausserhalb - jetzt aber auch nicht mehr.
Vergleicht man das mit den gemessenen Ergeb­nissen an den vorhan­denen Meß­stationen, berichtet Fraport (für die "6 verkehrs­reichsten Monate") für die Station 05 Opel­brücke einen Lden-Wert von 58,4 dB(A), für die Station 06 Raunheim 62,5 dB(A). An den DFLD-Stationen Raunheim Süd wurde ein Lden-Wert von 61,7 dB(A), in Rüssels­heim Innen­stadt 61,6 dB(A) (für das ganze Jahr) gemessen. Diese Werte passen besser zu der neuen Berech­nung als zu der alten.

Tabelle: Lden-Werte

RP und HLNUG haben aber ein anderes Problem: "Bei der Berech­nung nach BUF werden in der Nähe des Flug­hafens geringere Immis­sionen berechnet und in weiter ent­fernten Gebieten oft höhere Immis­sionen als bei der bislang zu verwen­denden Vorläu­figen Berech­nungs­methode für den Umgebungs­lärm an Flug­plätzen (VBUF)." Das RP weiss auch: "Umso weiter sich die Mess­stationen vom Flug­hafen entfernen, desto größer wird tenden­ziell der Unter­schied zwischen Lärm­berech­nung und Lärm­messung" (HLNUG sagt ähnliches, formu­liert aber vorsich­tiger). Um diese letzte Aussage zu über­prüfen, haben wir uns die Meßwerte für die Stationen im DFLD-Netz, die in oder nahe der nach Westen reichenden Zunge der '55-59 dB(A)'-Zone liegen, für die Jahre 2016 und 2019 (die den Kartie­rungen 2017 und 2022 zugrunde liegen) näher ange­sehen.
Vorab sei aber auf einen Vorbe­halt hinge­wiesen, den der DFLD allen diesen Mittel­wert-Rechne­reien voran­stellt: "Nur die oben aufge­führten Über­flug­ereig­nisse gehen in die Lärm­berech­nung ein, d.h. bei Stationen mit schlechter Über­flug­erken­nung ist der Wert sehr proble­matisch". Die Über­flug­erken­nung wird umso schlechter, je leiser ein Flugzeug im Vergleich zu sonstigen Lärm­ereig­nissen ist. Während in Raunheim praktisch jeder Über­flug richtig erkannt wird, ist die Fehler­quote z.B. in Mainz deutlich höher, wobei der DFLD zweifel­hafte Werte eher aus­schliesst und daher dort tenden­ziell "zu niedrig" misst.

Tatsächlich liegen die Meß­werte der Stationen, die in der Kartie­rung 2022 erst­mals in der '55-59 dB(A)'-Zone liegen, alle in oder knapp unter­halb dieses Bereichs. Die 2016er Werte liegen fast alle höher, hätten also bereits damals in diese Zone gehört, lagen aber z.T. weit ausser­halb. Man kann die gleiche Betrach­tung für den Bereich östlich des Flug­hafens durch­führen und kommt zu ähnlichen Ergeb­nissen.
Damit sieht es so aus, als würde die neue Berech­nung nach BUV die tatsäch­lichen Lärm­verhält­nisse auch weiter entfernt vom Flughafen besser oder zumindest nicht schlechter wieder­geben als die früheren Berech­nungen. Das aber wollen die betrof­fenen offi­ziellen Stellen lieber nicht wahr­haben.

Schon in der Sitzung der Flug­lärm­kommis­sion im Februar hatten das Minis­terium und HLNUG ausführ­liche Präsen­tationen zur neuen Lärm­berech­nung vorge­legt. In den insge­samt 76 Folien wird u.a. gezeigt, dass die verän­derten Ergeb­nisse tatsäch­lich über­wiegend auf das geän­derte Berech­nungs­verfahren und nur zum gering­sten Teil auf Ände­rungen in der Daten­grund­lage zurück­zuführen sind (d.h. es wurde 2019 wahr­schein­lich etwa genauso viel Lärm erzeugt als 2016, aber die Rech­nung ergibt höhere Werte). Für den Vergleich von Messung und Rechnung werden die Meß­stationen der Fraport und des Umwelt- und Nach­bar­schafts­hauses heran­gezogen. Erwar­tungs­gemäß liegen auch hier die Meß­werte nied­riger als die Rechen­werte, aller­dings gibt es in den als besonders proble­matisch betrach­teten grösseren Entfer­nungen zum Flug­hafen prak­tisch keine solchen Meß­stationen, und deren Auswer­tungen entsprechen auch nicht der für die Umwelt­lärm­kartie­rung gefor­derten Norm (sondern der des 'Flug­lärm­schutz­gesetzes').
Besonders interes­sant, wenn auch sehr tech­nisch, sind die Ausfüh­rungen dazu, warum weder die Messungen noch die Berech­nungen den "wahren" Lärm wieder­geben können und welche Einschrän­kungen, Annahmen, Verein­fachungen etc. die Ergeb­nisse jeweils beein­flussen. Darauf geht auch ein Kommentar der 'Bundes­vereini­gung gegen Fluglärm' (BVF) mit kriti­schen Fragen zu den Meß­ergeb­nissen der Fraport ein. Im Ergebnis hat die FLK beschlossen, von allen Betei­ligten weitere Unter­suchungen und eine genauere Erfas­sung des verur­sachten Lärms zu fordern.

Damit nähern wir uns auch dem Kern der ganzen Aufregung. Niemand beur­teilt die Aufent­halts­qualität in einer bestimmten Region danach, ob der über 24 Stunden gemittelte äqui­valente Dauer­schall­pegel im Jahres­mittel 54,4 oder 55,1 dB(A) beträgt. Recht­lich ist das aber ein bedeu­tender Unter­schied.
Nach EU-Umgebungs­lärm­richt­linie gelten Menschen als lärm­belastet, wenn sie in Gebieten mit Lden >54,5 dB(A) oder Lnight >49,5 dB(A) leben. Wie das HLNUG der FLK mitge­teilt hat, sind die Zahlen der durch Flug­lärm Belas­teten im Rhein-Main-Gebiet durch die neue Berech­nung ganztags von knapp 190.000 auf knapp 400.000 und nachts von über 36.000 auf über 82.000 gestiegen. Das allein ist schon ärger­lich genug und gibt ein schlechtes Bild ab, hat aber sonst keine gravie­renden Konse­quenzen.
Aber es droht Schlimmeres. Bei der über­fälligen Novel­lierung der Lärm­berech­nungen gemäß Flug­lärm­schutz­gesetz sollen eben­falls die neuen Rechen­verfahren zum Einsatz kommen, und hier hätten erhöhte Lärm­werte weitaus drasti­schere Konse­quenzen: neue Lärmschut­zbereiche und neue Siedlungs­beschrä­nkungs­zonen, daraus resul­tierend neue Ansprüche auf passiven Schall­schutz, neue Bauverbote und etliches andere mehr. Kein Wunder, dass nun fieber­haft nach Schräub­chen gesucht wird, mit denen die Lärm­werte wieder in die richtige Richtung gedreht werden können.

Dabei ist die Forde­rung nach einer besseren Messung und Berech­nung des von Flug­zeugen verur­sachten Lärms natür­lich nicht falsch. Ansätze dafür gibt es schon länger. Wie man die Messungen verbes­sern kann, könnte Fraport selbst vom UNH noch lernen, u.a. in diesem Aufsatz. Dass bessere Berech­nungen des Lärm auch in grös­seren Entfer­nungen vom Flug­hafen möglich sind, hat der Deutsche Fluglärm­dienst DFLD im Auftrag der Initiative Zukunft Rhein-Main schon vor fast 10 Jahren gezeigt.
Womit wir wieder bei der Anhörung zum Lärm­aktions­plan wären. Nach dieser Vorge­schichte wird das RP Forde­rungen nach einer besseren Erfas­sung des Flug­lärms als Vorbe­dingung für erfolg­reiche Aktionen dagegen kaum gene­rell ablehnen können. Aller­dings sollte man nicht bei der FLK-Forde­rung einer einma­ligen Unter­suchung stehen­bleiben, sondern eine dauer­hafte, die ganze Region umfas­sende Flug­lärm-Über­wachung auf dem neuesten Stand der Technik fordern, also inklu­sive moderner Soft­ware zur Geräusch­erken­nung und Korre­lation mit Flug­bewegungs­daten zur sicheren Identi­fizie­rung von Über­flug­ereig­nissen und über die EU-Mindest­standards hinaus­gehender, an die lokalen Gegeben­heiten ange­passter Berech­nungs­programme. Das lässt sich auch wunderbar verknüpfen mit der Forde­rung nach wirk­samen Gebühren­erhöhungen in Abhängig­keit vom tatsäch­lich verur­sachten Lärm.

Ansonsten müssen wir auch zugeben, dass wir von der Änderung des Verfah­rens der Öffent­lich­keits­betei­ligung und der Möglich­keit, bereits in der ersten Runde Stellung­nahmen abgeben zu können, über­rascht wurden. Deshalb erscheint dieser Betrag erst wenige Tage, bevor die Frist zur Einrei­chung von "Anre­gungen und Vor­schlägen zu Lärm­minderungs­maßnahmen" abläuft (30.04.2023) und bevor ein Entwurf für eine BI-Stellung­nahme vorliegt.
Anderer­seits könnten wir natür­lich unsere Stellung­nahme zur letzten Runde einfach nochmal abgeben, denn alle Vorschläge wurden damals mit einer der drei Stan­dard-Begrün­dungen ("geht nicht", "zu teuer", "kein Bock") abge­lehnt. Viel­leicht wäre das unter den neuen Beding­ungen nicht mehr ganz so einfach.

Wir wollen aber dem RP bei seinem Bemühen, die Belas­teten-Zahlen wieder abzu­senken, entgegen kommen, und auch dafür gibt es hilf­reiche EU-Materi­alien. Die EU-Kommis­sion hat das Pheno­mena-Projekt durch­führen lassen, das Lärm­aktions­pläne analy­siert hat mit dem Ziel, Maß­nahmen zu iden­tifi­zieren, die "signi­fikante Reduzie­rungen (20%-50%) der Gesund­heits-Belas­tungen liefern können, die aus dem Umwelt­lärm von Strassen, Schienen und Flug­zeugen resul­tieren (eigene Über­setzung)". Die Europä­ische Umwelt­agentur hat Szena­rien entwickeln lassen, wie sich die gesund­heit­lichen Wirkungen von Verkehrs­lärm bis 2030 entwickeln könnten und was dagegen am besten hilft. Für Flug­lärm ergibt das optimis­tische Szenario, dass sich diese Wirkungen durch tech­nische Fort­schritte und opera­tive Maß­nahmen nur in begrenz­tem Umfang redu­zieren lassen. Am Frank­furter Flug­hafen mit seinem verkork­sten Bahnen­system und dem chronisch über­füllten Luftraum ist davon fast nichts zu erwarten. Das kann man sich im Detail auch in der Doku­menta­tion zur "5. Inter­natio­nalen Konfe­renz Aktiver Schall­schutz ICANA 23" ansehen und -hören.
Was dagegen eindeutig hilft und die Belas­teten-Zahlen drastisch senken kann, sind Betriebs­beschrän­kungen, insbe­sondere während der Nacht­zeiten. Die können überall umge­setzt werden und haben unmittel­bare, direkt spürbare Wirkungen. Aus den "Schluss­folge­rungen" des Pheno­mena-Projekts (S. 317): "Die beste Einzel­lösung im Hinblick auf die Redu­zierung der Gesund­heits­lasten ist die Einfüh­rung eines Nacht­flug­verbots an allen Flug­häfen, d.h. ein EU-weites Verbot von Nacht­flügen. Redu­zierung der Gesund­heits­lasten bis 2030: 37-60%" (eigene Über­setzung).

In einen realis­tischen Lärm­aktions­plan für den Flug­hafen Frank­furt für die nächsten fünf Jahre gehören daher unbe­dingt die beiden folgenden Forde­rungen:

Damit würden nicht nur die Bevölke­rung deutlich spürbar entlastet und die Anforde­rungen der EU-Umgebungs­lärm­richt­linie erfüllt, sondern auch noch etwas für den Klima­schutz getan. Was kann da noch dagegen sprechen?


Update 24.04.2023:

Inzwischen liegt auch die gemein­same Stellung­nahme der kommu­nalen Netz­werke ZRM und KAG vor. Die acht Seiten sind lesens­wert und bein­halten auch noch Tabellen mit weiteren Auf­schlüsse­lungen der Betrof­fen­heiten nach der neuen Lärm­berech­nung. Im Hinblick auf Ein­schät­zungen und Forde­rungen fühlen wir uns in Vielem bestätigt.
Zur bisherigen Lärm­aktions­planung wird mit Verweis auf die EU-Kritik fest­gestellt, dass die aktuelle Planung "nicht den unions­recht­lichen und natio­nalen Rege­lungen zur Ermitt­lung der Belange und den Inhalten des Lärm­aktions­plan" ent­spricht und insbe­sondere "jeg­liche Verbind­lich­keit und der Wille zur Umset­zung" fehlt.
Die neue Berech­nungs­methode wird begrüsst, denn sie "deckt sich mit der Wahr­nehmung der von Flug­lärm betrof­fenen Anwohner­*innen ..." und "... bestätigt, dass auch die weiter entfernt lebenden Menschen in der Metropolregion Rhein-Main vom Fluglärm stark belästigt werden, bzw. erheblichen Schlafstörungen ausgesetzt sind. Die ermittelten Zahlen und Daten erfordern für den Flughafen Frankfurt am Main weitaus mehr Anstrengungen zur Fluglärmreduzierung, als dies bisher der Fall war".
Zu den Forderungen "wird betont, dass der Flug­lärm­schutz in der Nacht aufgrund der hohen Zahl an Betrof­fenen erheb­lich erwei­tert werden muss. Dies gilt entspre­chend auch für den Flug­lärm­schutz für den gesamten Tag - hierbei spielt die Anord­nung von Betriebs­beschrän­kungen und damit die Ände­rung des Plan­fest­stellungs­beschlusses eine zentrale Rolle". Konkret: "Eine der wichtig­sten Forde­rungen ist die Auswei­tung des Nacht­flug­verbots auf 22 bis 6 Uhr", was mit Übergangs­zielen bis 2030 verbunden wird.
Zum "Flug­lärm­schutz für den gesamten Tag" heisst es: "Eine noch stärkere Lärm­belastung durch weitere Flug­bewe­gungen muss dringend vermieden werden!"

Damit haben wir es nun schwarz auf weiss, dass unsere Forde­rungen keines­wegs radikal und welt­fremd sind - aber umge­setzt werden sie deswegen noch lange nicht. Selbst wenn alle kommu­nalen Vertreter­*innen, die durch die beiden Netzwerke repräsen­tiert werden, auf­richtig und ernst­haft hinter diesen Forde­rungen stünden (woran in dem einen oder anderen Fall durchaus Zweifel erlaubt sind), erhalten sie nur dann Gewicht, wenn die betrof­fene Bevölke­rung selbst deutlich macht, dass sie ihr wichtig sind.
Es bleibt uns mit Sicher­heit nicht erspart, selber aktiv dafür einzu­treten, wenn es in der Region leiser werden soll.


Update 29.04.2023:

Und wir haben es nun auch noch kurz vor Einsende­schluss geschafft, eine aktuali­sierte Stellung­nahme beim RP einzu­reichen. Die gut versteckten Daten über die Belasteten-Zahlen, die darin erwähnt werden, sind auf der HLNUG-Webseite als xlsx-Tabellen­dokument herunter­ladbar.
Zum weiteren Ablauf schreibt das RP: "Die einge­henden Stellung­nahmen und Anre­gungen werden geprüft und mit den hierfür zustän­digen Institu­tionen bzw. Fach­behörden abge­stimmt. Die Prüf­aufträge und Ergeb­nisse finden sich anschließend im Lärm­aktions­plan wieder. Dieser wird zunächst in einem Entwurf veröffent­licht. In einer zweiten Öffent­lich­keits­betei­ligung – voraus­sichtlich zu Beginn des Jahres 2024 – haben betrof­fene Bürger­innen und Bürger, Kommunen, Verbände, Organi­sationen und Inter­essen­gemein­schaften erneut Gelegen­heit zur Informa­tion über den dann aktuellen Sach­stand und können Stellung­nahmen abgeben."
Wir haben also ein Jahr Zeit, dafür Druck zu machen, dass Lärmschutz von der Politik ernst genommen wird.


Update 30.04.2023:

Noch später als wir, aber dafür wesentlich umfangreicher und mit sehr viel mehr technischen Details, hat auch die 'Bundesvereinigung gegen Fluglärm' (BVF) ihre Stellung­nahme veröffentlicht. Etliche Vorschläge sind für eine kurzfristig wirksam werdende Lärmreduzierung durchaus relevant und verdienen Unterstützung.
Insgesamt bleibt die Stellungnahme aber hinter dem, was politisch notwendig und vielleicht auch durchsetzbar ist, deutlich zurück. So ist von der klaren Forderung auf der BVF-Webseite, "Einführung von Nachtflugverboten zwischen 22 und 6 Uhr an allen deutschen Flughäfen zum Schutz der Nachtruhe der Anwohner", in der Stellungnahme nichts zu finden. Auch andere Forderungen, die unter Betroffenen weitgehend Konsens sind, werden nicht erwähnt. Andererseits gibt es Forderungen, deren Nutzen durchaus bezweifelt werden kann.
Eine offene Diskussion unter allen Fluglärm-Gegner*innen in der Rhein-Main-Region über Strategie und Taktik und gemeinsame Forderungen für die kommenden Auseinandersetzungen wäre sicherlich notwendig und nützlich. Aber auch unterschiedliche Ansätze sind durchaus hilfreich, solange sie den Gegner in der gleichen Richtung unter Druck setzen.




Grafik Greenwashing

08.04.2023

Klimaschutz: Was nötig ist -
und was der Luftverkehr tut

Ende März hat der sog. Weltklimarat, offiziell die UN-Organi­sation 'Inter­govern­mental Panel on Climate Change (IPCC)', seinen sechsten Berichts­zyklus ('Sixth Assessment Report', AR6) mit der Vorlage des sog. Synthese-Berichts (AR6 SYR), der die Ergeb­nisse der Einzel­berichte der letzten Jahre seit dem Pariser Abkommen zusammen­fasst und inter­pretiert, abge­schlossen.
Die Haupt­aussagen lassen sich bei der Deutschen IPCC-Koor­dinie­rungs­stelle schon auf deutsch nach­lesen. Die "Zusammen­fassung für Politik­macher" (Summary for Policy­makers, SPM, 36 Seiten) und den "längeren Bericht" (Longer Report, 85 Seiten) gibt es nur in Englisch. Der kom­plette Bericht und dessen deutsche Über­setzung werden wohl erst in einiger Zeit vor­liegen.

Die Reaktionen auf diesen Bericht fallen auf allen Ebenen unter­schied­lich aus. Während die IPCC-Presse­mittei­lung noch Opti­mismus ver­breitet und betont, dass die Einhal­tung des Pariser 1,5°C-Zieles tech­nisch immer noch möglich wäre, wenn sofort und ent­schieden gehan­delt würde, stellt die UN-Presse­mittei­lung die schon aufge­tretenen Schäden und die Notwen­digkeit schnellen Handelns in den Vorder­grund. Und nur drei Tage später warnt der UN-General­sektretär davor, dass der Klima­wandel den Planeten unbe­wohnbar machen werde, wenn nicht sofort "Trans­forma­tion statt Flick­werk" umge­setzt werde.

Auch in der deutschen Wissen­schafts-Commu­nity betonen die, die an dem IPCC-Report mitge­arbeitet haben, im Press Briefing des 'Science Media Center' eher die immer noch beste­henden Chancen, während andere das für Selbst­betrug halten. Wieder andere schliessen daraus, dass sich die Klima­politik nun auf die Anpas­sungen an die unver­meid­lich kommen­den Verän­derungen konzen­trieren müsse.
Wie diese Verände­rungen in der näheren Zukunft aus­sehen könnten, versuchen Beiträge anhand der Grafiken des IPCC-Berichts oder als Zeitreise darzu­stellen.

Fast allen Stellung­nahmen ist aber gemeinsam, dass sie mit grossem Nach­druck darauf hin­weisen, dass die Anstreng­ungen zur Emis­sions­reduk­tion in den nächsten Jahren entschei­dend für die Entwick­lung der Klima­ände­rungen über eine lange Zeit sein werden. Wohl kein Satz aus dem IPCC-Report wird so oft zitiert wie dieser:

"Die in diesem Jahr­zehnt getrof­fenen Entschei­dungen und durch­geführten Maß­nahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren aus­wirken"

Die Antwort der Luft­verkehrs­wirt­schaft auf diese Heraus­forderung ist eindeutig und bleibt unver­ändert: sie möchte noch über Jahr­zehnte hinaus ihre Treib­hausgas-Emis­sionen steigern und ihre klima­schädi­genden Wirkungen noch mehr als verdop­peln. Dabei sind diese Szenarien teil­weise schon wieder über­holt. Während Industrie­vertreter öffent­lich in noch höheren Wachs­tums­prog­nosen schwelgen, verstecken sie das Nicht-Erreichen der Klima­ziele, die sie sich gerade erst gesetzt haben und die ohnehin schon gemäß der Fach­methodik als "criti­cally insuffi­cient" ("hoch­gradig unzu­reichend") einge­schätzt wurden, im Klein­gedruckten. Diese Ziel­einstu­fung bedeutet, dass "das Ziel mit einer Erd­erwär­mung von mehr als 4°C konsis­tent ist, falls alle anderen Sektoren einem ähn­lichen Pfad folgen".

Im Einzelnen wird erläutert, dass wesent­liche techno­logische Fort­schritte beim Flug­gerät in den nächsten zwanzig Jahren nicht zu erwarten sind, weil aufgrund der aktuel­len Knapp­heit an Flug­zeugen alte Maschinen länger im Einsatz bleiben und die Her­steller, die eben­falls unter Personal­knapp­heit leiden, auf Jahre hinaus mit der Produk­tion der "bewährten" Flug­zeug­typen ausge­lastet sind. Auch die "opera­tiven Verbes­serungen" wie opti­mierte und "klima­schonendere" Flug­routen werden kaum oder garnicht umge­setzt, ange­sichts zuneh­mender Mili­tarisie­rung wichtiger Luft­räume gibt es auf abseh­bare Zeit hier eher Ver­schlech­terungen.
Im Gegen­satz dazu nehmen die meisten Industrie­szenarien "techno­logische Effi­zienz­steige­rungen" von 0,5-2 Prozent pro Jahr an. Diese wurden in der Ver­gangen­heit durchaus erreicht, haben aber nicht zu Emis­sions­minde­rungen geführt, weil sie vom Wachstum des Verkehrs über­kompen­siert wurden.

Auch die eigent­lichen 'Wunder­waffen' der Luft­fahrt­industrie, die "nach­haltigen Flug­zeug­treib­stoffe" (Sustain­able Aviation Fuels, SAF), erfüllen die Erwar­tungen nicht. Die "klima­freund­lichste" Variante unter ihnen, die sog. eFuels, die mit Hilfe erneuer­barer Ener­gien herge­stellt werden sollen, stehen auf abseh­bare Zeit nur in mini­malen Mengen zur Verfü­gung. Nach einer Analyse des 'Potsdam Instituts für Klima­folgen­forschung' können die rund 60 welt­weit bis 2035 ange­kündigten (aber finan­ziell noch nicht abge­sicherten) Projekte zu deren Herstel­lung nur 10% allein des deutschen Bedarfs in den Sektoren Flug­verkehr, Schiffs­verkehr und Chemie, wo sie alterna­tivlos sind, abdecken.
Auch wenn eFuels (auch 'Synfuels' oder 'Power-to-liquid'-Treib­stoffe genannt) in fernerer Zukunft wohl die Treib­stoff-Basis für den unver­meid­lichen Lang­strecken-Flug­verkehr bilden werden, kann ihr Beitrag zur aktuell notwen­digen Ein­dämmung der Klima­kata­strophe nur gering sein. Das bestä­tigen auch alle 'offi­ziellen' Szenarien.

SAFs aus Biomasse oder orga­nischen Abfällen, die die klima­schäd­lichen Emis­sionen besten­falls teil­weise redu­zieren und eben­falls nur begrenzt zur Verfü­gung stehen, wenn sie nicht mit der Nahrungs­produk­tion, der Erhal­tung der Bio­diver­sität oder anderen, klima­freund­licheren Nutz­ungen in Konkur­renz treten sollen, stossen teil­weise eben­falls auf tech­nische oder ökono­mische Schwierig­keiten. Im Extrem­fall ist ihre Herstel­lung mit erhöhten Krebs­risiken ver­bunden oder wird aus ökono­mischen Gründen still­schwei­gend ganz aufge­geben. Dazu kommt, dass für manche Herstel­lungs­verfahren das Risiko der Nutzung ille­galer Roh­stoff­quellen mit hohen Umwelt­risiken wie der Rodung von Tropen­wäldern so hoch ist, dass die EU sogar schon derartige Treib­stoffe begrenzt hat, was von der Industrie natür­lich heftig bekämpft wird.
Eine Indu­strie-Markt­analyse kommt daher zu dem Schluss, dass schon für die Erfül­lung der in den USA und Europa beschlos­senen Bei­mischungs­quoten 2030 Bio-Roh­stoffe auf der ganzen Welt zusammen­gekauft werden müssen und die Versor­gung darüber hinaus extrem unsicher ist. ICAO unter­scheidet in der Trend­analyse einen "illustra­tiven Fall" der SAF-Nutzung, in dem sich die Emis­sionen von CO2 bis 2050 "nur" etwa verdop­peln würden, und eine "100%-Nutzung" von SAF und sagt auch (wenn auch nur in einer Bild­unter­schrift), was dafür nötig wäre:

"Der 'illustrative Fall' würde eine hohe Verfüg­barkeit von Bio­energie-Roh­material voraus­setzen, dessen Produk­tion wesent­lich durch den Preis oder andere poli­tische Mecha­nismen ange­reizt wird; 100% Ersatz mit nach­haltigen Flug­treib­stoffen würde einen kom­pletten Wechsel von der Erdöl-Aufbe­reitung zur Produk­tion von nach­haltigen Flug­treib­stoffen und eine substan­tielle Aus­dehnung des Agrar­sektors erfordern, was beides eine substan­tielle poli­tische Unter­stützung erfordern würde.
(eigene Über­setzung)"
.

Im Klartext: Notwendig wäre eine massive poli­tische Unter­stützung für Land­raub im globalen Süden in noch grösserem Stil als heute, um den Luxus der Reichen dieser Welt aufrecht erhalten zu können. Auf der anderen Seite könnte ein Verzicht auf Biotreib­stoffe wesent­lich dazu bei­tragen, Nahrungs­mangel aufgrund aktueller Krisen zu besei­tigen. SAF aus Biomasse können also eben­falls keine Lösung der Klima­probleme des Luft­verkehrs sein.

Wie wenig die Luft­fahrt­industrie an Klima­schutz­maßnahmen interes­siert ist, wenn sie keine Kosten sparen helfen, zeigt sich auch daran, dass der schon lange mögliche, relativ preis­werte und im Strassen­verkehr und selbst in der Schiff­fahrt schon lange übliche Einsatz sog. 'hydro­behan­delter Treib­stoffe', manchmal auch 'Advanced' oder 'Alter­native Fuels' genannt, kaum genutzt wird. Dabei handelt es sich im Fall des Luft­verkehrs um fossiles Kerosin, das nach­behandelt wird, um den Gehalt an Schwefel und bestimmten Kohlen­stoff-Verbin­dungen (Aromaten und Naphthalin) zu redu­zieren. Die CO2-Emis­sionen ändern sich dadurch nicht, aber andere klima- und gesund­heits-schäd­liche Emis­sionen (ein­schließ­lich ultra­feiner Partikel) werden zum Teil deutlich gesenkt.
Der volks­wirt­schaft­liche Nutzen durch die dadurch vermie­denen Schäden ist eindeutig positiv, aber der Treib­stoff wird für die Flug­gesell­schaften gering­fügig teurer. Daher wäre entspre­chender Zwang, z.B. Geneh­migungs-Auf­lagen, notwendig, um diese Vorteile zu nutzen.

Um das Fazit aus all dem kommt selbst die Tages­schau nicht herum: Klima­neutrales Fliegen bleibt eine Illu­sion, jeden­falls für die nächsten Jahr­zehnte, und nicht nur wegen der sons­tigen Klima­wirkungen des Luft­verkehrs. Die von der Luft­fahrt­industrie ange­botenen Lösungen wirken nicht, wie das Kompen­sations­system CORSIA, kommen viel zu spät, wie die eFuels, oder richten mehr Schaden als Nutzen an, wie die Biofuels.
Entwickelt sich der Luft­verkehr weiter wie bisher, wird er wesent­lich zur Beschleu­nigung und Verschlim­merung der Klima­kata­strophe beitragen. Soll diese einge­dämmt werden, muss er sich will alle anderen Sektoren an die gege­benen plane­taren Grenzen anpassen. Die Wahl zwischen diesen beiden Wegen ist in der Tat eine der wesent­lichen poli­tischen Fragen für die Zukunft der gesamten Mensch­heit, und die Antwort wird in den nächsten Jahren gegeben werden. Klima­schutz und Klima­gerechtig­keit wird es ohne einen schrum­pfenden Luft­verkehr nicht geben können.




Grafik: Lärmkarte und Köpfe

30.03.2023

Neue Gesichter und Strukturen im
kommunalen Widerstand gegen Fluglärm

Seit Beginn des Jahres hat sich einiges getan, was für den kommun­alen Wider­stand gegen den wieder wachsenden Fluglärm rund um den Frank­furter Flug­hafen von Bedeu­tung sein kann. Verant­wort­liche in Kommunen und Gremien wurden neu gewählt, und einige Struk­turen verän­dern sich.

An erster Stelle steht für uns natür­lich die Wahl des Bürger­meisters in Raun­heim, die David Rendel etwas über­raschend bereits im ersten Wahl­gang über­zeugend mit 55 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Am 01.April tritt er sein Amt an.
Wir gratu­lieren und hoffen auf eine gute Zusammen­arbeit. Schließ­lich hat David Rendel im Wahl­kampf deutlich gemacht, dass er das Thema Flug­lärm ernst nimmt, u.a. mit einem Beitrag auf seiner Webseite und in einem Zeitungs­beitrag.

Auch in etlichen anderen Städten der Region, die stark vom Flug­lärm betroffen sind, wurden oder werden neue (Ober-)Bürger­meister­*innen gewählt. Ob bei den Wahl­entschei­dungen das Thema Flug­lärm eine Rolle gespielt hat, wissen wir natür­lich nicht. Auch ob die Gewählten das Thema anders angehen werden als ihre Vor­gänger, und falls ja, wie, wird sich erst zeigen müssen. Wir haben im Folgen­den jeweils ein paar Indi­zien gesammelt.

In Frankfurt hat der SPD-Kandidat Josef die Stich­wahl am 26.03. sehr knapp gegen den CDU-Kandi­daten Becker gewonnen.
Frankfurt hat u.a. deshalb beson­deres Gewicht in Flug­lärm­fragen, weil die Stadt Anteils­eignerin der Fraport ist, mit zwei Personen im Aufsichts­rat sitzt und die Geschäfts­politik mitbe­stimmen kann (theo­retisch zumindest). Die Frank­furter BIs freuen sich, dass der neue OB Kern­forde­rungen wie ein echtes Nacht­flug­verbot von 22-6 Uhr und die Verlage­rung von Kurz­strecken­flügen auf die Schiene unter­stützt und dass Struk­turen wie die Stabs­stelle für Flug­lärm­schutz weiter arbeiten können und u.a. Daten über Lärm und Flug­bewe­gungen liefern.
Man kann wohl davon ausgehen, dass die Politik seines Vorgängers im Bereich Flug­hafen im Wesent­lichen fort­gesetzt werden wird. Weder die 'Kom­munal­politi­schen Leit­linien' der Frank­furter SPD zum Thema Flug­hafen, die Josef als SPD-Vorsit­zender vertritt, noch der Frank­furter Koa­litions­vertrag (Thema: "Flug­hafen": S.160-163), den er als "sein Programm" bezeich­net, lassen jeden­falls konkrete Verän­derungs­absichten erkennen.

In Mainz hat der Unab­hängige Nino Haase, der bei der vorher­gehenden Wahl noch für die CDU kandi­diert hat, die jahr­zehnte­lange SPD-Domi­nanz beendet und die Stich­wahl am 05.März mit 63% gegen den Kandi­daten der Grünen gewonnen.
Auf seiner Wahl­kampf-Web­seite findet sich nichts zum Flug­lärm unter den High­lights, aber weiter hinten im Programm verspricht er, für "Leisere Anflug­verfahren und Nacht­flug­verbot" zu sorgen. Eine Mainzer BI hatte vor der Wahl alle Kandidat­*innen befragt und auch vom späteren Gewinner eine Antwort bekommen. Die in aller Regel Flug­hafen-kriti­sche Mainzer Internet­zeitung Mainz& hat ein längeres Portrait des neuen OB veröf­fent­licht.
In der Fluglärm­kommission wird Mainz wohl auch weiterhin durch die zuständige Dezer­nentin Stein­krüger vertreten, die dort dem Vorstand angehört. Mainz ist ebenso wie Raunheim haupt­sächlich von Betriebs­richtung 07 am Flughafen betroffen, daher gibt es objektiv gemein­same Inter­essen. Inwieweit das wirksam wird, muss man sehen.

Etwas näher dran, in Nauheim, hat auch ein Unab­hängiger, Roland Kappes, die Stich­wahl am 19.03. mit knapp 63% gegen die SPD-Kandi­datin gewonnen. Er löst den CDU-Bürger­meister Fischer ab, der seit 2018 Vize-Vorsit­zender der Fluglärm­kommission war.
Nauheim ist haupt­sächlich durch die Südum­fliegung belastet und war ein wesent­licher Akteur im juris­tischen Streit um diese Route. Nach deren endgül­tiger juris­tischer Bestä­tigung sind die Aktivi­täten dort deutlich zurück­gegangen.

Auch in Bischofsheim wurde ein CDU-Bürger­meister abgelöst, dort durch die SPD-Kandi­datin Lisa Gößwein, die die Stich­wahl am 26.März mit 50,5% der Stimmen gewonnen hat.
In ihren Posi­tionen zum Wahl­kampf kam das Thema Flug­hafen nicht vor, aber das war bei ihrem Konkur­renten auch nicht anders. Immerhin hat sie mit Landrat Thomas Will einen Experten zum Thema in ihrem SPD-Orts­vorstand. Da Bischofs­heim ebenso wie Raunheim haupt­sächlich von Betriebs­richtung 07 am Flug­hafen betroffen ist (wenn auch weniger stark), wäre eine Unter­stützung von dort sehr erfreu­lich.

In Darmstadt tritt am 02.April der SPD-Kandidat Benz in der Stich­wahl gegen den Grünen Kolmer an, der aktuell gerade als zustän­diger Darm­städter Dezer­nent in den Vorstand der Flug­lärm­kommission gewählt wurde.
Der Fluglärm spielt im Darm­städter Wahl­kampf eben­falls keine Rolle, bei beiden Kandidaten ist kein Wort darüber zu finden. Direkt betroffen sind in Darm­stadt auch nur die nörd­lichsten Stadt­teile, der über­wiegende Teil des Stadt­gebiets bekommt davon nichts mit.
In der Flug­lärm­kommission wird sich zunächst so oder so nichts ändern, da der OB die Zuständig­keiten der Dezernent­*innen nicht beliebig ändern kann.

Im Laufe des Jahres wird u.a. auch in Rüssels­heim (am 02.07., Stich­wahl am 16.07.) und in Offen­bach (am 17.09., Stich­wahl am 08.10.) die/der Ober­bürger­meister*in neu gewählt. Auch dort können sich also noch perso­nelle Verände­rungen ergeben.

Die Fluglärm­kommission hat in ihrer Sitzung am 22.02. turnus­gemäß ihren Vorstand neu gewählt. Nach­folger von Thomas Jühe als Vorsit­zender wurde der Offen­bacher Stadt­rat Paul-Gerhard Weiß, neuer stell­vertre­tender Vorsit­zender der Kelster­bacher Bürger­meister Manfred Ockel. Die FLK schreibt zu der Neuwahl auch weiterer Mit­glieder: "Der Vorstand deckt damit wieder das rele­vante Spektrum der regio­nalen Flug­lärm­betroffen­heit ab. Alle Betriebs­rich­tungen mit ihren jewei­ligen An- und Abflug­routen sind perso­nell im Vorstand abge­bildet." In dieser Sicht­weise ist die beson­dere Raun­heimer Betroffen­heit durch Anflüge auf die Südbahn bei Betriebs­rich­tung 07 dann wohl durch Frau Stein­krüger aus Mainz abge­deckt.
Am 22.03 hat das hessische Verkehrs­ministerium mitge­teilt, dass es einen Entwurf für ein FLK-Gesetz im Landtag einge­bracht hat. Eine Erläute­rung dazu wurde bereits in der Sitzung der FLK am 22.02. präsen­tiert. Die SPD-Fraktion im Landtag kriti­siert, dass "nicht alle Anre­gungen der Flug­lärm­kommission für dieses Gesetz aufge­nommen" wurden, die Links­fraktion hält es für über­flüssig, "dass die Finan­zierung und die Anstel­lung der Geschäfts­führung über einen Träger­verein laufen soll, dessen Vorsit­zende dann auch noch die Frank­furter Umwelt­dezer­nentin Rose­marie Heilig (Grüne) ist". Der Gesetz­entwurf muss noch das übliche parla­menta­rische Ver­fahren durch­laufen, ehe er in Kraft tritt.

Der Voll­ständig­keit halber sei noch die Entwick­lung der beiden Zusammen­schlüsse 'Kommu­nale Arbeits­gemein­schaft Flug­hafen Frank­furt am Main' KAG und 'Initiative Zukunft Rhein-Main' ZRM erwähnt. Beide haben in den letzten Jahren relativ wenig Akti­vität gezeigt, sollen aber reakti­viert werden. In einer KAG-Presse­mittei­lung anläss­lich der Neuwahl des Vorstandes heisst es: "Landrat Thomas Will ... freut sich darauf, ab Herbst [2022] erneut den Staffel­stab zu über­nehmen. Als KAG-Vorstands­vorsitzender und gleich­zeitig Sprecher der Initiative „Zukunft Rhein-Main“ (ZRM) strebt er eine stärkere Zusammen­arbeit mit der ZRM in einem neu zu grün­denden Arbeits­kreis an, um den flug­verkehrs­relevanten Themen, die die Region bewegen, mehr Nach­druck und den Gremien eine stärkere Wirkung zu verleihen". Eine gemein­same Veranstal­tung ist bereits geplant.
Die Mitglieder beider Zusammen­schlüsse sind zwar zu einem grossen Teil, aber nicht voll­ständig identisch, und auch die Grund­lagen sind verschieden. Die KAG ist eine kommu­nale Arbeits­gemein­schaft auf Grund­lage eines entspre­chenden Gesetzes, in der nur Städte, Gemeinden und Land­kreise Mitglied werden können. Die ZRM ist eine Initiative, in der neben Städten, Gemeinden und Land­kreisen auch die BUND-Landes­verbände Hessen und Rhein­land-Pfalz und das BBI Mitglied sind. Auch die Ziel­setzungen sind unter­schied­lich formu­liert, so dass ein ein­facher Zusammen­schluss nicht möglich ist.
Raunheim ist Mitglied in der KAG, aber aufgrund früherer Diffe­renzen nicht in der ZRM. Es wäre an der Zeit, diesen Zustand zu ändern und die Raun­heimer Inter­essen in beiden Zusammen­schlüssen zur Geltung zu bringen.

Über alledem sollte man aber nicht vergessen: wer auch immer in den Gremien sitzt und in welchen Struk­turen auch gear­beitet wird: politi­scher Druck und daraus resul­tierende Verän­de­rungen wird es nur dann geben, wenn die Betrof­fenen an der Basis deutlich machen, dass ihnen das Thema wichtig ist, und nach­drücklich Verbes­serungen ein­fordern.




Logo UFP-Studie

Das ist sicher noch nicht das endgültige Logo

25.03.2023

Das UFP-Projekt des UNH ist online

Am 24.03. hat das UNH eine Pressemitteilung verschickt und darin mitge­teilt, dass erstens der erste Teil der UFP-Studie am 01.April startet und zweitens die Web­seite zum Projekt https://www.ultra­fein­staub-studie.de/ online ist. Unser Logo-Vorschlag wurde nicht berück­sich­tigt, aber anson­sten ist das eine gute Nach­richt.

Die Presse­mittei­lung gibt einen kurzen Überblick über die Ziele der Studie, bisher geleis­tete Arbeiten und die geplanten weiteren Abläufe. Beson­ders interes­sant ist ein Zitat des stell­vertre­tenden Studien­leiters, Prof. Alexander Vogel von der Goethe-Univer­sität Frank­furt: "Ein besonderer Schwer­punkt unserer Arbeiten liegt auf der Klärung der Frage, wie groß der Einfluss von star­tenden und landenden Flug­zeugen und Über­flügen für die UFP-Belas­tung am Boden ist".
Sollte das so umge­setzt werden, könnte endlich das lang gehegte Dogma, wonach die UFP-Emis­sionen fast nur vom Flug­hafen­gelände aus­gehen, zu den Akten gelegt werden.

Die Webseite wirkt auf den ersten Blick tatsäch­lich sehr aktuell und voll­ständig, selbst das Trans­parenz­papier ist brandneu (Stand 24.03.2023) und enthält den aktuellen "Stand der Studien­erarbei­tung". Etwas gewöh­nungs­bedürftig ist es, dass die neueste PDF-Version nur im Abschnitt "Trans­parenz", aber nicht im Down­load-Bereich verfügbar ist. Dort finden sich, wie zu allen anderen Themen offenbar auch, nur die veral­teten Versionen (wäre da "Archiv" nicht ein besserer Titel für diesen Bereich?).
Zur Belastungs­studie gibt es eine Beschrei­bung der Ziele, die erreicht, sowie der Arbeits­pakete, die dazu abge­arbeitet werden sollen. Details dazu, was jeweils wo und wie gemessen oder model­liert wird, darf man hier natür­lich (noch) nicht erwarten. Das Ganze ist hinter­legt mit einem Zeitplan, der einen Zeitraum von 36 bis maximal 42 Monaten abdeckt, also bis zum 31.03. bzw. 30.09.2026.
Entsprechend dem Bearbeitungs­stand gibt es zur Wirkungs­studie natür­lich wesent­lich weniger Material. Neben einer kurzen Beschrei­bung der Ziele, die wohl als vorläufig zu verstehen ist, ist der Inhalt der Design­studie darge­stellt, also der Vorstudie, die ein Konzept für die Struktur der tatsäch­lichen Studie entwickeln soll. Der entspre­chende Zeitplan umfasst daher auch nur 10 Monate (01.-10.2023).

Die "häufig gestellten Fragen" (FAQs) sind gegen­über der Version, die im Februar an die BIs versandt wurde und für uns Anlass zu Kritik gab, deutlich über­arbeitet worden und anschei­nend eben­falls auf dem aktuellen Stand. Das wäre sicher auch ohne unser Gemecker passiert, aber wir freuen uns, dass einiges davon offen­sicht­lich nicht ganz falsch war.
In einem wichtigen Punkt gibt es aller­dings eine Diskre­panz, die hoffent­lich bald geklärt wird. Die Antwort auf die nun wirk­lich häufig gestellte Frage: "Werden die UFP-Emis­sionen von Über­flügen in der Belas­tungs­studie berück­sichtigt und wenn ja, wie?" verweist auf eine "Anfor­derung an die Model­lierung ..., „die Fahnen­absen­kung durch Wirbel­schleppen zu unter­suchen, um zu klären, welchen Einfluss startende oder landende Flug­zeuge auf die boden­nahen UFP-Konzen­tratio­nen haben“." Diese Anfor­derung ist im Arbeits­paket 3.3, auf das verwiesen wird, nicht zu finden, und auch in keinem anderen. Man kann nur hoffen, dass das daran liegt, dass die Inhalte der Arbeits­pakete alle nur sehr knapp zusammen­gefasst darge­stellt werden und dieser konkrete Model­lierungs­aspekt in den Model­lierungs­aufgaben trotzdem ent­halten ist, z.B. im AP 2.7. Mit dem DLR-IPA sind zumindest die wich­tigsten Wirbel­schleppen-Model­lierer hierzu­lande im Konsor­tium vertreten.

Zeit­gleich mit der Presse­mittei­lung hat das UNH auch eine "Dokumen­tation Gesprächs­austausch zu UFP 22. Februar 2023" an die BI-Vertre­ter*innen verschickt, die zum letzten "Austausch­gespräch" geladen waren. Die stellt uns wieder vor ein bekanntes Problem. In der Dokumen­tation ist die in unserem letzten Beitrag breit disku­tierte Vorbe­merkung des Mode­rators wie folgt wieder­gegeben:
       "Einleitend werden noch einmal die Voraus­setzungen aus Sicht des FFR dar­gelegt, um für alle Teil­nehmen­den eine positive und respekt­volle Umgebung zu schaffen:",
danach folgen fünf Spiegel­striche, darunter
       "-   Keine Veröffent­lichung von Unter­lagen vor deren inhalt­lichen Diskus­sion"    (Grammatik-Fehler im Original).
Zweifels­ohne ist die Dokumen­tation eine Unter­lage, die bisher nicht von den Teil­nehmen­den disku­tiert worden ist, und sollte daher "aus Sicht des FFR" nicht veröf­fent­licht werden. Auch wird es vor "Ende Sommer/Anfang Herbst", wenn das nächste Treffen statt­finden soll, keine Möglich­keit dazu geben. Anderer­seits sind ja die von BI-Seite Teil­nehmen­den nicht als Indivi­duen einge­laden worden, sondern eben als Vertreter­*innen ihrer BIs, und sollten diese daher über die Ergeb­nisse infor­mieren. Wie verteilt man Unter­lagen an Bürger*innen, ohne sie zu "veröffent­lichen"?

Wir haben bereits im letzten Beitrag dargelegt, was wir von dieser "Sicht des FFR" halten, deswegen kann jede/r, die/der diesen Text liest, auch die Dokumen­tation hier nach­lesen. Darin sind noch weitere Unter­lagen verlinkt, die aller­dings während des Treffens präsen­tiert wurden und damit viel­leicht als disku­tiert gelten können (Achtung: sie stehen nur bis zum 30.04. zur Verfügung).
Sollte dem FFR nach diesem erneuten Verstoss gegen ihre "Voraus­setzungen" ein Treffen bei unserer Teil­nahme nicht mehr kuschelig genug sein, wird sich dafür sicher eine Lösung finden.




Grafik: FRA Koordinationseckwert

Der Koordinierungseckwert gibt nur an, was potentiell machbar ist. Wieviel Flugbewegungen (Starts und Landungen) tatsächlich stattfinden, hängt noch von vielen anderen Faktoren ab.

17.03.2023

Fraports Sommermärchen

Fraport war in den letzten Wochen mit einigen Neuig­keiten in der Presse, und wie üblich darf man das meiste davon nicht allzu ernst nehmen, wie z.B. die Pöbe­leien gegen ein echtes Nacht­flug­verbot und ein Verbot von Kurz­strecken­flügen im Frank­furter Ober­bürger­meister-Wahl­kampf oder gegen Steuern, Gebühren und Abgaben anläss­lich der ADV-Früh­jahrs­tagung.
Einen Punkt, der tatsäch­lich eine gewisse Bedeu­tung hat, wollen wir hier näher betrachten:
die Aussagen über die Entwick­lung der Flug­hafen-Kapa­zität in diesem Jahr und die dafür angeb­lich ausschlag­gebenden Gründe.

Angaben zu den geplanten Kapazi­täten findet man nicht im Fraport-News­room, der auf positive Bericht­erstat­tung fixiert ist. Selbst im 'Ausblick' der gerade erst veröf­fent­lichten Presse­mittei­lung und in der Präsen­tation zum Geschäfts­bericht 2022 steht dazu nichts.
Laut Presse­berichten hat Fraport-Chef Schulte in der zuge­hörigen Presse­konferenz die Kürzungen als Quali­täts­offen­sive verkauft und dabei auch versucht, die Personal­situation schön­zureden, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen.

Wer es genauer wissen will, muss sich die Zahlen auf den jewei­ligen Fach­seiten zusammen­suchen, auch in der Fach­presse waren sie nur teil­weise zu finden. Interes­sant ist das deshalb, weil Fraport noch mit den Nach­wehen der Corona-Pandemie zu kämpfen hat (leicht ironisch auch als spezielle Form von Long Covid bezeichnet) und die Planung deshalb anders läuft als üblich.

Normaler­weise werden auf nach EU-Regeln koordi­nierten Flughäfen (zu denen in Deutsch­land FRA und sechs weitere gehören) für jede Flug­plan­periode eine maxi­male Anzahl sog. "Zeit­nischen" (Slots) pro Stunde (ggf. unter­schied­lich für verschie­dene Tages­zeiten) vom dafür national zustän­digen "Flug­hafen­koordi­nator" (FluKo) fest­gesetzt und damit die maximal pro Stunde mögliche Anzahl von Flug­bewe­gungen bestimmt. In Deutsch­land ist dafür die Fluko Flug­hafen­koordi­nation Deutsch­land GmbH zuständig.
Deren Fest­setzung für FRA ist seit 2017 unver­ändert: pro Stunde sind maximal 104 geplante Flug­bewe­gungen möglich, plus 2 "ad hoc" einge­schobene Flüge, wenn nötig. Diese Fest­legung wurde zunächst auch für den Sommer 2023 getroffen.

Sie kommt aller­dings nicht zum Tragen, da Fraport wie schon für den Sommer 2022 und den Winter 2022/23 auch für den Sommer 2023 eine "tempo­räre Redu­zierung" der Eck­werte auf Basis einer anläss­lich der Pandemie einge­führten Leit­linie bean­tragt hat.
Demnach bleibt der sog. Koordi­nierungs­eck­wert, der 2022 von 88 auf 96 Flug­bewe­gungen pro Stunde gestei­gert wurde, noch bis ein­schliess­lich Juni bestehen. Ende Mai, wenn die Nordwest­bahn für Instand­setzungs­arbeiten vom 16.-31.05. geschlossen wird, wird er sogar auf 84 abge­senkt. Von Juli bis Oktober soll er dann in 2er-Schritten wieder auf 104+2 gesteigert werden.

Grund dafür seien "- ausge­löst v.a. durch wetter­bedingte Einflüsse - erneut sehr heraus­fordernde opera­tive Tage" im Winter­flug­plan, deren Analyse zu dem Schluss geführt habe, "dass die kurz­fristige Rück­kehr zu den Eck­werten 104+2 in der aktuel­len Situa­tion noch zu ambitio­niert" sei. Das soll wohl auf den 10tägigen Mini-Winter im letzten Dezember anspielen, in dem der Betrieb auf FRA deutlich hörbar aus dem Ruder gelaufen ist und zahl­reiche unzu­lässige Nacht­flüge durch­geführt wurden.
Auch im kommenden Sommer wäre "noch mit erheb­lichen opera­tiven Auswir­kungen zu rechnen, insbe­sondere sobald zusätz­liche Einflüsse auf das Gesamt­system des Flug­hafen Frank­furt ein­wirken", wie etwa Regen, Wind oder gar Gewitter. Da bremst man doch lieber etwas, bis "das Gesamt­system und die Res­sourcen aller Prozess- und System­partner diese Belastung wieder abbilden können".

Dieser letzte Satz ist in all dem Fraport-Geschreib­sel der einzige schüch­terne Hinweis darauf, dass die Probleme ganz über­wiegend darauf zurück­zuführen sind, dass die Haupt­akteure am Frank­furter Flug­hafen, Fraport und Lufthansa, die Pandemie auf asozialste Weise zur Profit­maximie­rung genutzt haben. Der völlig über­zogene Personal­abbau, der insbe­sondere ältere, tarif­lich besser gestellte Arbeits­verhält­nisse besei­tigen und die Belegs­chaften insge­samt billiger, flexibler und unter­würfiger machen sollte, hat nun zu der allseits bejam­merten Personal­knapp­heit geführt, die beide daran hindert, die Mög­lich­keiten der aktuell vorhan­denen Nach­frage auszu­schöpfen.
Für Fraport stellt sich das so dar: gemäß Geschäfts­bericht 2019 beschäf­tigte der Fraport-Konzern in Deutsch­land 19.294 Personen. Im Bereich 'Aviation' waren 6.380 Personen tätig, im 'Ground Hand­ling' 9.073. Im Geschäfts­bericht 2022 lauten die entspre­chenden Zahlen 15.691, 5.569 und 7.035. Die Zunahmen gegen­über 2021 betrugen 92, 93 und 98 Personen. Grob zusammen­gefasst heisst das, dass Fraport in Deutsch­land 2022 rund 3.500 Personen weniger beschäf­tigt hat als 2019; in den betriebs-kriti­schen Bereichen 'Aviation' und 'Ground Hand­ling' waren es konzern­weit 800 bzw. fast 2.000 weniger. Trotz angeb­lich "inten­siver Werbung" waren 2022 in den kriti­schen Bereichen jeweils weniger als 100 Personen mehr beschäftigt als 2021.

Fraport malt das Bild anders. In der Fach­presse wird Fraport-Finanz­chef Zieschang zitiert mit den Angaben, dass 2022 "rund 4.000 Mitar­beiter weniger an Bord waren als 2019", aber Fraport Ende 2023 "immer noch mit einer im Vergleich zu 2019 um mindes­tens 3.000 Leute verring­erten Mann­schaft zurecht­kommen" wolle. Gleich­zeitig soll aber bei den Boden­verkehrs­diensten ('Ground Hand­ling') "im August ... wieder so viel Personal einsatz­bereit sein ... wie vor der Krise", also fast 2.000 Personen mehr.
Lokal­zeitungen befassen sich mit solchen Details garnicht und erwähnen nur, dass Fraport "rund 1500 Personen für die Boden­abferti­gung ... in diesem Jahr neu ein­stellen" will, im Vergleich zu "rund 4000 Stellen, die während der Corona-Krise gestrichen wurden", in einem Fall mit dem wohl auch in der Fraport-Presse­konferenz geäus­serten Zusatz "vor allem im admini­strativen Bereich".
Wie das mit den Zahlen aus den Geschäfts­berichten zusammen passen soll, wird nicht erklärt, und wie aus den knapp 100 Personen mehr im letzten Jahr in einem "leer­gefegten Arbeits­markt" nun weit über 1.000 werden sollen, auch nicht.

Die Luft­hansa tut in diesem Spiel nach aussen so, als würde sie ihrem Partner Fraport, mit dem sie gerade ein opera­tives Joint Venture gegründet hat, bei der Bewäl­tigung der Schwierig­keiten groß­zügig entgegen­kommen, hat aber selbst jede Menge Probleme sowohl mit ihren Piloten als auch im Technik-Bereich. Sie kann das aber relativ entspannt durch­stehen, denn auch die perso­nell besser aufge­stellte Konkur­renz kann ihr wegen fehlender Flug­zeuge kaum Markt­anteile abnehmen. Und da die Zuwächse im Verkehr aktuell fast aus­schließ­lich auf Privatreisen zurück­zuführen sind, ist auch die auch jetzt wieder hervor­geholte Warnung vor "Abwan­derung von Flügen ins europä­ische Ausland" völlig absurd.

Als Fazit bleibt: es gelingt Fraport mit freund­licher Medien­unter­stützung relativ gut, ihr ekla­tantes Manage­ment-Versagen während der Pandemie vergessen zu machen. Über­zogener Personal­abbau und daraus folgend mise­rabler Service und Leistungs­erbringung weit unter Nach­frage­niveau wären normaler­weise ein Grund, den gesamten Vorstand zu feuern. Dass das nicht passiert, hat vor allem zwei Gründe: der Haupt­kunde Lufthansa hat genau die gleichen Probleme, und die End­kunden nehmen alles in Kauf, zahlen sogar noch höhere Preise und sorgen damit bei beiden für schnell steigende Gewinne.
Damit erfüllen die Vorstände von Fraport und Luft­hansa ihre Haupt­aufgabe: die Anteils­eigner werden zufrieden­gestellt, alles andere ist zweit­rangig. Dabei muss Fraport, über­wiegend in öffent­licher Hand, nicht einmal Divi­dende zahlen, es genügt, dass die wirt­schaft­lichen Aussichten "positiv sind" und "die eigene Prognose und die Schätzung vieler Analysten" über­troffen wurden.

Perversion am Rande: einen wesent­lichen Beitrag zum positiven Fraport-Ergebnis im letzten Jahr lieferten wieder die griechi­schen Flug­häfen, die Fraport vor fünf Jahren einem unter EU-Zwangs­verwal­tung stehen­den griech­ischen Staat prak­tisch gestoh­len hat und für die sie während der Pandemie auch noch griechi­sche Subven­tionen kassiert haben. Die "stark touris­tisch geprägten Airports ... begrüß­ten 2022 rund vier Prozent mehr Flug­gäste als 2019 – ein neues Allzeit­hoch". Und in diesem Jahr soll es noch mehr Urlaubs­reisen geben - in ein Land, dessen Infra­struktur ruiniert ist und dessen Tourismus­sektor derart prekäre Arbeits­verhält­nisse anbietet, dass dort trotz hoher Arbeits­losig­keit im Land Arbeits­kräfte aus "Afghanistan, Pakistan, Syrien und Ägypten" ange­worben werden müssen.
Und weil das alles so schön läuft, möchte Fraport auch bei den neuen Privati­sierungs­runden in Griechen­land dabei sein und bietet schon mal für den Flug­hafen Kalamata mit, und, wenn es soweit ist, wahr­schein­lich auch "für alle übrigen (22) Airports in einer Ausschrei­bung".

Die Anwohner des Flug­hafens dürfen im kommenden Sommer den Lärm erdulden in der Gewiss­heit, dass es in den nächsten Jahren nur schlimmer werden kann. Fraport und Luft­hansa werden sich nicht auf Dauer selbst im Weg stehen, und von einer Politik, die den Klima­schutz insgesamt auf die lange Bank geschoben hat, ist keinerlei Inter­vention zu erwarten. Auch frei­willige Selbst­beschrän­kungen der Luft­verkehrs­industrie oder der Reise­wütigen wird es nicht geben. Und breiter Widerstand, der den Wahn bremsen könnte, ist nicht in Sicht.




Grafik Logo-Vorschlag

Unser Vorschlag, ganz ohne böse Hinter­gedanken: Ausser der Partikel­wolke stammen alle Grafik-Elemente und Texte, auch die grün­färbende Lupe, von den Web­seiten des FFR bzw. des UNH. Nur die Anord­nung ist etwas angepasst.

02.03.2023

UNH zu UFP 2: Es geht los

Die wichtigste Botschaft des zwei Wochen vorher ange­kündigten Treffens im Umwelt­haus am 22.02. war die Erklärung von seiten des UNH, dass der Zuschlag für den ersten Teil des UFP-Projekts, die Belastungs­studie, erteilt wurde und das Projekt formal zum 01.04. starten wird.

Einige Inhalte und Rahmen­beding­ungen wurden in einer Power­point-Präsen­tation vorge­stellt, aber da die weder verteilt noch versandt wurde, können wir hier nur das wieder­geben, was wir (hoffent­lich korrekt) speichern konnten.
Das Konsor­tium, das das Projekt durch­führen wird, steht unter der Leitung von TROPOS, dem Leibniz-Institut für Tropo­sphären­forschung, und ist sehr breit aufge­stellt. Gefühlt gehört alles, was hierzu­lande in diesem Gebiet Rang und Namen hat, dem Konsor­tium an. Das bestärkt die Hoffnung, dass alle Themen, die in diesem Projekt behandelt werden können, tatsäch­lich auch kreativ und auf hohem Niveau abge­arbeitet werden.

Was sich in den Projekt­inhalten an Konkre­tisie­rungen, Nuancie­rungen und viel­leicht auch Verschie­bungen im Vergleich zur Leistungs­beschrei­bung ergeben hat, wird sich erst genau beur­teilen lassen, wenn das Arbeits­programm des Konsor­tiums schrift­lich vorliegt.
Aktuell besteht durchaus die Hoffnung, dass es noch einige Verbes­serungen gegeben hat.

Die Vorstel­lung der Arbeiten zur Wirkungs­studie hinter­liess den Eindruck, dass hier noch wesent­lich mehr offen ist, als es aufgrund der Leistungs­beschrei­bung für das Design der Wirkungs­studie zunächst schien. Es wird noch Workshops geben, in denen offene Fragen zur Konzep­tion der Studie disku­tiert werden können.
Hier ist als Kuriosum zu erwähnen, dass das UNH sich zwei Personen ausge­sucht hat, die als Vertreter­*innen der BIs zu einem dieser Workshops einge­laden werden sollen. Dazu gab es in dem Treffen keinen Wider­spruch.
Kurios daran ist einer­seits, dass das UNH darüber entscheidet, wer die Bürger­initiativen in solchen Work­shops vertreten soll. Anderer­seits ist es aber auch so, dass es nur eine kleine Zahl von Personen gibt, die die BIs in solchen Work­shops inhalt­lich vertreten können, und zumin­dest eine der beiden Personen sich durch inhalt­liche Vorar­beiten zu diesem Thema in einer Weise qualifi­ziert hat, dass diese Wahl ohne jeden Zweifel gerecht­fertigt ist.
Man kann dieses Vorgehen natür­lich auch akzep­tieren, wenn man die Position vertritt, dass es völlig egal ist, wer an diesen Workshops teilnimmt, weil es am Ergebnis ohnehin nichts ändern wird.

Ein weiteres Kuriosum betrifft eine Diskus­sion mit scheinbar ver­kehrten Fronten. In den UNH-Präsen­tationen wurde betont, dass die Ergeb­nisse, die in dem Projekt erar­beitet werden, so schnell wie möglich auch veröffent­licht werden sollen, und bevor­zugt auch in frei zugäng­lichen Open Access-Medien. Einige BI-Ver­treter waren dem gegen­über der Meinung, dass höchste Qualität und Wirksam­keit der Ergeb­nisse nur erzielt werden kann, wenn sie im Elfen­beinturm der Wissen­schaft verbleiben und nur nach einem Peer Review-Prozess hinter einer Bezahl­schranke verfüg­bar sind.
Ange­sichts der Tatsache, dass einer­seits 'Open Access' 'Peer Review' keines­falls aus­schliesst, von allen grossen deutschen Wissen­schafts­organisa­tionen unter­stützt und weiter­entwickelt wird und in der Schweiz inzwi­schen sogar Vorschrift ist, anderer­seits Preise für wissen­schaft­liche Artikel exor­bitant hoch sind und Zitier­rechte für gekaufte Artikel trotzdem erheb­lichen Einschrän­kungen unter­liegen, sind wir der Auf­fassung, dass eine solche Position dem Inter­esse der Bevölke­rung an einer schnellen und umfassenden Infor­mation über vorhan­dene Belas­tungen und mögliche Risiken diametral wider­spricht.

Das Nervigste zum Schluss: Der Mode­rator des Treffens begann mit einer Vorbe­merkung, von der wir uns ange­sprochen fühlen, die wir aber wegen mangelnder Auf­zeichnungs­möglich­keiten, Gedächtnis und Verständnis nur grob wieder­geben können. Demnach gehe es nicht an, dass Personen nament­lich mit Beiträgen aus Sitzungen in diesem Format zitiert werden, explizit wurde die Chatham House Regel erwähnt. Ausser­dem gehe es auch nicht an, Papiere zu veröffent­lichen, die noch nicht disku­tiert worden seien. Darüber hinaus wurde ein "respekt­voller Umgang" zwischen den Teil­nehmer­*innen ange­mahnt.
Wir fühlen uns ange­sprochen, weil wir im Bericht vom letzten Treffen drei agierende Personen nament­lich genannt haben und in der Vorbe­reitung des jetzigen Treffens die vom UNH verschickte Diskus­sions­grund­lage veröffent­licht und kritisch gewürdigt haben. Es ist uns nicht bekannt, dass andere ähnliche Ver­gehen begangen hätten, daher beziehen wir die Vorwürfe auf uns.

Wir haben dazu folgendes zu sagen:

"Respekt­voller Umgang" gehört zu den Dingen, die im Allge­meinen selbst­verständ­lich sein sollten, aber im Detail doch schwierig zu bestimmen und zu erkennen sind. Natür­lich gehört dazu, Personen nicht zu beschimpfen und nicht bloss­zustellen, aber wie scharf darf Kritik sein, ohne unge­hörig zu werden? Das hängt sicher auch davon ab, wen die Kritik trifft. Wer immer wieder gerne und kräftig austeilt, muss sich nicht wundern, wenn das Echo auch mal etwas lauter ausfällt.
Im konkreten Fall haben wir unsere Texte nochmal kritisch durch­gesehen und finden nichts zurück­zunehmen. Wer das anders sieht, sollte konkrete Punkte benennen. Sollte es sich hier aller­dings nur um eine Breit­seite handeln, die generell Kritik diffa­mieren und ein­schüchtern möchte, können wir nur sagen: tut uns leid, funktio­niert nicht.
Auf der anderen Seite gehört zu respekt­vollem Umgang auch, Beiträge von einge­ladenen Diskus­sions­partnern auch tatsäch­lich zur Kenntnis zu nehmen und darauf einzu­gehen. Ebenso gehört dazu, bei einer Einladung zur Diskus­sion auch Materi­alien vorzu­legen, die halbwegs aktuell und disku­tierbar sind. Hier kann man durchaus gewisse Mängel erkennen.

Was den Charakter der Treffen angeht, sollte das UNH zunächst einmal erklären, was es eigent­lich will. Bürger­initia­tiven haben unter­schied­lich Struk­turen, sind aber in aller Regel keine geschlos­senen Gesell­schaften. Die BIFR z.B. hat keinerlei formale Struktur, Mitglied ist, wer sich selbst als solches erklärt. Wer derar­tige BIs über einen offenen Verteiler zum Gespräch einlädt, mit der Aussage, sie gelte "aber ausdrück­lich auch für alle weiteren Interes­sierten aus Bürger­initia­tiven und kann gerne weiter­geleitet werden", der kündigt damit eine öffent­liche Veran­staltung an. Und wer dazu ein Papier als Diskus­sions­grund­lage verschickt, das nach eigener Aussage für "eine eigene Webseite für die UFP-Studie" erstellt wurde, die demnächst veröffent­licht wird, aber "bis zu unserer Veran­staltung noch nicht fertig­gestellt ist", kann nicht davon ausgehen, dass dieses Papier vertrau­lich behan­delt wird.
Um was geht es also? Sollen diese Treffen die Aufgabe erfüllen, "Bürge­rinnen und Bürger ... über die Entwick­lung des Frank­furter Flug­hafens und der Region zu infor­mieren" und "die Kommuni­kation und Koope­ration ... kontinu­ierlich und nach­haltig zu verbes­sern", oder sollen sie nur der Strate­gischen Einbin­dung der BIs in ein Projekt dienen, das die Gefäh­rdung der Akzep­tanz des Flug­hafens in der Region mini­mieren soll (oder ist das etwa dasselbe)? Wenn Letzteres der Fall ist und diese Treffen unter Regeln statt­finden sollen, die von elitären Zirkeln für poli­tische Hinter­zimmer­gespäche erfunden wurden, müssten wir unsere Teilnahme daran noch einmal über­denken.
Sollte das aber alles nicht so gemeint und diese Einlei­tung nur ein kurzes Aufjaulen gewesen sein, weil die Kritik einen Nerv getroffen hat, aber eine inhalt­liche Erwide­rung nicht parat war, können wir uns zufrieden zurück­lehnen und weiter­machen wie bisher.

Für das Bündnis der Bürger­initia­tiven könnte diese Diskus­sion gerade anläss­lich seines 25. Geburts­tags ein Grund sein, nochmal darüber nachzu­denken, was aus seiner Geschichte zu lernen wäre. Man kann unter­schied­licher Auffas­sung darüber sein, was von den früheren Posi­tionen heute noch Gültig­keit haben sollte, aber eines ist sicher: blindes Vertrauen in die guten Absichten der Landes­regierung und ihrer Institu­tionen hilft bestimmt nicht dabei, die Bündnis-Ziele durch­zusetzen.




Grafik: GAT-Protest

18.02.2023

Neuer Protest-Tag gegen Privatfliegerei
- und weitere gute Gründe für deren Verbot

Am 14. Februar gab es einen weiteren welt­weiten Aktions­tag zum Verbot von Privat­jets. Wie schon bei den Aktionen Ende letzten Jahres und anläss­lich des Welt­wirt­schafts­gipfels reichten die Aktions­formen von demon­strativen Protesten bis zu echten Block­aden.
Deutsche Flug­häfen waren diesmal leider nicht dabei, obwohl Deutsch­land nach der Menge an Emis­sionen von Privat­jets an Platz 4 in Europa liegt (und die Münchner Unsicher­heits­konferenz einen guten weiteren Anlass geboten hätte).
Auch waren die Auswir­kungen bei weitem nicht so gross wie die der Aktionen subver­siver Bagger­fahrer oder der Gewerk­schaften, aber sie rückten einmal mehr das Haupt­problem des Luft­verkehrs in den Mittel­punkt: die immensen Klima­schäden, die der Luxus­konsum Flug­reisen anrichtet.

Wie dringend dieses Problem ist, haben eine Reihe von Veröf­fent­lich­ungen der letzten Wochen wieder einmal über­deutlich gemacht. Wir steuern auf ein neues Rekord­jahr zu, in dem vermut­lich die 1,5°C-Grenze des Pariser Klima­abkommens bereits temporär über­schritten wird. Eine neu­artige Studie sagt voraus, dass sowohl diese als auch die 2°C-Schwelle sehr viel früher als bisher ange­nommen auch dauer­haft über­schritten werden wird, auch weil einige Feed­back Loops bisher in ihrer Wirkung unter­schätzt wurden. Aktuelle For­schungen in der Ant­arktis stellen fest, dass nun auch dort, wie schon seit Jahren in der Arktis, das Meereis zurück­geht, und neuere Daten zum Meeres­spiegel-Anstieg sind derart drama­tisch, dass sich sogar der UN-Sicher­heits­rat damit befassen muss.
Studien, die die für den Kampf gegen die Klima­kata­strophe rele­vanten gesell­schaft­lichen Dynamiken unter­suchen, kommen zu dem Ergebnis, dass "eine Begren­zung der globalen Erwär­mung auf 1,5 Grad Celsius ... derzeit nicht plau­sibel" ist, selbst wenn sie tech­nisch noch möglich sein sollte. Haupt­ursache dafür ist, dass die großen Unter­nehmen ihrer gesell­schaft­lichen Verant­wortung nicht gerecht werden und keine ange­messenen Klima­strate­gien ent­wickeln. Andere Studien warnen vor einem Doom Loop, in dem die Staaten und Gesell­schaften so damit beschäftigt sind, auftre­tende Klima­schäden zu bewäl­tigen, dass sie keine Ressourcen mehr dafür auf­bringen können, ihre Ursachen zu bekämpfen.

"Mang­elnde gesell­schaft­liche Verant­wortung" gilt insbe­sondere für die Luft­verkehrs­wirt­schaft, deren globale Dach­organi­sation ICAO es tatsäch­lich fertig bringt, ihr längst geschei­tertes "Kompen­sations­system" CORSIA als Erfolg zu feiern, weil es organi­satorisch halbwegs funktio­niert. Sein aktueller Beitrag zum Klima­schutz wird in folgen­dem Satz zusammen­gefasst:
"Der Sektor-Wachstums­faktor 2021 wurde von ICAO als Null berech­net, so dass sich für die Akteure für 2021 keine Kompen­sations­pflichten ergeben." (eigene Über­setzung)
Und es wird nicht besser: nach unab­hängigen Berech­nungen werden auch 2030 nur rund 22% der Emis­sionen des inter­natio­nalen Flug­verkehrs 'kompen­siert' (mit äusserst frag­würdigen Ergeb­nissen).
Die Diskre­panz zwischen dem, was die Luft­verkehrs­wirt­schaft tatsäch­lich tut, was sie sich als Ziel gesetzt hat und was zum Schutz des Klimas not­wendig wäre, ist inzwi­schen dermaßen gross, dass selbst in einem Kommen­tar in einem Luft­fahrt-Fach­blatt schon gefragt wird, ob die Fliege­rei nicht Gefahr läuft, ihre Soziale Lizenz zu verlieren.

Das Verbot der Privat­fliegerei könnte ein erster Schritt sein, die oben erwähnten 'gesell­schaft­lichen Dyna­miken' in die richtige Richtung zu lenken. Wer genauer wissen möchte, was da verboten werden soll, kann sich auf YouTube eine Viel­zahl von Berichten dazu ansehen. Wir haben wegen des Lokal­bezugs mal zwei heraus­gesucht: einen HR-Beitrag über das General Aviation Terminal am Flug­hafen Frankfurt (bis etwa Minute 7:30) und einen längeren Pro­Sieben-Bei­trag über den Flug­hafen Egels­bach, der insgesamt für diese Art von Flug­betrieb ausge­baut wurde.
Es gibt sicher andere Beiträge, in denen die Deka­denz und/oder Igno­ranz der Betei­ligten noch dras­tischer darge­stellt werden, aber wir finden es schon schlimm genug. Es wird jeden­falls deut­lich, dass die Welt keinen Verlust erleidet, wenn es das nicht mehr gibt. Und auch die Recht­ferti­gungen der intelli­genteren unter den Privat­fliegern (die offen­bar nicht beson­ders zahl­reich sind) klingen bei näherer Betrach­tung ziemlich hohl.

Dass ein Verbot von Privat­jets zu spür­baren Emis­sions-Sen­kungen führen würde, haben Studien schon vor Jahren gezeigt, und der Trend, sie zu nutzen, ist durch die Corona-Pan­demie noch verstärkt worden. Die Haupt­wirkung würde aber wohl von dem poli­tischen Signal aus­gehen, das u.a. auch darin bestünde, dass damit die­jenigen zu Emis­sions­minde­rungen gezwungen werden, die das Klima am stärk­sten schädi­gen.
Bislang ist die Klima­politik auf allen Ebenen von sozialer Schief­lage geprägt. Die reichen Industrie­staaten verteilen nicht nur intern die Lasten der Krisen extrem ungleich, sie fordern auch von den Schwellen- und Entwick­lungs­ländern Trans­forma­tions­leistungen im Energie­bereich, die sie selber nie erbringen konnten und auch heute nicht erbringen wollen. Kras­sestes Beispiel dafür ist die Weige­rung der Bundes­regierung, ein Tempo­limit auf Auto­bahnen einzu­führen, weil dadurch die Frei­heit gefähr­det sei. Was sie damit wirklich vertei­digt, ist die Frei­heit der Auto­konzerne, mit Luxus­karossen Extra­profite zu scheffeln.
Es ist aber höchste Zeit, nach­haltig deutlich zu machen, dass auch noch so viel Geld nicht das Recht kaufen kann, die Lebens­grund­lagen der Mensch­heit zu zerstören. Es ist dringend nötig, endlich das, was Menschen schaffen, dafür einzu­setzen, dass sie sicher und zuneh­mend besser leben können. Alles, was dem im Weg steht, muss besei­tigt werden. Privat­jets und die perversen Versuche, deren Geschäfts­modell noch weiter auszu­dehnen, wären ein guter Anfang.




Grafik Drohnen-Meßflüge

Ob sowas auch in Frankfurt kommen wird? Die Grenzen dieser Technik werden hier schon deutlich: Der seitliche Abstand zur aktiven Anfluglinie beträgt (aus Sicherheitsgründen) rund 2 km. Damit lässt sich die Ausbreitung der UFP unter den Anfluglinien nur sehr begrenzt erfassen.

13.02.2023

UNH zu UFP:
Fragen zu den Fragen ?

"Am Mittwoch, den 22. Februar 2023 hat das Umwelt- und Nachbar­schafts­haus (UNH) zu einem zweiten gemein­samen Austausch zum Thema UFP in das UNH nach Kelster­bach einge­laden."
So beginnt die UNH-Mail, mit der einem ausge­wählten Kreis von BI-Mit­gliedern und -Vertreter­*innen mitgeteilt wird, worüber bei diesem Treffen gespro­chen werden soll. Die Mail erklärt auch, warum es seit März letzten Jahres keine Aktuali­sierung der Projekt-Web­seite mehr gegeben hat: es soll
"in den nächsten Wochen – zum Start der UFP-Belas­tungs­studie - eine eigene Web­seite für die UFP-Studie"
veröf­fent­licht werden. Dafür wurde
"u. a. eine „FAQ-Samm­lung“ erstellt, die auch viele offene Punkte und kriti­sche Fragen auf­greift, die ... in unserem letzten Treffen ange­sprochen worden sind".
Diese Samm­lung soll dann auch eine Diskus­sions­grund­lage für das Treffen sein. Da es mehr zur Vorbe­reitung (bisher?) nicht gibt, muss man sehen, ob darin etwas Neues zu finden ist.

Betrachten wir zunächst die Struktur dieser Samm­lung. Es gibt die folgenden hervor­geho­benen Über­schriften:

Zu den "Über­greifen­den Fragen" zählt auch der Zeitplan für dieses Projekt. Dazu heisst es in den FAQs:

"Bis Ende 2022 ist geplant ..." ? Die FAQs mögen für eine neue Web­seite gesam­melt worden sein, aktuell sind sie des­wegen aber offen­sicht­lich nicht. Wenn, wie in der Einla­dungs-Mail ange­kündigt, der "Start der UFP-Belastungs­studie ... in den nächsten Wochen" erfolgen soll, dann muss der Zuschlag für die Vergabe ja wohl erteilt worden sein, aber wer die erfolg­reichen Bieter sind und was genau sie ange­boten haben, wird nicht mitge­teilt.
So geht es durch die ganze Fragen­sammlung. "Inhalt­liche Fragen" werden mit Zitaten aus den bereits beim letzten Treffen verteilten Leistungs­beschrei­bungen in vager Form beant­wortet. Details zu dem, was tatsäch­lich gemacht werden soll, fehlen nach wie vor. An unserer Kritik an den Aussagen ändert sich daher ebenso wenig.
Das gesamte Papier scheint auf dem Stand vom Sommer 2022 zu sein. Uns ist es ledig­lich gelungen, eine einzige Infor­mation neueren Datums darin zu finden: die Mit­glieder der 'Wissen­schaft­lichen Quali­täts­siche­rung' sind nament­lich mit "Stand 1.1.2023" aufge­listet.

Einige kritische Anmer­kungen zu dem, was im Papier steht bzw. nicht steht, haben wir trotz­dem noch.

Man könnte noch weitere Details dieses Fragen­kataloges disku­tieren, aber sowohl Erkenntnis­gewinn als auch Spaß­faktor wären dabei sehr begrenzt. Das Fazit bleibt das­selbe: dieses Papier ist hoffnungs­los veraltet, inhalt­lich ober­flächlich und weit­gehend ohne rele­vante Aus­sagen. Selbst die halbe Stunde, die beim Treffen für die Diskus­sion darüber vorge­sehen ist, ist schon zu groß­zügig bemessen.
Bleibt die Frage, was von dem Treffen sonst zu erwarten ist. Es mag über­raschend klingen, aber es wird seinen Zweck, zumin­dest für einige Betei­ligte, wohl trotz­dem erfüllen.

Wir werden mit dem vorlie­genden Beitrag und ggf. einer Ergän­zung nach dem Treffen die Gelegen­heit gehabt haben, unsere Kritik an diesem Projekt einmal mehr einer wenn auch begrenzten Öffent­lichkeit näher zu bringen. Das UNH wird im Projekt­plan im Bereich 'Öffent­lich­keits­arbeit' ein weiteres Häkchen setzen können. Alle werden den Job gemacht haben, für den sie bezahlt werden bzw. sich enga­gieren wollen, und sich auf die nächste derartige Gelegen­heit vorbe­reiten.
Dass die Sache, um die es eigent­lich geht, dadurch um keinen Milli­meter voran­kommt, liegt an den gege­benen Struk­turen, die sich so schnell nicht ändern werden. Man darf aller­dings die Hoffnung nicht aufgeben, dass die beauf­tragten Wissen­schaftler­*innen ebenfalls ihren Job machen und trotz der schlechten Ausgangs­beding­ungen eine Reihe von neuen, nutz­baren Erkennt­nissen produ­zieren werden - wenn auch erst in ein paar Jahren.




Grafik: Wünsche 2023

31.01.2023

Krisen-Gipfel

Wie schon Ende letzten Jahres, gab es auch zum Jahres­beginn wieder einige Gipfel, von denen herab 'Entscheider' dem Rest der Mensch­heit mitteil­ten, wo es dieses Jahr lang­gehen soll. Mindes­tens zwei davon hatten auch oder haupt­säch­lich mit der Luft­fahrt zu tun.
Ihre offi­ziellen Bot­schaften enthalten wenig bis nichts Neues, aber unter den präsen­tierten Aussagen und Materi­alien gibt es das eine oder andere Interes­sante.

Beim 53. Jahres­treffen des Welt­wirtschafts­forum (World Economic Forum, WEF) stand die Luft­fahrt nicht explizit auf der Tages­ordnung. Das Familien­treffen derje­nigen, die seit Jahr­zehnten wissen, dass die Nutzung fossiler Brenn­stoffe das Klima ruiniert, deren Verbrauch aber aus Macht- und Profit­gründen weiter massiv anheizen und über die Folgen weiter lügen, trug zur öffent­lichen Diskus­sion über das Thema 'Fliegen' haupt­säch­lich bei durch eine Kritik von Green­peace. Deren Studie kommt nämlich zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich während der WEF-Woche "die Zahl der Privat­jetflüge verdop­pelt" und "Privatjet-Emis­sionen vervier­fachen", im Vergleich zu einer durch­schnitt­lichen Woche.

Das WEF schweigt zu solchen Vorwürfen und über­lässt es der Lobby­organi­sation der Privat­fliegerei, der "Euro­pean Business Aviation Asso­ciation (EBAA)", sich mit einer Antwort zu blamieren, die Zahlen mani­puliert, irrele­vante Beispiele zitiert und auf eine Initi­ative verweist, mit der die Privatjet-Nutzer ihre Emis­sionen "kompen­sieren" könnten, wenn sie denn wollten. Ob es jemand getan hat, wird nicht mitge­teilt. Dass diese Argu­mente unglaub­würdig und solche "Offsets" generell völlig unzu­reichend sind, wird auch nicht diskutiert.
Der jüngste Skandal bezüg­lich derar­tiger Kompen­sationen wurde aller­dings auch erst zum Ende des Gipfels von der ZEIT, dem Guardian und der investi­gativen Platt­form Source­Material veröffent­licht. Demnach ergab eine Studie, dass rund 90% der Offsets des grössten Anbieters auf dem globalen Markt, die für Regen­wald-Projekte ausge­stellt wurden, wirkungslos sind oder die Klima­kata­strophe sogar noch verschlimmern. Wenig über­raschend sind die Offsets dieses Anbieters auch für das ohnehin völlig deso­late ICAO-Kompen­sations­system CORSIA anerkannt.

Vom WEF selbst gab es eine Talk­runde zum Thema Reisen und Tourismus, und in einigen anderen Runden wurde das Thema 'Luftfahrt' auch ange­sprochen, aber diese Runden sind im Großen und Ganzen ohnehin nur die Show für die Öffent­lich­keit. Was das Publikum davon mitnehmen soll, steht in den anschlies­send veröffent­lichten 5 Punkten, "die man wissen sollte", der Liste der neu geschlos­senen Koopera­tionen, "die eine fragmen­tierte Welt wieder zusammen­flicken können", und den 5 techno­logischen Trends, die in den nächsten Jahren stärker subven­tioniert werden sollen, darunter Gen­technik, Kern­fusion und Künst­liche Intel­ligenz.
Wer bisher noch Zweifel hatte, was von der Welt in Davos gerettet werden soll, ist nach der Lektüre insbe­sondere des letzten Papiers klüger. Es geht um die Sicherung der Profite grosser Konzerne und Finanz­investoren durch die globale Durch­setzung monopoli­sierter und monopoli­sierender Techno­logien.

Die wichtigstens Bestands­aufnahmen wurden bereits vorher geliefert, darunter insbe­sondere der Global Risks Report 2023 und eine Zusammen­fassung, in denen die Top Ten der Krisen der nächsten zwei bzw. zehn Jahre und ihre Abhängig­keit unter­einander beschrie­ben werden. Diesen Bericht kann man auf zweierlei Art lesen. Für normale Menschen liefert er ein Bild einer Welt­gesell­schaft und eines Planeten am Abgrund, ohne eine reale Perspek­tive für eine grund­legende Wende. Für Inves­toren ist er eine Auf­listung möglicher neuer Märkte und der Risiken, die jeweils drohen, sowie der politi­schen Rahmen­beding­ungen, für die lobby­iert werden muss, um Profite abzu­sichern.
An Materialien zum Luft­verkehr gibt es vom WEF nur noch eine blumige Zusammen­fassung all der schönen Initia­tiven, mit denen der Luftverkehr irgend­wann in ferner Zukunft mal 'klima­neutral' werden will - falls bis dahin noch eine relevante Zahl an Menschen fliegen kann und will. In den Referenz­listen findet man durchaus auch kriti­schere Materi­alien, aber nichts, was nicht schon anderswo publi­ziert worden wäre.

Klima­aktivisten haben schon vor Beginn des Spek­takels vor weiteren Ablen­kungen und Green­washing gewarnt. Auf dem Forum selbst haben vier promi­nente Vertreter­innen ein von fast einer Million Menschen unter­schriebenes Abmahn­schreiben "an die CEOs der fossilen Energie­unter­nehmen" über­geben. Was im sozialen Bereich notwendig wäre, um die viel­fältigen Krisen in der Welt angehen zu können, was aber in Davos natür­lich niemand hören wollte, hat ein neuer Bericht von Oxfam zur Bekämp­fung der Ungleich­heit in der Welt durch gerechte Besteue­rung zusammen­gestellt.

Ein echter Luftfahrt­gipfel ist dagegen die von der Zeit­schrift Airline Economics eben­falls jähr­lich organi­sierte "Finanz- und Leasing-Konfe­renz" der Luft­fahrt-Industrie, dieses Jahr in Dublin vom 15.-18. Januar. Dort trafen sich neben Airlines und Flug­zeug­bauern auch der Öffent­lich­keit weniger bekannte Firmen, die teils grosse Flug­zeug-Flotten besitzen und deren Kern­geschäft das Leasing ist, sowie Finanz­institu­tionen, die den ganzen Betrieb finan­zieren.
In deutschen Medien war fast nichts über diese Konferenz zu lesen, ledig­lich ein möglicher Flugzeug­mangel wegen der redu­zierten Produk­tions­kapazi­täten der grossen Hersteller war der Börsen­zeitung eine Meldung wert. Die Hersteller wehrten sich natür­lich gegen die Kritik, auch wenn sowohl Boeing als auch Airbus immer wieder neue Verzöge­rungen einräumen müssen und die Frage von Straf­zahlungen für verspä­tete Liefe­rungen in Dublin eben­falls Thema war.
Ein weiteres Problem, das dort diskutiert wurde, ohne Lösungen dafür zu finden, war die Frage, wer denn die immensen Summen für das ange­strebte schnelle Hoch­fahren der Produktion der famosen grünen Treib­stoffe, mit denen die Luftfahrt "klima­neutral" werden möchte, auf­bringen soll. Nach dort geäus­serten Schätzungen geht es um rund "1,5 Bil­lionen Dollar über 30 Jahre", und die Luftfahrt­industrie befürchtet (hoffent­lich zu recht), dass solche Summen nicht allein über staat­liche Subven­tionen herein­zuholen sind.

Für die Financiers des Luft­verkehrs gabs in Dublin wenig Raum für Trüb­sinn, auch wenn wegen Krieg und Sank­tionen im russischen Markt etliche Mil­liarden abge­schrieben werden mussten. "Ihr Geschäfts­modell zwingt sie auf riskante Märkte, ... dort machen sie das meiste Geld", stellen Analysten trocken fest, und ausser­dem gibt es ja Versiche­rungen.
Ansonsten sind die Aussichten aber hervor­ragend, wie ein zusammen­fassender Bericht über diese Tagung beschreibt. Airlines machen wieder Profit, der Finan­zierungs­markt entwickelt sich, Engpässe in der Produk­tion neuer Flug­zeuge erhöhen den Wert der vorhan­denen Flotten, und auch der Fracht­markt verspricht weiter Profit. Das Klima-Gedöns macht weiter­hin Ärger, aber wenn, wie KPMG prognos­tiziert, die sog. "nach­haltigen Treib­stoffe (SAF)" nur 1/3 statt, wie geplant, der Hälfte des Gesamt­bedarfs decken können und weiterhin zu 60% fossiles Kerosin getankt wird, dann heisst das ja auch, dass erstens die alten fossilen Infra­struk­turen noch lange weiter Profit abwerfen und zweitens Investi­tionen in SAF relativ risiko­los sind, weil durch Knapp­heit hohe Preise winken. Für Inves­toren sind das gute Nach­richten, und das Klima kann man doch bitte woanders retten. Airbus z.B. inves­tiert ja schon in Projekte zur tech­nischen Entnahme und Speiche­rung von Kohlen­dioxid aus der Atmo­sphäre.
Dass die Industrie aktuell nicht befürchten muss, dass staat­liche Stellen ihnen allzu­viel hinein­reden, zeigt das harmlose Geplänkel zwischen dem Chef des Airline-Dach­verbandes IATA und dem obersten EU-Büro­kraten für den Luft­fahrt­sektor, das schon als "Streit" verkauft wurde. Ernst­hafte Diffe­renzen wurden dort nicht sichtbar.

Welches Fazit lässt sich aus all dem ziehen? Offen­kundig gibt es von diesen Gipfeln keinen klaren Blick auf die Probleme dieser Welt. Viel­mehr scheinen die dort tagenden Eliten in ihren jewei­ligen Blasen derart gefangen zu sein, dass ihnen "Weiter so!" mit kleinen Korrek­turen hier und da und einigen neuen Techno­logien als gang­barer Weg aus den zahl­reichen nicht zu über­sehenden Krisen erscheint. Von Davos geht jeden­falls weder ein Great Reset noch irgend eine andere rele­vante Kurs­korrektur aus, die einen entschei­denden Beitrag zur Krisen­lösung leisten könnte.

Für die Luft­fahrt­industrie ist das Bild vom Elfen­bein­turm, in dem sie abge­hoben und unan­greifbar sitzt, viel­leicht garnicht schlecht, auch wenn die Direk­torin der NGO Tran­sport & Environ­ment, die es in ihrem Jahres­rück­blick 2022 benutzt, die kleinen Fort­schritte, die es gegeben haben mag, in allzu rosigem Licht beschreibt. Dass einige Airlines die dreckig­sten 'Bio-Treib­stoffe' nicht als nach­haltig aner­kennen wollen, ist zwar begrüssens­wert, ändert aber nichts daran, dass die Luft­fahrt­industrie insgesamt bisher keinerlei gang­baren Weg zu einem halb­wegs klima­verträg­lichen Luft­verkehr beschreiben kann, geschweige denn einen solchen Weg gehen wollte.
Sie wollen zurück auf ihren alten Wachs­tumspfad, und wenn es dabei wegen der Einspar­exzesse während der Pandemie noch an vielen Stellen hängt und klemmt, stört das nicht weiter, solange nicht zu viele Kund*innen abspringen.

Zusammen­fassend könnte man also sagen: diese Gipfel tragen nichts zur Lösung der dringend­sten Probleme der Welt bei, sie stehen eher als Hinder­nisse im Weg. Die Lösungen liegen unten längst auf dem Tisch. Sie bein­halten einiges, was diese Gipfel­helden auf keinen Fall wollen: u.a. Ein­schrän­kungen ihrer Frei­heit, Profit zu machen und damit den Planeten zu rui­nieren, indem Kurz­strecken­flüge und Privat­jets verboten werden. Ausserdem muss ein grosser Teil ihrer Vermögen dazu einge­setzt werden, die notwen­digen Umbauten von Wirt­schaft und Gesell­schaft zu finan­zieren und die Folgen der Klima­kata­strophe einzu­dämmen.
Der Weg dorthin wird nicht in luftigen Höhen, sondern in den ganz profanen Kämpfen am Boden, auf den Strassen und in Parla­menten, bereitet werden müssen.




17.01.2023

Abschiedsfeier für Thomas Jühe - Seine Rolle im Fluglärmschutz

Die Abschieds­feier für Ehren­bürger­meister Thomas Jühe bestand aus zwei Teilen. Die offi­zielle Trauer­feier mit geladenen Gästen im Bürger­saal des Rathauses kann voll­ständig auf dem YouTube-Kanal der Stadt Raun­heim ange­sehen werden. Wir haben die Reden von Minister Al-Wazir und der Flug­lärm­schutz­beauf­tragten Fr. Barth, die sich teil­weise oder ganz mit Thomas Jühes Leis­tungen im Bereich Flug­lärm-Schutz beschäf­tigen, zum Anhören heraus­kopiert. Einiges aus dem Inhalt der anderen Reden wird in der Main-Spitze zitiert.

Tonaufzeichnung der Reden, die sich mit dem Thema
'Fluglärm' beschäftigten:


          Rede von Minister Al-Wazir

          Rede von Frau Barth

          Rede im Namen der BI



Frau Barth betont am Anfang ihrer Rede, dass Thomas sich gewünscht hat, dass sie dieses Thema im Rahmen der Feier behandelt. Dass ihr dafür eine gute halbe Stunde Rede­zeit einge­räumt wurde, macht deutlich, dass er sein Wirken in diesem Bereich erinnert und gewürdigt haben wollte, wohl wissend, dass dieses Erbe nur Bestand haben kann, wenn seine Nach­folger­*innen in den verschie­densten Funk­tionen, die er inne­hatte, die Auf­gaben entspre­chend weiter­führen.
Der Überblick, den Frau Barth gibt, ist zwar in einigen Details nicht ganz präzise, macht aber insgesamt recht gut deutlich, wie Thomas an die viel­fältigen Probleme, die sich mit dem Flug­hafen­ausbau gestellt haben, herangegangen ist und in welcher Weise er Lösungen zu finden versucht hat.

Im zweiten Teil auf dem Rathaus­platz gab es Beiträge der im Stadt­parlament vertre­tenen Parteien und anderer Institu­tionen und Vereine, die in irgend einer Weise mit Thomas Jühes Wirken in Raunheim verbunden waren.
Hier hatte auch die BI Gelegen­heit, etwas dazu zu sagen, wie sein Erbe in diesem Bereich zu werten ist und welche Aufgaben für die Zukunft bestehen. Die Beding­ungen für eine Aufzeich­nung waren wegen des starken Winds etwas schwierig, aber trotzdem kann der Beitrag neben­stehend angehört werden.
Alles, was dazu zu sagen wäre, in fünf Minuten hinein­zupacken, war natür­lich unmög­lich, und trotz zwei Minuten über­ziehen blieb vieles ungesagt. Ausführ­licher haben wir dazu aber ja bereits im Nachruf vom 15.12.2022 Stel­lung genommen. Und um Herrn Al-Wazir zu erklären, dass ein Nacht­flug­verbot nicht fünf, sondern acht Stunden Nacht­ruhe schützen muss und eine echte Lärmober­grenze tatsäch­lich auch eine verbind­liche Grenze für die Lärm­belastung setzen müsste, war das nicht der richtige Anlass. Er war zu dieser Zeit ohnehin nicht mehr da.

Was Thomas Jühe sich noch alles vorge­nommen hatte, hat er zumindest zum Teil in seinem wohl letzten öffent­lichen Interview im 'Frank­furt Talk' von Radio Frank­furt beschrieben. Sein Nach­folger als Bürger­meister wird durch die Wahl am 05.März bzw. die Stich­wahl am 19.März entschieden, da es nicht wahr­schein­lich ist, dass einer der sechs Kandi­daten im ersten Wahl­gang die absolute Mehr­heit erreicht.
Die Fluglärm­kommission wird die Nachfolge im Vorsitz möglicher­weise schon in der Sitzung am 22. Februar regeln, aber sicher scheint das noch nicht zu sein. Wann die Arbeits­gemein­schaft Deutscher Flug­lärm­kommis­sionen den Vorsitz neu besetzt, ist nicht bekannt. Und bis klar ist, wer sich in Raunheim künftig um Fluglärm-Fragen kümmern wird, wird wohl auch noch einige Zeit vergehen.




Grafik: UFP  aus Jet-Öl und Aufnahme in den Körper

Und falls sie damit ausreichende Mengen besonders toxischer Substanzen transportieren, wären sie auch besonders gefährlich.
(Für eine grössere Darstellung mit Bildquellennachweis hier klicken.)

15.01.2023

Ultrafeinstäube aus Flugzeug-Triebwerken:
Gefährlicher als andere ?

Gleich zu Beginn des Jahres liefert das Institut für Atmo­sphäre und Umwelt eine interes­sante Neuig­keit:

"Schmier­öle von Flug­zeugen sind wichtige Quelle für Ultra­fein­staub"
lautet die Über­schrift der Presse­mittei­lungen der Uni Frank­furt und des an den Messungen betei­ligten Hessi­schen Landes­amtes für Natur­schutz, Umwelt und Geo­logie HLNUG. Darin heisst es:
"Die Partikel stammen zu einem bedeu­tenden Teil aus synthe­tischen Turbi­nen­schmier­ölen und waren beson­ders stark in den klein­sten Par­tikel­klas­sen vertreten, die 10 bis 18 Nano­meter große Parti­kel umfassen. ... Diese Par­tikel, so legen es unsere Unter­such­ungen nahe, machen einen großen Teil des Ultra­fein­staubs aus, der an Flug­zeug­tur­binen ent­steht."

In der Ver­öffent­lichung selbst wird genauer erläu­tert, dass in den an der HLNUG-Meß­station Frank­furt-Schwan­heim genom­menen Proben die UFP aus Tur­binen-Ölen in der klein­sten Parti­kel-Frak­tion (10-18 nm) über 20%, in den beiden grös­seren Frak­tionen (18-32 und 32-56 nm) 5 bzw 9% aus­machten.
Aus nach­folgend durch­geführten Labor­experi­menten und theore­tischen Über­legungen schliessen die Autor­*innen, dass diese Anteile eher eine Unter­grenze dar­stellen und dass "Jet-Öl-Dämpfe in abküh­lenden Abgas­fahnen Über­sätti­gung erreichen und zu schneller Nuklea­tion und der Ent­stehung von UFPs im Bereich ~10-20 nm führen" (eigene Über­setzung).

In der medialen Wieder­gabe dieser Meldung, z.B. in der Hessen­schau oder der Frank­furter Rund­schau, gehen die Fein­heiten bezüg­lich der Grössen­vertei­lungen weit­gehend ver­loren, und es entsteht leicht der Eindruck, als seien diese Öle eine Haupt­quelle für die Ultra­fein­staub-Belas­tung ins­gesamt. Tatsäch­lich gibt es aber für die Ent­stehung ultra­feiner Partikel aus Ver­brennungs­prozessen, wie eine aktu­elle Über­sicht, im Detail beschreibt, eine Anzahl von Prozessen, und die mengen­mäßig bedeu­tendsten in den Grössen­klassen bis 100 Nano­meter sind auch für Flug­zeug­trieb­werke die Bildung feiner Ruß­teil­chen bei der Kerosin­verbren­nung und die Nuklea­tion ('Kern­bildung') und Konden­sation aus Ver­brennungs­produkten wie Stick­stoff- und Schwefel-Verbin­dungen.
Aber natür­lich ist es voll­kommen richtig, wenn in den Presse­mittei­lungen darauf hinge­wiesen wird, dass "eine Redu­zierung der Schmieröl­emissionen ... ein wichtiges Poten­zial zur Minde­rung der ultra­feinen Partikel" birgt, dass bisher noch nicht in Betracht gezogen wurde. Die Ver­öffent­lichung empfiehlt dazu, "die Luft/Öl-Separa­toren sollten im Hinblick auf verbes­serte Öl-Rück­gewinnung opti­miert werden. Zusätz­lich könnten die Entwick­lung fort­geschrit­tener Unter­halts-Routinen und die Redu­zierung der Trieb­werks­lauf­zeiten am Boden ... die Ölemis­sionen weiter redu­zieren" (eigene Über­setzung).

Eine solche Redu­zierung könnte sogar besonders dringend sein, denn der anschließend in der Ver­öffent­lichung disku­tierte Aspekt taucht in den Presse­mittei­lungen interes­santer Weise nicht auf. Wir zitieren (wiederum in eigener Über­setzung und mit von uns ergänz­ten Hervor­hebungen und Links):
"Weiter­hin sollte eine Evalua­tion der toxiko­logischen Eigen­schaften der Jet-Öl-UFPs durch­geführt werden, um ihre Gesund­heits­effekte zu erfassen, auch unter Betrach­tung schäd­licher und poten­tiell neuro­toxischer Subs­tanzen, die entweder direkt emittiert werden (z.B. Organo­phos­phate als Schmieröl-Additive) oder die durch ther­mische Trans­formation der verwen­deten Tri­methylol­propan-Ester gebildet werden (z.B. Tri­methylol­propan­phosphat)".
Über die Ent­deckung derar­tiger Substanzen war bereits in der ersten Ver­öffent­lichung zu diesen Unter­suchungen vor nunmehr fast zwei Jahren (März 2021) berichtet worden, aller­dings ohne quanti­tative Aus­sagen über die Häufig­keit von deren Vor­kommen zu machen. Auch die jetzt vorge­legten Ergeb­nisse reichen längst nicht aus, um die mög­liche Belastung von Flug­hafen­anrainern durch diese Sub­stanzen abzu­schätzen, liefern aber einen weiteren deut­lichen Hinweis, dass hier ein Problem liegen könnte.

Wenn es dann in den Presse­mittei­lungen heisst: "Die Belastung durch ultra­feine Partikel und deren gesund­heit­liche Aus­wirkung wird ab 2023 im Rahmen einer umfang­reichen wissen­schaft­lichen Studie des Landes Hessen unter­sucht werden. Hierbei können die Ergeb­nisse der aktu­ellen Studie helfen, flug­hafen­spezi­fische Partikel zu identi­fizieren und mög­liche Min­derungs­maßnahmen abzu­leiten", könnte man natürlich hoffen, dass die oben zitierten Anre­gungen da aufge­griffen werden. Anderer­seits lässt die Betonung von "identi­fizieren und ... Min­derungs­maßnahmen ableiten" befürch­ten, dass es im FFR-Projekt bei der bereits früher kriti­sierten Ausklam­merung der beson­deren toxi­kologi­schen Aspekte der Trieb­werks-UFP bleiben wird.
Genau wissen kann man es nicht, denn die Informa­tionen zum aktuellen Stand auf der Projekt-Web­seite sind inzwi­schen auch schon fast ein Jahr alt, und von der verspro­chenen Trans­parenz bezüg­lich der Studien­inhalte kann bisher keine Rede sein. Da aber die erste Studie bei der Aus­schreibung der Belastungs­studie des Projekts schon ein Jahr bekannt war, aber nicht berück­sichtigt wurde, ist es sehr unwahr­schein­lich, dass sich das noch geändert hat. Deshalb ist zu befürch­ten, dass die Frage der Toxi­zität ultra­feiner Partikel aus den Schmieröl-Emis­sionen in diesem Projekt nicht geklärt werden wird.

Mehr Hoff­nungen gibt es diesbe­züglich auf­grund der fort­gesetzten Anstreng­ungen, die Hinter­gründe des sog. Aero­toxischen Syn­droms, besser bekannt unter dem Begriff Fume Events, aufzu­klären. Diese Ereig­nisse werden weit­gehend auf durch die Trieb­werke ange­saugte und durch Trieb­werks­öle konta­minierte Kabinen­luft zurück­geführt. Die für Flug­sicher­heit in der EU zustän­dige European Union Aviation Safety Agency EASA hat dazu bereits 2017 Studien erstellen lassen, die aller­dings keine ein­deutige Ursache identi­fizieren konnten. Im zuge­hörigen Abschluss­bericht wird ausge­führt, dass in Ölkompon­enten und deren Pyro­lyse-Produkten zwar neuro­toxische Substanzen gefunden wurden, aber nicht in rele­vanten Konzen­trationen. Partikel wurden dort nur summa­risch als Anzahl der Grösse 1-1.000 nm erfasst und chemisch nicht charak­terisiert.
Im Abschluss­bericht eines weiteren Projekts und in einem Beitrag zum EASA Workshop Future Cabin Air Quality Research 2020 wurde zumindest auf die mögliche Rolle ultra­feiner Partikel bei der Entste­hung der bisher unge­klärten medizi­nischen Sympto­matiken hinge­wiesen. Aktuell findet gerade der EASA Cabin Air Quality Research Workshop 2023 statt. Ob das Thema dort schon ausführ­licher behan­delt wird, ist (uns) noch nicht bekannt, wird sich aber in Kürze klären. Man kann vermut­lich davon ausgehen, dass dort ein grösseres Inter­esse besteht, diese Fragen zu klären, weil alle Stör­fälle im Flug­betrieb und daraus resul­tierende nega­tive Schlag­zeilen uner­wünscht sind.

Aber auch wenn die Luft­verkehrs­wirtschaft ein starkes Interesse haben sollte, störende Vorfälle an Bord von Flug­zeugen zu vermeiden und dafür auch die Rolle ultra­feiner Partikel in der Kabinen­luft genauer zu unter­suchen, heisst das noch lange nicht, dass entspre­chende Ergeb­nisse auch zu Konse­quenzen in der Beur­teilung der Belas­tung der Bevölke­rung im Umfeld von Flug­häfen führen werden.
Deren Belas­tung ist, im Unter­schied zu der der Passa­giere oder gar der Crew, für einen profi­tablen Flug­betrieb nicht relevant, deshalb wird in diesem Bereich besten­falls dann etwas passieren, wenn die Betrof­fenen die Probleme selbst publik machen und nach­drück­lich Lösungen ein­fordern.




11.01.2023

2023: Das Jahr, in dem wir zurückkehren ...

... auf den alten, zerstörer­ischen Wachs­tums­pfad. "Wir" meint in diesem Fall einer­seits die Luft­verkehrs­industrie, die insbe­sondere ihre Profite wieder wachsen sieht, und anderer­seits all dieje­nigen, die unter der wieder wachsenden Zahl der Flug­bewe­gungen und deren nega­tiven Folgen, insbe­sondere zuneh­mendem Lärm, stei­gender Schad­stoff­belas­tung und ungeb­remst wachsenden Treib­haus­gas-Emis­sionen, zu leiden haben.

In den Medien wird das als Erholung beschrieben, die aber noch nicht voll­ständig sei, weil noch nicht alle Sektoren wieder das Niveau von 2019, dem Jahr vor dem Corona-Einbruch, erreicht haben. Dabei wird ver­drängt, dass dieses Jahr nur der vorläu­fige Höhe­punkt einer chao­tischen Wachs­tums­phase war, die den Luft­verkehr in Deutsch­land und Europa in mehr­facher Hinsicht an seine Grenzen gebracht hat.
Nach dem radikalen Abbau von Personal und teil­weise auch von Material ist das gesamte System natür­lich noch störan­fälliger geworden, so dass selbst einge­fleischte Luft­fahrtfans anfangen zu nörgeln. Airlines und Flughäfen haben aber in den beiden letzten Reise­wellen gesehen, dass höhere Preise und mise­rabler Service nur wenig abschre­ckende Wirkung haben, und planen unver­drossen für weiteres Wachstum.

In Zahlen zeigt das eine Zusammen­stellung der Sitz­platz-Ange­bote von "Airlines und Flughäfen für die kommenden sechs Monate ... von, nach und in Deutsch­land", die der 'Bundes­verband der Deutschen Luft­verkehrs­wirt­schaft (BDL)' künftig monat­lich erstellen will. Diese Zahlen sind natür­lich mit Vorsicht zu geniessen. Sie besagen im Grunde nur, worauf die Airlines sich vorbe­reiten, aber nicht wieviele Menschen tatsäch­lich fliegen werden und wieviele Flug­bewe­gungen es dadurch geben wird (2022 wurden fast 7% der geplanten Flüge nicht durch­geführt). Auch werden aktu­elle Entwick­lungen darin erst verzögert sichtbar. So weist der BDL darauf hin, dass ein "voraus­sicht­licher Anstieg der China-Verkehre ... in den aktuellen Daten noch nicht sichtbar" ist, die Zahlen für den Inter­konti­nental-Verkehr also wahr­schein­lich deutlich zu niedrig sind.

Dennoch geben die Zahlen einen Eindruck davon, was uns erwartet. Demnach erreicht die Gesamt-Passa­gier­zahl 78% des Wertes des gleichen Zeit­raums vor der Corona-Pandemie. Der inner­deutsche Verkehr liegt bei nur 56%, wobei dies haupt­sächlich auf den Einbruch bei den schon vorher kriselnden Regional­flug­häfen zurück­zuführen ist, deren inner­deutsche Verkehre nur noch ein Drittel des Vor­krisen-Niveaus erreichen. Alles, was die Hubs Frankfurt und München inner­deutsch einbe­zieht, liegt schon wieder bei 67%.
Die nächste Kategorie, "Kurz- und Mittel­strecke", ist etwas mißver­ständ­lich benannt, denn sie wird nicht nach Entfer­nung, sondern nach Staaten­gruppen abge­grenzt. Dazu gehören alle europä­ischen Staaten, ganz Russland und alle Mittel­meer-Anrainer. Hier werden 80% des Vorkrisen-Niveaus erreicht, wobei 'Schweiz/Öster­reich' und 'Ost- / Südosteuropa' (dazu gehören Russ­land und die Ukraine, deren Luft­raum ganz oder teil­weise gesperrt ist) mit 71% den niedrig­sten Wert erreichen. Die Urlaubs­regionen rund ums Mittel­meer erreichen 87-92%. Für die Tendenz in dieser Region stellt der BDL besorgt fest: "Wachstum und Erholung des Europa-Verkehrs zeigen Sätti­gungs­tendenzen".
Den besten Wert zeigt die "Langstrecke" mit 84%, das ist auch exakt der Wert, den das wich­tigste inter­natio­nale Dreh­kreuz Frankfurt erreicht. Nach unten gedrückt wird dieser Wert vom Asien­verkehr, wo nur 70% erreicht werden. Falls aber die deut­lichen Erleich­terungen des Verkehrs von und nach China durch die Aufhe­bung der Reise­beschrän­kungen aufgrund der dortigen 'Null-Covid-Politik' Bestand haben, sind hier wohl deutliche Entwick­lungen nach oben zu erwarten.

Eine etwas andere Daten­basis für den Ausblick auf die kommenden Monate nutzt EURO­CONTROL, der euro­­päische Network Manager. In deren Analysis Paper: 2022 werden nicht nur umfang­reiche Daten über den Luft­verkehr in Europa im Jahr 2022 aufbe­reitet, sondern auch drei Szenarien gezeigt, die die Entwick­lung der Flüge in, von und nach Europa in den kommen­den 8 Monaten bzw. 7 Jahren auf der Basis unter­schied­licher Annahmen über die ökono­mische Entwick­lung dar­stellen.
Diese Szenarien gehen davon aus, dass im August dieses Jahres bereits wieder 95-105% der Zahl der Flüge 2019 erreicht werden ("wahr­schein­lichstes" bis "optimis­tisches" Szenario). Für das Gesamt­jahr 2023 wird ein Wert von 92-101% erwartet, nach 87% in 2022. Ange­sichts der Tatsache, dass die 8-Monats-Szenarien der letzten Zeit trotz einiger unvorher­gesehener Krisen (sprich Krieg und "Zeiten­wende") die Entwick­lung relativ gut vorher­gesagt haben, muss man wohl davon ausgehen, dass auch diese Zahlen nicht nur Wunsch­träume sind.

Aller­dings geht aus der Analyse des Verkehrs 2022 auch hervor, dass das Chaos zu Spitzen­zeiten noch deutlich grösser war als 2019, und auch für 2023 werden "Luft­raum-Probleme wegen des Ukraine-Kriegs, zusätz­liche Flug­zeuge im System, mögliche Streik­aktionen, System­verände­rungen und die fort­schrei­tende Wieder­öffnung der asia­tischen Märkte" (EUROCONTROL, eigene Über­setzung) als schwie­rige "Heraus­forde­rungen" für alle Betei­ligten gesehen. Speziell der Frank­furter Flug­hafen hatte wegen selbst­gemach­ten Perso­nal­proble­men eine mise­rable Pünkt­lich­keits-Bilanz (70,5% der Anflüge, aber nur 55,7% der Abflüge pünkt­lich, Platz 19 unter den 20 grössten europä­ischen Flug­häfen).
Auch die DFS beklagt für Deutsch­land eine "schlep­pende Erholung"; im Vergleich zu 2019 wurden nur 79% der Zahl der Flug­bewe­gungen regis­triert. Auch nach den EURO­CONTROL-Daten führt Deutsch­land mit 25% Verlust, bleibt aber nach Gross­britan­nien das europä­ische Land mit der zweit­höchsten Zahl an Flug­bewe­gungen.

Interes­sant an der EURO­CONTROL-Analyse ist auch, dass "Billig­flieger die grosse Erholungs-Erfolgs-Story in 2022" waren (Ryanair erreichte 109% der 2019er Zahlen) und inzwischen nahezu den gleichen Markt­anteil haben wie die 'Netz­werk-Carrier' (jeweils 1/3). Auch bleibt "der Geschäfts­flug­verkehr mit 116% weiter­hin über dem 2019er Niveau". Mit anderen Worten: die "Erholung" wird vom Urlaubs- und Luxus-Verkehr dominiert.
Auch der Fracht­flug­verkehr lag, wie in den beiden vorher­gehenden Jahren, 2022 noch über 2019er Niveau, nimmt aber allein schon deshalb wieder ab, weil mit anstei­gendem Passa­gier-Flug­verkehr wieder mehr Fracht als Zuladung in Passa­gier­maschinen beför­dert wird.
Zu den länger­fris­tigen Perspek­tiven gehört auch, dass es eine boomende Nach­frage nach neuen Flug­zeugen gibt, die die Her­steller "ange­sichts ange­spannter Liefer­ketten ... nicht wie geplant bedienen" können. Deshalb und wegen generell fehlen­der Kapazi­täten hat Airbus 2022 sowohl das Jahres­ziel bei Aus­liefe­rungen als auch den "Rekord ... aus dem Jahr 2019" verfehlt, aber der Konzern­chef hält "an seinen Plänen für eine Rekord­produk­tion in den kommen­den Jahren" fest. Boeing sieht das ähnlich.

Was bedeutet das nun alles für die Belas­tungen, die wir zu erwarten haben? Es sind nicht wirk­lich die Prozent­zahlen im Vergleich zu 2019, die relevant sind. Betrachtet man die Lärm­belas­tungen der Jahre vor 2019, so zeigt sich, dass sie zwar mit stei­gender Zahl der Flug­bewe­gungen zunehmen, aber im Detail noch von vielen anderen Faktoren abhängig sind. Dazu gehören speziell für Raunheim die Betriebs­richtungs­vertei­lung, aber auch die Zahl der speziellen Wetter­lagen oder sonstiger Ereig­nisse, die den 'normalen' Ablauf stören und zu chao­tischen Not­lösungen führen.
Aus den Zahlen und Beschrei­bungen ist offen­kundig, dass uns wieder eine solche Phase chao­tischen Wachstums bevor­steht, die zu vermehr­ten Störungen der Nacht­ruhe führen und dadurch beson­ders belastend sein wird. Da hilft es garnichts, wenn viel­leicht tags­über vorüber­gehend noch ein paar Prozent weniger Flug­bewe­gungen statt­finden.
Nimmt man dazu, dass nach der EURO­CONTROL-Analyse aufgrund der chao­tischen Luft­raum-Verhält­nisse auch noch bis zu 10% Treib­stoff zusätz­lich verbrannt werden ('excess fuel burn XFB') und entspre­chend auch der Ausstoss an Schad­stoffen und Treib­haus­gasen höher ist, wird klar, dass sich durch die Pandemie nichts wirklich verän­dert hat. Wir sind zurück in einem System, das zur Profit­maximie­rung die Befrie­digung von Luxus­bedürf­nissen anheizt und sein zer­störer­isches Wachstum immer weiter fort­setzen will. Ob und wann es dabei wieder vorüber­gehend oder dauer­haft am eigenen Unver­mögen scheitert, ist unmög­lich vorher­zusagen.
Die poli­tische Unter­stüt­zung für den Chaoskurs ist unge­brochen, und Wider­stand dagegen wird stärker diskri­miniert als je zuvor. Die Aus­sichten für das neue Jahr sind nicht wirk­lich gut, aber wenn es nicht noch schlimmer werden soll, darf man sich dadurch nicht entmu­tigen lassen. Zumindest sollte man bei allen anste­henden Wahlen in diesem Jahr die jewei­ligen Kan­didat­:innen fragen, wie sie zu diesen Problemen stehen und welche Lösungen sie anzu­bieten haben. Es kann aber auch nicht schaden, bei allen sich bieten­den Gele­gen­heiten auch nach­drück­licher deutlich zu machen, was nötig ist.




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