Startverfahren im Kurzzeit-Test

Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     13.02.2013

Wundersames ist der Presse zu entnehmen: Zum ersten Februar habe die Lufthansa (in Frankfurt? Weltweit?) ein neues Startverfahren eingeführt, das große Mengen Treibstoff einsparen soll und dafür nur den Startlärm ein bisschen anders verteilt als bisher. Eine Woche später ist (zunächst?) schon wieder alles vorbei. Das wirft Fragen auf.

Wie kann es sein, dass trotz einem Netzwerk von Allianzen, guter Nachbarschaft usw. usf. die betroffene Öffentlichkeit von einer eingestandenermaßen lärm-relevanten Änderung nur deshalb erfährt, weil ein Reporter, woher auch immer, Wind davon bekommen und nachgefragt hat?
Wie kann es sein, dass in einem angeblich streng geregelten An- und Abflug-Verfahren eine Fluggesellschaft entscheidet, plötzlich ein bisschen anders zu fliegen? Dürfen die das? Dürfen andere das auch? Entscheidet da jemand mit?

Für Fluglärm-Geplagte besonders interessant sind die Aussagen zur Verteilung des Lärms. Die Main-Spitze vom 07.02.13 fasst die Aussage der Lufthansa über die Wirkung der flacheren Starts so zusammen: „Etwas mehr Lärm darunter, weniger Lärm links und rechts der Flugpfades, wobei 'die positiven Effekte überwiegen'. “ Das ist wenig überraschend: je tiefer ein Flugzeug fliegt, desto lauter ist es unten drunter, aber desto weniger weit wird der Lärm zur Seite verteilt. Genaueres wissen angeblich auch die aufwändigen Simulationsprogramme nicht zu sagen, weshalb das Forum Flughafen und Region „die Lärmauswirkungen … ein Jahr lang“ beobachten wollte. Die positiven Effekte überwiegen natürlich, sonst würden die das doch nicht machen – es fragt sich nur, für wen?

Man wüsste ja auch gerne, was genau das FFR eigentlich beobachten wollte. Von den 26 Fluglärm-Messstellen der Fraport befindet sich praktisch keine im Nahbereich des Flughafens direkt unter einer Haupt-Abfluglinie. Sollte sich die Beobachtung allein auf die Messstationen des DFLD stützen? Oder wurde ein mobiles Messnetz eingerichtet, um die Lärmverteilung unter den Abfluglinien tatsächlich differenziert zu erfassen?
Man soll ja nicht immer gleich das Schlimmste denken, tut es aber natürlich doch: war etwa geplant, das Ganze mal ein Jahr laufen zu lassen und zu sehen, ob die Zahl der Beschwerden über die Abflüge relevant ansteigt oder der Fluglärmindex sich in die falsche Richtung verändert? Und wenn nicht: Haken dran, weiter so, Sprit sparen ist doch auch gut für die Umwelt?

Was immer dieser Test auch sollte, eines hat er auf alle Fälle erreicht: die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten ist wieder mal nachhaltig beschädigt. Was das Ausmaß des Schadens in Grenzen hält, ist die Gewöhnung, frei nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, ...“.



Nachtrag vom 11.03.2013, ergänzt am 30.04.2013:

Andere sind schon weiter ...

Ende Januar berichtete der Informationsdienst der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission über eine 2012 veröffentlichte schwedische Studie, in der ein Modell "auf der Basis realer Flugdaten" entwickelt wurde, um Lärm und Emissionen für verschiedene Startverfahren abzuschätzen. Laut diesem Bericht ergibt das Modell, dass bei einer mittleren Erhöhung der Startgeschwindigkeit, die schon relevante Treibstoffeinsparungen bringt, der Lärmpegel in einer Entfernung vom Flughafen von 11 bis 18,5 km um ca. 2 dB ansteigt und nach 26 km geringer wird (verglichen mit dem Standardverfahren). Bei optimal Treibstoff sparender Geschwindigkeit steigt der Lärmpegel auch in einer Entfernung von 18,5 bis 26 km noch um 4 dB. (Zur Erinnerung: ein Anstieg um 3 dB bedeutet eine Verdoppelung der Lautstärke. Raunheim liegt ca. 5 km vom Flughafen entfernt, wegen des Kurvenflugs bei Nord- und Süd-Abflug ist der Bereich bis 10 km relevant.)

Lärmwerte Geschwindigkeit

Zu den Geschwindigkeitsprofilen, die sie künftig zu fliegen gedenkt, hat sich Lufthansa bisher nicht öffentlich geäussert. Bis zum Beweis des Gegenteil muss man daher wohl auch hier vom schlimmsten Fall ausgehen.



Lärmwerte ATA-Verfahren, Raunheim
ICAO-CAEP Vergleich Startverfahren
Nachtrag vom 26.04.2013:

... und Lufthansa legt nach.

Was immer auch der Grund für den Abbruch des "Versuchs" im Februar war, Einsicht war es offensichtlich nicht. Lufthansa möchte das Verfahren im Juni wieder aufnehmen und hat dafür offenbar die Genehmigung des Bundes­verkehrs­ministeriums und des Luftfahrt­bundesamtes.
In der Sitzung der Fluglärm­kommission hat Lufthansa den "Ansatz einer Lärmbetrachtung" vorgestellt. Aus den Folien ist absolut nichts zu erkennen, eigene Berechnungen oder Messungen oder die Berücksichtigung vorliegender Erkenntnisse anderer (s.o.) werden nicht erwähnt. Auch die geplante "Messkampagne" wird nicht konkretisiert. Statt dessen lernen wir: "Lufthansa ist dem Lärmschutz verpflichtet" - und die Erde ist eine Scheibe.

Eigene Recherchen lassen Schlimmes vermuten. So gibt z.B. die DLR einen Vergleich der Lärmentwicklung bei Startverfahren, bei denen zumindest der Unterschied in einem Parameter (Höhe bei Schubreduktion, Conventional-ATA: 1.000 ft, Mod-ATA: 1.500 ft) den von Lufthansa angekündigten Änderungen entspricht. Wie man aus der Grafik rechts ersehen kann, bedeutet das im für Raunheim interessanten Bereich eine Steigerung des Lärmpegels um 1 - 3 dB(A).
Nebenbei wird auch deutlich, dass schon das bisher von Lufthansa genutzte Verfahren (Modified ATA) in diesem Bereich lauter ist als das lärmoptimierte ICAO-Verfahren.

Noch schlimmer sind die Ergebnisse anderer Quellen. So vergleicht ein Arbeitspapier des ICAO-Umweltkomitee (Committee on Aviation Environmental Protection, CAEP) die maximalen Lärmwerte im Nah- und Fernbereich für verschiedene Flugzeugtypen und Startverfahren, die den ICAO-Prozeduren NADP 1 und 2 (Noise Abatement Departure Procedures) entsprechen, auf die sich auch Lufthansa beruft, mit variierenden Parametern. Der Vergleich, der der von Lufthansa geplanten Änderung am nächsten kommt, ist hier links gezeigt; die Änderungen im für Raunheim relevanten Nahbereich rot markiert. Auch wenn diese Werte vermutlich eine Überschätzung darstellen: die Gefahr, dass es durch die geplanten Änderungen deutlich lauter wird, ist offensichtlich gegeben, und es ist schlicht eine Frechheit, dass Lufthansa auf diese Problematik nicht eingeht und so tut, als wüssten sie nichts von diesen Untersuchungen.

Aus diesem Papier geht im Übrigen auch hervor, dass Lufthansa nicht einmal Umweltschutz­gründe für diese Änderung geltend machen kann: zwar nehmen bei den lauten Verfahren die Kohlendioxid-Emissionen geringfügig ab, die Stickoxid-Emission dafür deutlich zu.

Nachtrag vom 31.05.2013:

Nun also wieder: ein Test ...

Kurz vor der "endgültigen" Einführung des neuen Startverfahrens zum 01.06. hat Lufthansa dieses für Deutschland wieder ausgesetzt und will es in Frankfurt bei "ausgewählten Flügen" bezüglich der Lärmentwicklung testen. Per "Schallmessungen" sollen die angenommenen "positiven Effekte" nachgewiesen werden. Von Schadstoffen ist keine Rede. Weltweit sollen die Flughafen-Anwohner wie geplant zum 01.06. mit dem neuen Verfahren beglückt werden.
Die geplante "Messkampagne" wird weiter nicht konkretisiert. Wer wo was mißt, bleibt unklar. Dass die Auswertung der Schallmessungen in "Abstimmung mit dem Forum Flughafen und Region" erfolgen soll, soll wohl Transparenz signalisieren, bewirkt aber eher das Gegenteil. Das Vertrauen der Fluglärm-Betroffenen in diese Institution bewegt sich inzwischen nahe am Nullpunkt.

LH-Logo korrigiert

Auch die Tatsache, dass angeblich im Rest der Welt das Verfahren ohne Tests eingeführt wird, weckt Misstrauen. Möchte Lufthansa signalisieren, dass nur in der Rhein-Main-Region Sensibelchen wohnen, die durch Tests beruhigt werden müssen? Andere Formulierungen, wonach mit dem neuen Verfahren "weltweit gängige Standards" eingeführt werden, die von den ICAO-Regularien nur "erlaubt" sind, aber nicht deren Standards entsprechen, lassen vermuten, dass hier primär die PR-Spezialisten bemüht waren, die Bedeutung des Vorgangs herunter zu spielen. Nach wie vor deuten alle Indizien darauf hin, dass hier nur mit vielen Worten vernebelt wird, dass aus Profitgründen lauter und dreckiger geflogen werden soll.



Nachtrag vom 06.07.2013:

... der keiner ist.

Immerhin ganze fünf Tage, bevor es losging, hat Lufthansa per Presseerklärung noch ein paar Details zu dem sog. Testbetrieb vorgelegt, und das "Forum Flughafen und Region" hat in der Sitzung der Fluglärm-Kommission einen "Vorschlag" für das dazugehörige "Monitoring" vorgelegt. Aus dem FLK-Protokoll geht nicht hervor, ob Letzterer angenommen oder abgelehnt wurde, ob Änderungen vorgeschlagen wurden oder noch vorgeschlagen werden können; aber so war es wahrscheinlich auch gar nicht gemeint. Es ist wohl eher ein Vorschlag von der Sorte, die man nicht ablehnen kann.
Die neuen Fakten sind dürftig: getestet wird nur auf der Startbahn West, gemessen wird an fünf vorhandenen Messstationen, die Daten werden mit Daten aus dem gleichen Vorjahres-Zeitraum verglichen. Welche Daten genau zur Verfügung stehen, wird allerdings nicht gesagt, und auch sonst gibt es einige Merkwürdigkeiten, aber das ist einen eigenen Kommentar wert. Im Ergebnis kann man jedenfalls feststellen: Es ist nicht beabsichtigt, die Auswirkungen des neuen Verfahrens wirklich zu messen. Man möchte nur sicherstellen, dass an den Lärm-Messstationen nichts Dramatisches passiert - und damit ist es genug. Von Schadstoffen redet da ohnehin niemand.

Pegeldifferenzen

In der gleichen Sitzung der Fluglärm-Kommission hat auch Dr. Isermann vom DLR zu Startverfahren und deren Lärmwirkungen vorgetragen. Ob die sechs Folien aus seinem Vortrag, die sich spezifisch mit dem DLH-Verfahren befassen, das sind, was von Lufthansa, Luftfahrt­bundesamt und Landes­regierung als "wissenschaft­liche Studie" bezeichnet wird, ist nicht bekannt, man darf aber vermuten, dass es seine Expertise ist, auf die sich DLH stützt.
Eine seiner Grafiken liefert jedenfalls eine einfache Erklärung dafür, warum man leicht von einer maximalen Pegeldifferenz von +/- 1 dB(A) zwischen den Startverfahren reden kann (s. Grafik rechts). Man nehme nicht den Maximalpegel, sondern den (kleingerechneten) "Sound Exposure Level", berücksichtige, dass die Unterschiede zwischen ICAO A und B sicher grösser sind als zwischen Lufthansa alt und neu, und schon hat man das gewünschte Ergebnis. Dass die Maximalpegel sich trotzdem noch um bis zu 3 dB(A) unterscheiden können, steht dann auf einem anderen Blatt.



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