Von Fraport umklammert

Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     6.09.2013

Vorgeschichte

Am 22.08. hatte die Stadt Raunheim zur Bürgerversammlung geladen und dort auch zwei Vertretern der Fraport die Möglichkeit gegeben, ihre Auffassungen von der Art und Weise, wie das vom Wirtschaftsministerium verfügte Dachsicherungsprogramm durchzuführen ist, vorzutragen. Hier soll insbesondere auf die Fraport-Vorstellungen davon eingegangen werden, wer was zu bestimmen und wer was zu bezahlen hat. Zwei Aussagen der Fraport-Vertreter dazu stachen hervor: erstens, Fraport definiert eigene Standards für die Dachsicherung und zahlt nur, wenn diese auch eingehalten sind, zweitens, Fraport zahlt nur die Befestigung der Dacheindeckung, nicht aber eine eventuell notwendige "Ertüchtigung" des Unterbaus oder einen Wechsel des Deck-Materials. Diese Aussagen sind auf ihre Zulässigkeit zu prüfen.
Die Entwicklung bis zur Planergänzung durch Minister Rentsch haben wir an anderer Stelle kommentiert. Im Anschluss daran hat die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshof über den Eilantrag der Stadt Flörsheim die Rechtslage noch einmal etwas verändert.


Rechtslage

Da Fraport der Planergänzung durch Minister Rentsch nicht widersprochen hat, ist sie trotz aller gravierenden rechtlichen und technischen Mängel rechtskräftig geworden. Von Klagen der dadurch Benachteiligten (z.B. solchen, die ausserhalb der Anspruchsgebiete liegen oder ihr Haus zu spät errichtet haben) ist bisher nichts bekannt. Daher bestimmt, zumindest bis die letzten noch anstehenden Klagen gegen die Nordwestbahn entschieden sind, dieses Konstrukt im Wesentlichen die bestehende Rechtslage. Die zeichnet sich daher durch einige Widersprüchlichkeiten aus.
Da die Planergänzung nur eine zusätzliche Auflage an die Fraport formuliert, bleibt alles andere, was zum Thema Wirbelschleppen im Planfeststellungbeschluss steht, unangetastet, so unlogisch das auch ist. So ist das Gutachten, nach dem Wirbelschleppen-Schäden in Flörsheim und Raunheim nicht auftreten können, nicht für ungültig erklärt, obwohl es offenkundiger Unsinn ist. Ein neues Gutachten, das die Städte Flörsheim und Raunheim unter Beteiligung von Fraport bei der DLR bestellt hatten, wird irgendwann vorgelegt werden (oder auch nicht, die DLR hat offenbar auch Schwierigkeiten, die Parameter ihres Modells so zu dehnen, dass das Ergebnis halbwegs mit der Realität überein stimmt), bekommt aber ohne zusätzliche Klagen keinerlei Rechtscharakter. Andererseits bleibt natürlich auch die Auflage für Fraport in Kraft, entstandene Schäden zu bezahlen, wenn sie nicht beweisen können (oder wollen), dass sie nicht auf Wirbelschleppen zurückgeführt werden können.


Relevant ist zunächst einmal der Rechtsanspruch der Betroffenen auf das, wozu Fraport nach der Planergänzung nun verpflichtet ist, und das ist bei genauerem Hinsehen nicht wirklich viel. Das soll es hier im Einzelnen betrachtet werden.
Zunächst wird verfügt:

"Die Eigentümer von Grundstücken, die innerhalb der in der Anlage zu diesem Planergänzungsbeschluss bezeichneten Gebiete belegen sind oder von den Gebietsgrenzen angeschnitten werden, können verlangen, dass die Dacheindeckungen von Gebäuden auf diesen Grundstücken, die bis zum 23.03.2007 errichtet worden sind, gegen wirbelschleppenbedingte Windböen gesichert sind."

Und wie sind sie gesichert? Dazu steht im erklärenden Teil (das macht einen kleinen, aber feinen Unterschied):

"Die unter A | 1 dieses Planergänzungsbeschlusses verfügten baulichen Sicherungsmaßnahmen beinhalten die erforderliche Sicherung von Dacheindeckungen von Gebäuden. Eine Sicherung kann durch Klammerung, Nageln oder eine andere geeignete Formen der Befestigung erfolgen, wobei sich das Erfordernis einer Sicherung aus dem Zustand der bestehenden Dacheindeckung ergibt, der sich nach der maßgeblichen Technischen Baubestimmung i.S.d. $ 3 Abs. 3 HBO (vgl Erlass des HMWVL "Liste und Übersicht der im Land Hessen bauaufsichtlich eingeführten Technischen Baubestimmungen" vom 18.06.2012 (StAnz. S. 693), ergänzt durch Erlass des HMVWL vom 26.03.2013 (StAnz. S. 534) sowie DIN 1055-4 bzw. DIN EN 1991-1-4) bestimmt. Maßnahmen an Dächern, die diesen Standards bereits genügen, sind mit Blick auf die Zielsetzung der Sicherungsmaßnahmen nicht geboten. Der Schutzanspruch dient vielmehr der möglichst flächendeckenden Herstellung normgerechter Dacheindeckungen, die nach Überzeugung der Planfeststellungsbehörde solchen Windlasten standhalten, die auch von Wirbelschleppen der auf den Flughafen Frankfurt Main anfliegenden Luftfahrzeuge nicht überschritten werden können."

Woher die Behörde diese Überzeugung nimmt, bleibt offen, aber immerhin: die Standards, denen die Sicherung genügen soll, sind genannt. Wie kommt Fraport dann dazu, von "eigenen Standards" und "erhöhten Ansprüchen" zu faseln, denen die Sicherung angeblich genügen muss? Bisher hat es niemand getestet, aber wahrscheinlich geht die Begründung so: Was die Behörde da in ihrer Begründung (und eben nicht im verfügenden Teil) schreibt, ist deren Problem, wir machen, was wir für richtig halten. Und da weder die Behörde noch Fraport auch nur die leiseste Ahnung haben, welche Soglasten bei Wirbelschleppen wirklich auftreten können (ein einigermaßen plausibles Gutachten dazu existiert eben nicht), können sie darüber auch nicht wirklich streiten. Jeder nimmt eben an, was ihm gerade passt.
Und warum möchte Fraport eigene Standards? Schon im Gefeilsche um die Formulierung der Planergänzung hatte Fraport gefordert, die Umsetzung der Sicherung nur durch von ihr beauftragte Dachdecker vornehmen zu lassen. Da sich dafür aber anscheinend keine Rechtsgrundlage finden liess (und/oder Herr Rentsch als Verteidiger der Freien Marktwirtschaft sich durch dieses Ansinnen in seinen innersten Überzeugungen dermaßen verletzt fühlte, dass er sogar mal einen Fraport-Wunsch ignoriert), verfügt die Behörde:

"Den nach Ziffer 1 Anspruchsberechtigten wird ein Wahlrecht eingeräumt, ob sie von der Vorhabensträgerin die Vornahme der gemäß Ziffer 1 erforderlichen baulichen Sicherungsmaßnahmen oder auf Nachweis die Erstattung der dafür erforderlichen Aufwendungen beanspruchen."

Aber von sowas läßt sich Fraport natürlich nicht abschrecken. Wenn es rechtlich nicht durchgesetzt werden kann, muss es eben durch finanziellen Druck passieren. Wer möchte schon riskieren, dass er seine Aufwendungen nicht erstattet bekommt, weil seine Dachsicherung zwar der DIN, aber nicht den Fraport-Standards entspricht? Fraport dann auf Zahlung zu verklagen, wird auch nur den wenigsten Spass machen.
Technisch löst sich der Streit dann aber doch weitgehend in heisse Luft auf: die von Fraport vorgesehene Soglast von 1050 Newton, die ein Dach aushalten muss, damit es Fraport-Standards entspricht, klingt zwar beeindruckender, entspricht aber doch ziemlich genau den 1,05 Kilo-Newton, die die Norm vorgibt.


Bleibt noch die Frage, welche Voraussetzungen ein Dach erfüllen muss, damit der Eigentümer Anspruch darauf hat, dass es auf Fraport-Kosten gesichert wird. In der Planergänzung wird nur eingeschränkt:

"Der Anspruch nach Ziffer 1 besteht nicht, soweit die auf den Grundstücken errichteten Gebäude hinsichtlich der Dacheindeckungen den Anforderungen des § 12 der Hessischen Bauordnung in der zum Zeitpunkt ihrer Errichtung anwendbaren Fassung nicht genügen.",

und die Begründung erläutert:

"Gemäß § 12 HBO müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein, dass insbesondere durch Einflüsse der Witterung Gefahren, unzumutbare Nachteile oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen."

Das ist eigentlich klar genug: jedes Dach, das "in Ordnung" ist, hat Anspruch, auf Fraport-Kosten gesichert zu werden. Trotzdem behauptet Fraport öffentlich, lautstark und ständig, nur für das Anbringen der Klammern verantwortlich zu sein - und das Ministerium widerspricht nicht. Dass es Dächer gibt, die dem § 12 der HBO entsprechen (bzw. zum Bauzeitpunkt entsprochen haben), aber trotzdem nicht ohne zusätzlichen Aufwand geklammert werden können, hat Fraport wohl inzwischen gelernt. Der Unwille, diesen Aufwand auch noch tragen zu müssen, mag verständlich sein - eine Rechtsgrundlage gibt es dafür nicht. Hier kann wohl nur eine weitere juristische Auseinandersetzung Klarheit bringen.


Strittig ist bislang, ob der Rechtsanspruch auf Dachsicherung nun auch zu einer Verpflichtung führen kann, das Angebot anzunehmen. Ungefragt philosophiert der Verwaltungsgerichtshof dazu in seinem Beschluss zur Flörsheimer Klage, "dass im Fall der Verweigerung der Durchführung dieser Maßnahme und des Eintritts eines daraus folgenden Schadens an Rechtsgütern Dritter der jeweilige Hauseigentümer oder dinglich Berechtigte aus der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht ... haften dürfte, wenn von einer zumutbaren Maßnahme zur Gefahrenbeseitigung oder -verringerung kein Gebrauch gemacht wurde." Auch hier wieder mangels Rechtsgrundlage für eine formale Verpflichtung (auf die der VGH selbst hinweist) die finanzielle Drohung: keiner kann gezwungen werden, sein Dach sichern zu lassen - aber wer es nicht tut, riskiert, im Schadensfall haften zu müssen. Und hier ist es nicht einmal Fraport, die diese Keule schwingt, hier übernehmen willfährige Richter grundlos diesen Job.
Vielleicht hat der VGH aber auch nur nicht genau hingeguckt. Auch er geht offensichtlich noch davon aus,

"dass die zu klammernden Dacheindeckungen" nur "bauplanungs- und bauordnungsrechtskonform sein müssen"

um geklammert werden zu können. Der Streit wird aber um die Fälle gehen, wo diese Konformität zwar gegeben ist, eine Klammerung ohne Austausch von Unterbau und/oder Eindeckung aber trotzdem nicht möglich ist. Sollten die EIgentümer den Aufwand für einen solchen Austausch tatsächlich selber tragen müssen, wie Fraport das behauptet, ist sehr die Frage, ob es sich da noch um eine "zumutbare Maßnahme" zur Gefahrenbeseitigung handelt. Immerhin würden hier Eigentümer zu erheblichen Investitionen gezwungen, um Gefahren vorzubeugen, die nur durch das Handeln Dritter (nämlich der Airlines, die die Häuser überfliegen) verursacht wird. Auch da werden wohl wieder Gerichte Klarheit schaffen müssen, wenn die Politik es nicht tut.


Hintergründe

Was also veranlasst Fraport, einerseits eine Planergänzung zu akzeptieren, die juristisch kinderleicht zu kippen gewesen wäre, aber andererseits mit allen juristischen und sonstigen Tricks die Bedingungen dieser Planergänzung aufzuweichen ? Hier bewegt man sich natürlich als Aussenstehender im Bereich der Spekulation. Eine davon ist folgende: Nach der Häufung der Zahl schwererer Wirbelschleppenschäden in Flörsheim Anfang des Jahres wurde deutlich, dass auch das Risiko eines schwerwiegenderen Schadens (z.B. eines Personenschadens mit ernsthaften Folgen) deutlich höher sein könnte als gedacht. Die Folgen eines solchen Ereignisses könnten für Fraport in doppelter Hinsicht dramatisch sein. Zum Einen würde wohl das ohnehin schlechte Image weit über den Bereich der direkt Betroffenen hinaus Schaden nehmen und die Raumunverträglichkeit dieses Flughafens für weitere Kreise deutlich werden, zum Anderen (und das wäre wohl noch schlimmer) könnte sich die Politik gezwungen sehen, zu reagieren und weitere Auflagen zu formulieren, die mit Nutzungseinschränkungen verbunden sein müssten. Angesichts der Tatsache, dass die ursprünglich angestrebte Zahl der Flugbewegungen mit diesem Bahnsystem auch so nicht erreicht werden kann, wäre das der GAU. Da greift man doch lieber nochmal in die Tasche und verschafft sich eine Argumentationsbasis, die in einem solchen Schadensfall erlaubt zu sagen: "An uns liegt es aber nicht". Und die paar Milliönchen spielen ja auch angesichts der Milliarden-Zusatzkosten für diesen Ausbau durch Ticona-Verlagerung etc. nun wirklich keine Rolle.

Was auch immer die Motivation ist, zu teuer darf es natürlich trotzdem nicht werden. Deshalb auch hier wieder das beliebte Doppelspiel: Fraport gibt sich nach aussen super-großzügig, aber läßt sich von der Politik Rahmenbedingungen formulieren, die es erlauben, die realen Kosten nach unten zu drücken. Dass Minister Rentsch die Planergänzung formuliert haben könnte, ohne die Fraport-Chefs vorher genau nach ihren Wünschen gefragt zu haben, kann niemand glauben, der das Zusammenspiel zwischen Fraport und Landesregierung in der Vergangenheit beobachtet hat. Und so sieht das Ergebnis dann auch aus: die Anspruchsgebiete so klein wie gerade eben noch vertretbar, absurde Ausschlüsse durch Fristen, die vielleicht für Nicht-Betroffene doch noch irgendwie plausibel wirken können, volle Kontrolle über die technische Durchführung durch Verzicht auf die Definition von Standards, und vor allem die Tolerierung der Begrenzung der Kostentragungspflicht auf die reine Klammerung.


Linkswende - was passieren müsste

Die Politik könnte dieses Spiel natürlich zumindest teilweise durchkreuzen, wenn sie die Rahmenbedingungen entsprechend verändern würde. Die Planergänzung ist zwar geltendes Recht geworden und kann nicht einfach wieder zurück genommen werden, aber wenn die Auflagen nicht genügen, das beabsichtige Ziel zu erreichen, können sie natürlich erweitert werden.
Von der kommenden Landesregierung ist daher eine Ergänzung der Planergänzung zu fordern, die mindestens

Sollte die kommende Landesregierung allerdings im Wesentlichen die alte sein, werden die Betroffenen wohl jede einzelne dieser Bedingungen vor Gericht einfordern müssen.





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