Archiv 2022

Hier sind alle Beiträge zu aktuellen Themen aus dem Jahr 2022 gesammelt.
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Grafik Late Night Show

29.12.2022

Nachtflüge, weil Winter ist ?

In diesem Winter gab es bisher gerade mal 10 Tage, an denen Frost herrschte - vom 10. bis zum 19.12.. An diesen 10 Tagen gab es laut Statistik des Verkehrs­minis­teriums 155 Flug­bewe­gungen zwischen 23:00 und 0:00 Uhr, darunter 117 Starts, die fast aus­schliess­lich wegen "Safety-Gründen (Enteisung)" genehmigt wurden.
Um diese Tatsache zu bewerten, sind tech­nische und recht­liche Aspekte zu betrachten. Wie meist, sind die tech­nischen Aspekte komplex, aber relativ eindeutig, während die jurist­ischen Inter­preta­tions­spiel­räume lassen.

Aus Sicher­heits­gründen ist es not­wendig, dass relevante Aussen­flächen und Funktions­elemente von Flug­zeugen vor und während des Starts frei von Eis sind. Es liegt formal in der Verant­wortung der Pilotin/des Piloten, sich vor dem Start davon zu über­zeugen und ggf. eine Enteisung zu veran­lassen. De facto schliessen die Airlines an allen grossen Flughäfen Service­verträge mit Providern ab, die bei entspre­chenden Wetter­lagen die notwen­digen Inspek­tionen vornehmen und geeig­nete Maß­nahmen durch­führen, um die Eisfrei­heit bis zum Start zu gewähr­leisten. Am Frank­furter Flughafen gibt es dafür die Fraport-Tochter N*ICE, die auf ihrer Webseite und den bereit­gestellten Doku­menten die wesent­lichen Struk­turen beschreibt.

Frostwetter auf FRA

So war das Wetter im kurzen Winter 2022 (zum Vergrössern klicken) ...


Statistik Nachtflüge

... und das waren die Folgen.


Statistik FRA 14.12.22

Und das sollen die Auswirkungen "erheblicher Flugplanverschiebungen" sein.

Nicht einfach zu beant­worten ist die Frage, unter welchen Wetter­beding­ungen Enteis­ungen notwendig werden können. Die 'Sicher­heits-Daten­bank' SKYbrary beschreibt in einem eigenen Artikel ausführ­lich die Risiken von Vereis­ungen, gibt Empfeh­lungen zur Vermei­dung und listet eine lange Liste von Unfällen auf, die auf unzu­reichende Maß­nahmen zurück­zuführen waren.
Daraus wird klar, dass die üblichen Wetter-Para­meter alleine nicht aus­reichen, um die Notwen­digkeit zu beur­teilen, und auch spezielle Para­meter wie die Tempe­ratur der Flugzeug­hülle eine Rolle spielen können. Daraus lässt sich ableiten, dass unter Frost­beding­ungen zumindest eine Inspek­tion der Flugzeuge bei der Start­vorberei­tung fest einge­plant werden muss und auch die etwa not­wendige Zeit für eine Enteisung keine unge­plante Verzöge­rung darstellen kann. Sie gehören zum normalen Ablauf wie das Betanken des Flugzeugs oder das Verladen des Gepäcks.
Ein solcher Ablauf darf höchstens dann aus dem Takt kommen, wenn die Wetter­beding­ungen so komplex werden, dass die üblichen Vorbe­reitungen nicht aus­reichen. So kann es z.B. vorkommen, dass Flugzeuge mehrfach enteist werden müssen, weil die sog 'Holdover Time', also die Zeit, in der die Enteisungs-Behand­lung wirkt, über­schritten wird. Dann ist eine zeitauf­wändigere Nachbe­handlung notwendig, die zu weiteren Verzöge­rungen führen kann. Wie eine Detail-Betrach­tung der Wetter­beding­ungen zeigt, waren solche Situa­tionen aber äusserst selten. Auf keinen Fall können damit die massiven Verspä­tungen am 15. und 16.12. erklärt werden.

Vielmehr ist es wohl so, dass Fraport selbst die Erklä­rung für die Verspä­tungen liefert in einer Presse­mittei­lung vom 16.12., in der es heisst:
"Vor dem Hinter­grund der weiterhin beste­henden Personal­engpässe und aktuell hoher Kranken­stände kommt es auch am Flug­hafen Frank­furt zu Personal­unter­deckungen, insbe­sondere an den Sicher­heits­kontrollen und bei der Gepäck­abfer­tigung. ... „Zusätz­lich zur ange­spannten Personal­situa­tion haben wir auch im Winter­flug­plan und gerade vor den Weih­nachts­ferien am Flughafen ausge­prägte Auf­kommens­spitzen, d. h. Flüge sind ungleich­mäßig über den Tag verteilt. ... Wenn dann noch die im Winter nicht unüb­lichen wetter­bedingten Heraus­forde­rungen (Schnee­tage, Enteisung) hinzu­kommen, führt das, neben den betrieb­lichen Heraus­forde­rungen für den Flug­betrieb, auch zu einem höheren Passa­gier­aufkommen in den Terminals (Umbuch­ungen, etc.) und zu erhöhten Warte­zeiten an den Prozess­stellen.“"
Damit ist klar gesagt, woran der Betrieb eigent­lich hakt, und dass die Wetter­beding­ungen besten­falls eine sekundäre Rolle spielen. Die eigent­liche Ursache ist der eindeutig selbst­verschul­dete Personal­mangel im Ab­ferti­gungs­bereich. Wenn man der Ankün­digung von N*ICE in ihrer Preseason Infor­mation glauben darf, sind Kapazi­täten für die Enteisung tech­nisch und perso­nell aus­reichend vorhanden. Eine Presse­mittei­lung des BBI weist ausser­dem darauf hin, dass zwischen geplanter und tatsäch­licher Abflug­zeit in einigen Fällen Zeit­spannen liegen, die keines­falls mit mangelnden Kapazi­täten bei der Enteisung erklärt werden können.

Hier kommen nun die juris­tischen Aspekte ins Spiel. Jeder einzelne Start nach 23:00 Uhr muss "durch die ört­liche Luft­aufsichts­stelle" erlaubt werden. Das zustän­dige Verkehrs­ministe­rium hat noch am 15.12. in einer Presse­mittei­lung erklärt, dass am 14.12. 23 Aus­nahme­geneh­migungen erteilt wurden, wobei "Voraus­setzung ist, dass die Ver­spätungs­gründe außer­halb des Einfluss­bereichs der jewei­ligen Flug­linie liegen".
Zu den noch zahl­reicheren Genehmi­gungen in den folgenden Tagen gab es nur nahezu wortgleiche Meldungen mit aktualisierten Zahlen am 16.12. und am 18.12., aber keinen weiter­gehenden Kommentar mehr, nur eine Stan­dard-Mail, die im Auftrag der Flug­lärm­schutz­beauf­tragten am 22.12. an die offenbar zahl­reichen Beschwerde­führer­:innen verschickt wurde. Darin wird zunächst die Proble­matik winter­licher Verkehrs­beding­ungen allge­mein erläutert, ehe es dann zur Situation am Flug­hafen etwas konkreter heisst:
" Insbe­sondere seit dem Schnee­fall am Mittwoch, 14.12. ist es infolge von zusätz­lichen wetter­beding­ten Verspä­tungen insge­samt zu erheb­lichen Flug­plan­verschie­bungen gekommen. Der Schnee­fall hatte am 14.12. vormit­tags eine längere Nicht-Nutzung von verschie­denen Start- und Lande­bahnen in Frank­furt zur Folge, wodurch es zu Verspä­tungen kam. Der Anflug auf den Flug­hafen wurde dabei wetter­bedingt durch die DFS regu­liert (redu­ziert), d.h. Flüge nach Frank­furt wurden schon am Start­flughafen verzögert bzw. verspätet. ... Zur Stabili­sierung des Betriebs und zur Entlas­tung des Systems haben die Flug­gesell­schaften in Frank­furt bereits seit dem 14.12. täglich eine 3-stellige Anzahl Flug­bewe­gungen annul­liert."
Ansonsten wird nur noch darauf hinge­wiesen, dass die Beding­ungen am 19.12. besonders proble­matisch waren - aller­dings ohne eine Erklä­rung, warum da nur 4 Ausnahme­genehmi­gungen not­wendig waren, während am 15. und 16. bei ruhigem Wetter 24 bzw 18 erteilt wurden.

Auch die Ausfüh­rungen zum 14.12. sind nicht nach­voll­ziehbar. "Längere Nicht-Nutzung von verschie­denen Start- und Lande­bahnen" gab es an diesem Tag nicht, ledig­lich die Landebahn Nordwest wurde von ca. 13:00 bis 16:00 Uhr nicht genutzt, aber das dürfte eher Folge, nicht Ursache der relativ geringen Zahl von Landungen in diesem Zeit­raum gewesen sein. Alle anderen Bahnen waren durch­gehend in Betrieb, wenn auch mit unter­schied­lichen Auslas­tungen.
Auch das Tages­muster von Starts und Landungen sieht nicht ungewöhn­lich aus. Selbst wenn der Peak von Landungen zwischen 17:00 und 19:00 Uhr auf Maßnahmen der DFS zurück­zuführen sein sollte und sonst früher gelegen hätte, sollte das in einem normalen Ablauf nicht zu Staus bei Starts ab 22:00 Uhr führen. Ent­eisungen dauern 20 bis 30 Minuten, keine 3 Stunden, und die Gesamt­zahl der Flug­bewe­gungen (850) lag deutlich nied­riger als die von Fraport und N*ICE behaup­tete Kapa­zität.
Dass die Startzahlen ab 17:00 Uhr (nach Ende der Niederschläge) niedrig liegen und sehr viel langsamer wieder hochlaufen als nach 14:00 Uhr, deutet auf andere Gründe hin, die nichts mit dem Wetter zu tun haben.

Und wenn diese Wetter-Erklä­rungen schon für den 14.12. nicht plausibel sind, wären sie für den 15. und 16.12. bei ruhigem, nieder­schlags­freiem Winter­wetter völlig absurd. Hier spielen wohl erst recht "Personal­unter­deckungen, insbe­sondere an den Sicher­heits­kontrollen und bei der Gepäck­abfer­tigung" die entscheidende Rolle.
Wenn aber die Verzöge­rungen nicht einzig und allein auf das Wetter zurück­zuführen sind, dann greift die Aussage aus dem Plan­fest­stellungs­beschluss (A II Ziffer 6 PFB):
"Im Übrigen darf die Genehmi­gungs­behörde Ausnahmen von den betrieb­lichen Einschrän­kungen nur in Fällen besonderer Härte zulassen. Kein Fall beson­derer Härte liegt vor, wenn durch die Betriebs­einschrän­kung die Flugzeug­umlauf­planung des Luft­verkehrs­unter­nehmens erschwert oder Maß­nahmen des Passa­gier­trans­fers bzw. der Passa­gier­unter­bringung erfor­derlich werden."
Mit anderen Worten: allein die Tatsache, dass ein Flieger am geplanten Tag nicht mehr starten kann, ist kein Grund, eine Aus­nahme­genehmi­gung zu erteilen. Von einem Rechts­anspruch auf eine solche Geneh­migung ist ohnehin nirgendwo die Rede.

Den Ansprüchen der 'Luft­verkehrs­unter­nehmen' stehen die Auflagen aus §29b Luft­verkehrs­gesetz entgegen, wo es heisst:
"(1) Flugplatz­unter­nehmer, Luft­fahrzeug­halter und Luft­fahrzeug­führer sind verpflichtet, beim Betrieb von Luft­fahr­zeugen in der Luft und am Boden vermeid­bare Geräusche zu verhin­dern und die Ausbrei­tung unvermeid­barer Geräusche auf ein Mindest­maß zu beschränken, wenn dies erforder­lich ist, um die Bevölke­rung vor Gefahren, erheb­lichen Nach­teilen und erheb­lichen Belästi­gungen durch Lärm zu schützen. Auf die Nacht­ruhe der Bevölke­rung ist in beson­derem Maße Rück­sicht zu nehmen.
(2) Die Luft­fahrt­behörden und die Flug­sicherungs­organi­sation haben auf den Schutz der Bevölke­rung vor unzumut­barem Fluglärm hinzu­wirken."

Auf die Bedeutung dieser gesetz­lichen Regelung insbe­sondere für den Schutz der "Kern­nacht" von 23:00 - 5:00 Uhr hat auch das Bundes­verwal­tungs­gericht hinge­wiesen, als es den Versuch der hessischen Landes­regierung, die in der Mediation verein­barten Nacht­flug­beschrän­kungen wieder aufzu­weichen, zurück­gewiesen hat. Dies darf man als recht­lichen Hinweis darauf lesen, dass an die Recht­fertigung solcher Ausnahme­genehmi­gungen besonders hohe Anforde­rungen zu stellen sind.

Eine Aufsichts­behörde, die zwischen den Profit­inter­essen der Flug­gesell­schaften, den Trans­port­inter­essen der Flug­passa­giere und den Inter­essen der Flug­hafen­anrainer auf Schutz vor beson­ders gesund­heits­schäd­lichem Nacht­lärm nach Recht und Gesetz abwägt, hätte also diese Genehmi­gungen in den vorlie­genden Fällen nicht erteilen dürfen. Eine solche Behörde gibt es aber in Hessen leider nicht.
Was es gibt, ist eine Kumpanei zwischen Verkehrs­ministerium und dem Flug­hafen­betreiber Fraport, die dafür sorgt, dass das Manage­ment-Ver­sagen und die unsoziale Politik der Fraport-Bosse nicht bestraft werden. Statt­dessen ziehen sie gemeinsam eine miese Show ab, die den Betrof­fenen vorgaukeln soll, dass das alles nach Recht und Gesetz und im öffent­lichen Interesse so ablaufen muss und sie die Folgen hinzu­nehmen haben.
Dieses Vorgehen hat Tradition, und auch diesmal wird die Bevölke­rung perverser Weise noch mit dem Lärm völlig unnötig mitten in der Nacht startender Kurz­strecken­flüge (insgesamt 25, davon 14 der Lufthansa) gequält. Was fehlt, ist das Geschrei nach offi­zieller weiterer Aufwei­chung der Nacht­flug­beschrän­kungen. Dafür ist das Image der Betei­ligten aktuell wohl doch nicht gut genug.




Thomas Jühe - Fluglärm

Dass der Fluglärm in Raunheim zeitweise unerträglich ist, hat Thomas Jühe immer wieder in Wort und Bild deutlich gemacht.

15.12.2022

Thomas Jühe: Ein Nachruf

Ende 1999 war Bürger­meister-Wahl in Raunheim. Die CDU sah mit einem lokal bekannten Kandi­daten erstmals seit Jahr­zehnten eine Chance, das Amt zu über­nehmen. Die personell ausge­zehrte Raunheimer SPD hatte einen jungen, in Raunheim bis dahin weit­gehend unbe­kannten Lehrer aus Dreieich als Kandi­daten geholt. Er gewann die Wahl denkbar knapp.
Zunächst konnte er das Amt nicht antreten, weil ein medizi­nischer Befund auf eine schwere Krank­heit hindeu­tete. Damals erwies sich die Diagnose als falsch, und im Mai 2000 konnte er eine erfolg­reiche politische Karriere beginnen, die nun nach 22 Jahren durch eine wirk­liche Krank­heit jäh beendet wurde. Am 12.12.2022 ist Thomas Jühe, bis Ende November Bürger­meister und seither Ehren­bürger­meister von Raunheim, verstorben.

Ebenfalls Ende der Neunziger Jahre haben sich Raun­heimer Bürger­:innen im Rahmen des dama­ligen ersten Stadt­leitbild-Prozesses wieder organi­siert mit den Belas­tungen durch den Frank­furter Flug­hafen ausein­ander­gesetzt. Das dort erar­beitete Kapitel "Raunheim und der Flughafen Frankfurt" wurde zum Gründungs­dokument der "Bürger­initiative gegen Fluglärm Raunheim", die sich damit gegen das Ergebnis der sog. "Mediation" zum Flughafen-Ausbau wandte, das im Januar 2000 verkündet wurde.

Mit dem Amtsan­tritt von Thomas Jühe begann eine Zusammen­arbeit, die nicht immer konflikt­frei, aber stets produktiv und kollegial war und über Höhen und Tiefen gehalten hat, bis sie durch seine Krank­heit beendet wurde. Obgleich er von Beginn an als Bürger­meister eine Menge Bau­stellen zu bear­beiten hatte, war das Thema 'Fluglärm' von Anfang an ein Schwer­punkt seiner Tätig­keit, und er wandte in den ersten Jahren sehr viel Zeit auf, um die Kommune in den juris­tischen Ausein­ander­setzungen um den Flug­hafen­ausbau gut zu positio­nieren. Dabei war seine Heran­gehens­weise immer die eines poli­tischen Beamten. Er versuchte, die Möglich­keiten, die die bestehenden Rahmen­beding­ungen boten, maximal im Inter­essen seiner Kommune zu nutzen. Wo diese Rahmen­beding­ungen unzu­reichend waren, versuchte er, die poli­tischen Ent­scheidungs­träger so mit Sach­argu­menten zu bombar­dieren, dass sie zu posi­tiven Verän­derungen gezwungen wurden.

Thomas Jühe - BI-Stand

Thomas Jühe am Infostand der BI beim Bahnhofstrassenfest ...

Thomas Jühe - Reichstag

... bei einer Aktion vor dem Berliner Reichstag ...

Thomas Jühe - Flugrouten

... und beim Erklären der Flugrouten-Problematik.

So entstanden zunächst das Flug­lärm-Entlastungs­konzept Raun­heim 2002 und dessen Fort­schreibung 2006, womit die Flug­lärm-Belas­tung in Raunheim und Mög­lich­keiten zu ihrer Redu­zierung gründ­lich fachlich belegt wurden. Ausser­dem wurde ab 2001 eine ausführ­liche Dokumen­tation der Wirbel­schleppen-Schäden im Stadt­gebiet begonnen.
Beide Aktivi­täten blieben nicht ohne Wirkung, dennoch war der Umgang von Politik und Justiz mit den vorge­legten Fakten auch für Thomas Jühe des­illusio­nierend. Insbe­sondere die Tat­sache, dass auch die Dokumen­tation von über 100 Wirbel­schleppen-Schadens­fällen in Raun­heim nicht genügte, um ein Fraport-Gutachten, dass die Möglich­keit solcher Schäden leugnete, im Verfahren um den Plan­fest­stellungs­beschluss zum Ausbau des Flug­hafens zu wider­legen, machte ihm die Begrenzt­heit solcher juris­tischer Vor­gehens­weisen deutlich.

Seine Schluss­folgerung war, dass es umso wich­tiger sei, im System von innen heraus alle Möglich­keiten zu nutzen, um Verbes­serungen durch­zusetzen. Schon 2003 wurde er Vorsit­­zender sowohl der Frank­furter Flug­lärm­kommission als auch der Arbeits­gemein­schaft Deutscher Flug­lärm­kommis­sionen und hat wesent­lich zur Profes­sionali­sierung und Effekti­vierung dieser Gremien beige­tragen. Auch die Nach­folge-Organi­sationen des sog. 'Regio­nalen Dialog­forums' zum Flug­hafen-Ausbau, insbe­sondere das 'Forum Flug­hafen und Region' und das 'Experten­gremium Aktiver Schall­schutz' versuchte er zu nutzen, um die identi­fizierten Möglich­keiten zum besseren Schall­schutz und die Entwick­lung neuer Möglich­keiten dafür durch­zusetzen.

Die Erfolge waren auch hier begrenzt. Zwar wurde insbe­sondere die Flug­lärm­kommission ein wesent­lich kriti­scheres Gremium und hat mit fach­lichen Inputs und kriti­schen Stellung­nahmen Landes­regierung, DFS und Fraport etliches abge­fordert und die Entwick­lung des Flug­betriebs im Rhein-Main-Gebiet im Sinne des Lärm­schutzes positiv beein­flusst, aber letzt­endlich die weitere Ausbrei­tung und Zunahme des Flug­lärms nicht aufhalten können.
Aber gerade weil Thomas Jühe die Begrenzt­heit der Wirkung fach­licher Argumen­tationen sehr klar gesehen hat, hat er sich immer darum bemüht, andere dabei zu unter­stützen, ihre Inter­essen an einem Schutz vor Lärm und an einer gesunden Umwelt zu ver­treten und dafür Druck auf die Luft­verkehrs­wirtschaft und ihre poli­tischen Vertreter auszu­üben. Deshalb konnte die BI selbst dann auf seine Unter­stützung zählen, wenn sie die Arbeit der Gremien, in denen er aktiv war, kriti­siert hat.

In dem Maße, in dem der öffent­liche Druck nach­gelassen oder sich in illusio­näre Forde­rungen verrannt hat, wurde es auch für ihn schwie­riger, in den Gremien Erfolge zu erzielen. Ohnehin war von Anfang an eine der Haupt­aufgaben, die mit dem geplanten Ausbau drohenden Ver­schlimme­rungen soweit wie möglich abzu­wenden. Dies wurde besonders deutlich in der Frage der künftig geplanten Flug­routen.
Mit dem Bau der Nordwest­bahn und dem dadurch bedingten weit­gehenden Wegfall der Nord­abflüge vom Parallel­bahn­system drohte der Teil der Abflüge, der nicht über die Start­bahn West abge­wickelt werden kann, bei Betriebs­richtung 25 direkt über Raunheim geführt zu werden. Damit wäre das Stadt­gebiet ganz­jährig durch Überflüge in einer unerträg­lichen Weise verlärmt worden. Mit der Konzep­tion und Durch­setzung der unmit­telbar nach dem Start nach Süden abdre­henden Abflug­route konnte diese Kata­strophe weit­gehend abge­wendet werden.
Thomas Jühe war daran in einer Weise beteiligt, dass er von den Medien zum Vater der Südum­fliegung ernannt wurde. Wer künftig in Raunheim Politik machen will, wird dieses Vermächtnis mit Nachdruck vertei­digen müssen, denn dauer­haft gesichert ist in diesem Bereich fast nichts.

Wo Thomas Aufgaben und Möglich­keiten zur Fluglärm-Bekäm­pfung für die Zukunft gesehen hat, wird viel­leicht am ehestens deut­lich in zwei Papieren, die er in letzter Zeit verfasst bzw. mit verfasst hat: einer Denk­schrift zum Flug­verkehr nach der Corona-Krise und den ADF-Forde­rungen zur Bundes­tagswahl 2021. Was davon künftig umge­setzt werden kann, ist offen.
Man kann nur hoffen, dass viele so denken wie die lang­jährige Geschäfts­führerin der ADF und der FLK Frank­furt, Anja Wollert, die erklärte „Wir alle sind sehr traurig und tief betroffen über den viel zu frühen Verlust. Gleich­zeitig sind wir unend­lich dankbar für den gemeinsam zurück­gelegten Weg, die erreichten Erfolge und auch den Umgang mit (noch) nicht erreichten Zielen. Mit Mut, Entschlos­senheit und Beharr­lichkeit werden wir auch künftig versuchen, eine Verbes­serung des Schutzes vor Fluglärm zu bewirken. Das coura­gierte und verant­wortungs­volle Wirken von Thomas Jühe wird uns dabei immer Vorbild sein.“
Auch die BI wird sich bemühen, in diesem Sinne weiter zu arbeiten.




Grafik Privatjets MakeThemPay-Webseite WerHatDerGibt-Webseite Link Honorarkonsuln

Privatjets emittieren besonders viel klima­schädliche Substanzen, und das über­wie­gend für gesell­schaft­lich schäd­liche oder sogar eindeutig kriminelle Aktivitäten.
(Hintergrundgrafik: Illustration von Matt Rota für ProPublica und ICIJ.)

05.12.2022

Klima-Katastrophe ?
Gut, dass wir drüber geredet haben ...

... und das gleich in den unter­schied­lichsten Formaten: G7, G20, G195 alias COP27, und auch in der ICAO-A41. Manchmal wurde es dabei sogar lyrisch: UN-General­sekretär Guterres sagte zur Eröff­nung der COP: "We are on a highway to climate hell with our foot still on the accele­rator" ("Wir sind auf der Schnell­strasse in die Klima-Hölle, mit dem Fuss immer noch auf dem Gas­pedal"). Gerüchte­weise spielte er damit an auf einen AC/DC-Hit, in dem es frei über­setzt heisst: "Keine Stopp-Schilder, kein Tempo­limit, nichts bremst mich ... ich bin auf der Schnell­strasse zur Hölle".
Das kann man als poin­tierte Zusammen­fassung der Berichte des Welt­klima­rates IPCC, des UN-Umwelt­programms UNEP, der Inter­natio­nalen Energie­agentur IEA und der Welt-Meteoro­logie-Organi­sation WMO betrachten, die alle­samt aussagen, dass die Welt das 1,5°C-Ziel des Pariser Klima-Abkommens deutlich verfehlen wird, wenn nicht umge­hend dras­tischste Maßnahmen ergriffen werden. Das globale Kohlen­stoff-Budget, d.h. die Menge an Kohlen­dioxid, die noch emittiert werden darf, um z.B. das 1,5°C-Ziel mit einer Chance von 2:1 noch einhalten zu können, ist beim gegen­wärtigen Emissions­niveau bereits 2030 erschöpft. Das Über­schreiten mehrerer Klima-Kipp­punkte wird damit immer wahr­schein­licher.

Der deutschen Bundes­regierung war das Guterres-Bild zu negativ. Der Bundes­kanzler hat in der COP auch als amtie­render G7-Präsi­dent für seinen Klima­club geworben, um "beim klima­neutralen Umbau unserer Volks­wirt­schaften und unserer Industrie" voran­zukommen. Ein solches Voran­kommen wäre dringend not­wendig, da Deutsch­land an der 'Schnell­straße zur Hölle' eifrig mit­betoniert und seine ohnehin unzurei­chenden Klima­ziele deutlich verfehlen wird, ebenso wie die Wirt­schaft der G7 und der G20 ins­gesamt. Die Resonanz war jedoch eher verhalten, denn wie das in exklu­siven Clubs eben so ist: mitspielen darf nur, wer sich Spiel­gerät und Beitrag leisten kann. Alle anderen dürfen besten­falls von der Seiten­linie zugucken, selbst wenn auf dem Feld mit ihren Lebens­grund­lagen gespielt wird - und das gefällt vielen garnicht.
Derzeit sind die poten­tiellen Klubmit­glieder auch haupt­sächlich damit beschäftigt, einen klima­schäd­lichen Erdgas-Boom zu initi­ieren, wobei Deutsch­land u.a. mit der Sene­gal-Connec­tion eine führende Rolle spielt. Damit gefährdet Deutsch­land auch die notwen­dige Energie­wende in Afrika, wovor die Inter­natio­nale Energie­agentur ausdrück­lich warnt: "Neue lang­fristige Gas­projekte riskieren, ihre Investi­tions­kosten nicht wieder herein­holen zu können, wenn es der Welt gelingt, die Gasnach­frage in Über­ein­stimmung mit der Errei­chung von Netto-Null-Emis­sionen Mitte des Jahr­hunderts zu senken" (eigene Übersetzung).

Ausserdem hat der Kanzler einen globalen Schutz­schirm ange­kündigt, der "mehr und schnellere finan­zielle Hilfen für Länder des globalen Südens" mobili­sieren soll, "wenn sie durch den Klima­wandel Schäden erleiden", aller­dings schon vorab als Knirps verspottet wurde. Verglichen mit den Schäden, die die Gruppe der verletzlichsten Länder bereits für die letzten Jahre bilan­ziert haben (über 500 Mrd. Euro), sind die zuge­sagten 170 Mill. Euro aller­dings noch weniger als ein "Tropfen auf den heissen Stein".
Seine Entwick­lungs-Minis­terin versuchte, diese Aktivi­täten als eine Brücke zu den Entwick­lungs­ländern zu beschreiben, eine Bridge over troubled water. Ihre Botschaft lautete also, eben­falls frei über­setzt: "Wenn Du auf dem Weg in den Unter­gang bist, werde ich bei Dir sein und Dich trösten". Tags drauf ermun­terte sie die afrika­nischen Länder auch noch, "die Finsternis nicht zu fürchten ... [und] durch Stürme und Regen zu gehen, auch wenn deine Träume zerblasen werden": You'll never walk alone.
Zynismus, Dummheit oder ein unge­wohnter Anflug von System­kritik? Wahr­schein­lich hatte die Ministerin einfach nur die Song­texte nicht präsent, und ihre Bilder beschreiben die von den Maßnahmen der Bundes­regierung eröffneten Perspek­tiven ganz ungewollt treffend. Denn Deutsch­land wird sein nationales Kohlenstoff-Budget, das nach dem ein­schlägigen Urteil des Bundes­verfassungs­gerichts praktisch Verfas­sungs­rang hat, noch schneller über­ziehen als andere und trägt damit dazu bei, die Welt auf einen Kurs einer Erwär­mung von 2°C oder mehr zu schicken.

Natürlich war die COP auch wieder Ziel hunderter offener und verdeckter Lobby­isten der fossilen Indus­trien, darunter auch der Luft­fahrt­industrie, während Vertreter:innen der Haupt­betrof­fenen und Klima­aktivist­:innen in der Regie des ägyp­tischen Auslands­geheim­dienstes ausge­schlossen, über­wacht und an den Rand gedrängt wurden.
Unter anderem hat es sich die Inter­natio­nale Zivil­luft­fahrt-Organi­sation ICAO, eigent­lich eine UN-Unter­organi­sation, aber in ihrem Handeln nicht von einer Indus­trie-Lobby­vertre­tung zu unter­scheiden, nicht nehmen lassen, ihre nur wenige Wochen vorher gefassten Beschlüsse zu Umwelt­themen, darunter insbe­sondere ihr neues lang­fristig anzu­strebendes Ziel (long term aspira­tional goal, LTAG) zu präsen­tieren.
Viel Beifall gab es dafür bisher nicht. Schon die General­versamm­lung selbst wurde von Protesten begleitet. Gewerk­schaften verlang­ten ein deutli­cheres Bekennt­nis zu "einem gerechten Über­gang zu einer kohlen­stoff­freien Zukunft, ... die Dekarbo­nisie­rung der Luft­verkehrs­branche auf sozial­verträg­liche Weise, ... einen quali­tativ hoch­wertigen sozialen Dialog, Investi­tionen in die Ausbil­dung und die Erstel­lung branchen­spezi­fischer Maßnahmen­pläne".
In Bezug auf das einzig derzeit ange­wendete 'Klima­schutz-Instru­ment' der Luft­fahrt, das Kompen­sations-System CORSIA, liefert eine Analyse der Auswir­kungen der ICAO-Beschlüsse ein vernich­tendes Ergebnis: damit würden "magere 22% der gesamten inter­natio­nalen Emis­sionen im Jahr 2030 kompen­siert" (eigene Über­setzung).
Für das neue 'lang­fristige Ziel' gab es zwar freund­liche Worte, u.a. von einer NGO-Koali­tion und dem progres­siven Think Tank ICCT, aber nur, weil damit einge­standen wird, dass die bisher propa­gierten Ziele, und damit auch die dafür vorge­sehenen Maß­nahmen, völlig unzu­reichend sind. Der ICCT hat auch gleich Szena­rien vorge­legt, die zeigen, was passieren müsste, damit die Luft­fahrt wenig­stens mit einem Ziel einer globalen Tempe­ratur-Erhöhung "deutlich unter 2°C" kompa­tibel bleiben könnte. Warum die ICAO-Szena­rien das nicht leisten können, erläutert ein Fact Sheet des Netz­werks 'Stay grounded'.
Was aber aktuell wirklich passiert, beschreibt ein Beitrag der Tages­schau: "Um rund ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr sind die globalen Kohlen­dioxid-Emis­sionen in 2022 gestiegen, ... der zweit­höchste Zuwachs der Geschichte." und "Dass die Emissionen steigen, hat in diesem Jahr vor allem einen Grund: Der inter­natio­nale Flug­verkehr hat nach der Pandemie wieder kräftig angezogen". Konse­quenter Weise sprengen die Gewinne der Energie­konzerne alle Grenzen.

Wer sich die Ergeb­nisse der COP27 ganz prosaisch ansehen will, findet sie in leicht verständ­licher Form in einem Tages­schau-Beitrag, etwas ausführ­licher in einem klima­reporter°-Artikel, mit sehr vielen Details (und in englisch) bei CarbonBrief oder als Insider-Bericht. Gewerk­schafts­vertreter sehen die Ergeb­nisse "zwie­spältig", beklagen "die Verwäs­serung der Verpflich­tungen gegen­über den Beschäf­tigten und deren zuneh­mende Ausgren­zung" und fordern "einen gerechten Über­gang für die Arbeit­nehmen­den im Einklang mit dem Pariser Abkommen ... , um den Bedürf­nissen der Beschäf­tigten und den Bedürf­nissen des globalen Südens in vollem Umfang gerecht zu werden".
Der Abschluss­bericht enthält viele wohl­klingende Formulie­rungen, aber da kommt es eher darauf an, was nicht drin steht: "Das Arbeits­programm zur Emissions­reduktion ist ein Witz. Es gibt keine Jahres­ziele, und auch Ziele für die einzelnen Sektoren haben es nicht ins Programm geschafft. ... [Es] verbietet sogar eine Verschär­fung der Klima­ziele. ... Der Ausstieg aus den fossilen Energien hat es wieder mal nicht in den Abschluss­bericht geschafft".
Zu ergänzen wäre: auch die militä­rischen Emis­sionen werden nach wie vor kaum erfasst. Bestre­bungen, das zu ändern, werden auch in der EU abge­blockt. Immerhin war es während dieser COP erstmals möglich, das Thema in einem Blue Zone Side Event zum Krieg in der Ukraine zu disku­tieren.

Auch in Wissen­schafts­kreisen herrscht über­wiegend Frust und Enttäu­schung. Die Spitzen der deutschen Klima­forschung urteilen: Ergeb­nisse sind nicht gut genug und beklagen "Die Welt muss ihre Emis­sionen inner­halb von sieben Jahren um 50 % senken - und in Sharm haben wir immer noch darüber gestrit­ten, ob wir aus der Kohle aus­steigen oder nicht, und waren nicht einmal bereit, über fossile Brenn­stoffe zu sprechen. Die Diskre­panz könnte nicht größer sein". Weitere Stimmen zu den Ergeb­nissen der COP hat das Science Media Center zusammen­gestellt.

Video: Aktionen von 'Scientist Rebellion' und 'Extinction Rebellion' gegen Privatjets.

Die Reaktionen darauf sind unter­schied­lich. Während einige auf neue Foren hoffen, mit denen Taten auf den Weg gebracht werden können, gehen andere dazu über, Extrem-Szena­rien zu unter­suchen, deren Eintreten zunehmend wahr­schein­licher wird.
Die konse­quentesten Klima­forscher­:innen haben schon vor dieser Konferenz fest­gestellt, dass es keinen plausiblen Weg zur Errei­chung des 1,5°C-Ziels mehr gibt, und wurden aktiv, indem sie im Rahmen der Kampagne Make them pay elf inter­natio­nale Privat-Flug­häfen bzw. -Terminals blockierten.
Dabei ist es natür­lich kein Zufall, dass sie sich Privat­jets als Ziel ausgesucht haben. Privat­jets sind die Basis des sog. Geschäfts­flug­verkehrs, stossen über­propor­tional viel Treib­haus­gase aus und dienen über­wiegend dem Luxus­konsum der Super­reichen, die durch ihren Lebens­stil, aber insbe­sondere durch ihre Investi­tionen die Klima-Kata­strophe anheizen. Passender Weise gab es aktuell auch Enthül­lungen, die zeigen, dass zu diesen Super­reichen auch ein relevanter Teil dessen gehört, was auch offiziell als organi­sierte Krimina­lität bezeichnet wird.

Grafik 'Keep calm ...'

Linksextremistische Unterwanderung droht ...

Und obwohl diese besonders obszöne Zur­schau­stellung von Reich­tum und Arro­ganz sogar auf EU-Ebene zu Verbots-Diskus­sionen geführt hat, reagierten staat­liche Institu­tionen mit absurder Härte auf die Aktionen, und es kam, wie schon bei Straßen­blockaden der Letzten Genera­tion, zu Arresten und rechts­widriger Präventiv­haft. Als dann aber auch noch mit einer weiteren Aktion der allge­meine Flug­betrieb in Berlin kurz­zeitig gestört wurde, rasteten Politiker­:innen von AfD bis zu den Grünen voll­ständig aus und ver­such­ten diese Art von Aktionen zu krimina­lisieren.
Dies änderte sich auch nicht, nachdem klar war, dass durch die Aktion niemand gefährdet wurde: "Menschen seien zu keiner Zeit gefährdet gewesen, weil die Klima­demon­stran­ten die Start- und Lande­bahn nicht betreten haben und weit weg vom Terminal demon­striert hätten", erklärte ein Flug­hafen­sprecher. Trotzdem wird die Aktion zum Anlass genommen, öffent­lich nach neuen Straf­verschär­fungen zu schreien. Weil das derzeit aber wohl noch nicht als durch­setzbar gilt, bleibt es vor­läufig bei Ein­schüch­terungs-Ver­suchen.
Dabei faseln 'Sicher­heits­behörden' von "Links­extre­misten", die versuchten, "Fridays For Future und die Letzte Gene­ration zu unter­wandern und aus der Klima­krise eine System­krise zu machen". Eine perverse Aussage, denn alle wissen, dass die Klima­krise eine System­krise ist: der Slogan "System change, not climate change" ist seit Jahren eine Kern­aussage der Bewe­gungen für Klima­gerechtig­keit. Das aber darf offiziell natür­lich nicht wahr sein.
Stimmen aus der Wissen­schaft kommen daher auch zu ganz anderen Ein­schätz­ungen und stellen u.a. auch die Rela­tionen wieder her: "Zum anderen sind auch die aktuellen Protest­formen der Letzten Gene­ration nur sehr begrenzte Regel­über­schrei­tungen, bei denen es maximal zu Sach­beschädi­gungen in einem geringen Rahmen kommt. Angriffe auf Personen finden nicht statt. Das Gewalt­niveau und vermut­lich auch die Summe der Sach­schäden jedes Fußball­bundes­liga-Sams­tages dürften deut­lich höher liegen".

Was bleibt als Fazit ? Die Zeiten­wende hat dazu geführt, dass vieles, was vor einem Jahr noch als selbst­verständ­lich galt, heute nicht mehr wahr sein soll. Der Kampf gegen das weitere Wachstum der Treib­haus­gas-Emis­sionen wird geo­politi­schen Macht­spielen unter­geordnet, Wider­stand dagegen wird krimi­nalisiert. Mil­liarden Euro werden in Auf­rüstung und den Ausbau fossiler Infra­strukturen inves­tiert, während Verkehrs- und Energie-Wende nicht voran­kommen. Die Aus­sichten, die Klima­katastrophe noch irgend­wie einzu­dämmen, werden immer trüber.
Das Wachstum des Luft­verkehrs ist nach wie vor sakro­sankt, und wer ernst­haft versucht, das zu behindern, bekommt die volle Härte der Staats­macht zu spüren. Wer in dieser Situation weiter gegen die nega­tiven Folgen des Flug­verkehrs vorgehen will, wird die Erfah­rungen berück­sichtigen müssen, die in der Bewegung gegen die Start­bahn West, in der Anti-AKW-Bewegung und in vielen anderen Bewe­gungen gemacht wurden. Es gibt unter­schied­liche Formen des Wider­stands, von gutbürger­lich bis radikal. Solange sie gewalt­frei bleiben, müssen alle diese Formen in einer Bewegung, die erfolg­reich sein will, ihren Platz haben. Versuche der Spaltung und der Krimi­nali­sierung zivilen Ungehor­sams müssen zurück­gewiesen werden.
Es spricht nichts dagegen, es deutlich zu sagen, wenn man es bescheuert findet, Kunst­werke mit Essen zu bewerfen. Gleich­zeitig muss aber deutlich werden, dass die politischen Gegner die­jenigen sind, die wegen solcher Aktionen von "extremis­tischer Unter­wanderung" und der Bildung einer "Klima-RAF" schwätzen und damit von ihrem Versagen bei der Bekämpfung der Klima­katastrophe ablenken wollen. Die wahren Extremisten, die diese Gesell­schaft zu zerstören drohen, kleben nicht auf Roll­wegen oder Strassen - sie sitzen in Konzern-Zentralen.




Bild und Planskizze T1 und T2

Bild und Planskizze (letztere für bessere Vergleichbarkeit der Dimensionen nicht perspektivisch verkürzt) der zusammenhängenden Terminals 1 und 2

20.11.2022

Neue Ausbau-Variante: T3 ersetzt (vorübergehend?) T2

Eine eigene Presse­meldung war es der Fraport nicht wert, aber im Rahmen der Präsen­tation der Fraport-Quartals­mittei­lung Q3/9M 2022 gab es in der Roadshow für Inves­toren einen kurzen Hinweis im "Outlook" (Folie 82): "Temporary Closure of FRA T2" ("Vorüber­gehende Schlies­sung von FRA T2").
Das Fachblatt aero.de berichtet am 14.11. unter der Über­schrift Das T2 hat 2026 vorerst ausge­dient über die Aussagen von Fraports oberstem Finanz­menschen, CFO Prof. Zieschang, dazu: „Fraport will das Terminal 2 laut Zieschang als "Backup-Terminal" erhalten, vorerst aber nicht moderni­sieren. ... "Da ist die nächsten Jahre nichts geplant", demen­tierte Zieschang. "Wir haben es, wie es ist und nur auf sehr lange Sicht könnte es sein, dass wir Geld (ins T2, Red.) inves­tieren."“

Einen Tag später ist das aber schon nicht mehr wahr, und aero.de berichtet, was auch die Frank­furter Rund­schau schon am 15.11. mitzu­teilen hatte, aber am 18.11. auch noch mal korri­giert hat: Das T2 geht 2026 vorerst vom Netz.
Die Fraport-offi­zielle Aussage ist nun: "Wir werden die zusätz­liche Kapa­zität mit der Inbetrieb­nahme vom Terminal 3 nutzen, um ab 2026 eine umfas­sende tech­nische Moderni­sierung von Terminal 2 durchzu­führen". Dazu werde nach der letzten Rund­schau-Version "die Passa­gier­abfer­tigung ab 2026 für zwei bis drei Jahre geschlossen, während Tief­garage, Sky Line-Bahn und Gepäck­anlage weiter­laufen sollen. Auch die Flugzeug­parkplätze am Terminal 2 sollen weiter genutzt werden", aber "die bislang im Terminal 2 behei­mateten Airlines müssten im Laufe des Jahres 2026 in die neuen Gebäude im Süden des Flug­hafens in Frank­furt umziehen. Nach Abschluss der Arbeiten soll das Terminal 2 aber ... voll­ständig ans Netz genommen werden".
Andere Blätter wie z.B. der aero­telegraph haben das wieder etwas anders verstanden, sprechen weiter vom "Reserve-Terminal" und zitieren Fraport so: "Mindes­tens drei Jahre lang wird aber das Gebäude nicht mehr in Betrieb sein. ... In den kommenden Jahren werde man nicht mehr zusätz­lich in das Gebäude inves­tieren, ... aber ... ab 2026 eine umfassende tech­nische Moderni­sierung vornehmen"

Wie ist dieses Informa­tions­chaos zu bewerten? Haben die bei der Präsen­tation anwesenden Reporter einfach nicht genau hinge­hört, oder hat Herr Zieschang, ganz Finanz­mensch, bei der Presse­konferenz wirtschaft­lich Klartext geredet und musste sich anschlies­send von Schulte & Co. wieder kommuni­kations-strate­gisch einnorden lassen?
Der BUND Hessen hat jeden­falls den ersten Aero-Bericht zum Anlass für einen Kommentar genommen, in dem es heisst: "Einmal mehr zeigt sich, dass der Ausbau des Frank­furter Flug­hafens eine riesige Fehl­planung darstellt. Der Flug­hafen benötigt keine drei Terminals. Die Schließung von Terminal 2 bei Eröff­nung des Terminals 3 belegt, dass die Ausbau­kapazität auf Kosten des Bannwalds völlig über­schätzt wurde. In Folge des Klima­wandels ist Wachstums­glaube für die Luft­fahrt nicht mehr zeit­gemäß. Es ist vorher­sehbar, dass Terminal 2 nie mehr geöffnet wird".

DFS-Präsentation, verändert

So uhrwerk-artig möchte die DFS die Abläufe künftig gestalten ...
(Quelle: FLK-Präsentation der DFS)

Fraport Gesamtplan

... aber das geht nicht ohne genug Betrieb in Terminal 3.
(Quelle: Wikimedia, verändert)

Wenn man speku­lieren möchte, was Fraport tatsäch­lich vorhat, lohnt erstmal ein Blick auf die bekannten Fakten, zunächst über Terminal 2.
Der 1994 eröffnete Glas­palast prägt zwar das Erschei­nungs­bild des Flughafens von aussen, ist aber insge­samt von gering­erer Bedeutung. Vor dem Pandemie-Einbruch wurden nur rund 20% des Betriebs darüber abge­wickelt, während der Pandemie wurde es komplett dicht­gemacht. Es gilt als architek­tonisch bedeutsam, aber betrieb­lich in vielerlei Hinsicht ineffi­zient und wurde in den 28 Jahren seines Bestehens relativ wenig moderni­siert. 2019 hat sich Fraport eine Machbar­keits­studie für die weitere Nutzung von T2 erstellen lassen, aber was da drin steht, ist nicht bekannt. Die Absicht, es für eine grund­legende Moderni­sierung zu schliessen, solange der Betrieb noch hoch­läuft und genügend andere Kapazi­täten vorhanden sind, klingt aber zunächst durchaus plausibel.
Auf der anderen Seite soll Terminal 3 schon bei Eröff­nung deutlich mehr Kapa­zität bieten, als Terminal 2 je haben könnte, und das auf aktuellem tech­nischen Stand. Ausserdem ist eine Erweite­rung um einen vierten 'Finger' in der Planung ja schon vorge­sehen, und damit würde die Kapa­zität gegen­über Terminal 2 fast verdoppelt. Derzeit redet Fraport zwar von diesem letzten Ausbau-Schritt nicht mehr und gibt die T3-Kapa­zität mit 19 statt mit 25 Millionen Passa­gieren im Jahr an, aber völlig vom Tisch sind die Planungen deshalb natür­lich nicht. Damit bieten sich unter­schied­liche Optionen, über die heute noch nicht ent­schieden werden muss.
Primäres Interesse von Fraport ist natür­lich, Terminal 3 schon bei Inbetrieb­nahme möglichst gut auszu­lasten, allein schon deshalb, damit der dort optimal plazierte 'Retail-Sektor', also die schönen neuen Glitzer-Shops, die erwar­teten Gewinne abwerfen. Das geht am einfach­sten, wenn man von vorne­herein festlegt, dass eine bestimmte Zahl von Airlines dahin umziehen muss, und das wird mit der Schlies­sung von Terminal 2 sicher erreicht.

Vor allem aber sprechen flug­betrieb­liche Interessen dafür, Terminal 3 möglichst schnell hochzu­fahren. Man muss wohl davon ausgehen, dass Fraport nach wie vor kapa­zitäts-steigernde neue Betriebs­konzepte anstrebt ähnlich dem, dessen Probe­betrieb vor zwei Jahren zunächst geschei­tert ist. Dieses Konzept sah vor, dass beide Parallel­bahnen gleicher­maßen für Starts und Landungen genutzt werden können und star­tende Maschinen ohne beson­dere Sicher­heitsabstände auf beiden Bahnen zwischen die landenden Maschinen 'einge­schleust' werden können.
So etwas funktio­niert natür­lich am Besten, wenn die Maschinen auf der Südbahn möglichst ohne Kreuzungs­verkehr und lange Wege zur Roll­bahn und davon weg kommen, d.h. im Süden ausrei­chende Terminal-Kapazi­täten vorhanden sind und genutzt werden. Und da der Platz­hirsch Lufthansa und die Star Alliance in Terminal 1 bleiben und damit der Haupt­teil des Verkehrs dort abge­wickelt wird, macht es betrieb­lich Sinn, alles andere nach Süden abzu­schieben.

Tatsäch­lich lautete das Fazit der DFS aus dem damaligen Probe­betrieb ja auch, dass für eine "ziel­führende Anwend­barkeit" des Konzepts "zwingend notwendige Anpas­sungen" durch­geführt werden müssten, u.a. "eine ausge­wogene Verkehrs­vertei­lung der Starts auf die Pisten des Parallel­bahn­systems" und "die weitest­gehende Vermeidung von Trans­fer­prozessen/Pisten­kreuzungen (z.B. Zuführung von Starts: auf der Center­piste aus dem Norden und auf der Südpiste aus dem Süden)".
Mit anderen Worten: Terminal 3 soll Kapa­zitäts­steige­rungen nicht nur dadurch ermög­lichen, dass mehr Passa­giere abge­fertigt werden können, sondern auch dadurch, dass Starts und Landungen dichter gepackt und damit mehr Flug­bewe­gungen pro Stunde reali­siert werden können. Auch wenn das auf abseh­bare Zeit nicht ganz­tägig gebraucht, sondern nur stunden­weise prakti­ziert werden sollte, würde das zu weiterer Verlär­mung und mehr Risiken führen.

Die Schliessung von Terminal 2 bei Inbetrieb­nahme von Terminal 3 ist also für Fraport eine betriebs-technisch und -wirt­schaft­lich völlig logische Maßnahme. Ob und ggf. wann Terminal 2 dann wieder in Betrieb genommen wird, brauchen sie aktuell noch nicht zu ent­scheiden und können abwarten, wie sich die Kapa­zitäts-Nachfrage tatsäch­lich entwickelt.
Natürlich hält Fraport offiziell an ihren Wachstums-Phanta­sien fest und möchte bei Bedarf alle Kapa­zitäts-Reserven voll aus­nutzen können. Dass sie die Absicht der Wieder­inbetrieb­nahme behaupten, zielt wohl einer­seits auf Anleger und Inves­toren, denen anspruchs­volle Ziele vorge­stellt werden müssen, und anderer­seits auf die Öffent­lichkeit, die es natür­lich auch nicht gerne sieht, wenn Steuer­gelder ausge­geben und Umwelt geschädigt wird, um Über­kapazi­täten zu schaffen.
Was wirklich passieren wird, wird davon abhängen, wie schnell die fort­schreitende Klima­kata­strophe die Wachstums­pläne der Luft­verkehrs­wirt­schaft Makulatur werden lässt. Ob das bereits 2030 oder erst zehn oder zwanzig Jahre später soweit sein wird, kann man heute nicht mit Sicher­heit sagen. Nur dass es dahin kommen wird, ist (leider) inzwischen sicher.




Grafik: Windsektor Mörfelden

Das HLNUG definiert sich einen 'Wind­sektor', aus dem der Wind kommen muss, damit die gemes­senen Partikel dem Flug­hafen als Quelle zuge­ordnet werden. In diesem Sektor liegt der größte Teil des Flug­hafen­geländes und ein gutes Stück östlich davon, aber selt­samer Weise nicht die Start­bahn West und die zugehö­rigen Abflug­routen.
(Für genaue Darstel­lung des Wind­sektors Bild anklicken.)

13.09.2022

Ultrafeinstaub-Messungen in Mörfelden:
das HLNUG schaut am Problem vorbei

Es war eine gute Nach­richt für die Bürger von Mörfelden-Walldorf, die das Hessische Landes­amt für Natur­schutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) zur Veran­staltung am 07.09. ins Rathaus Walldorf mit­brachte.
16 Monate lang, von Ende Februar 2021 bis Ende Juni 2022, wurden am Südrand von Mörfelden ultra­feine Partikel (UFP) gemessen, und die mittlere Belas­tung war auch, wenn der Wind während der Betriebs­zeiten des Flug­hafens (5 - 23 Uhr) von dort wehte, kaum höher als sonst. Insgesamt überstiegen die Werte kaum die Hinter­grund­belas­tung in vielen Frank­furter Orts­teilen.

Die Vortrags­folien mit den neuesten Auswer­tungen sind aktuell noch nicht verfüg­bar, enthalten aber auch nichts grund­sätz­lich Neues. Anzahl­konzen­tratio­nen von 6.000 - 8.000 Teilchen pro Kubik­zenti­meter für Partikel einer Größe zwischen 10 und 500 Nano­metern, wie sie bereits im letzten Bericht des HLNUG vom Januar 2022 darge­stellt wurden, sind zwar keine Rein­luft, aber für das Rhein-Main-Gebiet eher im unteren Bereich.
Aller­dings liegt der gesamte Meßzeit­raum bis Januar in der großen "COVID-Delle", in der die Flug­bewe­gungs-Zahlen deutlich geringer waren als vor der Pandemie. Aber auch wenn man die Werte der letzten drei Monate der Meß­periode im HLNUG-Meßdaten­portal betrachtet, in denen bereits wieder über 80% der 2019er Flug­zahlen erreicht wurden, sind die UFP-Werte nur rund 20% höher.

Leider sind diese (relativ) guten Zahlen nicht die ganze Wahrheit.

Das liegt daran, dass die Auswer­tungen des HLNUG viel zu wünschen übrig lassen und viele wichtige Fragen mit großer Hart­näckig­keit igno­rieren. Für technisch Interes­sierte haben wir die wesent­lichen Mängel bereits im Februar in Form einer Kritik des 4. HLNUG-Berichts (als Webseite und als PDF-Dokument) zusammen­gefasst.
Hier relevant sind erstens die Defini­tion des 'Wind­sektors', aus dem der Wind kommen muss, damit die Partikel als Flug­hafen-bedingt gewertet werden, zweitens die völlige Igno­ranz gegen­über dem, was auf dem Flug­hafen tatsäch­lich passiert, d.h. ob und wo geflogen wird, und drittens die Annahme, dass nur lang­fristige mitt­lere Belas­tungs­werte relevant sind und kurz­zeitige Spitzen­werte keine Bedeu­tung haben.

Die Wind­sektoren werden für alle Meß­stationen nach einem nicht genau beschrie­benen, frag­würdigen Verfahren defi­niert, das etliche merk­würdige Resul­tate produ­ziert. Der Wind­sektor Mörfel­den ist da keine Ausnahme. Interes­sant ist, dass die mathe­matischen Ergeb­nisse des Verfah­rens offen­sicht­lich keiner Plausi­bilitäts­kontrolle unter­zogen wurden und das HLNUG von den Merk­würdig­keiten gar­nichts weiss. Der HLNUG-Referent in Walldorf wirkte jeden­falls leicht irri­tiert, als er damit konfron­tiert wurde, dass die Start­bahn West nicht zu seinem Flug­hafen­sektor gehört.
Wenn aber "ein mög­licher Einfluss startender Flug­zeuge auf die UFP-Belas­tung in Mörfelden ... Gegen­stand aktu­eller und zukünf­tiger Unter­suchungen" sein soll, wie es im 4. UFP-Bericht des HLNUG heisst, ist das genau der Bereich, wo man hin­schauen muss. Und die Meßdaten lassen das durchaus zu.

Das zeigen wir am Fall­beispiel eines Tages, an dem an der HLNUG-Meß­station über Stunden deut­lich erhöhte Partikel­anzahl-Konzen­tratio­nen, in der Spitze über 37.000 Partikel pro Kubik­zenti­meter, erreicht wurden.
(Das haben wir schon getan, bevor uns die HLNUG-Vertre­terin als Antwort auf entspre­chende Kritik dazu aufge­fordert hat, die Auswer­tungen, die wir für not­wendig halten, selbst zu machen. Aber eine Unver­schämt­heit ist diese Auffor­derung trotzdem. Wer wird denn dafür bezahlt, die Luft­qualität in Hessen zu über­wachen und recht­zeitig vor drohenden Gefahren zu warnen? Im Übrigen wären nicht Einzel­fall-Unter­suchungen not­wendig, sondern syste­matische Langzeit­auswer­tungen, die die Grenzen dessen, was ehren­amtlich möglich ist, weit über­schreiten.)

Grafik: UFP-Überflüge Mörfelden

(Für vollständige Grafik anklicken)

Der 27. Juli 2021 war der Tag, an dem in Mörfelden mit 37.307 Partikel pro Kubik­zenti­meter die höchste Anzahl­konzen­tration in dem für Flug­zeug-Emis­sionen besonders rele­vanten Grössen­bereich von 10 - 50 Nano­metern gemessen wurden, zumin­dest, wenn man sich auf plausible Messungen beschränkt. Das ist mehr als das Neun­fache des Durch­schnitts­wertes.

Es gibt deutlich höhere Meßwerte. So wurden in den ersten Tagen der Meß­periode, Ende Februar 2021, häufig hohe Werte, teil­weise über 60.000 Partikel/cm³ im genannten Grössen­bereich, gemessen, obwohl es da relativ wenig Flug­bewe­gungen am Flug­hafen insge­samt gab (< 500/Tag), der Wind über­wiegend aus öst­lichen bis süd­lichen Rich­tungen wehte und meist kein einziger Abflug auf der Route an Mörfelden vorbei statt­fand.
Der absolut höchste Wert mit 68.723 Partikel/cm³ trat am 20.09.21 auf, beschränkt auf einen einzigen Halb­stunden­wert und begleitet von (breiteren und weniger ausge­prägten) Maxima bei Kohlen­monoxid, Stick­stoff­monoxid und den gröberen Fein­staub-Frak­tionen. In diesen Fällen muss man davon ausgehen, dass die gemes­senen Belas­tungen durch lokale Ereig­nisse in der Nähe der Meß­station hervor­gerufen wurden.
Das HLNUG macht sich nicht die Mühe, solche Aus­reisser zu identi­fizieren und zu kenn­zeichnen. Statt­dessen steht unter allen Meß­ergeb­nissen, egal wie alt, "Es handelt sich um nicht abschließend geprüfte Mess­daten". Ob sie die Werte für ihre eigenen Auswer­tungen einer Korrektur unter­ziehen, ist nicht dokumen­tiert.

Die Werte vom 27.07. scheinen deswegen plausibel, weil sie relativ gut mit einer plausiblen Quelle korre­lieren und andere Schad­stoffe ein anderes Verhalten zeigen. Insbe­sondere bleibt das Stick­stoff­mon­oxid, das erhöht sein müsste, wenn in der Nähe der Meß­station ein Motor laufen würde, auf Hinter­grund­niveau.
Bei solchen Detail-Betrach­tungen müssen neben der Wind­richtung auch noch andere meteoro­logische Para­meter beachtet werden, die die Partikel-Ausbrei­tung beein­flussen können, sich aber bei Betrach­tung längerer Zeit­räume mehr oder weniger "heraus­mitteln". Das sind insbe­sondere die Wind­stärke, die Vertei­lung und Absink­geschwin­digkeit beein­flusst, und der Nieder­schlag, der die Ausbrei­tung redu­ziert, indem er Teilchen aus der Luft "heraus­wäscht".

Unter Berück­sichtigung all dessen lassen sich die Meßwerte vom 27.07. wie folgt inter­pretieren:

Während des größten Teils des Tages herrschen Winde aus süd­lichen Rich­tungen vor, und die Werte bleiben auf nied­rigem Niveau. Ab etwa 17:30 Uhr dreht der Wind auf nord­west­liche und nörd­liche Rich­tungen, und die UFP-Werte steigen an, zunächst nur sehr moderat, weil auch leichter Regen ein­setzt und nur wenige Starts statt­finden.
Nach rund einer Stunde wird der Anstieg stärker, weil der Regen aufhört und die Starts häufiger werden. Es folgt ein kurzer Rück­gang der Meß­werte, der mit einer Lücke in der Start­abfolge korres­pondiert. In der folgen­den Stunde nehmen die Starts stark zu (10 Starts/h) und die Meß­werte steigen bis zum Maximum. Danach gibt es wieder Lücken im Start­ablauf, und es setzt stärkerer Regen ein, so dass die UFP-Werte wieder stark absinken.

Detail­liertere Diskus­sionen der Abläufe verbieten sich, weil sowohl die Meß­werte als auch die meteoro­logischen Para­meter nur in recht grober zeit­licher Auf­lösung vor­liegen (Halb­stunden- bzw. Stunden-Mittel­werte).

Aus dieser Betrach­tung lässt sich eine Hypo­these über den Einfluss der Starts auf die UFP-Belas­tung formu­lieren, die folgender­maßen lautet:

Wenn auf der Startbahn West gestartet wird, der Wind in einem angemes­senen Stärken-Bereich aus nord­west­lichen Rich­tungen weht und es nicht zu stark regnet, steigt die UFP-Belas­tung in Mörfelden auf Werte, die ein Mehr­faches über der Hinter­grund­belastung liegen.

Mehr als eine Hypo­these und damit eine Auffor­derung, die Effekte genauer zu untersuchen, ist das aller­dings noch nicht.

Um diese Hypo­these zu über­prüfen, wäre es notwendig, aus dem gesamten Meßzeit­raum die Zeiten heraus­zusuchen, in denen die meteoro­logischen und Betriebs-Para­meter passen und zu sehen, ob die Werte tatsäch­lich jedes­mal ansteigen.
Für eine genaue Über­prüfung müssten diese Para­meter aller­dings wesent­lich genauer zur Verfügung stehen. Nicht nur müssten die UFP-Werte und die meteoro­logischen Para­meter zeit­lich höher aufge­löst sein, es sollte auch bekannt sein, wie stark die jeweils star­tenden Flug­zeuge emit­tieren, also Flug­zeugtyp, Start­gewicht etc..
Das HLNUG wird diese Prüfung nicht machen, und ob im Rahmen des geplanten UFP-Projekts solche Unter­suchungen vorge­nommen werden, ist noch nicht bekannt. Allzu große Erwar­tungen sollte man besser nicht haben.

Aber auch wenn die Hypo­these zutrifft, wäre das für Mörfelden nicht die ganz grosse Kata­strophe. Die Konstel­lationen, unter denen die ultra­feinen Partikel aus den Trieb­werken der startenden Flug­zeuge das Stadt­gebiet in rele­vanten Konzen­tratio­nen erreichen, scheinen relativ selten zu sein, so dass auch bei wieder zuneh­mendem Flug­betrieb die Zeiten hoher Belas­tung beschränkt bleiben sollten.
Aller­dings darf man auch nicht vergessen, dass bei Ultra­fein­staub auch kurze Zeiten hoher Belastung nega­tive Effekte haben können, weil bei hohen einge­atmeten Konzen­tratio­nen die Wahr­schein­lich­keit, dass toxische Partikel die diversen Filter­systeme des Orga­nismus über­winden und über den Blut­kreis­lauf zu den inneren Organen ein­schließ­lich dem Gehirn vor­dringen können, deut­lich erhöht ist. Für UFP aus Flug­zeug-Trieb­werken wurden dabei insbe­sondere auch Atem­wegs­entzün­dungen nach­gewiesen.

Generell würde die Richtig­keit der obigen Hypo­these bedeuten, dass zumindest am Anfang einer Abflug­routen das Risiko hoher Belas­tungen ebenso erhöht ist wie unter den Anflug­routen. Das könnte also z.B. für Raunheim bedeuten, dass bei östlichen und südlichen Winden auch die Abflüge über die Südum­fliegung die UFP-Belas­tung zumindest im südöst­lichen Stadt­gebiet deutlich erhöhen könnten. Gleiches könnte auch noch für andere Abflug­routen gelten.
Aber auch wenn die erhöhten Partikel-Konzen­tratio­nen nicht über bewohntem Gebiet herunter­kommen: unschäd­lich werden sie nur, wenn die ultra­feinen Partikel in andere Formen umge­wandelt werden. Das geschieht in mehr oder weniger kurzer Zeit durch physika­lisch-chemi­sche Umwand­lungen in der Luft oder durch Anlage­rung an Ober­flächen wie Blätter, Boden o.ä.. Vorher können sie aber auch über Feld und Wald Schaden anrichten, wenn da zufällig jemand ist, der sie einatmet.

Um die Risiken in allen Bereichen abschätzen zu können, brauchte es ein Modell, das die Ausbrei­tung und das Absinken der von den Trieb­werken emit­tierten ultra­feinen Teil­chen halb­wegs realis­tisch beschrei­ben kann. Man muss aller­dings befürchten, dass die­jenigen, die die Entwick­lung eines solchen Modells finan­zieren könnten (und müssten), daran absolut kein Interesse haben und wir daher noch lange im Unklaren bleiben darüber, welchen Gefahren der Flug­verkehr uns mit diesen Emis­sionen aussetzt.
Nach dem Vorsorge-Prinzip sollte aber allein die Möglich­keit ernst­hafter Schäden genügen, um Minde­rungs­maß­nahmen einzu­leiten. Und es gibt wahr­lich noch sehr viel mehr gute Gründe dafür, dass der Luft­verkehr schrumpfen muss.


Update 18.10.2022:

Inzwischen stehen auch die Vortrags­folien zur Veran­staltung zu Verfü­gung (mög­licher­weise schon seit längerem, aber wir sind erst jetzt drüber gestol­pert).
Besonders inter­essant erscheinen uns darin die Folien 17 und 18, auf denen die "UFP-Konzen­tration Mörfelden-Walldorf - Abhängig­keit von der Wind­richtung" darge­stellt wird. Da sieht man zunächst, dass für den gesamten UFP-Größen­bereich von 10 - 500 nm zwischen 0:00 und 5:00 Uhr ein Maximum bei Wind aus Richtung Ost­nordost auftritt, das sogar noch höher ist als das Maximum aus Richtung Nord zwischen 5:00 und 23:00 Uhr. Für den UFP-Größen­bereich von 10-30 nm gibt es dieses Maximum auch noch, aller­dings deut­lich niedriger als das Maximum aus Richtung Nord für die Zeit zwischen 5:00 und 23:00 Uhr.
Auf Folie 18 kann man auch noch erahnen, wie der "Wind­sektor Flug­hafen-Einfluss:" bestimmt wurde: wo das Maximum der Teilchen für den UFP-Größen­bereich von 10-30 nm auftritt, muss der Einfluss des Flughafens vorherr­schen. Dass dieser Sektor im Osten deut­lich über den Flug­hafen hinaus­reicht, inter­essiert dabei nicht. Wollte man diese Aussage ernst nehmen, müsste man davon ausgehen, dass die Emis­sionen des Endanflugs für Landungen auf der Südbahn über ca. 8 km Entfer­nung an der Meß­station Mörfelden regis­triert werden können - was anderswo heftig bestritten wird.
Betrachtet man das Umfeld der Meßstation genauer, erscheint eine andere Erklärung wesent­lich plausibler. Im Zeit­bereich zwischen 0:00 und 5:00 Uhr regis­triert die Station den LKW-Verkehr, der von dem Gewerbe­gebiet im Osten Mörfeldens mit einem ALDI-Zentral­lager, einem DHL-Lager und der Societäts-Druckerei ausgeht, während zwischen 5:00 und 23:00 Uhr die PKW-Emis­sionen domi­nieren, die von der B486 und der B44, die nur in wenigen hundert Metern an der Station vorbei­führen, ausgehen.
Der Flug­verkehr hat damit, wie oben darge­stellt, nur in ganz speziellen Situa­tionen, bei Winden aus west­lichen bis nordwest­lichen Richtungen, etwas zu tun. Aber ohne nähere Unter­suchungen bleibt auch das pure Speku­lation.


Update 31.10.2022:

Am 20.10.2022 erhielten wir eine Mail aus dem HLNUG, deren Text ausdrück­lich nicht zur Veröffent­lichung frei­gegeben ist, die aber im Anhang eine " Stellung­nahme des HLNUG zur Mail der BI Raunheim vom 14.09.2022" enthielt, die wir veröffent­lichen dürfen. Die zitierte Mail vom 14.09. enthielt unseren obigen Beitrag, natür­lich ohne das Update vom 18.10..
Diese Stellung­nahme fordert in mehr­facher Hinsicht zu einer Antwort heraus, da sie zwar auf die Mehrzahl der vorge­tragenen Kritiken garnicht eingeht, in einigen Details aber weitere Rück­schlüsse auf die Behand­lung der Meßdaten durch das HLNUG und die Qualität der vorge­legten Auswer­tungen zulässt. Da aber das Meiste davon nur von begrenztem allge­meinen Interesse sein dürfte, haben wir alles in eine Ent­gegnung gepackt, die Interes­sierte (wieder als Webseite oder als PDF-Dokument) nach­lesen können. Hier wollen wir nur auf einen Punkt eingehen, der generell im Umgang mit HLNUG-Daten wichtig ist.

Denn wir haben einen Fehler gemacht, der anderen vielleicht auch passieren könnte. In den "Bemer­kungen zur Auswertung des 27.07.2021" stellt das HLNUG fest: "Das HLNUG gibt die Partikel­konzentration in MEZ, der DFLD die Flug­bewegungen und Wind­daten in MESZ und Meteo­Stat die Nieder­schlags­daten in MESZ an" (MEZ: Mittel­europäische Zeit, MESZ: Mittel­europäische Sommer­zeit). Daraus ergibt sich ein zeit­licher Versatz von einer Stunde zwischen den jeweiligen Daten­reihen, den wir in den Betrach­tungen oben und auch in der Kritik des 4. HLNUG-Berichts nicht beachtet haben.
Zu unserer Entschul­digung können wir anführen, dass zwar das Nicht­beachten unter­schiedlicher Zeit­skalen ein typischer Anfänger-Fehler in der Meteoro­logie ist, aber anderer­seits die Nicht-Verwendung der gültigen Ortszeit bei lokalen Daten, die für die Öffent­lichkeit bestimmt sind, auch unge­wöhnlich ist. (Dass man die interne Datenbank nicht mit solchen Zeit­sprüngen belastet, ist sehr verständ­lich, aber die öffent­liche Darstellung ist etwas anderes. Und dass es Publi­kums-freund­licher geht, beweisen Daten­portale wie Meteo­Stat oder die DFLD-Seiten.)
Das HLNUG weist im Meßdaten­portal auf diesen besonderen Sach­verhalt nicht gerade deutlich hin. Man kann es sehen, wenn man in der "graphischen Dar­stellung" der Meßwerte mit dem Maus­zeiger über einen Meßpunkt fährt: dann erscheint ein Fenster, in dem die Uhrzeit mit dem Hinweis "MEZ" und der zugehörige Datenwert angezeigt wird. Ausserdem gibt es in den Readme-Files zu den Daten­downloads einen entspre­chenden Hinweis. Bei gründ­lichem Hinsehen hätten wir es also wissen können.

Die Konse­quenzen dieses Fehlers sind aller­dings keines­wegs so dramatisch, wie das HLNUG sie darstellt. Sie behaupten: "Aufgrund dieser falschen Zuord­nungen haben die von Ihnen abge­leiteten Korrela­tionen zwischen Flug­bewegungen, Nieder­schlag und Partikel­konzentration keinen weiteren Bestand". Aber auch hier lohnt es sich, genau hinzusehen, denn tatsäch­lich ist das Gegen­teil der Fall.
Die Begrün­dung dafür steht in der Entgegnung, wo wir es uns auch nicht verkneifen konnten, noch ein paar zusätz­liche Argu­mente für unsere Inter­pretation der Meßdaten zusammen­zutragen. Unser Fazit bleibt:

Es ist wahrscheinlich, dass die UFP-Belas­tung in Mörfelden auf Werte steigt, die ein Mehr­faches über der Hinter­grund­belastung liegen, wenn auf der Startbahn West gestartet wird, der Wind in einem angemes­senen Stärken-Bereich aus nord­west­lichen Rich­tungen weht und es nicht zu stark regnet.
Die HLNUG-Auswer­tungen schliessen solche Effekte aufgrund metho­discher Fehler und anderer Unzuläng­lichkeiten aus und sind daher nicht geeignet, als Grund­lage für die Einschät­zung möglicher negativer Folgen der Wirkungen der Flugzeug-Emis­sionen für die Bevöl­kerung zu dienen.




Grafik: Normalbetrieb auf FRA

Die Passagiere stehen Schlange, warten, suchen ihr Gepäck; die Belegschaften rotieren,
um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten; die Konzerne streichen die Profite ein;
Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Umwelt und Klima gehen dabei drauf:
alltäglicher Wahnsinn im kapitalistischen 'Normalbetrieb'.

28.08.2022

Fraport, Lufthansa und der alltägliche Wahnsinn

„Ende Juni erschien in mehreren Tages­zeitungen eine ganz­seitige Anzeige, unter­schrieben von 13 Top-Mana­gern der deutschen Luft­verkehrs­wirt­schaft. Sie enthielt eine Entschul­digung für "zu lange Warte­zeiten, zahl­reiche Flug­strei­chungen und Unregel­mäßig­keiten im Luft­verkehr", die Ankün­digung, dass es damit auch zumindest in diesem Sommer weiter­gehen werde, und die Auffor­derung an die Politik, "die Rahmen­bedingungen [zu] verbessern, um einen reibungs­losen und leistungs­fähigen Luft­verkehr zu gewähr­leisten", damit "auch in der Zukunft die Frei­heit des Fliegens grenzen­los ist".“
So begann ein Beitrag, den wir vor mehr als vier Jahren hier veröffent­licht haben. Die Anzeige erschien im Juni 2018, könnte aber ebenso gut vor ein paar Wochen aufge­geben worden sein.

Sicher würden heute die Corona-Pan­demie und der Krieg in der Ukraine als Ursachen betont, aber der Kern des Problems ist nach wie vor ein anderer. Ebenso wenig geändert haben sich die Arroganz und Hybris der Top-Manager, die zum großen Teil immer noch aktiv sind und im Wesent­lichen die Verant­wortung tragen für das, was öffent­lich als Chaos und Stress empfunden wird und für die Beleg­schaften von Flug­häfen und Airlines Arbeits­hetze und Sozial­abbau bedeutet.

Es mag erstaun­lich klingen, hier auf solche Kontinui­täten zu verweisen ange­sichts des Zusammen­bruchs des Luft­verkehrs während der Corona-Pan­demie und der allent­halben verkün­deten Zeiten­wenden nach dem russischen Überfall auf die Ukraine (Dieser Link führt zu einem von der Regie­rung gespon­sorter Think-Tank, der geführt wird vom lang­jährigen Airbus-Top-Manager, Rüstungs-Lobby­isten und Bundes­wehrmajor Thomas Enders - man merkt es beim Lesen, und es ist ein schönes Beispiel, wie Lobby­ismus in diesem Bereich funktio­niert).
Tatsäch­lich haben aber Konzerne wie die Luft­hansa und Fraport die Corona-Pan­demie dazu genutzt, noch schneller und radi­kaler umzu­setzen, was sie seit langem tun: umstruk­turieren und sich profi­tabler auf­stellen, indem teure Teile der Beleg­schaften abge­baut und Arbeits- und Tarif-Beding­ungen verschlech­tert werden. Und auch wenn sie das erreichte Tiefst­niveau ange­sichts von Arbeits­kräfte­mangel und öffent­lichem Druck nicht überall halten können, verbes­sern die neuen Struk­turen die Arbeit­geber-Posi­tionen lang­fristig, und Arbeit­nehmer­*innen müssen um jede kleine Verbes­serung erbittert kämpfen.
Selbst im 'Spiegel' darf ein Arbeits­rechtler unum­wunden das jahre­lange Lohn­dumping am Frank­furter Flug­hafen (und die zwie­spältige Rolle etlicher Gewerk­schafts-Vertreter­*innen dabei) anprangern. Und dass die Umbauten des Luft­hansa-Konzerns im letzten Jahr­zehnt, von der Grün­dung von Euro­wings vor fast 10 Jahren und diversen Über­nahmen, u.a. von Brussels Airlines und Air Berlin, bis zu den aktuellen Grün­dungen der Billig­töchter Euro­wings Discover und 'Cityline 2' vor allem zur Senkung der Personal­kosten dienten, war jeweils offen­kundig. Bei letz­teren wird übrigens "das Selbst­bewusst­sein unserer Mitarbei­tenden gestärkt" nicht durch ange­messene Löhne, sondern Zugeständ­nisse anderer Art: dort sind dem Kabinen­personal "sicht­bare Tätowie­rungen bis zu 8 Quadrat­zenti­metern ebenso erlaubt wie Piercings", und "seit kurzem dürfen auch Männer Nagel­lack und dezente Schminke tragen". Geld ist eben nicht alles.

Wie dieser Wandel in den letzten Jahr­zehnten ablief und vor allem, was er für die Beschäf­tigten in der Luft­verkehrs­wirt­schaft bedeutete, beschreibt eine kürzlich erschie­nene Studie mit dem Titel "Verlierer­*innen in einer beflü­gelten Branche – Der Wandel von Beschäf­tigungs­struk­turen und Arbeits­beding­ungen im deutschen Luft­verkehr". Trotz ihrer klaren Bedeutung für das Verständ­nis der Hinter­gründe der aktuellen Entwick­lungen im Luft­verkehr hat sie nur eine relativ begrenzte Resonanz gefunden, u.a. in Frank­furter Rund­schau und Tages­schau. Das mag an der klaren politi­schen Ausrich­tung liegen: die Studie wurde von der Bundes­tags­fraktion der LINKEN in Auftrag gegeben, und einer der Autoren ist der lang­jährige Ausbau­gegner und Ex-Bundes­tagsab­geordnete aus Mörfelden-Walldorf, Jörg Cezanne. Eine Vorab-Zusammen­fassung wurde schon letztes Jahr im 'Verkehrs­politi­schen Zirkular' der Fraktion veröffent­licht. Ein Zitat aus dieser Zusammen­fassung gibt eine Kern­aussage der Studie wieder:

"Vor allem zweierlei macht diese Entwick­lungen besonders bedeutsam: Zum einen die Radika­lität und Tiefe jenes Wandels binnen nur weniger Jahr­zehnte, in denen sich der zivile Luft­verkehr in Europa von einem stabilen, staat­lich geprägten Segment zu einem schnell­lebigen ökono­mischen »Haifisch­becken« gewandelt hat, in dem heute eine Vielzahl verschie­dener Anbieter und Subunter­nehmen einen harten Unter­bietungs­wett­bewerb auf dem Rücken der Beschäf­tigten aus­tragen. Insofern kann der Luft­verkehrs­sektor gewisser­maßen als ideal­typisches Real­labor für die Wirkung der zugrunde­liegenden neolibe­ralen Wirt­schafts­politik angesehen werden.
Zum Zweiten sind die indu­zierten Folge­wirkungen auch von Bedeutung für die Flug- und Luft­sicher­heit und damit die Unfall- und Kata­strophen­präven­tion."

In einem Haifisch­becken fühlen sich natür­lich die Haifische am wohlsten, selbst wenn auch dort nicht alles zu ihrer Zufrie­denheit verläuft und sie vor Über­rasch­ungen nicht sicher sein können. So hat Fraport wohl wirklich geglaubt, sie müssten Flug­gesell­schaften mit Rabatten locken, um die Passa­gier­zahlen zu erreichen, mit denen sie jetzt zu kämpfen haben. Aber diese unnötige Ausgabe können sie leicht verschmerzen, zumal sie die Rabatte ja in weiser Voraus­sicht gedeckelt haben.

Ob der Umbau wirklich auch für die Konzerne zu radikal war und sie das aktuelle Chaos eigent­lich lieber vermieden hätten, ist umstritten.
Aktuell jeden­falls können sie mit den Folgen gut leben.

Dass die reise­wütige Kund­schaft Zumu­tungen weit­gehend klaglos ertragen würde, hatte sich schon früher, zuletzt 2018/19, gezeigt. Flug­häfen haben unter­einander ohnehin nur wenig Konkur­renz zu befürchten (die wenigstens Urlauber können frei wählen, ob sie von London, Frankfurt oder Istanbul aus in den Urlaub fliegen), und die Airlines konnten davon ausgehen, dass, wenn die Abferti­gung an den Flughäfen die entschei­dende Engstelle sein würde, ihre Konkur­renten ebenso betroffen sein würden und sie viel­leicht einige Aufträge, aber zumindest keine Markt­anteile verlieren würden. Und mit weniger Leistung den­selben oder sogar noch größeren Profit zu machen, ist keine schlechte Aussicht.
Dass die auf Kante genähte Personal­decke durch hohe Kranken­stände dann doch noch zu kurz geworden ist und die Leistungen stärker als geplant zurück­gefahren werden mussten, kann zwar nicht wirk­lich über­raschen, bleibt aber in den Konse­quenzen im Rahmen. Sowohl Luft­hansa als auch Fraport machen jedenfalls auch mit ihrem Chaos­betrieb inzwischen wieder satte Gewinne.
Das Ganze läuft so gut, dass Luft­hansa auch die Flüge im Winter­flugplan redu­zieren will. Wegen höherer Ticket­preise sinkt die Gewinn­prognose trotzdem nicht. Deshalb kann sie es sich auch leisten, die aktu­ellen Tarif­verhand­lungen knall­hart zu führen und auch Streiks zu riskie­ren. Selbst im aktuell beson­ders profit­trächtigen Fracht­bereich möchte sie der Beleg­schaft so wenig wie möglich abgeben.
Und einen weiteren grossen Vorteil hat die Situa­tion ja auch noch: kaum jemand regt sich auf, wenn die gestressten Airlines Nacht­flug­beschrän­kungen nicht ein­halten oder ihre Maschinen leer durch die Gegend fliegen lassen.

Die herrschende Politik hat diese Billig-Strate­gien nicht nur von Anfang an gefordert und gefördert, sie unter­stützt sie nach wie vor aktiv. Zwar kann eine der populis­tischen Not­hilfe­maß­nahmen, mit denen die Ampel-Koa­lition den Mißmut der Reise­willigen von sich ablenken wollte, inzwi­schen als geschei­tert gelten: der Versuch, rund 2.000 fehlende Fach­kräfte in gewohnter neo­kolonia­listischer Manier einfach anderswo, wo das Lohn­niveau noch tiefer liegt, wegzu­kaufen, brachte nur 140 Bewer­bungen und 32 erteilte Einreise-Visa (Stand 24.08.22).
Von der grund­sätz­lichen Unter­stützung des weiteren Wachs­tums des Flug­verkehrs auf der Basis der neo­libe­ralen Luft­verkehrs­strategie der EU aber wollen die Koali­tionäre nicht abgehen, obwohl sie wissen, dass das aufgrund der nicht beheb­baren Klima­defizite des Luft­verkehrs eindeutig verfas­sungs­widrig ist. Und das gilt nicht nur für den klima­politi­schen Total­ausfall im von der Porsche-Partei geführten Verkehrs­minis­terium. Auch die Grünen würden nicht viel mehr tun als winzige Schritte wie eine längst über­fällige Kerosin-Besteue­rung gehen und damit nicht etwa den Flug­verkehr redu­zieren, sondern "einen Anreiz für die Nutzung von klima­freund­lichen Treib­stoffen schaffen". Aber selbst das verhin­dert ja der schreck­liche Koalitions­zwang weitgehend.

Dennoch wäre es denkbar, dass aktuell ein gewisser Wende­punkt erreicht ist. Dass dem Flug­verkehr generell Grenzen gesetzt sind, haben wir eingangs bereits zitiert. Und auch die Lohn­senkungen und der Personal­abbau können nicht beliebig weiter gehen. Es mag ihnen noch gelingen, die Piloten­gehälter auf das Niveau von Lok­führern oder anderen nicht (mehr) privile­gierten Berufen zu drücken, aber sie werden das Lohn­niveau bei den Boden­verkehrs­diensten nicht dauer­haft unter dem Existenz­minimum halten können. Und auch die Mög­lich­keiten der Ratio­nalisie­rung und der Produk­tivitäts­erhöhung durch Digita­lisierung sind begrenzt. Daher ist es konse­quent, wenn von Ryanair bis Luft­hansa alle betonen, dass die Aera der extremen Billig­flüge vorbei sei und Fliegen wieder teurer werden müsse.
Von der notwen­digen Trend­wende hin zu einem deut­lich redu­zierten, nach­haltig betreib­baren Flug­verkehr ist das aller­dings noch sehr weit entfernt. Es ist natür­lich keine Rede davon, dass die Preise für Flug­tickets tatsäch­lich die realen Kosten, inklu­sive der angerich­teten Umwelt­schäden, decken sollen. Dafür brauchte es dras­tische Verän­derungen in den Geschäfts­modellen von Flug­häfen und Airlines, und eine Politik, die die Rahmen­beding­ungen dafür gemäß den beste­henden ökolo­gischen Grenzen setzt. Im Moment sieht es aller­dings eher so aus, als müsse das System erst komplett zusammen­brechen, bevor solche Ände­rungen möglich sind. Bis dahin sind wir alle aufge­fordert: "Don’t Look Up".




Grafik: Höhenprofile Anflug

Ein Flugzeug stürzt durch Pilotenfehler beinahe ab, Fluglotsen wundern sich, aber greifen nicht ein:
das ist an sich schon eine Katastrophe. (Für Details des Vorfalls Grafik anklicken)

22.08.2022

Eine ganz normale (Beinahe-) Katastrophe

Fast zweiein­halb Jahre hat es gedauert, bis die 'Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­such­ungen' BFU ihren Bericht zu einer "schweren Störung" des Flug­verkehrs am Flug­hafen Frank­furt an Neu­jahr 2020 vorge­legt hat. Damals war ein A350 der Thai Airways im Lande­anflug auf die Südbahn zwischen Bischofs­heim und Rüssels­heim bis auf 200 Meter Flug­höhe abge­sunken, ehe der Pilot die Maschine abge­fangen hat und durch­startete.

Wie schon bei dem Vorfall selbst, war es wieder der Aviation Herald, der zuerst die wesent­lichen Inhalte des BFU-Berichts meldete, ehe der aero­telegraph nachzog und damit auch die Vorlage für die gleich­lautende Bericht­erstat­tung in FR und FNP lieferte.
Alle zitieren die vier Ursachen, die die BFU benennt, und die alle­samt auf Fehler der Piloten hinaus­laufen: das 'Flight Manage­ment System' wurde falsch program­miert, die 'automa­tische Flug­steuerung' wurde falsch bedient, die Piloten begriffen die 'Lage' des Flugzeugs 'im Raum' nicht richtig, und die 'Kommuni­kation und Zusammen­arbeit' der Piloten war mangel­haft.

Rätsel­haft bleibt, wieso das passieren konnte, obwohl alle vier betei­ligten Piloten (zwei aktive Piloten und zwei weitere, die den Start- und Lande-Vorgang über­wachen sollten) "von der BFU aufgrund ihrer lang­jährigen fliege­rischen Tätig­keiten und hohen Gesamt­flug­erfah­rung als erfahren einge­stuft" wurden. Sie waren an den vorgesehenen Plätzen und hatten die vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten.
Auch gab es nichts, was "auf einen Defekt der Naviga­tions- oder der Empfangs­anlage für den Localizer- und die Gleit­wegan­tenne hätte schließen lassen. Anhand der FDR-Daten des betref­fenden Fluges wurden keine Warnungen identi­fiziert oder Para­meter erkannt, die auf einen tech­nischen Fehler schließen lassen". Mit anderen Worten: eigent­lich war alles so, wie es sein sollte.

Die Probleme begannen mit einer Lotsen-Anweisung. Die Flug­zeug­besatzung hatte Stunden vorher gemeldet, dass ein Passa­gier bei Ankunft medizi­nische Unter­stützung benötigen würde und ein Kranken­wagen bereit­stehen solle. Der erste am Flug­hafen zuständige Lotse fragte nach, ob diese Informa­tion korrekt sei und ob zusätz­liche Unter­stützung benötigt werde. Die Besatzung bestä­tigte, dass alles geregelt sei. Trotzdem entschied der nächste zuständige Lotse, dass ein medizi­nischer Notfall vorläge und der Anflug daher möglichst verkürzt werden sollte. Er wies die Piloten an, vom geplanten Anflug abzu­weichen, nach Norden abzu­drehen und schneller zu sinken, bis sie über Mainz wieder auf den Gleit­pfad stossen und zum Endan­flug ansetzen sollten.
Die BFU beurteilt diese Anweisung als "nicht erforder­lich, da keine medizi­nische Luftnot­lage vorlag", kommt zu dem Schluss, dass dadurch "die Cockpit­besatzung einem zeit­lichen Stress ausge­setzt" wurde und "sieht in der Anwei­­sung den Sink­flug zu beschleu­nigen und den Flugweg zu verkürzen einen beitra­genden Faktor" zu den dann folgenden Piloten­fehlern.

Der BFU-Bericht beschreibt ausführ­lich, dass die Piloten von dem unvermu­teten Manöver offen­sicht­lich über­fordert waren und welche Fehler sie in der Folge machten. Aus den ange­gebenen Geschwindig­keiten, Sink­raten und Flug­höhen wird deut­lich, dass die Maschine auf dem Opel­gelände aufge­schlagen wäre, wenn der Pilot noch 30 Sekunden länger für die Einlei­tung des Durch­start-Manövers gebraucht hätte. Was ihn die Situation im letzten Moment noch erkennen und retten liess, bleibt unklar, denn die techni­schen Systeme im Flugzeug hatten offenbar schon viel früher gewarnt, ohne dass einer der Piloten reagiert hätte. Inso­fern erscheint es durchaus berech­tigt, wenn die BFU-Schluss­folge­rungen auf mensch­liches Versagen als Haupt­grund für den Zwischen­fall hinweisen.
Was der Bericht aber auch beschreibt, was es aller­dings nicht in die Schluss­folge­rungen geschafft hat und damit in den Medien­berichten auch keine Rolle spielt, sind die Fehler und tech­nischen Mängel bei der Flug­sicherung.

Der zweite Lotse, im Jargon "Feeder" oder "Einspeiser" genannt, weil er die ankom­menden Flugzeuge zu der Perlen­kette auffädeln soll, die sich dann über Gegen- und End­anflug bis zur Lande­bahn bewegt, hat nicht nur durch ein kurz­fristig angeord­netes, eigent­lich unnötiges Manöver die Piloten gestresst. Er hat auch zwei Warn­meldungen ignoriert, die ihm hätten zeigen können, dass die Piloten das Manöver nicht bewältigt hatten und die Maschine nicht korrekt auf den End­anflug "eingepeist" war. Auch als er einen Kollegen fragen hörte, "[…] was macht der Thai da?", hat er sich nicht weiter darum gekümmert (der Kollege offen­sicht­lich auch nicht). Das Schlimme daran ist: hier handelte es sich offenbar nicht um indivi­duelles mensch­liches Versagen und Verstösse gegen bestehende Vor­schriften, sondern um ganz normale, offiziell tole­rierte Praxis! Die Ausfüh­rungen dazu im Bericht lesen sich wie unfrei­willige Satire.

Danach gibt es bei der DFS zwei Systeme, die "das Flug­verkehrs­kontroll­personal warnen, wenn ein Luft­fahrzeug zu tief fliegt oder vom Anflug­weg abweicht". Das eine, "grund­sätz­lich geeig­netere System" namens APM ('Approach Path Monitor') war in Frankfurt nicht "adaptiert", "da aufgrund der Nähe der Pisten zueinander sowie in der Nähe liegender weiterer Flug­­plätze (Wies­baden Erben­heim, Mainz Finthen) eine hohe Zahl von Fehl­alarmen zu erwarten sei". Das andere, "gemäß seiner origi­nären Logik nicht für die Über­wachung von Anflügen konzi­piert", (MSAW, 'Minimum Safe Altitude Warning'), erzeugt in der ersten Stufe Warnungen, die denen eines anderen Systems ähneln, das "viele Fehlalarme" auslöst und deswegen in der Regel ignoriert wird (Aussage des Lotsen: er habe "den Alarm mög­licher­weise als Fehl­alarm inter­pretiert. Es blinke sehr oft grün".) Eigent­lich hätte das System auch eine (vermut­lich deut­lichere) Warnung der zweiten Stufe auslösen müssen, aber da war das Flugzeug bereits in der "Inhibition Area EDDF", einer Zone, in der alle derar­tigen Warnungen unter­drückt werden, um "unge­wollte Alarmie­rungen im Bereich des Endan­fluges, in dem sich anfliegende Luft­fahr­zeuge dem Boden natur­gemäß annähern, zu verhindern".
Mit anderen Worten: von zwei Sicherungs­systemen war eins garnicht nicht in Betrieb, das andere wurde in der ersten Stufe nicht ernst genommen und wird ab einer gewissen Nähe zum Flughafen ohnehin generell unterdrückt. Eine Anflug­über­wachung, die eine derart gravie­rende Abweichung vom Gleit­pfad hätte zuver­lässig fest­stellen und ange­messen warnen können, gab es nicht.

Der 'Einspeise-Lotse', der nach eigener Aussage "den Endan­flug über­wacht" hat, war dafür auf offen­sicht­lich völlig unzu­reichende Beobach­tungen ange­wiesen. Er habe "gesehen, dass das Luft­fahr­zeug den Localizer durch­flogen habe. Das Luft­fahr­zeug sei weder zu schnell, noch zu hoch gewesen. Auch das Über­schießen des Leit­strahls komme häufiger vor, beispiels­weise um Höhe abzu­bauen. Da sich das Luft­fahr­zeug im Sink­flug befand, sei er davon ausge­gangen, dass es sich auf dem Gleit­pfad befände. Sonst wäre es seiner Ansicht nach nicht weiter gesunken".
Selbst wenn er die vom MSAW gene­rierten Alarme wahr­genommen hätte, hätte das wohl nicht geholfen. "Dass der Alarm auf­grund einer Boden­annähe­rung gene­riert wurde, habe er nicht in Betracht gezogen, da sich kein Berg in der Nähe befände. Er hätte ohnehin nichts anderes gemacht, da sich der Airbus seiner Ansicht nach auf dem Gleit­pfad befand. ... Er habe gesehen, dass das Luft­fahr­zeug nach dem Durch­fliegen des Localizer bereits wieder auf diesen zurück­drehte. Daraufhin habe er die Anwei­sung an die Cockpit­besatzung gegeben auf die Funk­frequenz von Frank­furt Tower zu wechseln", denn "Wenn der Endan­flug für den Einspeiser „gut aussehe“ könne er das betrof­fene Flugzeug zum Tower schicken".
Das "redu­zierte Situa­tions­bewusst­sein ... über die Lage im Raum", das die BFU den Piloten attes­tiert, war offen­sicht­lich auch bei den Lotsen vorhanden. Sie hatten "jeder­zeit die Möglich­keit, ein Fehl­anflug­verfahren anzu­weisen", aber keiner hat es getan.

Ein unab­hängiger Bericht hätte also nicht nur das Versagen der Piloten fest­stellen müssen, er hätte auch die DFS für die aufge­zeigten systema­tischen Mängel deutlich kritisieren und umgehend Verbes­serungen einfordern müssen. Der BFU-Bericht leistet das nicht und kann es aufgrund der Ein­bindung der BFU in des System der Luft­verkehrs­wirtschaft vermut­lich auch nicht. Nicht umsonst wird im Vorspann jedes BFU-Berichtes die gesetz­liche Grund­lage für ihre Arbeit genannt, und danach "ist das alleinige Ziel der Unter­suchung die Verhütung künf­tiger Unfälle und Störungen. Die Unter­suchung dient nicht der Fest­stellung des Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen". Man muss wohl dankbar sein, dass der Bericht die Fakten und Befunde offen beschreibt.

Eine kritische Bewer­tung der Ergeb­nisse wäre Aufgabe anderer Akteure, z.B. kriti­scher Medien, die hier über­wiegend versagen. Aber auch Aufsichts­behörden aller Ebenen und Gremien und Organi­sationen, die sich den Schutz der Bevölke­rung vor negativen Auswir­kungen des Flug­verkehrs zur Aufgabe gemacht haben, von Parteien bis zu Bürger­initia­tiven, von der Flug­lärm­kommis­sion bis zum Landtag wären gefordert, solche Mängel aufzu­decken und Verbes­serungen einzu­fordern. Das wird einer­seits erschwert dadurch, dass es fast immer ewig dauert, bis solche Berichte vorliegen (hier 2,5 Jahre!), aber vor allem fehlt es fast überall an Inter­esse, Zeit und Fach­kompetenz, um sich mit solchen Fragen aus­einander­zusetzen. Parteien und Gremien vertrauen über­wiegend ohnehin lieber auf die Selbst­heilungs­kräfte des Systems.
Und immerhin kann der Bericht am Schluss ja auch noch mit­teilen: "Das Flug­sicherungs­unter­nehmen hat der BFU im März 2022 mitge­teilt, dass das APM für Anflüge auf den Verkehrs­flughafen Frankfurt/Main para­metriert und aktiviert worden sei". Das heisst, mehr als zwei Jahre nach diesem Ereignis hat die DFS jetzt ein System in Betrieb, das es ihr erlauben könnte, Abwei­chungen vom geplanten Anflug tatsäch­lich festzu­stellen. Ob es technisch leistet, was es soll, und ob damit auch die anderen hier deutlich gewor­denen Mängel beseitigt wurden, wird die Öffent­lich­keit wohl erst erfahren, wenn es wieder einmal zu einem solchen Vorfall kommt. Oder wenn an einer anderen Stelle im völlig über­lasteten Luftraum Rhein-Main ein eigent­lich notwen­diges Sicher­heits­system nicht 'adaptiert' werden kann oder aufge­geben werden muss, um noch etwas mehr Kapa­zität aus dem System heraus­zuholen.

(alle kursiv gesetzten Zitate sind dem BFU-Bericht entnommen)




Grafik UFP-Studie

(Grafik zum Vergrössern anklicken)

21.07.2022

Die UFP-Studie des FFR geht ihren Gang - aber wohin?

Das von der hessischen Landes­regierung beim Forum Flug­hafen und Region beauf­tragte Projekt zur "Unter­suchung der Ultra­feinstaub-Belastung in der Rhein-Main-Region" hat langsam aber doch die nächsten Schritte gemacht. Ein detail­liertes Konzept liegt vor, wurde wissen­schaft­lich begut­achtet und in eine Ausschrei­bung umge­setzt, in der die inhalt­lichen Vorgaben an die Forschenden in einer Leistungs­beschrei­bung zusammen­gefasst sind. Zusammen mit der Leistungs­beschrei­bung für die Entwick­lung des Studien­designs der Belastungs­studie geben diese drei Papiere (Design-Konzept, Begut­achtung und Leistungs­beschrei­bung) und die kleinen Unter­schiede zwischen ihnen einen kleinen Einblick darin, wie die Diskus­sionen bei der Steue­rung dieses Projektes verlaufen - und wer dabei das Sagen hat.

Aktuell ist ausserdem die Erstel­lung eines Designs für den zweiten Teil des Projekts ausge­schrieben, für die Wirkungs­studie, in der die gesund­heit­lichen Folgen der UFP-Belas­tungen unter­sucht werden sollen. Auch darin gibt es eine Leistungs­beschrei­bung, die die Erwar­tungen der Auftrag­geber umreisst.

Wenn bei einem solchen Projekt­stand der Geschäfts­führer des Umwelt­hauses, Herr Chara­lambis, über einen bunt zusammen­gewür­felten Mail­verteiler zu einem "Austausch zwischen den Bürger­initia­tiven und dem FFR" einlädt, bei dem 45 Minuten für Präsen­tation und Diskus­sion von "Schwer­punkt­setzungen und Denk­ansätze zur Unter­suchung von UFP aus Sicht der Bürger­initia­tiven" vorge­sehen sind, dann ist klar, dass es da nicht wirk­lich darum gehen kann, "Gemein­samkeiten und Unter­schiede in unseren Sicht­weisen heraus­zuarbeiten und ggf. zu disku­tieren". Selbst im Umwelthaus, das von den Belangen und Bedürf­nissen der Bürger­innen und Bürger ziemlich weit entfernt ist, dürfte bekannt sein, dass es inner­halb der BIs notwendi­gerweise unter­schied­liche Inter­essen­lagen und Anschau­ungen gibt und eine einheit­liche Sicht­weise zu etwas, was bis vor ein paar Wochen fast so etwas wie ein Geheim­projekt war, nicht exis­tieren kann. (Die letzte öffent­lich einseh­bare Darstel­lung des Projekts war eine Präsen­tation in der Sitzung der Flug­lärm­kommission am 17.02.2021. Zwar sitzen im Konvent des FFR, der die wesent­lichen Fragen dazu disku­tiert, auch Vertreter­*innen von Kommunen, Parteien und Verbänden, aber auch von denen dringt in der Regel nichts an die Öffent­lichkeit.)

Entsprechend verlief dann auch das Treffen am 11.07.22. Vor knapp 30 Teilnehmer­*innen, je eine Hälfte Projekt-Betei­ligte und BI-Mit­glieder, in Präsenz im 'Airport Garden Loft' in Raunheim und Online stellten zunächst Herr Chara­lambis und Frau Rose vom HLNUG bishe­rige und geplante Aktivi­täten vor, bevor BI-Mit­glieder ihre State­ments zu unter­schied­lichsten Aspekten des Projekts abgaben. Herr Wörner, den das Umwelt­haus für die Modera­tion reakti­viert hatte, machte sich einen Spass daraus, aufzu­zeigen, dass er in Letzteren sowohl das Eine als auch das Gegen­teil davon gehört hätte, und verteilte ein paar Streichel­einheiten an die, deren Beiträge ihm zumindest teil­weise gefallen hatten.
Für die BIFR hatten wir gemäß dem Wunsch von Herrn Chara­lambis einige Materi­alien vorher einge­reicht, darunter unseren Forderungs­katalog von 2017 und eine knappe Zusammen­fassung dessen, was wir im letzten Jahr als not­wendig beschrie­ben hatten. Geholfen hat es nicht, denn zumindest Herr Wörner hatte nichts davon gelesen, und was er dazu gehört hat, hat ihm nicht gefallen, also gab es keine Diskus­sion darüber.
Immerhin wurde in Aussicht gestellt, dass die BIs viel­leicht nochmal zum Plausch einge­laden werden, wenn alle wich­tigen Entschei­dungen über die Wirkungs­studie gefallen sind. Viel­leicht sind bis dahin sogar wirk­lich alle wichtigen Doku­mente auf der Projekt-Web­seite zu finden, und wenn es richtig gut läuft, gibt auch das Transparenz­papier wenig­stens einen halb­wegs aktuellen Stand wieder. Dann könnte sich die Öffent­lich­keit zumindest ein bißchen ernst genommen fühlen.

Wo aber steht das Projekt aktuell? Die Qualität des Gesamt­projekts steht und fällt natür­lich mit der möglichst genauen Erfassung der räum­lichen und zeit­lichen Vertei­lungen der Immis­sionen und damit der Belas­tungen, denen die Menschen ausge­setzt sind. Nur wenn man einiger­maßen genau weiss, wer wann und wie lange und in welchem Umfang einem bestimmten Stress­faktor ausge­setzt war, hat man über­haupt eine Chance, abzu­schätzen, welche Bedeutung dieser Stress­faktor für die Gesund­heit gehabt haben könnte (und selbst dann ist es noch schwer genug). Genau hier liegen aber auch die Probleme des bishe­rigen Projekt­ansatzes.
Grundlage der Belastungs­beurteilung ist die sog. Immissions­kartierung, d.h. eine flächen­deckende Bestim­mung, wo wann wieviel und welche Art von ultra­feinen Parti­keln in der Atem­luft der Menschen zu finden sind. Da flächen­deckende Messungen unmög­lich sind, muss dafür ein Modell entwickelt werden, das berechnen kann, wie sich UFP aus den jeweils vorhan­denen Quellen unter Berück­sichti­gung von meteoro­logischen (Wind, Nieder­schlag usw.) und geogra­fischen (Ober­flächen­beschaffen­heit, Hindernis­strukturen usw.) Para­metern ausbreiten, verändern und am Boden ankommen. Um ein solches Modell entwickeln zu können, muss man erstens alle wesent­lichen Prozesse verstehen, die die UFP-Aus­breitung und -Umwand­lung beein­flussen, und zweitens genügend Meß­ergeb­nisse an den richtigen Stellen haben, um die Qualität des Modells bewerten zu können. Genau daran ist das Vorgänger­projekt am Frank­furter Flug­hafen geschei­tert.

In der Frage, wo, wie und was gemessen werden soll und wie diese Messungen auszu­werten sind, gab es von Anfang an Diffe­renzen. Das war schon bei der Veröffent­lichung der ersten Meßwerte des HLNUG in Raunheim im Jahr 2016 so und setzte sich bei allen neuen Ergeb­nissen fort, ob sie nun von BIs oder vom HLNUG geliefert wurden.
Das Interesse der Luft­verkehrs­wirt­schaft und ihrer Lobby­isten war dabei erstens, den Blick auf das Flug­hafen­gelände als Quelle zu beschränken, und erst, als das HLNUG aufgrund seiner Messungen in seinem 2. Zwischen­bericht ein­deutig fest­stellte: "Das Gebiet, auf dem ultra­feine Partikel aus Flugzeug­triebwerken freige­setzt werden, die dann auch Auswir­kungen auf die boden­nahen UFP-Konzen­trationen haben können, beschränkt sich nicht nur auf das Flughafen­gelände selbst, sondern erstreckt sich auch entlang der Anflug­linien", war man zähne­knirschend bereit, auch noch ein paar Kilo­meter Anflug­linie einzu­beziehen. In der Leistungs­beschrei­bung der Belastungs­studien-Design­studie liest sich das so: es sei "zu klären, wie weit sich UFP vom Flughafen ... in das Umland aus­breiten und bis zu welcher Flug­höhe UFP-Emis­sionen von star­tenden und landenden Luft­fahr­zeugen für Immis­sionen auf Boden­niveau relevant bzw. nach­weisbar sind", und dabei bleibt es auch trotz einiger vorsich­tiger Hinweise im Studien­design und der Stellung­nahme der Qualitäts­sicherung, dass mehr nötig sein könnte.
Zweitens ging es immer darum, die Rolle der kurz­zeitigen Immissions­peaks herunter­zuspielen, die unter den Anflug­linien durchaus Grössen­ordnungen von mehreren Hundert­tausend Partikeln pro Kubik­zenti­meter erreichen können. Solche Peaks könnten durchaus drasti­schere gesund­heitliche Folgen haben, als die über längere Zeit­räume gemittelte Anzahl­konzen­tration erwarten liesse. Auch hier bleibt es aber dabei, dass zeitlich hochauf­lösende Messungen garnicht oder zumindest nicht an den richtigen Stellen statt­finden werden.

Der letzte Punkt ist besonders relevant, wenn man die spezi­fischen gesund­heit­lichen Risiken von UFP aus Flug­zeugen gegen­über andern Quellen untersuchen will. Das Institut für Atmo­sphäre und Umwelt der Frank­furter Univer­sität hat beispiels­weise in an der HLNUG-Station Schwanheim gesam­melten UFP eine ganze Reihe von Flugzeug­turbinen-spezi­fischen Stoffen, darunter auch eindeutig neuro­toxische Substan­zen, nachge­wiesen. Ob sie in gesund­heitlich relevanten Mengen in der Atemluft von Menschen vorkommen, wäre noch zu über­prüfen. Wahrschein­lich ist aber, dass Menschen, die immer wieder (z.B. bei jedem Überflug), wenn auch nur kurz­zeitig, extrem hohen UFP-Konzen­trationen ausge­setzt sind, die diese Stoffe trans­portieren, ein deutlich höheres Risiko haben, relevante Mengen davon aufzu­nehmen.
Aber das möchte das FFR ohnehin nicht so genau wissen. Während das "detail­lierte Konzept" für die Belastungs­studie immerhin noch einen eigenen Abschnitt "Toxiko­logische Messungen" enthält (wenn auch nur als Vorschlag für ein 'Ergänzungs­modul'), kommt sowas in der Leistungs­beschrei­bung nicht mehr vor. Und was man nicht gemessen hat, dessen Wirkung kann man auch nicht unter­suchen.
(Nebenbei bemerkt: es würde sich natür­lich anbieten, aufge­nommene Mengen und gesund­heitliche Folgen an einem Kollektiv zu unter­suchen, das dieser Quelle primär und dauer­haft ausge­setzt ist: die Beschäf­tigten am Frank­furter Flughafen. Aber man kann sich denken, was Fraport davon hält.)

Dass es auch ein Fehler (bzw. eine absicht­liche Auslas­sung) ist, die Emissionen der Flug­zeuge nicht im gesamten An- und Abflug in der Region zu unter­suchen, verdeut­lich eine neuere Arbeit aus dem Karls­ruhe Institut für Techno­logie. Dort werden seit fast 20 Jahren Meßflüge mit Leicht­flugzeugen durch­geführt, um die Vertei­lung ultra­feiner Partikel in der unteren Atmo­sphären­schicht zu unter­suchen. Die aktuelle Veröffent­lichung beschäftigt sich zwar haupt­sächlich mit den klima­tischen Wirkungen der UFP und berück­sichtigt Flugzeug­emissionen nicht, macht aber deutlich, dass UFP, die in grösserer Höhe in die atmo­sphärische Mischungs­schicht emittiert werden, konvektiv nach oben, aber auch nach unten zum Boden trans­portiert werden können. Da Flugzeug­emissionen durch die Wirbel­schleppen ohnehin schon einen Impuls nach unten haben, kann man davon aus­gehen, dass davon auch bis in Höhen von weit über 1.000 Metern einiges unten ankommen kann, wenn auch nicht direkt unter der Flug­route, sondern even­tuell in grösserer Entfer­nung.
Messungen vertikaler Höhen­profile soll es aber im Projekt haupt­sächlich dazu geben, die "Vertikal­verteilung der Partikel in der Abluft­fahne des Flug­hafens" zu messen, und das bevor­zugt mit Türmen, deren Höhe natür­lich sehr begrenzt ist. Der "Einfluss von An- und Abflügen bzw. Über­flügen" und die Nutzung von "leichten, unbe­mannten Flug­körpern (Unmanned Aerial Vehicle, UAV)" werden zwar erwähnt, ohne aber konkrete Anforde­rungen oder einen bestimmten Umfang zu defi­nieren. Es wird auf das "detail­lierte Konzept" verwiesen, das (auch wieder im 'Ergänzungs­modul') einen Standort in Schwan­heim vorschlägt und ansonsten äusserst vage bleibt.
Man darf also davon ausgehen, dass ein rele­vanter Teil der Luft­verkehrs-bedingten Immis­sionen im Projekt nicht erfasst wird.

Die oben schon erwähnte Zusammen­fassung unserer Forde­rungen an das Projekt konzen­trierte sich genau auf diese beiden Punkte mit Vorschlägen für je ein Meß­projekt, das etwas mehr Klarheit bringen könnte. Das wäre einmal ein Meßfeld unter einer Endanflug­strecke (z.B. in Raunheim) mit vielen Partikel­zählern groß­flächig und in der Höhe verteilt, um festzu­stellen, wie sich Wirbel­schleppen und Partikel unter den anflie­genden Flug­zeugen ausbreiten, wo sie am Boden ankommen und welche Konzen­trationen sie dort kurz- und lang­fristig erzeugen. Dass Wirbel­schleppen praktisch im ganzen Stadt­gebiet am Boden ankommen können, wissen wir ja von den Schäden, die sie bisher erzeugt haben.
Das zweite Projekt wären Vertikal­profile um die höheren Anflug­strecken herum, um heraus­zufinden, wohin sich diese Emis­sionen verteilen und wo sie ggf. eben­falls am Boden ankommen könnten.
Natür­lich waren diese Vorschläge nicht im Detail ausge­arbeitet und würden in vollem Umfang durch­geführt wahr­schein­lich einen erheb­lichen Teil der finan­ziellen Mittel des Gesamt­projekts verbrauchen. Sie sollten aber auch ledig­lich dazu dienen, wesent­liche Mängel des bisherigen Projekt­designs zu verdeut­lichen und die Diskus­sion darüber voran­zubringen. Aber daran gab es nirgendwo Interesse.

Diese und weitere Mängel, von denen man einige sogar der Stellung­nahme der "Wissen­schaft­lichen Qualitäts­sicherung" entnehmen kann, sind natür­lich nicht zufällig, sondern entsprechen dem Interesse der Luft­verkehrs­wirtschaft, die gesund­heit­lichen Folgen des Flug­verkehrs nicht in allzu negativem Licht erscheinen zu lassen.
Man kann natürlich darauf hoffen, dass den durchführenden Wissen­schaftler­*innen trotz der schlechten Ausgangs­beding­ungen doch noch die eine oder andere interes­sante Aussage gelingt. Dies war ja bei der NORAH-Studie durchaus der Fall, aber dort war auch die Belastungs­situation deut­licher bestimmt, weil Lärm relativ einfach meßbar und erfahrbar ist. Ob auf der Basis der zu erwartenden unzu­reichenden Erfas­sung der Ultra­feinstaub-Belastung gesund­heitliche Wirkungen halbwegs solide erfasst werden können, darf man getrost bezweifeln.




Titelbild LAP-FRA

Das Titelblatt des Machwerks
(Bei der Übertragung ist eine Ziffer verloren gegangen,
aber so wird es dem Inhalt eher gerecht.)

28.04.2022

Lärmaktionsplanung FRA: die Farce ist zu Ende

Wäre es ein Theater­stück, würden die Akteure wohl mit einem Pfeif­konzert von der Bühne gejagt werden. Zwar sind defini­tions­gemäß "unwahr­schein­liche oder extra­vagante ... Situa­tionen, Verklei­dungen und Verwechs­lungen", mitunter auch "sprach­licher Humor inklu­sive Wort­spielen" und vor allem "bewusste Absur­dität oder Unsinn" durch­aus vor­handen, aber es fehlt die "über­raschende Wendung", die die Lösung bringt, und von "Happy End" kann ganz und gar nicht die Rede sein.
Wie wir aber bereits im Sommer letzten Jahres in einem Beitrag anlässlich der "Öffent­lich­keits­beteili­gung" zu diesem Plan erläu­tert haben, ist es eine Farce in der meta­phorischen Bedeu­tung dieses Wortes: eine "lächer­liche Sache oder Szene, Unsinn, ein durch unange­messene Heran­gehens­weise verfehlter, abgewer­teter oder auch abwer­tender Vorgang".

Seit dem 11. April 2022 gibt es nun also einen neuen Lärm­aktions­plan für den Flug­hafen Frank­furt, basierend auf den Lärmdaten des Jahres 2017. (Da der Plan nach EU-Vorgabe alle fünf Jahre erstellt werden muss, können die Verfasser­*innen also gleich weiter­machen und die Daten 2022 zusammen­stellen, die dann so etwa im Jahr 2028 in einen neuen Plan ein­fliessen können.)
Gegen­über dem Entwurf hat die endgül­tige Fassung 29 Seiten mehr, die gebraucht werden, um zu begrün­den, warum die Vorschläge der Öffent­lichkeit zum Lärm­schutz nicht umge­setzt werden können, bzw. an wen sie für diese Begrün­dung über­wiesen wurden. Wesent­lich Neues ist nicht zu finden.

Wie das RP mit Einwen­dungen von Betrof­fenen umgeht, wird exempla­risch in folgendem Absatz deutlich:

"Von Flug­lärm­betrof­fenen wurden in der Öffent­lich­keits­beteili­gung häufig weit­reichende weitere Betriebs­beschrän­kungen, wie die zeit­liche Ausdeh­nung des Nacht­flug­verbots oder die Reduzie­rung oder Decke­lung der Flug­bewe­gungen gefordert. Der Flughafen Frankfurt Main erfüllt jedoch als größter deutscher Verkehrs­flug­hafen und inter­natio­nales Drehkreuz national und für die Rhein-Main Region wichtige Verkehrs­zwecke, die auch im öffent­lichen Inter­esse stehen. Daher würden solche weit­reichenden, zusätz­lichen Betriebs­beschrän­kungen nicht nur recht­lich im Wider­spruch zum bestands­kräftigen Plan­fest­stellungs­beschluss aus 2007 stehen. Sondern die Verkehrs­funktion des Flug­hafens Frankfurt Main, der durch die hohe Zahl der erreich­baren welt­weiten Destina­tionen, Umsteige­verbin­dungen und als Luft­fracht­knoten­punkt charak­terisiert ist würde nach­haltig beein­trächtigt. Sie können daher im Lärm­aktions­plan nicht empfohlen werden." (Zusammen­fassung, S. 12)

Dass eine mittlere Ver­waltungs­behörde, deren gesetz­licher Auftrag hier darin besteht, "den Umgebungs­lärm so weit erfor­derlich und insbe­sondere in Fällen, in denen das Ausmaß der Belastung gesund­heits­schädliche Auswir­kungen haben kann, zu verhin­dern und zu mindern" (Art.1 Abs. 1 c der EU-Umgebungs­lärm­richt­linie), sich traut, in so dreister Weise die Profit­inter­essen des Flug­hafen­betreibers zum "öffent­lichen Inter­esse" zu erklären und die Gesund­heits­gefahren für die Anwohner vom Tisch zu wischen, hat Züge von obrig­keitsstaat­lichem Größen­wahn.
Anderer­seits wird eine Art von schwarzem Humor deutlich, wenn es nur eine Seite weiter heisst: "Der Lärm­aktions­plan setzt keinen Rahmen für die Entschei­dung über die Zulässig­keit von (anderen) Vorhaben und auch die enthal­tenen Maßnahmen und Fest­legungen haben voraus­sicht­lich keine erheb­lichen Umwelt­auswir­kungen" - insbe­sondere nicht auf den Umgebungs­lärm, der vom Flughafen ausgeht und mit dem Plan eigent­lich reduziert werden sollte.

Das öffent­liche Echo auf diesen Plan blieb verdien­termaßen minimal. Ledig­lich die Frank­furter Rund­schau berich­tete unmit­telbar nach Veröffent­lichung, konzen­trierte sich dabei aber auf die Ableh­nung einer Aus­weitung der beste­henden Nacht­flug­beschrän­kungen. Wohl deshalb wurde acht Tage später nochmal ein Artikel nachge­schoben, der zwar grotten­schlecht ist, aber zumindest in der Über­schrift nach posi­tiver Aktion klingt: "Kriti­scher Wert am Flug­hafen Frankfurt verein­zelt über­schritten: Neuer Aktions­plan gilt".
Das erweckt zumindest den Anschein, als sollten mit dem Plan vorhan­dene Miß­stände abge­stellt werden. Aber welche Mißstände? Die erwähnten Über­schrei­tungen sollen "in Frank­furt und Kelster­bach" auftreten. Als Raun­heimer wundert man sich da natür­lich. Was haben die, was wir nicht haben? Müssen wir neidisch werden?

Bei dem "kritischen Wert", um den es hier geht, handelt es sich um eine Empfeh­lung des Umwelt­bundes­amtes aus einem Konzept für einen "umwelt­schonenden Luft­verkehr", dessen Kurz­fassung wir schon bei Erscheinen vor über zwei Jahren kriti­siert hatten. Im Abschnitt 5.3.1 'Lärm­kontingen­tierung' (S. 115) wird dort unter Bezug auf die wesent­lich streng­eren Empfeh­lungen der Welt­gesund­heits­organi­sation WHO ein zaghafter erster Schritt gefordert: es soll "die Einhal­tung eines maximalen LAeq, Tag von 63 dB(A) bis 2030 sicher­gestellt werden, um gravie­rende gesund­heit­liche Auswir­kungen zu vermeiden".
Die Lärm­aktions­planung befür­wortet dieses Ziel, denn es "war im Jahr mit den bisher höchsten Verkehrs­zahlen 2019 am Flug­hafen Frankfurt Main bereits weit­gehend einge­halten, die Zahl von betrof­fener Wohn­bevölke­rung bei einem LAeq, 6-22 von mindestens 63 dB(A) lag ... bei unter 50 Personen" (S. 63). Auf S. 66 heisst es dann "28 Personen waren im Jahr 2019 von LAeq,T Pegelwerten größer gleich 63 dB(A) betroffen." Den nach­folgen­den Tabellen kann man dann aber entnehmen, dass in Frank­furt 6 Wohnungen mit 13 Bewohnern und in Kelster­bach 22 Wohnungen mit 46 Bewohnern in Pegel­bereichen über 65 dB(A) liegen.
Abgesehen von den wider­sprüch­lichen Details handelt es sich hier um eine Empfeh­lung, die unmit­telbar rein garnichts bewirkt und auch niemanden zu etwas verpflich­tet, denn die vom UBA entwick­elten Lärm­kontigen­tierungs­modelle fallen in die Gesetz­gebungs­kompetenz des Bundes, der keiner­lei Ambi­tionen in dieser Richtung hat.
Zur qualita­tiven Einord­nung dieser Empfeh­lung kann man die Tatsache heran­ziehen, dass ein Durch­schnitts­wert von 63 dB(A) in Raun­heim bisher nur im Horror­monat April 2019 erreicht wurde, als zu 70% Betriebs­richtung 07 geflogen wurde (was wir in diesem Jahr auch wieder erreichen werden, aber bei immer noch weniger Flugbewegungen und daher niedrigerem Monatspegel).
Werte über 60 dB(A) wurden auch sonst praktisch nur an der Meß­station in Raunheim erreicht. Da könnten die Flug­bewe­gungen also durchaus noch kräftig steigen, bevor diese "Begren­zung" wirklich greift. Die WHO empfiehlt im übrigen einen Wert von 45 dB(A) tagsüber und 40 dB(A) nachts. Diese Werte werden aller­dings praktisch im gesamten Rhein-Main-Gebiet über­schritten.

Man könnte die Liste von Wider­sprüchen, Absurdi­täten und Unver­schämt­heiten weiter fort­führen, aber es wird auch so deut­lich: dieser "Lärm­aktions­plan" ist nicht dafür da, die Situa­tion der Flug­hafen-Anwohner in irgend­einer Weise zu verbessern. Er ist einer­seits eine Pflicht­übung, die dazu dient, EU-Vorgaben formal zu erfüllen, aber alle Schlupf­löcher nutzt, um die eigent­lich inten­dierten Ziele nicht angehen zu müssen. Er ist anderer­seits eine Alibi-Veran­staltung, die den Betrof­fenen, deren Gesund­heit durch den Flug­betrieb gefähr­det ist, Aktivi­täten vorgaukeln soll, ohne auch nur das Geringste zu bewirken.
Positiv kann man besten­falls vermerken, dass er eine Fleiß­arbeit ist, die nahezu alles zusammen­trägt, was aktuell an offi­ziellen Rege­lungen, Pla­nungen und Bewer­tungen zum Thema Fluglärm vorhanden ist. Stünde auf dem Titel­blatt "Über­sicht über die aktuelle Flug­lärm-Politik von Bundes- und Landes-Regierung am Flug­hafen Frank­furt" oder etwas ähnliches, könnte man damit leben.
So aber ist es ein Dokument der politi­schen Heuchelei der hessischen Landes­regierung, die vorgibt, die Anwohner vor Fluglärm zu schützen, während sie tatsäch­lich alle einschrän­kenden Auflagen für die Luft­verkehrs­wirt­schaft vermeidet. Von dieser ist aber keinerlei Zurück­haltung zu erwarten. Ohne klare ordnungs­recht­liche Vorgaben wird sie versuchen, den Luft­verkehr ohne Rück­sicht auf Belange der Gesund­heit oder des Schutzes von Umwelt und Klima weiter auszu­dehnen. Ein wirk­samer Lärm­aktions­plan kann daher nur von den Betrof­fenen selbst aufge­stellt und umge­setzt werden, und die Aktionen werden auf der Straße, am Flug­hafen und überall dort statt­finden müssen, wo politi­scher Druck dafür erzeugt werden kann, dass am Tag weniger und in der Nacht garnicht geflogen wird.




Grafik Flugroute und Schadensort

Entfernungen und Windverhältnisse sprechen eindeutig für einen Wirbelschleppen-Schaden ...
(Für grössere Darstellung Grafik anklicken.)

Foto Schadensort und Trümmer

... und das Ergebnis ist ebenfalls typisch: ein Loch im Dach und die Trümmer der Dacheindeckung
in der Umgebung verteilt.

12.04.2022

Kein Einzelfall in Raunheim:
Neuer Wirbelschleppen-Schaden an bekannter Stelle

Während man anderswo gerade erst beginnt, Erfah­rungen mit Wirbel­schlep­pen-Schäden zu sammeln, gibt es in Raun­heim einen neuen Fall an einer Stelle, wo man bereits reich­lich Erfah­rung damit hat. Am Werk­statt-Gebäude des Auto­haus Hempel in der Karl­straße wurden am Sonntag, den 03. April, bereits zum vierten Mal Platten vom Dach gerissen.

Die Beding­ungen waren passend für Wirbel­schlep­pen-Schäden, wie man den ganzen Tag über immer wieder hören konnte. Das charak­teris­tische Geräusch kurz nach einem Über­flug ist ein eindeu­tiges Zeichen dafür, dass Wirbel­schleppen regel­mäßig bis in Boden­nähe absinken und dort im güns­tigsten Fall nur die Blätter zum Rauschen bringen, aber eben auch Schäden anrichten können.
Bei Wind­stärken etwas über 5 Knoten, einer Über­flug­höhe von knapp 300 Metern über Grund und 300 m seit­lichem Abstand von der Anflug­grund­linie zur Südbahn können Wirbel­schleppen das Firmen­gelände prak­tisch in voller Stärke erreichen. Der Wind kam zwar über­wiegend aus nörd­lichen Rich­tungen, schwankte aber bereits stark, eher er zwei Stunden später end­gültig auf südwest­liche Rich­tungen drehte. Es war wohl einfach Pech, das gerade im falschen Moment die Beding­ungen vorlagen, die die Wirbel­schleppe zum Werk­statt-Dach trugen.

Da Zeugen, die mit Wirbel­schleppen vertraut sind, den Vorfall direkt beo­bachten konnten und auch die genaue Uhrzeit notiert haben, ist der Fall relativ einfach zu rekon­struieren. Das verant­wort­liche Flugzeug war ein A320 der Lufthansa, dessen Überflug um 15:43:06 Uhr an der Lärm­meß­station Raunheim-Süd registriert wurde. Wegen der kurzen Entfer­nung konnten die Zeugen das Wirken der Wirbel­schleppe noch in derselben Minute beo­bachten.
Dieser Flug­zeugtyp ist nicht für besonders starke Wirbel­schleppen bekannt, und die konkrete Maschine war auch mit sog. "Sharklets" ausge­stattet. Das ist eine Airbus-spezi­fische Form der hochge­klappten Flügel­spitzen, die den Luft­wider­stand, der durch die Bildung der Wirbel­schleppen für das Flug­zeug entsteht, redu­zieren sollen (sie sollen das Flug­zeug auch leiser machen, aber das erkennt man im Lärm­diagramm auch nicht).
Es bestätigt sich hier die Erfah­rung aus vielen anderen Fällen, wonach es keine Flug­zeuge braucht, die vom Typ "Heavy" sind oder zu tief fliegen, um solche Schäden anzu­richten. Bei ungüns­tigen Beding­ungen kommt praktisch jeder normale Jet als Verur­sacher in Frage.

Fraport interes­siert sich für solche Details aller­dings über­haupt nicht. Ihr Gutachter wusste schon mit Blick auf das Loch im Dach und die herum­liegenden Trümmer­teile, dass Fraport wohl nicht zahlen will, und kurz danach erhielten die Geschä­digten auch den ableh­nenden Bescheid. Darin werden Ausfüh­rungen des Gut­achters zum baulichen Zustand des Daches beschrieben, die dieser schon anläß­lich der Fälle 2014 und 2020 gemacht habe, um daraus ohne jeden Zusammen­hang zu schließen, die "gemel­deten Schäden sind aus tech­nisch-sach­verstän­diger Sicht nicht auf eine wirbel­schleppen­bedingte Windböe, verur­sacht durch ein im Lande­anflug befind­liches Luft­fahr­zeug auf den Flug­hafen Frank­furt-Rhein-Main, zurück­zuführen".

Fraport vermischt hier Dinge, die nicht zusammen gehören, in der Hoff­nung, dass die resul­tierende Argu­menta­tion für nicht mit der Materie Befasste doch noch irgend­wie einleuch­tend erscheint. Fakt ist aber, dass der Anspruch auf Schadens­regulie­rung nichts mit der Qualität des geschä­digten Dachs zu tun hat.
Dieser Anspruch beruht auf einer Neben­bestimmung des Plan­fest­stellungs­beschlusses von 2007. Dort heisst es: "Die Vor­habens­trägerin wird ver­pflich­tet, nachweis­lich durch eine Wirbel­schleppe eines auf dem Flug­hafen Frank­furt Main landenden oder startenden Luft­fahr­zeugs verur­sachte Schäden auf ihre Kosten zu besei­tigen oder die ange­messenen Kosten der Schadens­beseiti­gung zu erstatten." Hier ist nicht die Rede von irgend­welchen Qualitäts­standards, es geht nicht einmal nur um Dächer - Fraport muss alle Wirbel­schleppen-bedingten Schäden ersetzen. Im Urteil des Hessi­schen Ver­waltungs­gerichts­hof zu den Klage­verfahren gegen den PFB von 2009 heisst es weiter­hin: "Diese Neben­bestim­mung hat der Beklagte durch Erklä­rung in der münd­lichen Verhand­lung dahin­gehend abge­ändert, dass nun­mehr die Beige­ladene nachzu­weisen hat, dass bei Schadens­eintritt die Voraus­setzungen dieser Ver­pflich­tung nicht erfüllt sind", oder im Klartext: der Minister ver­pflichtet Fraport, zu beweisen, dass aufge­tretene Schäden nicht durch Wirbel­schleppen verur­sacht worden sind, wenn sie nicht zahlen wollen. Einen solchen Beweis aber gibt es nicht und kann es im vorlie­genden Fall auch nicht geben.
Qualitäts­standards für Dächer gibt es nur in den Plan­ergän­zungen von 2013 und 2014, die die vorbeu­gende Dach­siche­rung gegen Wirbel­schleppen­schäden regeln. Aber darum geht es hier, zumin­dest im ersten Schritt, nicht.

Dieser Fall ist ein weiteres krasses Beispiel dafür, mit welcher Willkür Fraport die Schäden, die der Flug­betrieb der Bevölke­rung im Umland des Flug­hafens aufer­legt, ignoriert, leugnet oder über­geht und dabei auch geltendes Recht bricht. Eine funktio­nierende Rechts­aufsicht, die solches Verhalten unter­binden müsste, gibt es offen­sicht­lich nicht.
Es wäre aller­höchste Zeit, dass das zustän­dige Wirt­schafts­ministe­rium durch gericht­liche Entschei­dungen und öffent­lichen Druck dazu gezwungen wird, seine Haltung zu korri­gieren, den Geschä­digten zu ihrem Recht zu ver­helfen und das Ver­fahren zur Rege­lung solcher Schäden der Fraport zu ent­ziehen und in unab­hängi­gere Hände zu legen.




Anflug aus Ost auf BER-Süd

21.02.2022

Ein "absoluter Einzelfall":
Wirbelschleppen-Schaden am BER

Am 13.02. meldete das 'Redaktions­netzwerk Deutsch­land': "Lande­anflug auf BER: Flugzeug reißt Ziegel vom Dach – Frau beinahe erschlagen".
Im Folgenden heisst es noch zweimal, das Flugzeug sei "vermut­lich zu tief geflogen", obwohl am Ende des Artikel die Deutsche Flug­sicherung zitiert wird mit der Aussage: "Es gab keiner­lei Auffällig­keiten hinsicht­lich Flugspur und -höhe, beide waren korrekt und normal. Die Maschine ist exakt denselben Anflug­winkel geflogen wie alle anderen Maschinen auch", und die DFS weiss auch, "bei Schäden dieser Art handle es sich um Wirbel­schleppen­schäden".
Ein Flug­hafen­sprecher, der vorher noch mit der Aussage zitiert wird, "So etwas darf nicht passieren. Für so etwas gibt es Richt­linien, und das passiert auch nicht, wenn man die Richt­linien einhält", meint dazu, dabei "handle es sich um absolute Einzel­fälle".

Nun gehören Verlogen­heit und Verant­wortungs­losig­keit anscheinend zur Grund­qualifi­kation eines jeden Flug­hafen­betreibers hierzu­lande, aber von einem 'Netzwerk für Qualitäts­journa­lismus' sollte man schon ein bisschen mehr Überblick und Einord­nung erwarten können.
Natürlich hat die DFS völlig recht, dass es keinen beson­deren Tief­flug braucht, um in Walters­dorf oder an ähnlich gelegenen Orten einen Wirbel­schleppen-Schaden zu verur­sachen. Die plan­mäßige Flughöhe entlang des Ortes beträgt um die 150 Meter, und der Groß­teil der ziegel­gedeckten Häuser ist nur wenige hundert Meter von der Anflug­grund­linie entfernt - da ist es nur eine Frage der Zeit, bis geeig­nete Wind­beding­ungen eine Wirbel­schleppe so übers Ort tragen, dass sie Schaden anrichtet. Da die neuere Südbahn des BER noch nicht allzu lange in Betrieb ist (seit 04.11.2020) und der Flug­verkehr auch dort bisher Pandemie-bedingt deutlich reduziert war, hat es eben bis jetzt gedauert, bis ein drastisch sicht­barer Schaden entstanden ist.

Screenshot rbb-Video

Natür­lich ist jeder Schaden ein Einzel­fall, aber die von Flug­hafen­betreibern ständig wieder­holte Behaup­tung, dass es sich dabei um extrem seltene Ereig­nisse handele, ist trotzdem eine Lüge. Die grund­legenden Fakten zu diesem Risiko sind seit Jahr­zehnten bekannt, und es ist ein Skandal, dass bis heute bei Flug­hafen-Neubauten oder -Erweite­rungen Vorsorge dagegen erst dann getroffen wird, wenn die Schäden sich häufen und die Betrof­fenen aufschreien.
Hier ist der Gesetz­geber gefordert, endlich die Voraus­setzungen dafür zu schaffen, dass in den Risiko­gebieten, die es an praktisch allen deutschen Flug­häfen gibt, Vorsorge­maßnahmen ähnlich dem Dach­klammerungs-Programm in Raunheim und Flörsheim auf Kosten der Flug­hafen­betreiber, aber nicht in deren Regie durch­geführt werden. Das ist zwar nur ein unzu­reichender erster Schritt, aber er könnte Leben retten. Schließ­lich ist nicht garan­tiert, dass auch künftig die Ziegel immer knapp daneben oder kurz vorher oder nachher dahin fallen, wo Menschen unter­wegs sind - die Liste der kritischen Fälle ist schon rund um FRA lang genug.

Dafür reicht es aller­dings nicht, wenn der Besitzer des betrof­fenen Hauses in einem (leider schon nicht mehr verfüg­baren) rbb-Video fordert, dass "gegen diesen Vorgang Maßnahmen einge­leitet werden, damit die Bürger geschützt werden". Notwendig wäre, überall rund um die Flug­häfen ein Bewußt­sein für die poten­tiellen Gefahren zu schaffen (und gerade rund um den BER gibt es noch eine ganze Reihe bewohnter Gebiete, die betroffen sein könnten). Eine bessere Vernet­zung der BIs, die sich gegen die von Flughäfen verur­sachten Schäden wehren, könnte dazu beitragen, dass es nicht überall wie um FRA mehr als hundert Schadens­fälle braucht, bis Maßnahmen dagegen getroffen werden.
Beim passiven Schall­schutz konnten die BIs rund um den BER einiges durch­setzen, worauf wir in Rhein-Main immer noch warten. Viel­leicht könnte es ja auch beim Schutz vor Wirbel­schleppen bessere Lösungen geben, die dann anderswo als Vorbild dienen könnten. Bedarf dafür gibt es genug.




20.02.2022

Kontakte in den Bundestag

Wer sich gegen die Belas­tungen durch Flug­lärm, Schad­stoff-Emis­sionen von Flug­zeugen und Klima­schäden wehren will, muss sich zwangs­läufig auch mit den gesetz­lichen Rege­lungen dafür aus­einander­setzen - und mit denen, die sie beein­flussen können.
Nun sind einzelne, speziell neu gewählte Abgeord­nete nicht verant­wortlich für den Wust an unzu­reichen­den Gesetzen, den es gibt, und sie haben auch nur begrenzte bis keine Möglich­keiten, daran etwas zu ändern. Dennoch macht es durchaus Sinn, mit denen, die bereit sind, zuzu­hören, in Kontakt zu treten, die eigenen Argu­mente und Forde­rungen vorzu­tragen und zu hören, welche politi­schen Wider­stände ihnen im Parla­ment entgegen­stehen.
Wir waren deshalb hoch erfreut, dass die direkt gewählte Abge­ordnete des Kreises Gross-Gerau, Frau Melanie Wegling (SPD), auf eine Mail unserer BI, mit der wir als Mitglied des Netzwerks "Stay Grounded" die Forde­rungen der Kampagne #Green­washing stoppen - Flug­verkehr jetzt redu­zieren! an lokale Politiker­*innen weiter­geleitet hatten, (als Einzige!) geant­wortet und ein Gespräch ange­boten hat.

Dieses Gespräch hat am 11.02. Pandemie-bedingt in Form einer Video-Kon­ferenz statt­gefunden. Themen waren 'Klima­wirkungen des Luft­verkehrs', 'Flug­lärm' und 'Belastung durch Ultra­fein­staub', und es gibt auch eine gemeinsam abge­stimmte Erklä­rung dazu, denn im Gegen­satz zu den Lobby­isten der Luft­fahrt­industrie und anderer Branchen halten wir nichts von Hinter­zimmer-Treffen und "vertrau­lichen Gesprä­chen", in denen Deals ausge­handelt werden, die den Betei­ligten nützen und anderen schaden.
Was sich daraus ergibt, wird sich zeigen. Wer diesen Kontakt eben­falls nutzen möchte: Frau Wegling unter­hält in Gross-Gerau ein Wahl­kreis­büro, wo sich Frau Eckert und Herr Scholl­meier um die Anliegen der Bürger­innen und Bürger kümmern.

Auch in der letzten Legis­latur­periode gab es schon Kontakte in den Bundes­tag. Da saß Jörg Cezanne aus Mörfel­den-Wall­dorf für DIE LINKE im Verkehrs­ausschuss und in eben jenem partei­über­greifenden 'Arbeits­kreis Flug­lärm', den Frau Wegling wieder­beleben will. Auch zu Sabine Leidig, LINKE aus Kassel und verkehrs­politische Sprecherin, gab es verein­zelt Kontakt. Beide sind nicht mehr im Bundes­tag, aber Janine Wissler hat das Wahl­kreis­büro von Jörg Cezanne in Gross-Gerau über­nommen und bereits zuge­sichert, dass die Kontakte weiter­gehen sollen.
Da aber die Linke als Oppo­sitions­partei wenig Einfluss auf das Geschehen im Parla­ment hatte und heute, deut­lich geschrumpft, noch weniger hat, ist daraus auch weiterhin besten­falls die eine oder andere nützliche Infor­mation zu erwarten. Auch der 'Arbeits­kreis Flug­lärm' war in der Form, wie er in der letzten Periode gear­beitet hat, weitest­gehend bedeu­tungslos. Wenn sich das ändern soll, müsste er sich deut­lich anders auf­stellen.

Themen, die zu bear­beiten sind, gibt es mehr als genug, allen voran natür­lich die bisher noch völlig unzu­reichenden Vorhaben der Ampel beim Klima­schutz. Aber auch beim Flug­lärm­schutz und beim Kampf gegen die Luft­verschmut­zung wären (kleine) Fort­schritte denkbar, wenn die Empfeh­lungen der zustän­digen Fachbe­hörden endlich, anders als bei der GroKo, ernst genommen würden.
Insbe­sondere beim Fluglärm­schutz müssten die dürf­tigen Absichts­erklä­rungen im Koa­litions­vertrag mindes­tens ersetzt werden durch einen Bezug auf eine realis­tische Analyse des Umwelt­bundesamt und den Instru­menten­koffer, den die ADF zusammen­gestellt hat. Und bei der Grenz­wert­setzung für Luft­schad­stoffe und dem notwen­digen Ausbau der Über­wachungs­systeme müssten mindes­tens die Empfeh­lungen der WHO zugrunde gelegt werden, die bisher noch nirgendwo (ausser natür­lich bei Fach­behörden wie dem UBA) erwähnt sind.
Aber auch hier gilt natürlich: Politiker­*innen die Forde­rungen zu erläutern ist das eine. "Der Politik" deutlich zu machen, dass viele diese Forde­rungen umge­setzt haben wollen, ist das wesent­lich wich­tigere, damit dieje­nigen, die das umsetzen wollen, über­haupt erst die Möglich­keit dafür bekommen. Anders gesagt: eine gute, öffent­lich­keits-wirk­same Aktion ist mehr wert als ein Dutzend Gespräche.




Messwerte Friedberger Landstraße

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte - und wenn man die richtigen Bilder wählt, kann man auch zu vernünftigen Aussagen kommen.

06.02.2022

4. UFP-Bericht des HLNUG:
Nichts Neues, nichts Brauchbares - wem nutzt das ?

Am 13. Januar dieses Jahres hat das 'Hessi­sche Landes­amt für Natur­schutz, Umwelt und Geo­wissen­schaften' (HLNUG) den 4. Bericht "zur Unter­suchung der regio­nalen Luft­qualität auf ultra­feine Partikel im Bereich des Flug­hafens Frank­furt" veröf­fent­licht - laut Presse­mittei­lung mit der Kern­aussage "Bei Wind aus Rich­tung Frank­furter Flug­hafen steigt die Konzen­tration ultra­feiner Partikel in der Luft stark an". Es handele sich um eine " Gesamt­auswer­tung", für die "alle bishe­rigen Mess­reihen zu ultra­feinen Partikeln (UFP) seit 2017 zusammen­gefasst" wurden.
Sind damit alle offenen Fragen bezüg­lich der Ausbrei­tung ultra­feiner Partikel aus dem Flug­betrieb in der Region, und im Umfeld von Flug­häfen allge­mein, geklärt? Leider nein. Der Bericht präsen­tiert weder Meß­ergeb­nisse, aus denen neue Erkennt­nisse abzu­leiten wären, noch halten die vorge­legten Auswer­tungen einiger weniger ausge­wählter Daten einer wissen­schaft­lichen Über­prüfung stand.

Tatsäch­lich wäre dieser Anspruch ohne­hin zu hoch, denn der Bericht präsen­tiert nur mehr oder weniger plau­sible Über­legungen, aber keiner­lei statis­tische Auswer­tungen, die über einfache Auf­summie­rung und Mittel­wert­bildung hinaus gingen. Etliche der vorge­tragenen Aus­sagen bestehen aber auch eine Plausi­bilitäts­prüfung nicht.

Kern­problem ist aller­dings, dass garnicht mehr versucht wird, die Ausbrei­tung der ultra­feinen Partikel aus den möglichen Quellen zu disku­tieren und die gewählten Annahmen zu begründen. Viel­mehr wird als Ergebnis vorher­gehender Berichte fest­gestellt: "Die Emis­sionen aus Trieb­werken erzeugen sehr viele sehr kleine Partikel (< 30 nm). Diese führen im Umfeld des Flug­hafens zu Zeiten mit Flug­betrieb und bei Wind aus Richtung Flug­hafen zu einer deut­lichen Erhöhung der UFP-Konzen­tration. Hierbei wurden Emis­sionen auf dem Flug­hafen­gelände und in unmittel­barer Umgebung des Flug­hafens als dominante Quelle für UFP identi­fiziert".
Daraus wird dann ohne weitere kritische Betrach­tung: "Den Emis­sionen aus dem Flug­betrieb und den damit assozi­ierten Prozessen können an unter­schied­lichen Mess­stellen jeweils sehr ähn­liche charak­teris­tische Merk­male zuge­ordnet werden. Neben der deut­lichen Wind­richtungs­abhängig­keit, die sich aus­schließ­lich zu Zeiten des Flug­betriebs ein­stellt, ist vor allem die typische Partikel­anzahl-Größen­vertei­lung mit ausge­prägtem Maximum für Partikel kleiner als 30 nm kenn­zeichnend. Dieser charak­teris­tische „Finger­abdruck“ konnte bislang an allen HLNUG-Mess­stellen mit größen­aufge­lösten UFP-Messungen ein­deutig nach­gewiesen werden."

Kurz zusammen­gefasst: Die Emis­sionen auf dem Flug­hafen­gelände haben einen einfach nachweis­baren "Finger­abdruck", und wo der gemessen werden kann, ist auch der Ein­fluss des Flug­betriebs bewiesen. Und das ist sogar an einem durch­gehend regne­rischen Tag in 14 km Entfer­nung vom Flug­hafen kein Problem.
Die Emissionen kommen dabei nicht nur von den startenden und landenden Fliegern, sondern auch aus "mit dem Flug­betrieb assozi­ierten Prozessen" die dazu führen, dass die Partikel-Konzen­trationen nach Ende des Flug­betriebs nur "langsam abklingen". Was das sein soll, wird nicht erläutert. Soll man wirk­lich davon ausgehen, dass am Tag vor Heilig­abend nach 23:00 Uhr noch in großem Stil Trieb­werks­probe­läufe statt­finden, oder ist der Boden­verkehr da soviel emis­sions-inten­siver als der Straßen­verkehr in der Haupt­verkehrs­zeit?

Der Bericht ist voll von derar­tigen unsin­nigen Aussagen und anderen wilden Spekula­tionen. Um diesen Beitrag nicht mit tech­nischen Details zu über­frachten, haben wir die Kritik zu den einzel­nen Aussagen in einem eigenen Beitrag zusammen­gefasst (als Webseite oder PDF-Dokument). Daraus wird deut­lich, dass dieser Bericht im Gegen­satz zu den ersten beiden, die über weite Strecken über­wiegend seriös argumen­tiert haben, ein ganz anderes Niveau hat. Hier findet sich keine einzige fun­dierte Auswer­tung, und die Qualität der Argumen­tation reicht von ober­flächlich bis absurd.

Eine mögliche Erklä­rung für diese selt­same Verän­derung findet sich in einem Satz im abschlies­senden Kapitel "Ausblick": "Aufbauend auf den Ergeb­nissen des Hessischen Landes­amtes für Natur­schutz, Umwelt und Geo­logie (HLNUG) führt das Forum Flughafen und Region (FFR) eine umfas­sende Unter­suchung der Belas­tung durch UFP und deren poten­ziell gesund­heit­licher Wirkung in der Rhein-Main-Region durch". Auch das Konzept dieser Unter­suchung wirft Fragen auf und weckt den Verdacht, dass es nicht um Erkenntnis­gewinn, sondern um die Verhin­derung unlieb­­samer Schluss­folge­rungen geht. Wäre es anders, würde man aus den bishe­rigen, geschei­terten Projekten entspre­chende Schluss­folge­rungen ziehen, aber genau das vermeidet dieser HLNUG-Bericht sehr konse­quent.
Handelt es sich also um eine Auftrags­arbeit, die helfen soll, das ange­kündigte Projekt in ungefähr­liche Bahnen zu lenken? Dagegen spricht, dass sich wohl niemand mit halb­wegs wissen­schaft­lichem Anspruch auf so dünnes Eis begeben und eine Studie auf derart schwache Ergeb­nisse stützen würde.

Wahr­schein­licher erscheint da schon, dass es darum geht, mög­lichst wenig deut­lich werden zu lassen, dass mit dem Meßpro­gramm der vergang­enen zwei Jahre ziem­lich viel Geld in den Sand gesetzt wurde und der Nach­weis, dass die UFP-Emis­sionen haupt­säch­lich vom Flug­hafen­gelände ausgehen, nicht nur wegen der Pandemie-bedingten Reduzie­rungen im Flug­verkehr nicht erbracht werden konnte. Man behauptet einfach das Gegen­teil und hofft, dass in ein paar Jahren niemand mehr darüber redet.
Wenn es so wäre, sollte das HLNUG diesen Bericht umgehend zurück­ziehen. Es ist keine Schande, eine Hypo­these aufzu­stellen und dann festzu­stellen, dass sie falsch ist. Auch das trägt zum Erkennt­nis­fort­schritt bei. Aber es ist extrem pein­lich, unseriös und behindert weitere Erkennt­nisse, zu versuchen, eine falsche Hypo­these mit untaug­lichen Mitteln zu vertei­digen, um Projekt­gelder nicht zu verlieren.

Hier muss dringend gegen­gesteuert werden, denn weitere Messungen sind unbe­dingt not­wendig. Zwar muss man davon aus­gehen, dass die im Bericht vorge­stellten Meß­werte an den vom Flughafen weiter entfernten Stationen durch andere Effekte besser erklärt werden können und ein Einfluss des Flug­hafens, zumindest unter den Beding­ungen deutlich redu­zierter Flug­bewegungen während der Pandemie, dort nicht nach­weisbar ist. In Raunheim und Schwan­heim sieht man diesen Einfluss aller­dings deutlich, und, da hat der Bericht ausnahms­weise recht, es "ist zu vermuten, dass bei zuneh­mend stei­genden Flug­bewegungs­zahlen der Einfluss weiter steigen wird" (S.22) und dort und an vielen anderen Stellen gesund­heit­liche Schäden verur­sacht.

Hoffen lässt die Ankün­digung: "Drei der UFP-Mess­stellen sollen darüber hinaus als perma­nente UFP Mess­stellen (Raunheim, F-Schwan­heim, F-Fried­berger Land­straße) einge­richtet und perspek­tivisch auch in das German Ultra­fine Aerosol Network inte­griert werden. Ziel ist es, harmonisierte und kontinuierliche UFP-Messungen hoher Qualität für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung zu stellen". Es wäre ein großer Fort­schritt, die hier präsen­tierten dilletan­tischen Spekula­tionen durch solide wissen­schaft­liche Analysen zu ersetzen und die bisher gesam­melten Daten endlich in vernünf­tiger Weise zu nutzen. GUAN bietet beste Voraus­setzungen dafür.
Auch der geplante Einsatz eines "Mobili­täts­partikel­spektro­meter mit beson­ders hoher zeit­licher Auf­lösung ... zur Anwen­dung insbe­sondere im Umfeld schnell veränder­licher UFP-Konzen­trationen" wäre dringend notwendig, um den Einfluss der Flug­bewe­gungen genauer zu unter­suchen.
Wichtig wäre aller­dings, dass sich im HLNUG endlich wieder jemand seriös um dieses Projekt kümmert, ein realist­isches Meß­programm auflegt und dafür sorgt, dass dieses Gerät da zum Einsatz kommt, wo ein Einfluss des Flug­verkehrs in grösseren Entfer­nungen an anderen Flug­häfen tatsäch­lich gemessen wurde und auch hier zu erwarten ist: unter den Anflug­routen im Osten und Westen des Flug­hafens. Wenn die Daten umfassend präsen­tiert werden, kann man sich auch wieder fach­lich über die Inter­preta­tionen streiten.




Einer geht - aber im Kern ändert sich nichts.

12.01.2022

Ryanair verlässt FRA - was wird sich ändern ?

Die Meldung kam über­raschend und stiess auf große Medien-Resonanz: "Ryanair, Europas größte Flug­gesell­schaft, hat heute (Freitag, 7. Januar) bestätigt, dass sie ihre Basis in Frank­furt am Main zum 31. März 2022 schließen wird und die fünf Flug­zeuge auf Flug­häfen umver­teilt, die mit niedri­geren Flug­hafen­gebühren reagiert haben, um die Erholung des Flug­verkehrs zu fördern", teilte die Ryanair-Presse­stelle mit.
Auch der angeb­liche Grund dafür wurde deut­lich genannt: "In einer Phase der Erholung von Covid müssen die Flug­häfen Anreize für die Erholung des Verkehrs schaffen. Leider hat sich Frank­furt, anstatt Anreize für die Erholung des Verkehrs zu schaffen, dafür ent­schieden, die Preise noch weiter zu erhöhen, wodurch Frank­furt im Vergleich zu europä­ischen Flug­häfen nicht mehr wett­bewerbs­fähig ist. Während Ryanair weiterhin in Deutsch­land inves­tiert (wie die Inves­tition von 200 Mio. USD in eine neue Basis in Nürn­berg mit zwei Flug­zeugen beweist), schützt die deutsche Regierung weiter­hin etablierte Flug­gesell­schaften wie die Lufthansa, die 9 Mrd. EUR an staat­lichen Beihilfen erhalten hat, anstatt diskrimi­nierungs­freie Verkehrs­rück­gewinnungs­programme einzu­führen, die allen Flug­gesell­schaften offen­stehen".

Damit haben alle, die nicht nach Ryanairs Pfeife tanzen, ihr Fett weg, und die meisten Medien berichten wie gewünscht. Manche machen sich haupt­sächlich um Reisende und Ange­stellte Sorgen, aber meist gibt es auch ein paar kritische Anmer­kungen, so z.B. dass Ryanair 2017 nur wegen des dama­ligen Incen­tive-Programms, das 2020 ausge­laufen ist, nach Frankfurt kam, oder dass der Ryanair-Anteil am Flug­betrieb in Frankfurt nur im Schnitt bei rund drei Prozent gelegen hat.
Einige Wirt­schafts­blätter weisen auch darauf hin, dass Ryanair seine Wachs­tums­pläne in der Main­metro­pole niemals komplett reali­sieren konnte, oder benennen sogar Gründe, warum Ryanair in Frank­furt geschei­tert ist.

Auffällig ist aller­dings, dass nirgendwo davon die Rede ist, dass Fraport in diesem Jahr durchaus ein diskrimi­nierungs­freies Verkehrs­rück­gewinnungs­programm aufge­legt hat, das auch Ryanair nach andert­halb Jahren ohne Rabatte wieder Preis­nach­lässe gewähren würde. Natür­lich sind diese Rabatte schwer kalku­­lierbar und von vielen externen Faktoren abhängig, aber wenn Ryanair seinen eigenen Prog­nosen glauben würde, müssten sie eigent­lich davon aus­gehen, dass es in Frank­furt im laufenden Jahr für sie nicht teurer würde als bisher. Wenn sie trotz­dem weggehen, zeigt das nur, dass dafür andere Gründe maßgeb­lich sind.
Ohnehin hat Fraport ja den Entwurf der Entgelt­ordnung auch 2021 mit allen Betei­ligten vorab abge­stimmt, und anders als 2015, als das Minis­terium aufgrund eines Ein­spruchs der Airlines die Genehmi­gung ablehnte, hat diesmal wohl niemand offi­ziell protes­tiert.

Worum geht es also wirklich? Die oben zitierten Kern­sätze aus Handels­blatt und Wirt­schafts­woche deuten es an: Ryanair hat sich beim Versuch, am grössten deutschen Hub zu expan­dieren und hier relevante Markt­anteile zu erobern, verkalku­liert. Die Basis konnte nicht auf die ange­kündigten hier zu statio­nierenden 20 Flug­zeuge ausgebaut werden, sondern schrumpfte zuletzt auf nur noch fünf Maschinen. Auch der Markt­anteil in Deutsch­land insgesamt blieb mit 18,8% im Jahr 2019 hinter den Erwar­tungen zurück.
Nun korri­gieren sie ihren Kurs, und das große Getöse dabei dient nur dazu, einer­seits vom eigenen Scheitern abzu­lenken und anderer­seits die immer gleichen Argu­mente erneut in die Öffent­lichkeit zu bringen: der Luft­verkehr braucht weniger Steuern, Gebühren und Auflagen, aber höhere Subven­tionen. Dabei zielt das Gerede von "effi­zienten Betriebs­abläufen" und "wett­bewerbs­fähigen Gebühren" weniger auf Fraport - man kennt sich schliess­lich und weiss, was man vonei­nander zu halten hat - sondern viel­mehr auf die (Provinz-)Flug­häfen, die nun um die Ryanair-Gunst werben sollen.
Ähnlich seriös ist das Gerede von neuen "‘Game­changer’-Flug­zeugen", mit denen Ryanair das Wachstum in Europa ankurbeln will. Sie sind keines­wegs neu im Sinn von fort­schritt­lich, sondern ledig­lich eine schon 7 Jahre alte Modifi­kation eines über 50 Jahre alten Flug­zeug­typs, die unter dem alten Namen 'Boeing 737 MAX 8' zwei Abstürze und einen Riesen-Skandal verur­sacht hat. Die Maschinen sind nach wie vor "inhärent instabil", aber mit einem schlechten Ruf, ein paar Sensoren mehr, einer neuen Software und vor allem mehr Sitz­plätzen sind sie genau das, was Ryanair will: billig und profi­tabel. Die Umben­nenung erfolgt nur aus Image-Gründen.

Was bedeutet dieser Weggang nun für Fraport und die Rhein-Main-Region? Ein kleiner Rück­blick hilft beim Verständnis. Fraport begann mit der Endgelt­ordnung 2017, die bereits im Jahr vorher ange­kündigte strate­gische Orien­tierung auf Billig­flieger umzu­setzen. Gleich­zeitig wurde auch Terminal 3 umgeplant, um dort einer­seits einen Flug­steig speziell für Billig­flieger einzu­richten und zeit­lich vorzu­ziehen, anderer­seits aber auch neue Luxus-Lounges für das Hoch­preis-Segment zu inte­grieren. Inzwischen ist der Billig-Flug­steig fast fertig, soll aber zunächst im "Ruhe­betrieb" bleiben, bis etwa 2026 das gesamte Terminal fertig ist. Die Fraport-Stra­tegie hatte von Anfang an breite poli­tische Unter­stützung, auch wenn die eta­blierten Flug­gesell­schaften Nach­teile befürch­teten und insbe­sondere Luft­hansa öffent­lich auf Konflikt­kurs ging. Dieser Konflikt wurde aller­dings relativ schnell beigelegt, weil Luft­hansa zeit­gleich Billig­flieger-Geschäfts­modelle in ihren Konzern inte­grierte und aus­baute, die bald auch auf FRA aktiv wurden.
Ryanair aller­dings stand von Anfang an in der Öffent­lich­keit massiv in der Kritik, insbe­sondere wegen des extrem unsozia­len Umgangs mit den Beleg­schaften und der häufigen Verlet­zung der Nacht­flug-Beschrän­kungen, und hatte auch bald mit diversen Krisen­erschei­nungen zu kämpfen. Nach einigem Auf und Ab und zeit­weisen Zuge­ständ­nissen an Beleg­schaften und Bevölke­rung war der Krisen­zustand mit der Corona-Pandemie wieder erreicht, und aktuell wird Ryanair von ihren Piloten nach wie vor als Social Misfit (sozialer Aussen­seiter) einge­schätzt, 75% der geplanten Flüge im Januar fallen aus, und am 31.03. ist in Frank­furt komplett Schluss.
Viel ändern wird sich dadurch nicht. Schon vor der Pandemie war klar, dass Ryanair zwar der auf­fällig­ste, aber bei weitem nicht der lauteste Krach­macher war. Im Rekord­jahr 2019 war die Zahl der Flüge nach 23:00 Uhr sogar wieder zurück­gegangen, und Ryanairs Anteil daran fiel nicht zuletzt deshalb, weil die Ferien­flieger-Töchter des Platz­hirschs Lufthansa inzwi­schen eben­falls hier aktiv geworden waren. Die sollen, wenn die Pandemie es zulässt, in diesem Jahr weiter expan­dieren. Mit Euro­wings, Euro­wings Discover, Wizz Air und den kleineren Aer Lingus, Blue Air und und Nouvelair sind nach wie vor einige expli­zite Billig­flieger in Frank­furt aktiv, dazu kommen die Billig-Sektoren anderer "Premium-Airlines" und Charter-Flieger mit ähn­lichen Geschäfts­modellen - genug, um Fraport hoffen zu lassen, den Billig-Teil ihres Terminal 3 auslasten zu können.

FRA wird Tourismus-Hub bleiben wollen, und die Punkt- zu Punkt-Verkehre im Mittel­strecken­bereich, die den Kern der Geschäfts­modelle der Billig- und Charter-Flieger bilden, werden, wenn die Planungen wahr werden, hier eine immer grössere Rolle spielen. Zwar haben die Billig­flieger 2019 nur knapp 5% ihrer Flüge von deutschen Flug­häfen über FRA abge­wickelt, aber da Luft­hansa-Töchter in Deutsch­land einen stabilen Markt­anteil von rund 50% haben und auf FRA expan­dieren wollen, gibt es da noch viel Potential.
Der Weggang von Ryanair ist sicher kein Grund zur Trauer, aber auch kein Anlass für unbändige Freude. Ob sie nun Auf Nimmer­wieder­sehen verschwinden oder irgend­wann wieder hier auftauchen, wird im Wesent­lichen davon abhängen, ob die Absicht der Fraport, immer mehr Verkehr auf FRA zu bündeln und die Beding­ungen dafür so günstig wie möglich zu gestalten, umge­setzt werden kann.
Lang­fristig ist das unmög­lich, denn wenn die Wachstums­pläne der Luft­verkehrs­wirt­schaft umge­setzt würden, würde nicht nur die Region unbe­wohnbar, es gäbe auch keine Tourismus-Ziele mehr, die von der Klima­kata­strophe verschont bleiben würden. Auf dem Weg dahin würde es aller­dings schon bald so unge­müt­lich werden, dass es sich lohnt, jetzt schon dagegen vorzu­gehen. Und kurz­fristig wird es, falls die Ferien­flüge im Sommer tatsäch­lich wieder boomen, sowieso nachts wieder lauter - auch ohne Ryanair. Was die Region braucht, ist nicht der Austausch eines Billig­fliegers gegen andere, sondern ein Nacht­flug­verbot von 22 - 6 Uhr und eine Decke­lung der Zahl der Flug­bewe­­gungen auf ein Maß, das mit Gesund­heits- und Klima-Schutz verträg­lich ist. Und dafür muss das Geschäfts­modell "Billig fliegen" insgesamt beerdigt werden.




04.01.2022

Jahreswechsel: was steht uns bevor ?

Jahres­wechsel sind üblicher­weise Anlass, Bilanz zu ziehen: was hat das vergangene Jahr gebracht, was ist im neuen zu erwarten? Für Flug­hafen-Anwohner sind dabei besonders zwei Themen­bereiche interes­sant: wie haben sich der Flug­verkehr und seine diversen, meist nega­tiven Wirkungen ent­wickelt, und was passiert in der gesell­schaft­lichen und poli­tischen Diskussion darüber?

Zum ersten Themen­komplex liefert ein aktuelles Denk­papier von Euro­control eine Menge statis­tischer Daten darüber, wie sich der Flug­verkehr während der Pandemie entwickelt hat und welche Sektoren wie stark betroffen waren.
Demnach war 2021 "nicht substan­tiell besser" als 2020, obwohl alle Kenn­zahlen sich verbes­sert haben - aber eben nicht genug. Der Verkehr war europa­weit 44% niedriger als 2019, im Norden mehr (-55% bis -62%), im Süden weniger (-8% bis -27%). Die finan­ziellen Verluste der Flug­gesell­schaften lagen immer noch bei knapp unter 20 Milliarden Euro, weil knapp 1,5 Milliarden weniger Passa­giere befördert wurden.
Im Staaten­vergleich hat Deutsch­land einen über­durch­schnitt­lichen Rückgang in der Zahl der Flüge (-50%), aber absolut immer noch die höchste Gesamt­zahl (knapp über 1 Million). Luft­hansa fiel in den Top Ten der durch­schnitt­lichen täg­lichen Flüge von Platz 3 auf Platz 4 und wurde von Turkish Airlines und Air France überholt, während easyJet von Platz 2 auf Platz 5 fiel. Auf Platz 1 blieb unange­fochten Ryanair, trotz eines Rückgangs von 43%.

Von den 'Markt­segmenten' ist bemerkens­wert, dass der Fracht­flug um fast 10% zugelegt und seinen Markt­anteil von 3% auf 6% verdoppelt hat. Auch der Geschäfts­flug­verkehr ("Business Aviation") hat um 3,5% zugelegt und damit seinen Markt­anteil eben­falls fast verdoppelt (von 6,4% auf 12%). Die Geschäfts-Elite nimmt eben oft nicht die Video­konferenz, sondern den wesent­lich schmutzi­geren Privat-Jet, wenn ein passender First-Class-Linien­flug nicht zur Verfügung steht. Auch sog. "non-scheduled flights", also alles, was nicht nach Fahrplan fliegt, sondern indivi­duell ausge­handelt wird, haben nur um knapp 8% abgenommen.
Entsprechend sind die drei Betreiber, deren Flüge 2021 gegenüber 2019 zugelegt haben, alle Fracht­flieger. An der Spitze steht DHL mit einer Zunahme der Anzahl Flüge von 15%.

Auch ein paar Aussagen zur 'Nach­haltig­keit' gibt es. So wird stolz berichtet, dass der CO2-Ausstoss stärker zurück­gegangen ist als die Zahl der Flüge (50% gegen­über 45,3%), u.a. deshalb, weil der Luftraum über Europa weniger über­lastet war, weniger Verspä­tungen vorkamen und direktere Routen geflogen werden konnten. Rund 75% der Emissionen gingen auf das Konto von Lang­strecken­flügen (>1.500 km), die nur einen Anteil von 28,5% an der Gesamt­zahl der Flüge hatten, während Kurz­strecken­flüge unter 500 km mit etwa dem gleichen Anteil nur gut 4% zu den Emissionen beitrugen.
Auch kleine Fort­schritte in der Flotten­erneuerung werden berichtet, aber nicht quanti­fiziert. Die Schluss­folgerung aus alldem versuchen wir hier mal wört­lich zu über­setzen: "Während alle Luft­fahrt-Akteure die Not­wendig­keit verinner­licht haben, nach­haltiger wieder aufzu­bauen, hat das Tempo der Verän­derung - besonders bei der Bereit­stellung nach­haltiger Treib­stoffe - noch nicht begonnen zu beschleu­nigen". Das ist eine freund­liche Umschrei­bung dafür, das alles so weiter­gehen soll wie vorher.

Entsprechend befassen sich die Prog­nosen damit auch garnicht, sondern konzen­trieren sich darauf, welche Wachstums­raten bei der Zahl der Flüge erreicht werden könnten. Dafür werden drei Szenarien präsen­tiert, und sowohl das 'hohe' als auch das 'wahr­schein­lichste' sagen in etwa das voraus, was Fraport durch finan­zielle Anreize erreichen möchte: 2022 sollen bereits fast 90% der Zahl der Flug­bewe­gungen von 2019 wieder erreicht werden, und spätes­tens ab 2024 soll der Verkehr wieder darüber hinaus wachsen. Im 'niedrigen' Szenario dauert es auch nur bis 2027, bis dieser Punkt wieder erreicht ist. Von notwen­digen Beschrän­kungen für den Schutz das Klimas also keine Spur.

In Politik und Gesell­schaft sieht es nicht besser aus. Zwar geniesst die Klima­schutz-Bewegung nach wie vor breite Unter­stützung in der Bevölke­rung, die recht­lichen Rahmen­beding­ungen haben sich durch das Urteil des Bundes­verfassungs­gerichts ein gutes Stück verbes­sert, und es gab auch durchaus interes­sante Initia­tiven gegen die Exzesse der Luft­verkehrs­wirtschaft, aber politisch wirksam geworden ist davon wenig. Noch hat die Haltung der Parteien zur drohenden Klima­kata­strophe wenig Einfluss auf die Entschei­dungen des Wahl­volks, das sich dies­bezüg­lich mit billigen Verspre­chungen, die die propa­gierten Ziele nicht erreichen können, beruhigen lässt. Und für die prak­tische Politik hierzu­lande spielt insbe­sondere der Klima­schutz im Luft­verkehr für die neue Regierung so wenig eine Rolle wie für die alte.
Bei den Themen Schutz vor Flug­lärm und Schad­stoff-Vermei­dung hat man es eben­falls häufig mit staat­lichen Institu­tionen zu tun, die wenig zur Lösung vorhan­dener Probleme bei­tragen oder sogar selbst noch neue produ­zieren. Diese Probleme werden uns auch in diesem Jahr weiter begleiten.

Und auch auf europä­ischer Ebene geht es weiter wie gehabt. Die EU-Kommis­sion hat die inter­natio­nale Glaub­würdig­keit ihres viel beschwo­renen 'Green Deal' gerade massiv infrage gestellt mit einem Hinter­hof-Deal, der Investi­tionen in Nuklear­energie und fossiles Gas als "nach­haltig" einstufen will. Der Entwurf muss noch von Parla­ment und Rat abge­segnet werden, aber die Mehr­heiten dürften sicher sein, zumal auch die Bundes­regierung keinen konse­quenten Wider­stand leisten will. Zwar spricht Vize­kanzler Habeck in Bezug auf die Kern­energie von Eti­ketten­schwindel, aber Kanzler Scholz hat den Deal schon gerecht­fertigt, und 'Schatten­kanzler' Lindner ist zufrieden, weil "Techno­logie-Offen­heit" ja generell das Zauber­wort ist, mit dem die FDP die Wirt­schaft vor allzu belas­tenden Klima­auflagen schützen will.
Dieser Vorschlag war auch deshalb zu erwarten, weil zwar niemand darüber redet, aber allen Betei­ligten klar ist, dass Frank­reich als einzig verblie­bene offi­zielle Nuklear­macht in der EU ein ziviles Kern­energie­programm zur Absiche­rung des militä­rischen Programms braucht. Die neue Bundes­regierung will zwar am Ausstieg aus der nukle­aren Strom­erzeu­gung in diesem Jahr fest­halten, aber nicht voll­ständig aus der zivilen Nutzung der Kern­energie aus­steigen, und auch die Haltung zur militä­rischen Nutzung lässt viele Fragen offen.

In der Luftverkehrs­politik dominiert eben­falls das "Weiter so". Die EU-Kommis­sion hat 2019 die Evalu­ierung einer Verord­nung einge­leitet, die sie als "den grund­legenden Rechts­akt zur Organi­sation des EU-internen Luft­verkehrs-Marktes" betrach­tet. Sie "regelt die Geneh­migung von Luft­fahrt­unter­nehmen der Gemein­schaft, das Recht von Luft­fahrt­unter­nehmen der Gemein­schaft, inner­gemein­schaft­liche Flug­dienste durchzu­führen, und die Preis­fest­setzung für inner­gemein­schaft­liche Flug­dienste". Da die Evalu­ierung Verän­derungs­bedarf ergeben hat, wurde gemäß dem üblichen Verfahren die Über­arbei­tung einge­leitet.
Die in der Evalua­tion entwick­elten Änderungs­vorschläge sind noch, wie die gesamte Verord­nung, eindeutig geprägt von der bishe­rigen ausschließ­lich neolibe­ralen Orien­tierung der Luft­verkehrs­politik der EU, die nur auf Wachstum, Privati­sierung und Wett­bewerb setzt. Umwelt­probleme werden zwar, u.a. mit einem Verweis auf einen Bericht der Europä­ischen Umwelt-Agentur, erwähnt, aber mit Hinweis auf Maß­nahmen wie den europä­ischen Emissions­handel und CORSIA abgetan.
Mit der Verabschiedung der Stra­tegie für nach­haltige und intelli­gente Mobi­lität Ende 2020 hat sich zumin­dest der Ton etwas geändert. Gemäß dem dort veran­kerten Grund­satz "Verkehrs­wachstum darf es künftig nur bei grüner Mobi­lität geben" enthalten alle Vorschläge der EU-Kommis­sion zum Verkehrs­sektor nun zumindest einen Passus zur Verein­barkeit mit dem 'Green Deal'. Infolge dessen enthält das erste für die Über­arbeitung der Verord­nung vorge­legte Dokument als mögliche Ziele auch Dinge wie "Nach­haltig­keits­kriterien", "Luft­verkehr auf einigen Strecken beschränken", "Fußab­druck von Flügen" trans­parent machen, "Messung der Emis­sionen aus Verkehr und Logistik" und ähnliches. Damit ist zumindest ange­deutet, dass diese Verord­nung der Ort sein könnte, an dem die Umsetz­ungen wichtiger Forde­rungen der Umwelt- und Klima­bewegung, wie das Verbot von Kurz­strecken­flügen, recht­lich verankert werden könnten.

Dass sich damit real etwas verändert, bleibt aller­dings höchst zweifel­haft. Selbst wenn die Kommis­sion hier vor­preschen und solche Ziele in die Verord­nung hinein­schreiben wollte, könnten das keine verbind­lichen Vorgaben sein. In der derzei­tigen Struktur könnte sie besten­falls den Mitglieds­staaten Möglich­keiten einräumen, Maßnahmen zur Errei­chung dieser Ziele zu beschliessen.
Aber selbst dafür gibt es bisher kaum Unter­stützung. Unter den Rück­meldungen zu dem Sondie­rungs-Papier findet sich nur eine von Green­peace, die versucht, konkrete Vorschläge dafür zu machen, indem sie eine (eher beschei­dene) Umformu­lierung des "Umwelt-Artikels" 20 der Verord­nung vorschlägt. Damit sollen (zeit­lich befris­tete) Betriebs­beschrän­kungen aus Umwelt­schutz­gründen nicht mehr wie bisher erschwert, sondern erleich­tert werden. Eine weitere Stellung­nahme von Bill Hemmings, früher in der NGO 'Trans­port & Environ­ment' für den Bereich Luftfahrt tätig und heute unab­hängiger Consul­­tant, listet noch eine ganze Reihe umwelt­politischer Schwach­stellen der Evalu­ation auf, formu­liert aber kaum Alter­nativen.
Auf der anderen Seite bringt sich ein Heer von Luft­fahrt-Lobby­isten, allen voran der BDL, bereits in Stellung, um solche Ansätze von vorne­herein abzu­würgen. Die Stellung­nahme des 'Bundes­ministe­riums für Verkehr und digi­tale Infra­struktur' (datiert vom 06.12., also möglicher­weise noch von der alten Bundes­regierung veran­lasst) kümmert sich garnicht um Umwelt­fragen, sondern behandelt nur wirt­schaft­liche und finan­zielle Aspekte.

Inwieweit sich daran in der nun anste­henden zweiten Phase der Über­arbei­tung, der Öffent­lichen Konsul­tation, viel ändern wird, ist noch offen. Um den recht­lichen Rahmen für Degrowth-Konzepte, wie sie schon seit einigen Jahren für den Flug­verkehr diskutiert werden, bilden zu können, müsste diese Verord­nung komplett umge­schrieben werden. Die Aussichten, das in dieser Phase durch­zusetzen, sind gleich Null.
Ob sich wenig­stens die eine oder andere Änderung erreichen lässt, die weitere Verschlech­terungen verhindern und Türen zu jetzt schon mög­lichen, punktu­ellen Maßnahmen öffnen könnte, wäre schnellst­möglich zu disku­tieren. Natür­lich wird auch z.B. ein Verbot von Ultra­kurz­strecken­flügen nicht im Gerangel um juris­tische Texte durch­gesetzt. Wenn aber poli­tische Mehr­heiten dafür organi­siert werden können, muss auch der juris­tische Rahmen angepasst werden, um solche Maßnahmen lang­fristig stabil zu verankern.

Auch 2022 wird es tausendmal wichtiger sein, mit der Klima­bewegung auf die Strasse zu gehen, die Öffent­lich­keit über die Folgen der Klima­kata­strophe und die not­wen­digen Maß­nahmen dagegen aufzu­klären und poli­tischen Druck für entspre­chende Forde­rungen zu ent­wickeln. Das heisst aber nicht, dass es keinen Sinn machen würde, auch inner­halb insti­tutio­neller Struk­turen Argu­mente und Forde­rungen vorzu­bringen und Druck zu machen. Es kann beglei­tend wirksam werden, Rahmen­beding­ungen verbes­sern - und es ist ein Betäti­gungs­feld für alle, die etwas gegen den Wachstums­wahn der Luft­verkehrs­wirt­schaft tun wollen, die aber mit Aktionen zivilen Unge­horsams, direkten Aktionen u.ä. ihre Probleme haben.
Wer also bisher angesichts des Bergs an Problemen und der ausblei­benden greif­baren Erfolge nach dem alten Sponti-Motto gehan­delt hat, "es gibt viel zu tun - nichts wie weg", sollte über­legen, diese Haltung zu ändern. Es ist sicher nicht zu früh - und vielleicht auch noch nicht zu spät.




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