Monitoring by ignoring - ein Persilschein für die Lufthansa

Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     06.07.2013

Seit im Februar 2013 aufgedeckt wurde, dass Lufthansa ein neues Startverfahren einführen will, um Kerosin zu sparen, rätseln die betroffenen Flughafen-Anwohner, welche Folgen das wohl haben wird. Einzelheiten über das neue Verfahren werden nur scheibchenweise bekannt, bis heute werden wichtige Details geheim gehalten. In der Sitzung der Fluglärmkommission Frankfurt vom 26.06.2013 wurden wieder ein paar Scheibchen serviert, die insbesondere das geplante Lärm-Monitoring betreffen. Dafür hat Frau Barth im Namen des "Forum Flughafen und Region" einen Vorschlag vorgelegt, der zusammen mit den Ausführungen von Dr. Isermann von der DLR einige Überlegungen zu der zu erwartenden Qualität der Aussagen erlaubt.

Laut Vorschlag soll ein "Vorher-Nachher-Vergleich" aller Abflüge von DLH Classic (d.h. mit normalem Passagierverkehr) von der Startbahn West "über einen mind. 6-monatigen Zeitraum jeweils 'vorher'=2012/2013 bis Juli und 'nachher'=2013 ab Juli" angefertigt werden. Verglichen werden "FANOMOS-Daten", insbesondere "Höhe", "Flugzeugtyp, konkretes Abfluggewicht, Destination", "Geschwindigkeit, ggf. laterale Veränderungen".
Hier gerät man gleich mehrfach ins Staunen. Zunächst der (Minimal-)Zeitraum: auf S.8 steht "Anfang 2014 sollen die Daten des ersten halben Jahres nach Einführung und Etablierung der Maßnahme mit den Daten aus dem gleichen Zeitraum aus 2012 verglichen werden", "Soweit erkennbar wird, dass Auswertungszeitraum nicht ausreicht, Verlängerung". Nur eine Seite weiter heißt es: "Ergebnisse des Monitorings werden im Anschluss des einjährigen Probebetriebes veröffentlicht - Es finden keine Zwischenauswertungen statt". Nun gut - man muss wohl abwarten, was wirklich passiert, darf sich aber darauf einstellen, dass man länger als ein Jahr garnichts hören wird - ein Musterbeispiel für Transparenz.
Wirklich erstaunlich sind aber die Daten für den "Vorher"-Zeitraum. Während gewöhnlichen Lärm-Betroffenen mitgeteilt wird, dass schon nach 14 Tagen keine Daten mehr über einzelne Flüge zur Verfügung stehen, sollen hier alle Flugprofil-Parameter über ein ganzes Jahr zurück verglichen werden? Wurden tatsächlich Datenfriedhöfe angelegt, aus denen diese Schätze exhumiert werden können? Es muss wohl so sein.
Bei so viel Überraschung hält sich die Verwunderung darüber in Grenzen, was der Parameter "Destination", also Ziel des Fluges, hier soll. Steigen die Maschinen leichter, wenns an einen Sonnenstrand geht?

Noch spannender ist die Frage, wo denn nun der Lärm gemessen wird. Der Anspruch ist hoch (alle Zitate aus den Vortragsfolien von Fr. Barth): "Prüfung, ob gemessene Lärmwerte an den Messstationen Veränderungen aufweisen", und zwar "unterhalb der Abflugstrecken (mittlere Messstation des jeweiligen 3-er Tores)" und "seitlich der Abflugstrecken (seitliche Messstationen)". Das klingt nach systematischer Messung an vielen Stellen, aber "aufgrund der erforderlichen „vorher“-Betrachtung über mehrere Monate um genügend Datenmaterial für den Vergleich zu haben, muss und kann nur auf das bestehende Messnetz zurückgegriffen werden". Konkret heißt das dann "Filterung und Auswertung der Abflüge der Messerergebnisse Messstationen der Fraport AG MP 51, 52, 55, 57 und 77", also 5 Stationen oder maximal 1,67 "Dreier-Tore", wobei allerdings keine der Stationen wirklich "unterhalb der Abflugstrecken" liegt. Liegen sie ansonsten wenigstens da, wo sie sollen? Ja und nein.
In der folgenden Abbildung haben wir die Lage der Messstationen in die Grafiken eingetragen, an denen Isermann den Vergleich der Lärmwerte verschiedener Startverfahren diskutiert. Links sind die berechneten Isophonen für den Start einer schweren B767 bei einer Cutback-Höhe von 1.000 bzw. 1.500 ft zu sehen, rechts die Differenzen in der Lärmverteilung in der Fläche für zwei Startverfahren eines (kleineren) A319. Was sieht man daraus?



Lärmpegel und Messstationen



In der linken Grafik sieht man, dass die Messstationen 51, 52 und 55 in Bereichen liegen, in denen die beiden Isophonen für die verschiedenen Startverfahren exakt übereinander liegen. Für diesen Fall sagt die Theorie also voraus, dass diese Stationen keine Unterschiede messen werden, weil es an diesen Stellen keine gibt. Dasselbe ergibt sich aus der rechten Grafik: auch hier liegen die drei Stationen im oder an der Grenze zum gelben Bereich, in dem die Unterschiede gleich Null sind.
Anders die Station 57 - die liegt in beiden Fällen in einem Bereich, in dem die größten Unterschiede vorhergesagt werden. Durch glückliche Fügung ist es der Bereich, in dem das Verfahren mit der geringeren Cutback-Höhe Vorteile hat - wenn diese Station also einen Unterschied messen kann, dann ist es die von der Lufthansa in Aussicht gestellte Verbesserung. Für die Station 77 gilt im Prinzip das Gleiche, allerdings reichen die Rechnungen nicht bis dorthin, so dass man da auf Schätzungen angewiesen ist. Für Abflüge Richtung Südwesten bzw. Süden dürfte sie aber auf alle Fälle zu weit weg sein, um überhaupt einen Unterschied zu messen.

Es wäre allerdings etwas voreilig, hieraus schon den Schluss zu ziehen, dass das Ergebnis der Messungen bereits feststeht. Zunächst einmal ist zu fragen, inwieweit die hier gezeigten Vergleiche eigentlich das wiedergeben, was bei den Messungen verglichen werden soll.
Der Vergleich der beiden Starts für die B767 variiert den Parameter, den Lufthansa als den entscheidenden hervorhebt - die Höhe des sog. "cutback", d.h. die Höhe, in der der Schub von Startschub auf Steigschub zurückgenommen wird. Von den anderen für die Lärmentwicklung wichtigen Parametern (Grösse des Schubs, "energy sharing" zwischen Höhen- und Geschwindigkeits-Steigerung, erreichte Geschwindigkeit, Klappenstellung) werden zwar einige benannt, aber es ist nicht erkennbar, wie deren Veränderung die Lärmverteilung beeinflussen würde.
Der Vergleich der beiden Startverfahren für den A319 bezieht sich auf zwei ICAO-Standardverfahren, die gewissermaßen als Extreme in der Lärmverteilung zwischen Nah- und Fernbereich gelten können. Sie variieren die cutback-Höhe garnicht (sie bleibt beim Standard von 1.500 ft), auch ist die Schubreduktion relativ gering, dafür ist das "energy sharing" deutlich unterschiedlich und bewirkt grössere Lärm-Unterschiede als die Variation bei der grossen Maschine.
Solange Lufthansa also die Details für das neue Verfahren nicht auf den Tisch legt, hat man auch mit diesen Vergleichen bestenfalls krude Annäherungen an das, was wirklich passieren wird. Die Variation der anderen Parameter (ausser der cutback-Höhe) kann die Lärmverteilung noch wesentlich verändern.

Grundsätzlich sollte man natürlich auch im Kopf behalten, dass es sich hier nur um die Ergebnisse von Simulationsrechnungen handelt, die die Realität nur begrenzt wiedergeben können. Die DLR hat vor Jahren ein umfangreiches Forschungsprojekt durchgeführt, zu dessen Aufgaben es auch gehörte, die Qualität verschiedener Lärmsimulationsprogramme zu beurteilen und zu verbessern. Zur Validierung des verbesserten Modells wurden berechnete Maximalschallpegel mit gemessenen Pegeln verglichen mit dem Ergebnis, dass die berechneten Werte zwar häufig in der Nähe (d.h. +/- 2 dB) der Mittelwerte der gemessenen Pegel liegen, die Schwankungsbreite der realen Pegel jedoch wesentlich grösser ist. Einige weitere Zitate aus dem zusammenfassenden Schlussbericht:
"Im Unterschied zum Anflug liefern beim Abflug die Resultate der Berechnungen durchweg höhere Maximalschallpegel als die Messungen", aber "Bei den entfernter liegenden Messstellen zeigen die Rechnungen einen stärkeren seitlichen Pegelabfall als die Messungen. (S.70)" d.h. es kann neben den Abfluglinien durchaus lauter werden, als das Modell voraussagt. Zum Vergleich der beiden für die Grafiken oben benutzten Simulationsmodelle SIMUL und INM heißt es: "Es sei ... angemerkt, dass Berechnungen der Fluglärmkonturen unter Verwendung des INM-Verfahrens prinzipiell dieselben Aussagen liefern, wenn auch die Zu- und Abnahme der Pegelflächen nicht so deutlich ausfallen." (S.99) oder anders gesagt: "Der Vergleich von SIMUL mit INM kommt zu dem Ergebnis, dass INM grundsätzlich kleinere Pegelflächen liefert." (S.101) Insgesamt liefert der Bericht noch eine ganze Reihe von Gründen, die berechneten Lärmwerte mit Skepsis zu betrachten.

Trotzdem bleibt der Vorwurf gegen das hier vorgeschlagene Monitoring bestehen: an fünf Stellen zu messen, wenn die Theorie vorhersagt, dass an vier davon keine Änderung zu erwarten ist, aber an fast allen Stellen, wo sich ziemlich sicher etwas verändert, keine Messtelle zu haben, ist schlicht unseriös. Wenn die fünfte Stelle dann noch so gewählt ist, dass sie sehr wahrscheinlich nur solche Veränderungen misst, die man gerne haben möchte, dann sieht das schon sehr nach gezieltem Betrug aus.
Von einem echten Monitoring könnte bestenfalls dann gesprochen werden, wenn ein echtes Meßfeld eingerichtet würde, das dazu taugt, die theoretisch vorhergesagten Veränderungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Wenn dann klar würde, inwieweit die Modelle die Realität wiedergeben, liesse sich damit auch der Unterschied zwischen den Verfahren besser darstellen. Und wenn das nicht reicht - wer hindert Lufthansa daran, zu Vergleichszwecken zeitweise auch noch das alte Verfahren zu fliegen? Das Argument, man könne heute nicht genau hingucken, weil man früher auch nicht hingeguckt hat, ist jedenfalls nicht überzeugend. Wenn Lufthansa nachweisen will, dass das neue Verfahren zumindest keine Verschlechterung bringt, dann reicht es nicht, Meßwerte vorzulegen, die beweisen, dass sich an manchen Stellen nichts ändert - es wäre zu beweisen, dass es für die Betroffenen nirgendwo lauter wird. Durch Weggucken wird das nicht gelingen.




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